Johanna von Orleans: "Heilige" oder "Ketzerin"?

Übernahme aus wikipedia:

Crossdressing (von englisch cross „überkreuz“ und dress „Bekleidung“) bezeichnet das Tragen von Kleidung, die nicht der Geschlechterrolle der Person entspricht. Die Absichten dahinter können beispielsweise praktische Gründe sein, die Lust am Verkleiden, der Ausdruck eines persönlichen Modestils oder der Protest gegen Geschlechter-Stereotype. [...]​

Im Kontext der binären Geschlechterordnung bezieht sich Crossdressing auf das Tragen von Frauenkleidung durch Männer oder von Männerkleidung durch Frauen. [...]
wie ich bereits gestern ausformulierte, müssen Frauen sich allerdings heute schon Mühe geben, um als Cross Dresserinnen überhaupt aufzufallen, weil Frauen in Männerkleidung kaum noch auffallen, wenn sie sich nicht betont männlich kleiden. Also Jeans und Holzfällerhemd reicht nicht, die Krawatte und der Männerhut als männliche Attribute müssen dazukommen. Umgekehrt kann kaum ein Mann eine Bluse oder einen Rock anziehen, ohne schief angeschaut zu werden.
 
Verkleidung oder Kostümierung sind entweder karnevalistisch oder man verkleidet sich, um nicht erkannt zu werden. Also der Herrscher der in romantischen Märchen als Bauer verkleidet durch die Stadt geht und sich anhört, was seine Landsleute (über ihn) zu meckern haben. Es geht dabei darum, nicht als derjenige erkannt zu werden, der man ist.

Beim Cross-Dressing geht es nicht darum nicht erkannt zu werden. Man ist die Person, die man immer war, für jedermann erkennbar. Man bleibt Jeanne. Aber man geht aus der Rolle
{+Frau} {+Bauer}
heraus und wird zur
{+Jungfrau}{+Mystik}
Da kann ich nicht so ganz folgen.
Gibt es einen speziellen einzigartigen "dress code" für Jungfrau+Mystik? Wenn ja, müsste dieser ja allgemein bekannt für die Rolle Jungfrau+Mystik sein - sind alle zeitgenössischen Darstellungen der Jeanne d'Arc identisch?

eine Kostümierung ist nicht einzig karnevalistisch, denn Kevin Costner im Robin-Hood-Kostüm bleibt Kevin Costner, stellt aber mittels Kostüm Robin Hood dar. Sich verkleiden und sich kostümieren ist nicht dasselbe.
 
Übernahme aus #crossdressing

Crossdressing ist eine Performance, bei der weibliche oder männliche Crossdresser Kleidung tragen, die im typischen Alltagsverständnis traditionell dem jeweils anderen Geschlecht zugeordnet wird.
Es geht um den bewussten Wechsel von nach außen vermittelten Geschlechterrollen. Viele als Mann lebende Crossdresser schlüpfen dabei in die Rolle einer Frau, viele als Frau lebende Crossdresser hingegen in die Rolle eines Mannes. Es gibt allerdings auch Crossdresser, die dauerhaft in der Rolle des anderen Geschlechts leben.

Der Begriff des „Crossdressers“ setzt sich dabei aus den beiden englischen Wörtern „cross“ (=„kreuzen“) und „dress“ (= „(sich) kleiden“) zusammen.

Nicht alle Crossdresser sind auch trans*

Das Tragen bestimmter Kleidung, vor allem im Rahmen einer Performance als Crossdressing, sagt nichts darüber aus, ob sich jemand als trans* identifiziert oder nicht. Trans* ist ein Oberbegriff für Personen, die sich nicht oder nicht nur mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Mehr Informationen zum Thema „Trans*“ findet ihr hier: https://www.gender-nrw.de/trans-2/

Diese fehlende Übereinstimmung aus zugewiesenem Geschlecht und der eigenen Identifikation definiert eine Transfrau oder einen Transmann, nicht aber sein Kleidungsstil.

Das heißt Crossdresser können trans* sein, es ist aber kein Kriterium des Crossdressing.

Andersherum verspüren viele Transgender den Wunsch, ihre Geschlechtsidentität nach außen auszudrücken, wozu auch die Bekleidung gehört. Daher praktizieren die meisten Transgender eine Form des Crossdressing. Um es auf den Punkt zu bringen: Nicht jeder Crossdresser ist ein Transgender, aber viele Transgender sind Crossdresser. Die Begriffe sind also in keinem Fall gleichzusetzen, auch wenn die Grenzen fließend sind.

Nicht alle Crossdresser sind automatisch Drag Queens oder Kings

Während Crossdressing in erster Linie das Experimentieren und Spielen mit geschlechtsspezifischer Kleidung ist, performen „Drag Queen“ und „Drag Kings“ als Teil eines Programms auf einer Bühne.

Ein Drag King, der oft, aber nicht immer, eine cis-Frau ist, pointiert dabei übertriebene Maskulinität in Kleidung und Verhalten. Hier geht’s zur Erklärung von Cis-Gender: www.gender-nrw.de/cis-gender/. Bei Drag Kings hierbei handelt es sich keinesfalls automatisch um trans*-Männer, genauso wenig wie eine Drag Queen automatisch eine trans*-Frau ist. Drag Queens sind dementsprechend oft cis-Männer, die übertriebene Weiblichkeit als Teil einer Bühnenshow darstellen. Queens und Kings setzen sich dabei bewusst auffallend in Szene und treiben Geschlechterklischees auf die Spitze. Auch hier sind die Grenzen also fließend.

Trans* ist, was du bist – Crossdressing (und Drag) ist, was du tust.

Warum Crossdressing?

Die Beweggründe für Crossdressing reichen vom Verkleiden als Ausdruck eines persönlichen modischen Geschmacks über politischen Protest gegen Geschlechterstereotype und -klischees bis hin zum Ausdruck einer nicht zum biologischen Geschlecht passenden Geschlechtsidentität. Andere Crossdresser haben einen Fetisch für bestimmte Kleidungsstücke oder genießen es sich zu schminken. Die Motive sind so individuell wie die Menschen, die dahinter stecken.

Eine Möglichkeit Crossdressing auszuprobieren ist im Rahmen eines Workshops. Die Diplom-Sozialarbeiterin und -pädagogin Stephanie Weber hat in Kooperation mit der FUMA Fachstelle Gender und Diversität einen solchen veranstaltet. Entstanden ist dabei eine Reihe von Vorher-Nachher-Fotos, die zu einer ausleihbaren Ausstellung zusammengefasst wurden. Hier gibt’s mehr Informationen dazu: www.gender-nrw.de/wanderausstellung-cross-dressing/

Geschlechterperformance macht jede und jeder

Crossdressing verdeutlicht damit die These der “sozialen Konstruktion von Geschlecht”, nach der wir unsere Geschlechtsidentität tagtäglich durch unsere eigene Inszenierung von Geschlecht leben. Kleidung transportiert immer ein gewisses Bild nach Außen und ist somit Teil unserer ganz eigenen Performance. Sei es vor einem Vorstellungsgespräch oder vor einem Date: „Kleider machen Leute“ ist elementarer Teil unseres Alltags und geht dabei weit über eine simple Modefrage hinaus. Es macht einen Unterschied, ob Frau oder Mann in Anzug, Shorts oder im Kleid auftritt.
 
ok, wir haben jetzt zwei Cross-dressing Definitionen (Wikipedia und Fachstelle Sender & Diversität), beide passen nicht auf Jeanne d'Arc, denn beide enthalten den Kostümierung/Darstellungszweck "Jungfrau + Mystik im Harnisch"*) nicht und Jeanne selber hatte offensichtlich nicht die Intention, per dress code Geschlechterrollen zu thematisieren. Daraus folgt doch, dass die Verwendung von "Cross-dressing" im Zusammenhang mit Jeanne d'Arc eher deplatziert als erhellend ist.

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*) der Zusatz im Harnisch ist meine Ergänzung wegen des kriegerischen Kontexts
 
Jeanne trägt die Kurzhaarfrisur und die Männerkleidung also in erster Linie aus symbolischen Gründen. Dabei bricht sie nicht nur die Geschlechtergrenzen, sondern auch Standesgrenzen, weil sich die Bauernstochter wie adeliger Fahnenjunker kleidet.
Hier habe ich offensichtlich nur "Geschlechtergrenzen" gesprochen und nicht die differenzierten Fachbegriffe verwendet. Das sorgt offensichtlich für Verwirrung. Daher werde ich jetzt versuchen in dieser Diskussion nicht mehr diesen mehrdeutigen Begriff "Geschlecht" zu verwenden, der offensichtlich für die Analyse nicht ausreich.
Augenblick, ich komme nicht mehr mit.

Wie reizte Johanna "Geschlechtergrenzen" aus, wenn sie verbürgtermaßen von ihrem Umfeld als Frau wahrgenommen wurde, sich als Frau wahrnahm, selber Frauen in ihre sozialkonformen Rollen relegierte und außerdem betonte, keine Sonderrolle zu beanspruchen, sondern eine einmalige göttliche Aufgabe zu erfüllen?
Mit "Geschlechtergrenzen" meinte ich lediglich die Grenzen zwischen Gender-Rollen und nicht die zwischen Gender-Identitäten.
Der feine Unterschied zwischen Identität und Rolle ist für die Diskussion sehr wichtig.

Ich will Jeanne D'Arc nicht zum Transmann mit männlicher Gender-Identität umdeuten, sondern darauf hinweisen, dass ihre Kleidung und ihre Verhaltensweisen damals im Spätmittelalter als typisch männlich galten - männlich im Sinne Gender-Rolle.
Weil Jeanne auf ihr weiblichen Gender-Identiät beharrt und die gesellschaftlichen Erwartungshaltungen bzgl. ihres Verhaltens, ihrer Kleidung usw. nicht einhält, ist das ein offene Tabubruch.
Das Cross-Dressing ist nur ein Teilaspekt ihres männlichen Verhaltens. Sie verhält sich nicht rollenkonform, d.h. sie verhält sich "wie ein Mann", obwohl sie eine Frau ist. Von daher würde ich von Cross-Gender sprechen. Gender-Performance und Gender-Identiät stimmen nicht überein.

(Hätte Jeanne sich immer als Mann ausgeben, wäre sie in männlicher Kleidung und mit ihren typisch männlichen Verhaltensweisen kaum aufgefallen. Sie hätte sich ohne öffentlichen Eklat durchmogeln können. Das Reise unter männlicher Tarnidentität ist daher kein Tabubruch, so lange man nicht erwischt wird.)

Für die Frage, ob man Jeanne diese Tabubrüche durchgehen lässt oder sie deswegen verbrennt, war nach spätmittelalterlicher Vorstellung entscheiden, ob man sie für eine heilige Jungfrau oder Hexen hielt. Entweder war sie in Kontakt mit den Engeln oder mit den Dämonen.
Bei Heiligen ist abweichendes Verhalten mitunter geduldetet und kann sogar wie bei den "Narren in Christo" positiv gedeutet werden. Wenn aber ein Kontakt mit Dämonen der Grund für das merkwürdige Verhalten ist, hilft bekanntlich nur Feuer.

Da kann ich nicht so ganz folgen.
Gibt es einen speziellen einzigartigen "dress code" für Jungfrau+Mystik? Wenn ja, müsste dieser ja allgemein bekannt für die Rolle Jungfrau+Mystik sein - sind alle zeitgenössischen Darstellungen der Jeanne d'Arc identisch?
Nach dem Feuertod der echten Jeanne traten mehrere Trittbrettfahrerin in Frankreich auf. Sie griffen auf den unerwechselbaren Dress-Code der echten Jeanne zurück, trugen also Männerkleidung ggf. auch Rüstung und gabe sich als Heilige Jungfrau Jeanne aus. Der bekannteste Fall einer falschen Jeanne ist der von Claude des Armoise.
Es gab im 15. Jahrhundert einen speziellen Dress-Code der Jungfrau in Rüstung, Hosen usw., den ausschließlich Jeanne D'Arc und ihre Trittbrettfahrerinnen verwendeten.
 
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Weil Jeanne auf ihr weiblichen Gender-Identiät beharrt und die gesellschaftlichen Erwartungshaltungen bzgl. ihres Verhaltens, ihrer Kleidung usw. nicht einhält, ist das ein offene Tabubruch.
Das Cross-Dressing ist nur ein Teilaspekt ihres männlichen Verhaltens. Von daher würde ich von Cross-Gender sprechen.
@Maglor es ist staunenswert zu lesen, was du alles über Jeanne d'Arc und ihr Verhalten und so weiter weißt - wusste sie das auch und hätte sie es so wie du formuliert?
 
Nichts für ungut, aber ich halte diese Debatte für deplatziert. Es ist klar, dass Johanna – wie könnte es auch anders sein? – die Geschlechterrollen ihrer Zeit verinnerlicht hatte.

Wir wissen, dass man ihr bei ihrem Prozess vorwarf, sich in der Schlacht "wie ein Kriegsmann" gewappnet zu haben, aber dieser Begriff ist insofern irreführend und rechtfertigt keine dediziert moderne Betrachtung, als es keine "männliche" Rüstung bzw. Waffe gibt – sondern nur wirksame Waffen und Rüstungen.

Und tatsächlich beugte der Ketzerprozess gegen sie wohl auch in dieser Hinsicht geltendes Recht, weil es durchaus als zulässig galt, dass Frauen Männerkleider trugen, wenn es Not tat, um ihre Keuschheut bzw. Leib und Leben zu schützen. Mir ist auch nicht bekannt, dass irgendjemand außer den Feinden Karls VII. – und damit Johannas – sie bestraft sehen wollte.

Mir ist kein Hinweis bekannt, dass Johanna um Rüstung und Waffen ausdrücklich gebeten hätte, oder dass sie ihre Aufgabe im Kämpfen sah. Sie verbannte vielmehr Frauen aus dem Tross ihres Heeres und machte auch sonst keine Anstalten, die mittelalterliche Gesellschaftsstruktur infrage zu stellen.

Sie rechtfertigte ihr Verhalten damit, von Gott beauftragt zu sein. Wenn sie überhaupt einen näheren Zusammenhang zwischen diesem Auftrag und ihrer Person hergestellt hätte (in Wahrheit verneinte sie regelmäßig zu wissen, warum Gott gerade sie ausgewählt habe), dann hätte Johanna wohl auf ihre Frömmigkeit abgestellt, nicht auf ihr Geschlecht.

Der Begriff des Tabubruchs impliziert Absicht, eine Absage an die Norm, der das Tabu zugrunde liegt – Rebellion. Mir ist nicht klar, wie man in Johannes Fall von Rebellion sprechen kann. Der Widerspruch zwischen innerer Haltung und äußerem Tun, den Maglor auflösen will, kann dadurch ad acta gelegt werden, dass man akzeptiert: Johanna sah sich als gottgesandt, als Fall allein für die Gerichtsbarkeit Gottes, nicht die der Menschen. Eine causa sui generis.

Wenn man Erwägungen über "Cross-Dressing" anstellen will, finden sich lohnendere Forschungsobjekte, z.B. ihre Namensvetterin aus der Bretagne, die in der Tat die gesellschaftlichen Konventionen herausforderte.
 
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Wir wissen, dass man ihr bei ihrem Prozess vorwarf, sich in der Schlacht "wie ein Kriegsmann" gewappnet zu haben, aber dieser Begriff ist insofern irreführend und rechtfertigt keine dediziert moderne Betrachtung, als es keine "männliche" Rüstung bzw. Waffe gibt – sondern nur wirksame Waffen und Rüstungen.
Ignorierst du eigentlich absichtlich die Möglichkeiten symbolischer Bedeutung?
Es wäre natürlich viel einfacher, wenn es nur um die physikalische Wirksamkeit ginge. Auch bei Waffen geht es nicht nur ums Töten, sondern auch um symbolische Wirkung. Zum Beispiel ließ sich Odo von Bayeux auf dem bekannten Teppich abbilden, wie er mit der Keule in den Krieg. Ein normannischer Adeliger hätte sich sicherlich ein Schwert leisten können und Schwerter sind auch viel tödlicher als Keulen, aber ein Schwert war damals für einen Bischof vielleicht unangemessen. Jede Waffe und jede Rüstung hat auch eine bestimmte soziale Bedeutung, die wir nicht einfach ignorieren können.

Bei Kleidung geht es auch nicht nur um praktische Überlegungen wie Bewegungsfreiheit und Wärme.
Es geht hierbei nicht nur um Geschlechtszugehörigkeit, sondern auch um den Stand und das Alter.

Nichts für ungut, aber ich halte diese Debatte für deplatziert. Es ist klar, dass Johanna – wie könnte es auch anders sein? – die Geschlechterrollen ihrer Zeit verinnerlicht hatte.
Johanna von Orleans war ein dreifacher Skandal, weil ihr Verhalten und ihr Auftreten für ihr Geschlecht, ihren Stand und ihr Alter völlig unangemessen war.
Wenn ein siebzehnjähriges Bauernmädchen sich die Haare kurz schneidet, Hosen anzieht, ein Schwert in die Hand nimmt und in den Krieg zieht, ist das auf eine Weise unanständig, die wir uns kaum noch vorstellen können. (Andererseits bin ich fest davon überzeugt, dass derartige Verhaltensweisen auch in unserer Gegenwart für Irritationen sorgen werden. Aktuelle Beispiele gibt es durchaus.)
Bekanntlich gab es für sie zwei gegensätzliche Deutungen. Entweder wurde sie als Ketzerin oder Heilige gesehen. Beides waren im Grunde Erklärungen, die darauf abzielten, dass sie eben kein normales Mädchen war. Die moderne Deutung als psychotischer Wahn ist davon auch nicht so weit weg. Heilge, Hexen oder Verrückte machen seltsame Sachen, die sich nicht gehören.

Zu beachten ist auf jeden Fall noch er geringe praktische Nutzen ihrer ganzen Aktion. Da zieht ein ganz junges Mädchen ohne jede Ausbildung und ohne jedes Training in den Krieg. In der damaligen Kriegsführung kam es durchaus auch solche Kleinigkeiten wie die Armlänge an und daher macht es eigentlich auch keinen Sinn Mädchen im Kampf einzusetzen. Ein taktisches Genie wird sie auch nicht gewesen sein.
Auch hier ging es gar nicht darum, dass Johanna einen praktischen Beitrag als Kombatantin leistet, sondern in erster Linie um die Symbolik, dass die Heilige vorweg reitet. Johannas Schwert war sicherlich in erster Linie Dekoration.
 
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Ignorierst du eigentlich absichtlich die Möglichkeiten symbolischer Bedeutung? […] Johanna von Orleans war ein dreifacher Skandal, weil ihr Verhalten und ihr Auftreten für ihr Geschlecht, ihren Stand und ihr Alter völlig unangemessen war.
Du verstehst mich nicht. Skandalisiert wurde Johanna in pro-englischen Schmähschriften, verurteilt wurde sie von einem pro-englischen Ketzergericht, dass sich der Löchrigkeit seiner eigenen Argumentation spürbar bewusst war. Wie steht es indes um Frankreich? Wie steht es um die Akzeptanz von Johannas Tun und Lassen im Machtbereich des Dauphins bzw. nachmaligen Karls VII.? Musste Karl seine Untertanen beschwichtigen? Musste er sich selbst dazu zwingen, ihr Verhalten zu tolerieren?
Wenn ein siebzehnjähriges Bauernmädchen sich die Haare kurz schneidet, Hosen anzieht, ein Schwert in die Hand nimmt und in den Krieg zieht, ist das auf eine Weise unanständig, die wir uns kaum noch vorstellen können.
Nicht, wenn sie eine Heilige ist, durch Gott legitimiert, und so weiter. Und genau darauf will ich die ganze Zeit hinaus. Es ist merkwürdig, dass Du (mit gutem Grund) auf die Schwierigkeit hinweist, sich in die Denkweise des 15. Jahrhunderts hineinzuversetzen, aber zugleich darauf beharrst, allein auf Geschlechterrollen abzustellen. Selbst wo Du die religiöse Komponente ihres Wirkens berücksichtigst, definierst Du sie von den Geschlechterrollen ausgehend.
(Andererseits bin ich fest davon überzeugt, dass derartige Verhaltensweisen auch in unserer Gegenwart für Irritationen sorgen werden. Aktuelle Beispiele gibt es durchaus.)
Immer eckt irgendwer bei irgendjemandem mit seiner Lebensführung an, und Frauen erfahren dies natürlich in besonderem Maße. Das hindert aber z.B. die Streitkräfte der Ukraine nicht, rund 50.000 Frauen an der Front gegen die russische Invasionsarmee einzusetzen. Es hindert nicht die buchstäblich tausenden Kommentare der Bewunderung, die ich unter einem "Body Cam"-Video las (die Wege des Youtube-Algorithmus sind unergründlich), das zeigte, wie eine mutige US-amerikanische Polizistin einen Verbrecher festnahm, nachdem er ihr beide Hände durchschossen hatte.

Das gehört nicht hierher, meine ich.
Bekanntlich gab es für sie zwei gegensätzliche Deutungen. Entweder wurde sie als Ketzerin oder Heilige gesehen. Beides waren im Grunde Erklärungen, die darauf abzielten, dass sie eben kein normales Mädchen war. Die moderne Deutung als psychotischer Wahn ist davon auch nicht so weit weg. Heilge, Hexen oder Verrückte machen seltsame Sachen, die sich nicht gehören.
Heiligenerzählungen sind generell Geschichten von Menschen, die über sich hinauswuchsen, die Ungewöhnliches taten. Dass hingegen die moderne Forschung v.a. nach einer möglichen Geisteskrankheit Johannas fragt, hat doch wohl vor allem damit zu tun, dass kein wissenschaftlich arbeitender Forscher eine göttliche Sendung als Faktum bejahen kann.
Zu beachten ist auf jeden Fall noch er geringe praktische Nutzen ihrer ganzen Aktion. Da zieht ein ganz junges Mädchen ohne jede Ausbildung und ohne jedes Training in den Krieg. In der damaligen Kriegsführung kam es durchaus auch solche Kleinigkeiten wie die Armlänge an und daher macht es eigentlich auch keinen Sinn Mädchen im Kampf einzusetzen. Ein taktisches Genie wird sie auch nicht gewesen sein.
Auch hier ging es gar nicht darum, dass Johanna einen praktischen Beitrag als Kombatantin leistet, sondern in erster Linie um die Symbolik, dass die Heilige vorweg reitet. Johannas Schwert war sicherlich in erster Linie Dekoration.
Ihre Aktion hatte einen gewaltigen praktischen Nutzen, und man darf davon ausgehen, dass Johanna sich dessen zumindest unterschwellig bewusst war, da sie diesen Nutzen maximierte. Johanna fungierte als die heilige Lanze von Antiochia. Johanna fungierte als der "Ghost of Kyiev". Sie wirkte als religiöse und politische Galionsfigur, und dürfte auch durch ihre verbürgte Bereitschaft, sich der Gefahr des Todes unmittelbar auszusetzen, viele Ritter und Waffenknechte Karls zusätzlich inspiriert haben.
 
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Weil Jeanne auf ihr weiblichen Gender-Identiät beharrt und die gesellschaftlichen Erwartungshaltungen bzgl. ihres Verhaltens, ihrer Kleidung usw. nicht einhält, ist das ein offene Tabubruch.
Das war ein Tabubruch, keine Frage, denn die Kleiderordnungen reichten damals bis zu der Farbe der Kleidungsstücke und darüber hinaus.

Besonders strengt waren sie für Frauen: Sie durften keine Hosen tragen – wohl* auf Geheiß der Kirche, die darauf bis in das 20. Jahrhundert beharrte. Die Begründung war sexistisch: Eine Hose würde sich am Geschlecht der Frau reiben und sie so sexuell reizen. Das war auch der Grund, dass Frauen bis ins 19. Jahrhundert keine Unterhosen tragen durften – jedenfalls keine geschlossenen. Erst ab den 1920/30er Jahren, von den Fabrikarbeiterinnen während des Kriegs mal abgesehen, kümmerten sich vor allem Schauspielrinnen (z.B. Marlene Dietrich) nicht mehr um dieses Verbot.

Was Jeanne d’Arc betrifft: Sie wurde schon im ersten Prozess auch wegen des Tragens von Hosen verurteilt, und weil sie das auch während ihrer anschließenden Haft tat, wurde sie als Wiederholungstäterin verurteilt; es gab keine mildernden Umstände mehr. Dass man ihr im Gefängnis angeblich die weibliche Kleidung weggenommen und nur die männliche gestellt, steht auf einem anderen Blatt.

* Ich kann dafür derzeit keinen Beleg beibringen, aber sicher gibt es hier Mitglieder, die es im Handumdrehen könnten. Hoffentlich. ;)
 
Die angegebene Begründung für das Verbot des Hosentragens klingt eher nach viktorianischen Ärzten als nach der Kirche. Zumal, abermals, das Tragen von Männerkleidung durch Frauen als entschuldbar gelten konnte, wenn die "Schuldige" bspw. für sich in Anspruch nahm, sie habe ihre "Unschuld bewahren" (=sexuellen Übergriffen entgehen) wollen. Diese Frage scheint insb. auf Pilgerfahrten aufgekommen zu sein.

Gleiches gilt übrigens für das Reiten im Herrensitz, die "Gefahr" der "unsittlichen Erregung" durch den Sattel scheint eine neuere Erfindung verklemmter Moralapostel zu sein. Dass adelige Damen im Herrensitz jagten, scheint zwischen Renaissance und Barock gar nicht mal so selten gewesen zu sein.

Wahrscheinlicher erscheint mir, dass schlicht und ergreifend der modische Status Quo der Spätantike bzw. des frühen Mittelalters im Sinne der unverrückbaren Gesellschaftsordnung Gottes in Stein gemeißelt wurde.

Schon den Römern und Griechen hatte die "echte" Hose (z.B. der Kelten) als barbarisches Unding gegolten, sie hatten auch kaum Bedarf dafür. Ein Feld bestellen, einem Handwerk nachgehen, das kann man auch in einer Tunika. Unerlässlich wurden separate Beinkleider erst, als im Frühmittelalter die Reiterei beherrschend wurde, denn um in den Steigbügeln stehend zu kämpfen, brauchte es maximale Beinfreiheit.

Das Kämpfen zu Pferde war freilich die "Männerarbeit" schlechthin. Die es ermöglichende (oder zumindest deutlich vereinfachende) Hose dürfte so zum männlichen Kleidungsstück schlechthin geworden sein. Alles Weitere beruht vermutlich einfach auf der strikten Kleiderordnung, die Du selbst angesprochen hast, und die dazu diente, Unterschiede jeglicher Art nicht verwischen zu lassen.
 
Der Damensattel war zwar in der Spätantike und im frühen Mittelalter nicht in Mode, im Spätmittelalter aber durchaus angesagt.

Das Bild zeigt die französische Prinzessin und spätere englische Königin Catharine de Valois auf dem Weg zu ihrer Hochzeit. Es handelt sich um eine Zeitgenossin von Jeanne d'Arc. Sie und ihre Hofdamen reiten im Damensitz und tragen lange Kleider.
800px-Catherine_of_France%2C_daughter_of_Charles_VII.jpg

Bild von Wikipedia

Ich bin mir jetzt nicht sicher, wann genau dieses Gemälde von Catharine de Velois entstanden ist.

Es gibt jedenfalls eine ganze Reihe weitere spätmittelalterlicher Gemälde von Reiterinnen im Damensitz, etwa diese phantasievoll gemalte Amazonenkönigin. Ein spätmittelalterlicher Maler denkt sich selbst die bewaffnete Amazonenkönigin im langen Schleppkleid und im Damensitz reitend.
 
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Du überstrapazierst hier ein wenig den Zeit-Artikel, der lediglich referiert.
Aber stellen wir doch mal Fragen an den Text: "Eine alte Prophezeiung besagte..."
Das ist schon mal furchtbar unkonkret. Es ist kein Datum genannt und keine Quelle. Woher stammte diese Prophezeiung? Wann ist sie das erste Mal belegt? Wie lautete sie genau?

Oder taucht diese "alte Prophezeiung" etwa nur in den Quellen zu Jeanne auf?! :pfeif:
Auch dies entspräche nämlich durchaus mittelalterlichem Geschichtsdenken: Was alt ist ist edel und gut. Je älter etwas ist, desto ehr- und glaubwürdiger.
Die Prophezeiung geht auf niemand geringeren als den Zauberer Merlin zurück bzw. sie wurde dieser Sagenfigur zugeschrieben.

Hier ist noch zwei wirklich sehr interessanter Blog-Beitrag zum Thema Jeanne d'Arc:
https://www.reflab.ch/haeutchen-aus-stahl/
https://www.reflab.ch/christliche-jihadistin/
 
Die angegebene Begründung für das Verbot des Hosentragens klingt eher nach viktorianischen Ärzten als nach der Kirche.
Nein - einer der Hauptanklagepunkte der Inquisition in dem Prozess gegen Jeanne d'Arc in Rouen war das Tragen der Männerkleidung.

Und: Jeanne d'Arc wurde als Ketzerin nur von der Inquisition zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt, nicht durch ein weltliches Gericht: Das Urteil der Inquisition wurde von den Engländern umgehend vollstreckt, d.h. Jeanne d'Arc wurde auf dem Scheiterhaufen lebendig verbrannt.

Wer will, kann das auf youtube anhand einer gut recherchierten 4-teiligen Dokumentation über Jeanne d'Arc (im Teil 4/4 ab Minute 4 geht es um den Prozess) von Richard David Precht, die von Phönix gesendet wurde, überprüfen.
 
Meine Aussage bezog sich auf Deine Behauptung, die Kirche hätte das Hosentragen verboten, weil es Frauen angeblich sexuell erregte. Was Du auch nicht belegen konntest, wie Du selbst sagtest. Solche Aussagen klingen eher nach viktorianischen "Ärzten" als nach dem Mittelalter, dazu fehlte dem Mittelalter vielleicht auch das anatomische Wissen. Dementsprechend ist mir auch nicht bekannt, dass dergleichen im Mittelalter angeklungen wäre.

Dass das Hosentragen verboten war, ist mir durchaus bekannt, und ich habe nichts Gegenteiliges behauptet. Doch reiht sich das Verbot ein in eine ganze Reihe von Beschränkungen, die die Gesellschaft allen möglichen Personen auferlegte. Es handelte sich um Versuche, die angeblich gottgewollte Gesellschaftsordnung mit drakonischen Strafen zu erhalten und zu zementieren.

Misogynie spielte beim Verbot des Hosentragens eine Rolle, aber eben nur eine Rolle.
 
Solche Aussagen klingen eher nach viktorianischen "Ärzten" als nach dem Mittelalter, dazu fehlte dem Mittelalter vielleicht auch das anatomische Wissen.
"Zwischen Kot und Urin werden wir geboren" – sagte Augustinus, und wenn er, ein Kirchenmann, das wusste, wussten es auch die mittelalterliche Ärzte. Das anatomische Wissen war also vorhanden, aber die Frau galt halt als Lockspeise des Satans und Quelle der Sünde – so der mittelalterliche Bischof und heilige Kirchenlehrer Petrus Damiani (1007-1072).

Misogynie spielte beim Verbot des Hosentragens eine Rolle, aber eben nur eine Rolle.
Klar, Misogynie war und ist ein Fixpunkt in der Kirchenpolitik – zumindest in der katholischen: Man denke hier an den bis zum Ende des 20. Jahrhunderts dauernden Widerstand gegen Mädchen als Ministrantinnen, nur weil sie Mädchen sind.
 
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