Kaiser Wilhelm II. - Schattenkaiser oder Autokrat?

Eigentlich kann ich Turgot nur zustimmen.

Die Frage, ob Wilhelm II ein Schattenkaiser oder ein Autokrat war, lässt sich ohne Analyse der Persönlichkeit Wilhelms m. E. nicht beantworten.

Von den äußeren Voraussetzungen her, also seiner Stellung im Reich hätte Wilhelm sicherlich als reiner Autokrat agieren und regieren können.

Wilhelm II brauchte Fachleute als Berater oder "Zuarbeiter". Wenn diese es verstanden, auf die Persönlichkeit Wilhelms einzugehen und seine Eitelkeit, seine Komplexe und Rituale in ihrem Umgang mit dem Kaiser entsprechend zu berücksichtigen, konnten sie ihn sicherlich ein Stück weit manipulieren. (Meiner Einschätzung nach war der "Willi mit der Kopfprothese" nicht unbedingt einer der Allerhellsten, so dass das schon ein relativ großes Stück gewesen sein konnte. Da kann man aber sicher streiten). Andere, die vielleicht selbstbewusster auftraten und sich bei Auseinandersetzungen mit dem Kaiser nicht die von diesem erwartete Mäßigung in der Wortwahl auferlegten :D, wurden halt gerne mal in die Wüste geschickt.

Oder um es kurz zu sagen: Wer sich als Herrscher vorwiegend mit Schleimern umgibt, läuft halt gerne in Gefahr manipuliert zu werden und sei es bloß deshalb, weil man ihm unangenehme Wahrheiten vorenthält. Mein Fazit: Wilhelm II war von seiner Persönlichkeit her durchaus gefährdet, manipuliert zu werden. Leute, die es geschickt anstellten, konnten ihn also durchaus zu einer Art "Schattenkaiser" werden lassen.

Viele Grüße,

Bernd

He was the most brilliant failure of history soll sein "Onkel Bertie" Edward VII. gesagt haben und da war durchaus etwas dran.

Wilhelm war nicht unintelligent und zu vielem begabt. Vielleicht mangelte es ihm an Selbstbewusstsein, dass er es mit einer derben Kraftmeierei kompensieren musste. Er sprach viel und laut, er konnte ausgesprochen taktlos und beleidigend sein, und er vertrug wenig Kritik. Das ist nicht gerade eine Atmosphäre, in der selbstständige Koryphäen gedeihen konnten. Dazu hatte Wilhelm die Angewohnheit, Freunde und Vertraute hängen zu lassen, wenn sie ins Kreuzfeuer der Kritik gerieten wie Philipp "Phili" von Eulenburg.

Dass Wilhelm II. den wachsenden Anforderungen, die auf einen Monarchen zukamen nicht gewachsen war, zeigte sich dann im Weltkrieg, als Wilhelm praktisch kaltgestellt wurde, weil ihm die Militärs, denen er gewaltig auf den Nerv ging, nur die Anzahl der Gefangenen und eroberten Kanonen mitteilten. Falkenhayn unterrichtete seine Majestät noch, während das Duumvirat Hindenburg/ Ludendorff Wilhelm kaum noch konsultierte.

Der Kaiser konnte auch beide nicht ausstehen unjd hielt Hindenburg für einen Verräter und Ludendorff für einen eiskalten Karrieristen.
 
Der deutsche Überschuss war stets dem Osten zugeschlagen
Das hiesse aber doch, dass sich die Heeresleitung völlig sicher war, bei Gleichheit der Truppenstärke Frankreich in 6 Wochen überrennen zu können, deshalb alle zusätzlichen Kräfte ohnehin im Osten eingesetzt hätte und somit ein weiterer Truppenzuwachs für den Frankreichfeldzug nutzlos gewesen wäre.
Das ist dann aber schon sehr pomadig gedacht vom Generalsstab.

(2) die Aussage war nicht, dass dort der Präventivkrieg beschlossen wurde (so die Fischer-Fraktion, die das wohl nicht bis heute zweifelsfrei belegen konnte), sondern dass die Präventivkriegsbereitschaft auf das Jahr 1914 (frühestens) bis 1916 (spätestens) eingegrenzt wurde.
Das kann man so interpretieren, wenn man davon ausgeht, dass der "Beschluss" auf dem Kriegsrat von der politische Führung, also hauptsächlich dem Kanzler und dem Kaiser, als bindend angesehen wurde.

(1) bitte Nachweise, wo das mit Quellenbezug auf den genauen Ablauf der Besprechung als "genau andersrum" dargestellt bzw. behauptet wird.
Zu dem besagten Kriegsrat gibt es wohl keine direkte Quelle (also kein Gesprächsprotokoll) sondern der Verlauf wurde aus Tagebucheinträgen und späteren Gesprächen der Beteiligten rekonstruiert. Da habe ich wohl das was ich dazu gelesen habe überinterpretiert.

Was deine Punkte 3-5 angeht, denke ich nicht, dass die "Stand der Dinge" sind. Mommsen fasst den Kriegsrat wie folgt zusammen:

- Moltke plädierte unabhängig von der aktuellen Konstellation für einen Präventivkrieg zum frühestmöglichen Zeitpunkt
- Tirpitz setzte auf Zeitgewinn
- Wilhelm II. selbst traf keine Entscheidung


Dass Wilhelm eine unverzügliche Kriegsauslösung forderte habe ich vorher noch nirgends gelesen, schreibt Röhl aus welcher Quelle er diese Behauptung bezieht?
 
Wilhelm war nicht unintelligent und zu vielem begabt. Vielleicht mangelte es ihm an Selbstbewusstsein, dass er es mit einer derben Kraftmeierei kompensieren musste.

Seine Intelligenz kann ich nicht einschätzen, aber sonst sehe ich das ähnlich.

Möglicherweise hat ja auch sein "Geburtsfehler", er katte ja wegen Komplikationen bei seiner Geburt einen gelähmten Arm, dazu beigetragen, dass er sich in seiner Persönlichkeit so entwickelte, wies nun mal der Fall war. Bereits im Kindesalter wurden ja alle möglichen Methoden angewandt, um den Arm zu heilen, aber es half nichts. Insoweit könnte Wilhelm dieses "Versagen" durchaus auf sich projiziert haben und so entsprechende Komplexe ausgebildet haben.

Wilhelm II war ja auch einer der ersten "Medienmonarchen", wie ich das jetzt mal nennen möchte, immerhin gibt es von ihm ja schon Filmaufnahmen. Gut möglich dass die Diskrepanz, einerseits Repräsentant des Staates, andererseits aber "nur ein Krüppel" zu sein, innerlich in ihm genagt hat, besonders, wenn es jeder im Land sehen konnte.

Letztendlich wird man (jedenfalls ich) hier nur spekulieren können, aber dass Wilhelm eigene Defizite kannte und durch entsprechendes Auftreten zu kaschieren suchte, scheint mir einigermaßen wahrscheinlich zu sein. (Wobei meine Einschätzung seiner Defizite nicht mit seinem Selbstbild übereinstimmen muss. Ich halte die körperliche Behinderung eines Menschen nicht grundsätzlich für ein Defizit, aber ich bin selbst nicht betroffen und wohl auch anders sozialisiert. Dafür sehe ich bei Wilhelm Schwächen, die er sich evtl nicht zugeschrieben hätte).

Viele Grüße,

Bernd
 
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Cephalotus schrieb:
Möglicherweise hat ja auch sein "Geburtsfehler", er katte ja wegen Komplikationen bei seiner Geburt einen gelähmten Arm, dazu beigetragen, dass er sich in seiner Persönlichkeit so entwickelte, wies nun mal der Fall war. Bereits im Kindesalter wurden ja alle möglichen Methoden angewandt, um den Arm zu heilen, aber es half nichts. Insoweit könnte Wilhelm dieses "Versagen" durchaus auf sich projiziert haben und so entsprechende Komplexe ausgebildet haben.​


Die Verkrüppelung seines linken Arms, dh die Verkürztheit und Schwäche hat Wilhelms Selbstwertempfinden vermutlich nicht entscheidend beeinträchtigt, wenngleich sie das äußere Merkmal
seiner Besonderheit resp Gestörtheit bezeichnete. Vielmehr war
seine Verrücktheit den erbarmungslosen Repressionen
in seiner Kindheit und Erziehung geschuldet:
Per Steißgeburt in die Welt gezerrt, wobei sein Arm verkrüppelt wurde,
von seiner (englischen) Mutter ob dieser Verkrüppelung verachtet,
weiter traumatisiert durch folterähnliche Streck- und Elektrisierungs-methoden zur Verlängerung des Armes, die eiserne Zucht seitens des Erziehers Hinzpeter, welcher die Letzte Chance vergeudete, aus
einem zutiefst verletzten und gedemütigten Knaben eine souveräne Persönlichkeit heranzubilden.
Ein Junge, der solchermaßen brutalstmöglich verstört und traumatisiert
wurde, musste zwangsläufig ein abnormes Seelenleben führen und sich in Wahnvorstellungen verirren. . .
Dieser Mensch stürzte sich nun ausgestattet mit allen Machtvollkommenheiten eines deutschen Kaisers für die nächsten 30 Jahre auf den Thron, um als von 'Gott' eingesetzter Souverän
sein Volk „glorreichen Zeiten“ entgegen zu führen
Dieses Amt welches äußerste Klugheit und Besonnenheit verlangte, geriet unter die Gewalt eines unbelehrbaren Fantasten, der seine ganz persönlichen Leidenschaften und Besessenheiten kaum gebremst in seine Amtsausübung einbrachte.
Ganz besonders verhängnisvoll und nachhaltig wirkte sich diese
Geschmacks- u Gefühlsherrschaft des Monarchen
auf die Personalpolitik aus:
Die Besetzung von Führungspositionen der Reichsregierung und des Militärs oblag verfassungsgemäß dem Kaiser und Wilhelm nutzte dieses Privileg ganz nach seinem Gusto, und er hasste souveräne Persönlichkeiten, favorisierte dagegen Schmeichler. Die Konsequenz dieser Bestallungsmentalität beschreibt Lüder Meyer-Arndt recht drastisch und hebt ein eklatantes deutsches Dilemma hervor:
"Von denen, die den Krieg zuließen, fiel keiner durch Begabung, Weitsicht oder Intelligenz auf". Sie seien sämmtlich „Fehlbesetzungen“ gewesen. Man komme an den "Kern des Desasters, wenn man es auf die völlig verfehlte,ja unverantwortliche Personalpolitik des Regimes zurückführt". Für diese Personalpolitik war nun der Kaiser verantwortlich (dank Bißmarck. . .):"Jagow war unselbständig, ein Diplomat 3. Ranges, unfähig und intrigant", der Graf Waldersee: "eine vollkommene Null", Bethmann Hollweg sei von der HaPAG "höchstens als Biblothekar angestellt worden"Stumm war "halb verrückt", Moltke "in besonderem Maßeimkompetent". Deutschland also mit den Worten von Ferguson: "a colossus of steel, with a head of clay"Hier liegt also des Rätsels Lösung:Die Akkumulation von Inkompetenz in den Führungsetagen musste zwangsläufig dieses hoffnungsvolle Werk – Deutsches Reichunter (zu erwartenden) ungünstigen Umständen in die Scheiße fahren. . .

In Hoffnung auf bessere Zeiten;
Bessern wir uns!
D
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Kaiser war an allem Schuld. ;)
Allerdings war das, was noch aus Bismarcks Zeiten an Führungspersonal übernommen wurde, auch nicht das Gelbe vom Ei. Etwa Holstein - die Graue Eminenz. Oder Kiderlen-Waechter. Bismarck hätte wohl seinen Sohn gerne als Kanzler-Nachfolger gesehen.
 
Der Kaiser war an allem Schuld. ;)
Allerdings war das, was noch aus Bismarcks Zeiten an Führungspersonal übernommen wurde, auch nicht das Gelbe vom Ei. Etwa Holstein - die Graue Eminenz. Oder Kiderlen-Waechter. Bismarck hätte wohl seinen Sohn gerne als Kanzler-Nachfolger gesehen.


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Ne Bißmarck war der Schlingel!
Der hat das Kaiseramt mit überdimensionierten Vollmachten ausgestattet
Für Wilhelm I + Bißmarck völlig ok, Friederich III hättes auch noch gepackt
aber Wilhelm II war weit überfordert. Und Otto hätte es wissen müssen,
hat er doch den jungen Wilhelm gegen Friederich protegiert und intrigiert.
Bismarck kannte den Prinzen und wusste was da aufs Reich zukam. . .

[mod]Tagespolitische Äußerung entfernt. EQ[/mod]
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
3. Wilhelm II. forderte eingangs der Sitzung die unverzügliche Kriegsauslösung (übrigens völliger Unsinn, da dieses kein Januar-Feldzug hätte werden können, und das Flottenverhältnis sich höchst ungünstig darstellte).

-> Röhl, An der Schwelle zum Weltkrieg, Dokumentation zu dem Kriegsrat vom 8.12.1912

Ich will nochmal auf den "Kriegsrat" zurückkommen. Ich habe jetzt bei Röhl ("Kaiser, Hof und Staat") genauer nachgelesen, da ist der Kriegsrat ziemlich ausführlich dargestellt. Hauptquelle ist der Tagebucheintrag von Admiral von Müller. Im Original:

Gen.v.Moltke: "Ich halte einen Krieg für unvermeidbar u. je eher je besser. Wir sollten aber durch die Presse besser die Volkstümlichkeit eines Kriegs gegen Rußland im Sinne der Kaiserl. Ausführungen vorbereiten"
S.M. bestätigt dies u. fordert Staatss. auf auch mit seinen Pressemitteln nach dieser Richtung hin zu wirken.
T. macht darauf aufmerksam, daß die Marine gern das Hinausschieben des großen Kampfes um 1,5 Jahre sehen würde.
Moltke sagt, die Marine würde auch dann nicht fertig sein u. die Armee käme in immer ungünstigere Lage, denn die Gegner rüsteten stärker als wird, die wir mit dem Gelde sehr gebunden seien.
Das war das Ende der Besprechung. Das Ergebnis war so ziemlich 0.
Der Chef des gr. Generalsstabs sagt: Krieg je eher je besser aber er zieht nicht die Konsequenz daraus, welche wäre, Rußland oder Frankreich oder beide vor ein Ultimatum zu stellen..."

Dazu noch ein Tagebucheintrag von Kapitän A. Hopman, nach mündlichem Bericht von Tirpitz:

Tirpitz erzählte mir nachher, es habe sich um Folgendes gehandelt [...]
S.M. betrachtet daher die Lage als sehr ernst, zumal Sassonow gesagt haben soll, wenn Österreich Serbien angreife, schlage Rußland los. S.M. sieht in den Forderungen Österreichs Lebensinteressen der Habsburgischen Monarchie, die es keinesfalls aufgeben kann und die wir unterstützen müssen. Glaubt nicht, dass Serbien klein beigibt. Chef des Gen.Stabs sieht Krieg als unvermeidlich an u. sagt, je eher, desto besser. Tirpitz hat ihm widersprochen und gesagt, im Interesse der Marine liege es, Krieg wenn möglich noch 1-2 Jahre hinauzuschieben.

Dass Kaiser Wilhelm einen Präventivkrieg gefordert hätte - noch dazu sofort - geht da nicht draus hervor. Hätte Röhl bestimmt geschrieben, wenn es da einen Hinweis drauf gäbe.
 
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