Ich verstehe nicht warum das Aufsuchen aller Gebeine und die Anlage eines einzigen Grabhügels ein Problem darstellen sollte. Es ist doch keine Schwierigkeit verstreut herumliegende Knochen aufzusammeln.
Knochen aufzusammeln, an denen man ohnehin vorbeikommt, ist zweifellos kein Problem. Es fragt sich allerdings, wie realistisch die Vorstellung ist, dass die zusammengesammelten Knochenberge dann 20, 40 oder gar 60 Kilometer weit mitgeschleppt worden sind.
Natürlich kann man annehmen, dass sämtliche Fuhrwerke mit den gesammelten Knochen beladen worden sind. Allerdings würde ich persönlich hierin den Versuch einer Umdeutung der Quellen sehen. Tacitus hat nämlich nirgendwo angedeutet, dass Germanicus acht Legionen zusammengezogen hätte, um zu einem alten Schlachtfeld zu marschieren und modernde Knochen zu sammeln. Dieser Quelle zufolge hat er vielmehr einen massiven Präventivschlag geführt, um den Feind zu "zersplittern", damit der bevorstehende Krieg nicht überall gleichzeitig losbricht. So jedenfalls schreibt es Tacitus. Dieser Einsatz war der erste planmäßig durchgeführte Feldzug zur Rückeroberung der "abtrünnigen Provinz". Die Aktion gegen die Marser im vorangegangenen Herbst war eher improvisiert und hing noch mit der gerade erst beendeten Meuterei der Legionen zusammen.
Selbst Tacitus schreibt, dass Germanicus erst während des laufenden Feldzugs von seinem eigenen urplötzlich aufkommenden inneren Drang "überrascht" wurde, die Gefallenen zu bestatten. Da Tacitus kaum sichere Erkenntnisse über die Gefühlslage des Germanicus besessen haben kann, darf man das getrost als literarische Ausschmückung ansehen. Wahrscheinlicher ist, dass Germanicus das Schlachtfeld aufgesucht hat, um selbst die Ursachen für die Niederlage zu untersuchen. Die Idee zur Bestattung der Gebeine hatte dann "propagandistische" Gründe und diente zudem der Steigerung der Kampfmoral der Truppe. Dazu reichte allerdings eine Bestattung und die Errichtung eines Mahnmals an einem repräsentativen zentralen Ort. Also zum Beispiel auf dem "finalen" Schlachtfeld, wo vermutlich recht viele Gebeine übereinanderlagen und zudem noch laut Tacitus die Martergruben und die an Bäume genagelten Köpfe geoperter Legionäre zu sehen waren. So ein Ort eignet sich für eine symbolträchtige Bestattung jedenfalls deutlich besser als irgendeine Stelle am Wegrand, wo nach einem Gefecht ein paar Gefallene liegengeblieben sind.
Zusätzlich angelegte Knochengruben würden da nur außerordentlichen unnötigen Aufwand bedeuten.
Eine Grube zu buddeln, sie mit Knochen zu füllen und anschließend zuzuschaufeln, dauert 20 Minuten und bindet höchstens ein Dutzend Soldaten. Knochenberge über zig Kilometer zu transportieren, dauert Tage und bindet die halbe Armee. Was die "Pietätlosigkeit" betrifft, die man bei diesen Grubenbestattungen scheinbar oder tatsächlich sieht, sollte man sich mal anschauen, wer denn die Bestatter waren. Vestalische Jungfrauen oder hartgesottene Soldaten? Die Legionäre waren nicht für ihr sanftes Gemüt bekannt, sie befanden sich auf einem Kriegszug, mussten jederzeit mit Gefechten rechnen und hatten mit Sicherheit kein Interesse daran, beim Knochesammeln niedergemacht zu werden. Entsprechend große Sorgfalt haben sie beim Sortieren der Knochen walten lassen.
Die Bestattungsaktion des Germanicus geschah schon im Jahr 15, noch bevor die großen Schlachten gegen Arminius stattfanden. Pontes Longi, Idistaviso, und Angrivarierwall standen noch bevor.
Du willst andeuten, dass im Jahr 15 nicht gekämpft worden ist? Der Pontes-Longi-Vorfall schloss sich unmittelbar an die Bestattungsaktion an. Während die Germanicus-Legionen auf dem Varus-Schlachtfeld rumliefen, müssen starke germanische Kräfte also in Schlagdistanz gewesen sein. Der Tacitusbericht deutet das ja auch an.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Germanicus alles gewonnen was zu gewinnen war. Im Jahr vorher besiegte er die Marser, dann im Frühjahr die Chatten und anschließend auch die Brukterer. Er war mit seinem riesigen Heer auf der Siegerstraße...
Stimmt. Wenn man außer acht lässt, dass die römischen Verluste offenbar hoch genug waren, um nach drei Jahren alle Eroberungspläne aufzugeben.
...und hatte sicherlich keinen zeitlichen Druck, weil er das Gefühl hatte, ihm säßen die Cherusker mit ihrer ganzen Heeresmacht im Nacken. Das Gegenteil ist der Fall. Nach der Bestattung folgte er ja schließlich dem Arminius.
Stimmt auch. Er folgte Arminius und konnte ihn nicht stellen. Woraus man schließen muss, dass die Römer genau wussten, dass ihnen noch völlig intakte starke feindliche Kräfte gegenüberstanden.
Weiterhin lässt sich ein derartiges Ereignis wie die Bestattungsaktion vor und mit so vielen Anwesenden sicherlich nicht im Nachhinein umdeuten. Der tatsächliche Ablauf hat sich, belegt durch viele Augenzeugen, in das nationale Gedächtnis eingeprägt weil es eine außerordentliche ehrende Geste gegenüber einem geschlagenen römischen Heer darstellte, die auch gerade in dieser Form ihre Würdigung bei verschiedenen Autoren erhielt. Eine Uminterpretation der Quellen ist gerade in diesem Fall fragwürdig.
Eine Umdeutung ist eher Deine Haltung, dass die Bestattung für Germanicus ein Ziel von hoher Priorität war. Inwieweit sich die literarischen Berichte auf Aussagen "vieler Augenzeugen" stützt und inwieweit sich die Bestattung in das "nationale Gedächtnis" eingeprägt hat... Nun, da darf sich jeder seine eigene Meinung bilden.
MfG