Frage 1 ist relevant, wenn man davon ausgeht, dass Germanicus ausgezogen ist, um die unbestatteten Kameraden würdig unter die Erde zu bringen (oder wasimmer die Römer mit ihren Toten gemacht haben). Dann hätte er eine Bestattung bei Kalkriese viel einfacher haben können. Er hätte nur von der Ems aus 40 oder 50 Kilometer nach Osten ziehen müssen. Stattdessen hat er erstmal das Land der Brukterer verheert, ist dann in Richtung Weser gezogen, hat sich mit Arminius rumgeschlagen und ist dann auf dem gleichen Marschweg, den Varus genommen hat, wieder Richtung Kalkriese gezogen. Wäre Kalkriese der Ort der Varusschlacht und wäre es Germanicus´ Ziel gewesen, die Gefallenen zu bestatten, wäre sein Marschweg widersinnig gewesen. Deshalb KÖNNTE Frage 1 relevant sein.
Nur: Germanicus wollte keine Bestattung vornehmen, er wollte den sich neu formierenden Feind präventiv "zersplittern". Erst nachdem das geschehen war, hat er auf dem Rückweg "nebenbei" die Gefallenen bestattet, weil er zufällig in der Nähe war. So beschreibt es zumindest Tacitus. Dreyer bietet eine andere Interpretation: Demnach habe Tiberius den Germanicus beauftragt, während seines Kriegszugs die genauen Umstände der Varusniederlage zu ergründen. Deshalb der Zug auf dem Marschweg der Varuslegionen, deshalb der Besuch des Schlachtfelds.
Frage 3 ist relevant, weil offensichtlich Brukterer, Marser und Chatten am Überfall auf Varus beteiligt waren. Die Marser und die Chatten hätten aber mit starken Kräften einen ziemlich weiten Weg zurücklegen müssen, um nach Kalkriese zu gelangen. War das möglich, ohne dass die Römer es bemerkt hätten? Hier im Forum ist das angezweifelt worden.
Nur: Es WAREN Brukterer, Marser und Chatten an der Schlacht beteiligt. Und egal wo die Schlacht stattgefunden hat: Für den Aufmarsch WAREN massive Truppenbewegungen der drei Stämme erforderlich. Die drei Stammesaufgebote SIND zum Schlachtfeld gelangt, ohne dass die Römer misstrauisch wurden. Andere Aufgebote auch. Die der Cherusker zum Beispiel. Tenkterer und Usipeter. Ampsivarier angeblich. Frage 3 könnte demnach gegen grundsätzlich jedes denkbare Schlachtfeld angeführt werden. Im Extremfall würde das bedeuten, dass es gar keine Varusschlacht gegeben haben kann...
Hier gilt was Ähnliches: Der Wall war vorhanden, obwohl er in keiner Quelle beschrieben wird. Er war weder römisch noch handelte es sich um den Angrivarierwall. Sollen wir ihn wegdiskutieren, weil er den Quellen nach nicht dort sein dürfte?
Märtin schreibt, die Legio Prima, die unter Germanicus im Einsatz war, sei infolge der Varusniederlage unter Anwendung erheblichen Zwangs in Rom neu ausgehoben worden. Losentscheidungen, Hinrichtungen etc. Außerdem firmierte sie im Einsatz nicht unter dem Beinamen "Augusta" sondern unter "Germanica".
MfG
War gerade im Urlaub, daher erst jetzt danke für die Antwort. Die Argumente überzeugen mich, daß die Fragen 1. und 3. irrelevant sind.
Ich habe noch mal die Stelle mit den pontes longi durchgelesen und finde mehr denn je, die ganze Beschreibung paßt nicht zu Kalkriese. Auch wenn man westlich ein Marschlager fände, würde ich anders als El Quijote

nicht total auf die pontes longi-Seite schwenken. Was hätten die Römer eigentlich bei Kalkriese an einem Teil der pontes longi ausbessern sollen?
Um, wie mancher andere schon vorher, mein persönliches Fazit zu ziehen, zugegeben beeinflußt durch die Bücher u.a. von Dreyer, Moosbauer und Wolters:
1. Kalkriese stellt eine größere Auseinandersetzung mit der Beteiligung römischer Truppen dar, Kerntruppen wie cohors I sind belegt, genauso wie medizinisches Personal, Kavallerie, Troß, die Fundsituation deutet auf eine schwere Niederlage hin, die auch nichtkämpfende Truppenteile mit betraf.
2. Gefunden wurden Luxusgegenstände wie teures Geschirr, oder das berühmte Bettgestell, obwohl Tiberius angeblich nach Antritt des Kommandos im Jahre 10 befahl, in die Germania magna nur ohne schweren Luxustroß und ohne Frauenbegleitung zu ziehen.
3. Knochen getöteter Menschen lagen mehrere Jahre an der Oberfläche, bevor sie in Gruben gelegt wurden, teilweise zusammen mit Tierknochen, d.h. scheinbar nach Auflösung erkennbarer Strukturen des Lebewesens
4. Münzen aus Prägungen nach 9 n. Chr. sind nicht gefunden. Zwar fehlen solche im gesamten Halternhorizont, was seltsam ist, aber das läßt nur die Möglichkeit offen, das Kalkriese zu 15/16 n. Chr. gehört, weil eventuell auch nach 9 kein neues Geld in die Germania kam (obwohl entsprechende Münzen in einigen linksrheinischen Lagern auftauchen), es spricht dagegen nicht gegen Kalkriese als Teil der clades Variana.
5. Entsprechende wichtige Schlachten der Jahre 15/16 (pontes longi, Angrivarierwall) passen von der Quellenlage kaum zu den Funden in Kalkriese; und es ist eher unwahrscheinlich, daß eine größere Auseinandersetzung in den Quellen überschlagen wurde, so daß Kalkriese mit seinen überraschend vielen Funden eher nicht zu einer uns völlig unbekannten Auseinandersetzung gehören dürfte.
6. Einiges paßt nicht harmonisch zu Kalkriese = Varus, insbesondere das Mundblech lpa, was aber kein unbedingtes Gegenargument ist (z.b. vexillatio oder Versetzung zu anderer Legion). Die Ausrichtung des Walles ist teilweise seltsam. Außerdem passen bestimmte Einzelheiten von antiken Quellen nicht gut, was aber angesichts von deren Eigenart nicht so wichtig ist.
Daher spricht für mich, wenn man sich entscheiden soll (was man ja zum Glück nicht muß

), derzeit am meisten dafür, mangels besserer Alternative Kalkriese in den Kontext der Varusschlacht einzuordnen und für alles weitere offen zu bleiben.
PS: Ich gratuliere übrigens einigen Posten zu der Engelsgeduld, mit der sie immer wieder, auch bei manchmal etwas schrägen Einwürfen gegen den Zusammenhang Kalkriese - Varus, sachlich Argument auf Argument wiederholen, nachschieben und verstärken. :winke: