excideuil
unvergessen
Vor ein paar Tagen konnte ich eine mir bis dato völlig unbekannte Original-Karikatur:
bei einem Online-Auktionshaus für einen m.A.n. symbolischen Preis ersteigern.
Die Auktion lief unter der Überschrift: "Karikatur WienerKongress 19. Jahrhundert"
Glücklicherweise tauchte der Name Talleyrand nicht auf, wohl ungleich höher wäre der zu zahlende Preis gewesen.
Schon während der Auktion kamen mir Zweifel, ob die Karikatur tatsächlich dem Wiener Kongress zuzuordnen sei:
Überschrieben ist sie mit:
"Das diplomatische Gastmahl, nach M. G. Saphir"
Es folgt die Abb., dann dieser Text:
"Der russische Gesandte, Fürst Lieven, ladet den französischen, Fürsten Talleyrand öfters zum Mittagessen ein. ... Kein Wunder, Russland möchte gern erfahren, wieviel Frankreich eigentlich vertragen kann, und Frankreich versucht zu ergründen, was Russland jetzt noch auftischen wird; beide Gesandte sind also sehr aufmerksam, wenn sie gegenseitig das Maul aufmachen. Gewiss wird dabei jeder seine wahre Gesinnung verbeisen. Bei der Suppe wird der Fürst Lieven die Bemerkung machen, dass Frankreich die ganze Suppe eingebrockt hat, dagegen wird Talleyrand bemerken, dass Rußland zu sehr ins Fleisch hineinschneidet; bei den Assietten bemerkt sodann Lieven, wie die holländischen Häringe zugerichtet werden müssen, worauf bei den Entrées von Talleyrand die polnische Pastete zerlegt wird. Bei den Zugemüsen spricht Lieven von türkischen Reis, und bei den Mehlspeisen Talleyrand von italienischen Makaroni, beim Braten detailliert Lieven, wie er den gallischen Hahn tranchieren möchte, und beim Volaille zeigt Talleyrand, wie man ein téte de veau à la russe beim Schopfe nimmt. Bei den Fischen stichelt Lieven auf die franz. coujons frits, und Talleyrand hält sich an den Stockfisch. Zum Dessert bringt Lieven den Schweizer Käs, Talleyrand aber zeigt auf die quatre mendias (Charles X., Carl von Braunschweig, Ex Dey und Don Pedro) Zuletzt beim Obst, meint Lieven, die Kirschen wären noch nicht zeitig, und Talleyrand zeigt, wie die Kastanien aus dem Feuer zu holen sind. Von Getränken kommt abwechselnd Bordeaux, Lavitte und Johannisberger auf den Tisch, jedoch schenkt keiner dem anderen reinen Wein ein. Nach Tische haben sie's beide satt und machen eine Motion."
Dann folgt:
Nürnberg bei P. C. Geissler
Meiner Ansicht nach ist die Karikatur den Jahren 1830-1834 zuzuordnen:
Fürst Lieven war nicht beim Wiener Kongress, sondern von 1812-1834 Botschafter in London; Talleyrand von 1830-1834 ebenfalls Botschafter in London.
Christoph von Lieven ? Wikipedia
Die Karikatur ist nach M. G. Saphir gestaltet, der Zeitraum 1830ff passt mit dem Wiki-Eintrag:
Moritz Gottlieb Saphir ? Wikipedia
Im Text ist von Charles X. als einem der vier Bettler die Rede. 1814/15 gab es den Comte d'Artois oder Monsieur aber keinen Charles X. Die Bezeichnung als Bettler weist auf eine Zeit nach seiner Abdankung.
Bei P. C. Geissler weisst auf einen Verlag:
Im Wiki-Eintrag:
Peter Carl Geissler ? Wikipedia
findet sich, dass dieser 1830 gegründet wurde.
Mehr als die zeitliche Zuordnung macht mir den Sinn der Karikatur Kopfzerbrechen:
Was will ein wohl süddeutscher Karikaturist aussagen?
Die Londoner Konferenz, an der beide Diplomaten teilnahmen, hatte vor allem die belgische Frage zu lösen.
Belgische Revolution ? Wikipedia
Klar hatten Rußland und Frankreich unterschiedliche Interessen, die Verweise im Text sind eindeutig, aber was wollte der Zeichner seinen Mitbürgern sagen?
Ein mögl. Ansatz wäre vllt., dass die West- und die Ostmacht auf dem Kontinent sich anschicken, die Angelegenheiten des Kontinent unter sich zu regeln und Deutschland - besser die deutschen Staaten - auf der Strecke bleiben.
Was meint ihr?
Grüße
excideuil
bei einem Online-Auktionshaus für einen m.A.n. symbolischen Preis ersteigern.
Die Auktion lief unter der Überschrift: "Karikatur WienerKongress 19. Jahrhundert"
Glücklicherweise tauchte der Name Talleyrand nicht auf, wohl ungleich höher wäre der zu zahlende Preis gewesen.
Schon während der Auktion kamen mir Zweifel, ob die Karikatur tatsächlich dem Wiener Kongress zuzuordnen sei:
Überschrieben ist sie mit:
"Das diplomatische Gastmahl, nach M. G. Saphir"
Es folgt die Abb., dann dieser Text:
"Der russische Gesandte, Fürst Lieven, ladet den französischen, Fürsten Talleyrand öfters zum Mittagessen ein. ... Kein Wunder, Russland möchte gern erfahren, wieviel Frankreich eigentlich vertragen kann, und Frankreich versucht zu ergründen, was Russland jetzt noch auftischen wird; beide Gesandte sind also sehr aufmerksam, wenn sie gegenseitig das Maul aufmachen. Gewiss wird dabei jeder seine wahre Gesinnung verbeisen. Bei der Suppe wird der Fürst Lieven die Bemerkung machen, dass Frankreich die ganze Suppe eingebrockt hat, dagegen wird Talleyrand bemerken, dass Rußland zu sehr ins Fleisch hineinschneidet; bei den Assietten bemerkt sodann Lieven, wie die holländischen Häringe zugerichtet werden müssen, worauf bei den Entrées von Talleyrand die polnische Pastete zerlegt wird. Bei den Zugemüsen spricht Lieven von türkischen Reis, und bei den Mehlspeisen Talleyrand von italienischen Makaroni, beim Braten detailliert Lieven, wie er den gallischen Hahn tranchieren möchte, und beim Volaille zeigt Talleyrand, wie man ein téte de veau à la russe beim Schopfe nimmt. Bei den Fischen stichelt Lieven auf die franz. coujons frits, und Talleyrand hält sich an den Stockfisch. Zum Dessert bringt Lieven den Schweizer Käs, Talleyrand aber zeigt auf die quatre mendias (Charles X., Carl von Braunschweig, Ex Dey und Don Pedro) Zuletzt beim Obst, meint Lieven, die Kirschen wären noch nicht zeitig, und Talleyrand zeigt, wie die Kastanien aus dem Feuer zu holen sind. Von Getränken kommt abwechselnd Bordeaux, Lavitte und Johannisberger auf den Tisch, jedoch schenkt keiner dem anderen reinen Wein ein. Nach Tische haben sie's beide satt und machen eine Motion."
Dann folgt:
Nürnberg bei P. C. Geissler
Meiner Ansicht nach ist die Karikatur den Jahren 1830-1834 zuzuordnen:
Fürst Lieven war nicht beim Wiener Kongress, sondern von 1812-1834 Botschafter in London; Talleyrand von 1830-1834 ebenfalls Botschafter in London.
Christoph von Lieven ? Wikipedia
Die Karikatur ist nach M. G. Saphir gestaltet, der Zeitraum 1830ff passt mit dem Wiki-Eintrag:
Moritz Gottlieb Saphir ? Wikipedia
Im Text ist von Charles X. als einem der vier Bettler die Rede. 1814/15 gab es den Comte d'Artois oder Monsieur aber keinen Charles X. Die Bezeichnung als Bettler weist auf eine Zeit nach seiner Abdankung.
Bei P. C. Geissler weisst auf einen Verlag:
Im Wiki-Eintrag:
Peter Carl Geissler ? Wikipedia
findet sich, dass dieser 1830 gegründet wurde.
Mehr als die zeitliche Zuordnung macht mir den Sinn der Karikatur Kopfzerbrechen:
Was will ein wohl süddeutscher Karikaturist aussagen?
Die Londoner Konferenz, an der beide Diplomaten teilnahmen, hatte vor allem die belgische Frage zu lösen.
Belgische Revolution ? Wikipedia
Klar hatten Rußland und Frankreich unterschiedliche Interessen, die Verweise im Text sind eindeutig, aber was wollte der Zeichner seinen Mitbürgern sagen?
Ein mögl. Ansatz wäre vllt., dass die West- und die Ostmacht auf dem Kontinent sich anschicken, die Angelegenheiten des Kontinent unter sich zu regeln und Deutschland - besser die deutschen Staaten - auf der Strecke bleiben.
Was meint ihr?
Grüße
excideuil