Napoleon: strategische Überdehnung und Ziel der Hegemonie?

Das Jahr 1806 erlebt die Wende vom Gleichgewicht zur Hegemonie. Talleyrand versuchte ein neues kontinentales Gleichgewicht: einen (von Frankreich unabhängigen) Rheinbund, einen Nordbund unter Führung Preußens, Österreich als dritte deutsche Macht, dazu gab es Friedensverhandlungen mit Rußland (Oubril) und mit England. Und dies auch mit dem Ziel, der weiteren Ausdehnung Frankreichs einen Riegel vorzuschieben.
Hätte man nicht stattdessen 1806 mal versuchen sollen, mit den Briten in eine andere Form der Kommunikation einzutreten?
Hat man (Talleyrand) doch:
„Noch im Frühjahr 1806 dachte der franz. Außenminister daran, den bislang größten Rivalen des Kaiserreiches, nämlich England, in sein Friedenssystem einzubeziehen. Wie bei den Verhandlungen mit Rußland griff er auch in diesem Fall die Initiative des Gegners auf und spannte sie für seine politischen Ziele ein.“ [1/ Seite 165]

Die englischen Gründe lesen sich (wie immer) pragmatisch:

Das neue Ministry of all Talents trug zur Änderung der eng. Frankreichpolitik bei. Lord Granville, der einst gemeinsam mit Pitt die eng. Koalitionspolitik konzipiert hatte, dirigierte das neue Kabinett. Es war allerdings Außenminister Fox, der die außenpolitische Praxis des Talents determinierte. Gegenüber Paris zeigte sich Fox, selbst der Meinung französischer Historiker zufolge, durchaus friedlich gesinnt.* Bereits 1805 sprach er sich deutlich gegen den dritten Koalitionskrieg aus und bezeichnete ihn als „the foolishest of all wars!“. ** Nach dem Scheitern der dritten Koalition bei Austerlitz wurde Fox klar, dass man eine friedliche Lösung für den engl.-franz. Konflikt finden musste. Jetzt sah er zum einen, dass die antifranz. Front Napoleon nicht mit militärischen Mitteln besiegen würde. Zum anderen verstand er angesichts der Umbildung Mitteleuropas und des Verlustes der engl. kontinentalen Besitzungen in Hannover, dass England politisch benachteiligt wäre, wenn es an der neuen Ordnung nicht aktiv teilnähme. Aus diesen Gründen entschied sich Fox strategisch für einen Frieden mit Frankreich.“ [1/165-166]

* Fox schreibt an Talleyrand: „Sie sind der Mann Europas, mit dem ich persönlich am liebsten in der schönen, großen Frage zusammenarbeiten möchte, um die es jetzt geht“ [2/Seite 18]
** der dümmste (unsinnigste) aller Kriege

Die Haltung Englands zeigt, dass es 1. immer auf die handelnden Personen ankommt und 2., dass das System eines erneuerten europäischen Gleichgewichts, das Talleyrand und seiner Mitarbeiter – vor allem La Besnardière und d’Hauterive – anstrebten, vor Jena und Auerstädt – theoretisch – möglich war.

Letztlich scheiterten alle Bemühungen:
„Talleyrands Projekt zu einem gesamteuropäischen Rétablissement erreichte im August 1806 eine kritische Phase. Da alle bisherigen Verträge und Verhandlungen aufeinander aufgebaut und miteinander verquickt waren, drohte der eventuelle Rückzug auch nur eines Staates, den fragilen Friedenskomplex von Talleyrand kollabieren zu lassen. Als Rußland den Vertrag (Oubril-Vertrag) mit Frankreich nicht ratifizierte, kam es dann tatsächlich zum Umbruch.“ [1/Seite 174]

Die Nichtratifizierung wurde zum Bumerang. England änderte seine Haltung, Fox starb. Damit war die Regelung bezüglich Siziliens, auf die man sich bereits geeinigt hatte, wieder vakant, nur konnte Talleyrand hier nicht nachgeben. Preußen war durch den geschlossenen Vertrag in Sorge, dass Rußland sich Frankreich zuneigt, die Nichtratifizierung brachte paradoxerweise Probleme mit Frankreich, da die Truppen, die nach russischer Räumung von Cattaro abgezogen werden sollten, nun blieben und damit Preußen zu bedrohen schienen. Schließlich sorgten Gerüchte um Hannover dafür, dass Preußen mobilisierte …

Für die Verhandlungen mit England bedeutete dies:
„Die Nichtratifizierung des Oubril-Vertrages und die Umbildung des engl. Kabinetts nach Foxs Tod machten alle Friedenshoffungen zunichte. In London schien der neue Außenminister Viscount Howick auf ein friedliches Einvernehmen mit Paris verzichten zu wollen. Die anschließenden politischen Entwicklungen in Nordeuropa, die neuen Spannungen zwischen Preußen und Frankreich sowie die spätere Entscheidung Preußens, seine Armee zu mobilisieren, mögen ihn ferner überzeugt haben, dass England seine Interessen nicht im Frieden, sondern nur in einem neuen Krieg wirksamer geltend machen könnte.“ [1 /Seite 179]


Grüße
excideuil

[1] Bernstein, Amir D.: Von der Balance of Power zur Hegemonie – Ein Beitrag zur europäischen Diplomatiegeschichte zwischen Austerlitz und Jena/Auerstedt, Duncker & Humblot, Berlin, 2006
[2] Kraft, Johannes: Prinzipien Talleyrands in der Außen- und Innenpolitik, H.Bouvier u. Co. Verlag, Bonn, 1958

 
Kommen wir zur Legitimität.
Ich gebe dir recht, dass N. als "Degen" ein Usurpator in den Augen des französischen Bürgertums war. Mit dem Mißerfolg ließ es ihn fallen. (Das franz. Bürgertum tolerierte auch die Bourbonen, weil sie Ruhe versprachen!)
Anders sieht das aus meiner Sicht international aus. Legitim ist, was mit einem Machtpotenzial aufwartet, egal, ob es ein N. oder eine Schweizer Republik ist. Die machtpolitischen Interessen werden ausbalanciert, sicherlich spielen familienpolitische und traditionelle Gründe eine Rolle, im Grunde ist aber auch da Name Schall und Rauch. Betrachten wir Bernadotte oder Murat. Bernadotte konnte sich halten, weil er im richtigen Augenblick Vertrauen gewinnen konnte, Murat wurde entthront, weil er dies nicht vermochte.

Besonders deutlich wurde die Legitimität auf dem Wiener Kongress: Preußen wollte ganz Sachsen, von legitimen Ansprüchen des sächs. Königs kein Wort, nein, es gab auch den Vorschlag, ihn an anderer Stelle zu entschädigen... Ergebnis war die Teilung Sachsens. Also reine Machtpolitik zum Zeitpunkt der Entscheidung.

Wer hätte die Legitimität eines N. in den "natürlichen Grenzen" Frankreichs nach Lunéville und Amiens infrage gestellt? Wohl niemand.
Zur Legitimität noch ein paar Anmerkungen.
Sellin setzt sich in seinem Buch [1] auch mit dem Gespräch N. mit Metternich auseinander:
"In der viel später niedergeschriebenen ausführlichen Darstellung fügte Metternich seinem Bericht über die Weigerung Napoleons, Konzessionen zu machen, jedoch eine bemerkenswerte Begründung hinzu, die N. für seine Unnachgiebigkeit vorgetragen haben soll. Danach soll Napoleon gesagt haben:

"Nun gut, was will man denn von mir? ... dass ich mich entehre? Nimmermehr! Ich werde zu sterben wissen, aber ich trete keine Handbreit Bodens ab. Eure Herrscher, geboren auf dem Throne, können sich zwanzig Mal schlagen lassen, und doch immer wieder in ihre Residenzen zurückkehren; das kann ich nicht, ich, der Sohn des Glückes. Meine Herrschaft überdauert den Tag nicht, an dem ich aufgehört habe, stark und folglich gefürchtet zu sein."

Das klingt so, als könne ein durch Usurpation zur Herrschaft Gekommener, ein "Sohn des Glücks" also, niemals auf eine Politik der Abenteuer verzichten, so dass mit einem Mann wie Napoleon eine Verständigung ausgeschlossen gewesen wäre. In Wirklichkeit ist es höchst unwahrscheinlich, dass N. diese Äußerung getan hat, denn es steht außer Zweifel, dass er seine Legitimität beileibe nicht nur auf seine militärischen Erfolge gegründet hat. Außerdem zeigen die Bemühungen Metternichs bis in den März 1814 hinein, mit N. zu einer Verständigung zu gelangen, dass der österreichische Minister auch nach dem Dresdner Gespräch weiterhin an der Hoffnung festhielt, einen Ausgleich mit dem Kaiser der Franzosen zustande zu bringen. Für das Publikum war es freilich ein höchst willkommenes Argument, um einerseits das Scheitern der Vermittlung N. zur Last zu legen und um andererseits die inzwischen entwickelte Legimitätsthese der Restaurationsepoche zu untermauern." [1/Seite 63-64]

Die Legimitätsthese ist von Ludwig XVIII. erfunden, von Talleyrand auf dem Wiener Kongress gebraucht und auch von Metternich aufgegriffen worden und es scheint, als sollte N. im Nachgang die Legitimität abgesprochen werden.
Dabei spricht seine Behandlung nach der Niederlage eine andere Sprache:
Er behielt den Kaisertitel, erhielt als souveräner Fürst die Insel Elba. Gerade diese legitime Souveränität bereitete dann nach seiner Rückkehr von Elba ein kleines Problem bei der Erklärung vom 13. März 1815, da ein souveräner Fürst grundsätzlich das Recht besaß, Krieg zu führen.

Oder Bernadotte, der von der Herkunft her ein Niemand war. Ausgerechnet der Zar, der sich nach der Affäre Enghien am meisten über den Usurpator N. erregte, brachte den Namen des nunmehr schwed. Thronfolgers für die Nachfolge N. ins Spiel. Das zeigt wohl hinreichend, dass in der Machtpolitik Legitimität - weitgehend - nur eine Worthülse sein kann.

Grüße
excideuil

[1] Sellin, Volker: Die geraubte Revolution – Der Sturz Napoleons und die Restauration in Europa, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2001
 
Nun daß man Bernadotte ins Gespräch brachte mag auch daran gelegen haben,daß die führenden europäischen Mächte und Häuser einander trotz der Koalition gegen Napoleon im Grunde mißtrauten und Benadotte quasi einen neutralen Status hatte.
Im übrigen war er ja 1810 von Karl XIII adoptiert worden und so in gewisser Weise durch die "alte Ordnung" legitimiert und er galt zwar als Rivale und Gegner Napoleons war aber Teil des napoleonischen Systems gewesen und wäre insoweit daher auch für die Mehrheit der Franzosen akzeptabeler gewesen,als dies die zurückkehrenden Bourbonen waren.
In so weit umfassten die Überlegungen zu seiner Einsetzung als Nachfolger Napoleons m.E. durchaus das Problem der Legitimität.
 
Nun daß man Bernadotte ins Gespräch brachte mag auch daran gelegen haben,daß die führenden europäischen Mächte und Häuser einander trotz der Koalition gegen Napoleon im Grunde mißtrauten und Benadotte quasi einen neutralen Status hatte.
Im übrigen war er ja 1810 von Karl XIII adoptiert worden und so in gewisser Weise durch die "alte Ordnung" legitimiert und er galt zwar als Rivale und Gegner Napoleons war aber Teil des napoleonischen Systems gewesen und wäre insoweit daher auch für die Mehrheit der Franzosen akzeptabeler gewesen,als dies die zurückkehrenden Bourbonen waren.
In so weit umfassten die Überlegungen zu seiner Einsetzung als Nachfolger Napoleons m.E. durchaus das Problem der Legitimität.

Na, ja, "man" reduzierte sich auf den Zaren, der gleichzeitig versuchte, mit Bernadotte russische Politik an die Seine zu verpflanzen, um damit einen Konkurrenten im Norden "los" zu werden. Metternich z.B. hatte für diese Idee gar kein Verständnis, er fürchtete ja generell ein mögliches russisches Übergewicht nach der Zerschlagung der franz. Hegemonie. Und damit sind wir wieder bei der Machtpolitik, die mit Legitimität nicht wirklich etwas zu tun hat, was sich in der allg. Akzeptanz des Kronprinzen von Schweden als Teil der Koalition gegen N. zeigte.

Die Beantwortung der Frage, ob Bernadotte für die Mehrzahl der Franzosen akzeptabler gewesen wäre, kann wohl muheijo besser beantworten, ich persönlich bin eher der Ansicht, dass Bernadotte für die Franzosen, besser die Armee, genauso inakzeptabel gewesen wäre wie Moreau.

Grüße
excideuil
 
Legitimität der Restauration

Ergänzend noch einige Erläuterungen zur Legitimität der Restauration:

„Am 16. August (1810) stimmten nahezu alle Mitglieder des Geheimen Ausschusses nun für Bernadotte, entschied sich der Staatsrat am folgenden Tag, den König zu bestärken, dem Reichstag den Fürsten von Ponte Corvo als Thronfolger vorzuschlagen. Man entspreche damit dem Wunsche Napoleons. Schweden benötige einen erfahrenenFeldherrn und Staatsmann, um die gefährliche innere und äußere Krise zu meistern. Am 21. August 1810 wurde das „Märchen“ wahr, wählten die Delegierten den Fürsten von Ponte Corvo einstimmig zum künftigen Herrscher Schwedens. „Das Unglaubliche war geschehen“, textete Bernadottes Biograf Torwald Höjer 1943.“ [1] (Hervorhebung von mir)

Hier zeigt sich, dass legitim ist, was in der breiten Bevölkerung anerkannt war, und dies idealerweise zudem machtpolitisch notwendig. Mit der Legitimitätsthese hat dies allerdings nichts zu tun, wie Sellin verdeutlicht:
„Zu Beginn der Restaurationszeit schob sich ein Begriff von Legitimität in den Vordergrund, der in der politischen Theorie bis dahin lediglich eine ihrer Spielarten bezeichnet hatte. Die Legitimität der Erbmonarchie von Gottes Gnaden wurde von den Anhängern der überlieferten monarchischen Ordnung als die einzige Form legitimer Herrschaft und damit als die Legitimität schlechthin betrachtet. Legitimität wurde dadurch zum Parteibegriff, der sich gegen Revolution und Volkssouveränität richtete. Seit der dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde diese Doktrin als Legitimismus und ihre Vertreter als Legitimisten bezeichnet.“ [2/Seite 3]

Nicht ganz zufällig wurde der Begriff von Talleyrand in der Niederlage von 1814 entwickelt und erfolgreich gebraucht:
„Der Begriff der Legitimität, der von jetzt (1814) ab und später in der politischen Terminologie Talleyrands eine so große Rolle spielte, ist nicht, wie Frau von Staël glaubte, von Talleyrand gefunden worden. Das Wort kommt zum ersten Mal in einer Deklaration Ludwig XVIII. vor, die er anlässlich der Kaiserkrönung Napoleons im Jahre 1804 erließ. Aber was damals als Geste des Betroffenen unwirksam blieb, wurde von Talleyrand zum Prinzip geweitet ein wirksames politisches Mittel in einer Situation, die jedes andere Mittel ineffektiv gemacht hätte.“ [3]

Erstmalig hat Talleyrand wohl das Legitimitätsprinzip gegenüber Zar Alexander I. am 31. März 1814 gebraucht. In seinen Memoiren findet sich:
„Weder Sie, Sire, noch die vereinten Mächte, noch meine Wenigkeit, dem Sie einigen Entschluss zutrauen – keiner von uns kann Frankreich einen König geben, den es nicht haben will. Zwar haben ihre Waffen das Land erobert; aber trotzdem besitzen Sie diese Macht nicht. Ein uns aufgezwungener König, sei er, wer er wolle, würde nur das Ergebnis der Intrigen oder der Gewalt sein: das eine wie das andere ist aber unhaltbar. Um etwas Dauerndes und Annehmbares einzurichten, muss nach einem Prinzip gehandelt werden. Mit einem Prinzip sind wir stark; wir werden auf keinen Widerstand stoßen, und die Opposition wird in jedem Falle in kurzem verschwinden. Ich wiederhole daher: Ludwig XVIII. ist ein Prinzip; denn er ist der legitime König von Frankreich.“ [4/ Seite 117] (Hervorhebung von mir)

In der historischen Situation eine sehr gute Argumentation, denn:
1. „Das Kriterium der Legitimität taugte nämlich auch als Argument, um andere Kandidaten abzuwehren.“ [5/Seite 136]
Denn:
„Gegen alle drei (Herzog von Orléans, Bernadotte, Eugène) führte Talleyrand den Gesichtspunkt ins Feld, dass die Einsetzung eines jeden von diesen nur eine andere Form der Revolution und eine neue Usurpation darstellen würde.“ [5/Seite 137]
Und
2. der Verweis T. auf den aufgezwungenen König führt dann zur Proklamation vom 31. März 1814, der es (auch) heißt:
„dass sie (die Alliierten) die Integrität des früheren Frankreichs achten werden, wie es unter seinen legitimen Königen bestanden hat. Sie vermögen sogar mehr zu tun, denn sie achten stets den Grundsatz, dass für das Wohl Europas ein großes, starkes Frankreich nötig ist… [6]
Damit „wird deutlich, dass die Verbündeten für den Sturz N. einen Preis bezahlen mussten. Die Zustimmung der Franzosen zum Machtwechsel und zu einem neuen Regime war nicht zu gewinnen, wenn dem Land ein demütigender Friede auferlegt wurde.“ [5/ Seite 142]

Allerdings weicht die Darstellung Talleyrands von der Bourriennes ab:
„Indessen während Alexander noch immer vor mir die verschiedenen Regierungsformen aufzählte, welche unter den gegenwärtigen Verhältnissen für Frankreich zweckmäßig sein dürften, indem es auch von der Beibehaltung Bonapartes und der Anwendung einer Regentschaft sprach, so wie auch von Bernadotte und der Zurückrufung der Bourbonen, nahm Herr von Talleyrand das Wort, und ich habe nicht vergessen, was er zum Kaiser von Rußland sagte.
„Sire, es sind nur zwei Dinge möglich, entweder Bonaparte oder Ludwig XVIII. Bonaparte, wenn Sie können; aber Sie vermögen es nicht, denn Sie sind nicht allein!“ …
„Was wollte man an seine Stelle setzen?“ … „Einen Soldaten?“
„Wir wollen keinen mehr. Wenn wir einen wollten, so würden wir den behalten, den wir haben: er ist der erste Soldat in der Welt. Diejenigen, die man nach ihm uns etwa anbieten möchte, würden nicht zehn Mann für sich haben. Ich wiederhole es Ihnen, Sire, alles, was nicht Ludwig XVIII. oder Bonaparte ist, ist eine Intrige.“
Diese merkwürdigen Worte des Fürsten von Benevent machten auf das Gemüt des Kaisers Alexander ganz den Eindruck, den wir davon erwarten konnten. So fand sich also die Frage vereinfacht, da sie nur noch eine doppelte war, und da es augenscheinlich war, dass Alexander weder von Napoleon noch seiner Familie etwas mehr wissen wollte, so fand sie sich in der Tat zur Einheit gebracht, das heißt zur Wiedereinsetzung der Bourbonen.“ [7]

Auch hier gilt die Argumentation Talleyrands einer fehlenden Anhängerschaft der Abwehr von möglichen Kandidaten neben den Bourbonen, einen Ansatz, der auf die Legitimation der Bourbonen abhebt, ist nicht wiedergegeben, ihr kam wohl nur eine untergeordnete Rolle zu.
Das kann m.A.n. auch gar nicht anders sein, da Talleyrand „nicht … dafür eintrat, die Bourbonen auch wieder in ihre vollen Herrschaftsrechte einzusetzen, die sie vor der Revolution besessen hatten.“ [4/Seite 139] Schon aus persönlichen Gründen musste Talleyrand daran gelegen sein, die Rechte des Königs möglichst einzuengen. Das lässt vllt. die Vermutung zu, dass Talleyrand seine Memoiren, ähnlich wie Metternich, ein wenig in Richtung Betonung der Legitimität der Bourbonen geschönt hat.

Die vorsichtige Argumentation Talleyrands ist wohl auch darin begründet, da Napoleon nicht etwa wegen fehlender Legitimation oder als Usurpator der Macht seiner Rechte verlustig gehen sollte, nein: „Nicht weil er unrechtmäßig an die Herrschaft gekommen wäre, nicht wegen des Staatsstreichs von 1799, sondern allein wegen seiner Herrschaftsausübung wurde N. für abgesetzt erklärt.“ [5/Seite 151]

Die konsequente Nutzung der Legitimitätsthese durch Talleyrand konnte erst erfolgen als Ludwig XVIII. es vermocht hatte, seinen legitimen Anspruch durchzusetzen und es damit überhaupt möglich machte, diese These zu vertreten. Und dies geschah vor allem mit Blick auf den Wiener Kongress, von dessen Verhandlungen Frankreich defacto ausgeschlossen war. Hier taugte die These als Argument zur Wahrung franz. außenpolitischer Interessen z. B. in Richtung der Lösung der Sachsenfrage oder der „legitimen“ Rechte von Ferdinand IV. in Neapel:

„Ich wiederhole Ihnen, meine Herren, ich verlange nichts und bringe Ihnen außerordentlich viel. Die Gegenwart eines Ministers Ludwig XVIII. in dieser Versammlung gibt der Grundlage, auf welcher die ganze soziale Ordnung beruht, erst die rechte Weihe. Vor allen Dingen ist es jetzt für Europa notwendig, die Meinung, als könne durch die Eroberung allein irgendein Recht erworben werden, für immer zu verbannen und dagegen das geheiligte Prinzip der Legitimität aufleben zu lassen, welches allein eine dauerhafte staatliche Ordnung verbürgt.“ [4/Seite 215]

Natürlich war dies nur ein rhetorischer Achtungserfolg. Die Monarchen sprangen zwar auf den „Legimitätszug“ auf und versicherten sich der gegenseitigen Solidarität, dennoch, die strittigen Fragen wurden machtpolitisch entschieden. Wie wenig das Legitimitätsprinzip wert war, zeigt sich an der Teilung Sachsen und eine Entthronung Murats in Neapel war auch erst möglich, nachdem dieser vertragsbrüchig wurde.

Immerhin gelang es, vllt. auch durch die von Talleyrand insistierte „Mäßigung“ ein Gleichgewicht herzustellen, das unter den Großmächten einige Jahrzehnte hielt.

[1] Findeisen, Jörg-Peter: Jean Baptiste Bernadotte Revolutionsgeneral, Marschall Napoleons, König von Schweden und Norwegen, Casimir Katz Verlag, Gernsbach, 2010, Seite 168
[2] Sellin, Volker: Gewalt und Legitimität: Die europäische Monarchie im Zeitalter der Revolutionen, Oldenbourg Verlag, München, 2011
[3] Blei, Franz: „Talleyrand“, Rowohlt, Berlin, 1932, Seite 230
[4] Talleyrand: „Memoiren des Fürsten Talleyrand“, herausgegeben mit einer Vorrede und Anmerkungen von Herzog de Broglie, Original Ausgabe von Adolf Ebeling, Köln und Leipzig,1891, Bd. 2
[5] Sellin, Volker: Die geraubte Revolution – Der Sturz Napoleons und die Restauration in Europa, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2001
[6] Ferrero, Guglielmo: „Wiederaufbau – Talleyrand in Wien“, Leo Lehnen Verlag, München, (1950), Seite 102
[7] Bourrienne, Louis Antoine Fauvelet de: Memoiren des Staatsministers Bourrienne über Napoleon, das Direktorium, das Konsulat, das Kaiserreich und die Restauration, Paul Gotthelf Kummer, Leipzig, Bd 10, 1830, Seite 29
 
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