Legitimität der Restauration
Ergänzend noch einige Erläuterungen zur Legitimität der Restauration:
„Am 16. August (1810) stimmten nahezu alle Mitglieder des Geheimen Ausschusses nun für Bernadotte, entschied sich der Staatsrat am folgenden Tag, den König zu bestärken, dem Reichstag den Fürsten von Ponte Corvo als Thronfolger vorzuschlagen. Man entspreche damit dem Wunsche Napoleons. Schweden benötige einen erfahrenenFeldherrn und Staatsmann, um die gefährliche innere und äußere Krise zu meistern. Am 21. August 1810 wurde das „Märchen“ wahr, wählten die Delegierten den Fürsten von Ponte Corvo einstimmig zum künftigen Herrscher Schwedens. „Das Unglaubliche war geschehen“, textete Bernadottes Biograf Torwald Höjer 1943.“ [1] (Hervorhebung von mir)
Hier zeigt sich, dass legitim ist, was in der breiten Bevölkerung anerkannt war, und dies idealerweise zudem machtpolitisch notwendig. Mit der Legitimitätsthese hat dies allerdings nichts zu tun, wie Sellin verdeutlicht:
„Zu Beginn der Restaurationszeit schob sich ein Begriff von Legitimität in den Vordergrund, der in der politischen Theorie bis dahin lediglich eine ihrer Spielarten bezeichnet hatte. Die Legitimität der Erbmonarchie von Gottes Gnaden wurde von den Anhängern der überlieferten monarchischen Ordnung als die einzige Form legitimer Herrschaft und damit als die Legitimität schlechthin betrachtet. Legitimität wurde dadurch zum Parteibegriff, der sich gegen Revolution und Volkssouveränität richtete. Seit der dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde diese Doktrin als Legitimismus und ihre Vertreter als Legitimisten bezeichnet.“ [2/Seite 3]
Nicht ganz zufällig wurde der Begriff von Talleyrand in der Niederlage von 1814 entwickelt und erfolgreich gebraucht:
„Der Begriff der Legitimität, der von jetzt (1814) ab und später in der politischen Terminologie Talleyrands eine so große Rolle spielte, ist nicht, wie Frau von Staël glaubte, von Talleyrand gefunden worden. Das Wort kommt zum ersten Mal in einer Deklaration Ludwig XVIII. vor, die er anlässlich der Kaiserkrönung Napoleons im Jahre 1804 erließ. Aber was damals als Geste des Betroffenen unwirksam blieb, wurde von Talleyrand zum Prinzip geweitet ein wirksames politisches Mittel in einer Situation, die jedes andere Mittel ineffektiv gemacht hätte.“ [3]
Erstmalig hat Talleyrand wohl das Legitimitätsprinzip gegenüber Zar Alexander I. am 31. März 1814 gebraucht. In seinen Memoiren findet sich:
„Weder Sie, Sire, noch die vereinten Mächte, noch meine Wenigkeit, dem Sie einigen Entschluss zutrauen – keiner von uns kann Frankreich einen König geben, den es nicht haben will. Zwar haben ihre Waffen das Land erobert; aber trotzdem besitzen Sie diese Macht nicht. Ein uns aufgezwungener König, sei er, wer er wolle, würde nur das Ergebnis der Intrigen oder der Gewalt sein: das eine wie das andere ist aber unhaltbar. Um etwas Dauerndes und Annehmbares einzurichten, muss nach einem Prinzip gehandelt werden. Mit einem Prinzip sind wir stark; wir werden auf keinen Widerstand stoßen, und die Opposition wird in jedem Falle in kurzem verschwinden. Ich wiederhole daher: Ludwig XVIII. ist ein Prinzip; denn er ist der legitime König von Frankreich.“ [4/ Seite 117] (Hervorhebung von mir)
In der historischen Situation eine sehr gute Argumentation, denn:
1. „Das Kriterium der Legitimität taugte nämlich auch als Argument, um andere Kandidaten abzuwehren.“ [5/Seite 136]
Denn:
„Gegen alle drei (Herzog von Orléans, Bernadotte, Eugène) führte Talleyrand den Gesichtspunkt ins Feld, dass die Einsetzung eines jeden von diesen nur eine andere Form der Revolution und eine neue Usurpation darstellen würde.“ [5/Seite 137]
Und
2. der Verweis T. auf den aufgezwungenen König führt dann zur Proklamation vom 31. März 1814, der es (auch) heißt:
„dass sie (die Alliierten) die Integrität des früheren Frankreichs achten werden, wie es unter seinen legitimen Königen bestanden hat. Sie vermögen sogar mehr zu tun, denn sie achten stets den Grundsatz, dass für das Wohl Europas ein großes, starkes Frankreich nötig ist… [6]
Damit „wird deutlich, dass die Verbündeten für den Sturz N. einen Preis bezahlen mussten. Die Zustimmung der Franzosen zum Machtwechsel und zu einem neuen Regime war nicht zu gewinnen, wenn dem Land ein demütigender Friede auferlegt wurde.“ [5/ Seite 142]
Allerdings weicht die Darstellung Talleyrands von der Bourriennes ab:
„Indessen während Alexander noch immer vor mir die verschiedenen Regierungsformen aufzählte, welche unter den gegenwärtigen Verhältnissen für Frankreich zweckmäßig sein dürften, indem es auch von der Beibehaltung Bonapartes und der Anwendung einer Regentschaft sprach, so wie auch von Bernadotte und der Zurückrufung der Bourbonen, nahm Herr von Talleyrand das Wort, und ich habe nicht vergessen, was er zum Kaiser von Rußland sagte.
„Sire, es sind nur zwei Dinge möglich, entweder Bonaparte oder Ludwig XVIII. Bonaparte, wenn Sie können; aber Sie vermögen es nicht, denn Sie sind nicht allein!“ …
„Was wollte man an seine Stelle setzen?“ … „Einen Soldaten?“
„Wir wollen keinen mehr. Wenn wir einen wollten, so würden wir den behalten, den wir haben: er ist der erste Soldat in der Welt. Diejenigen, die man nach ihm uns etwa anbieten möchte, würden nicht zehn Mann für sich haben. Ich wiederhole es Ihnen, Sire, alles, was nicht Ludwig XVIII. oder Bonaparte ist, ist eine Intrige.“
Diese merkwürdigen Worte des Fürsten von Benevent machten auf das Gemüt des Kaisers Alexander ganz den Eindruck, den wir davon erwarten konnten. So fand sich also die Frage vereinfacht, da sie nur noch eine doppelte war, und da es augenscheinlich war, dass Alexander weder von Napoleon noch seiner Familie etwas mehr wissen wollte, so fand sie sich in der Tat zur Einheit gebracht, das heißt zur Wiedereinsetzung der Bourbonen.“ [7]
Auch hier gilt die Argumentation Talleyrands einer fehlenden Anhängerschaft der Abwehr von möglichen Kandidaten neben den Bourbonen, einen Ansatz, der auf die Legitimation der Bourbonen abhebt, ist nicht wiedergegeben, ihr kam wohl nur eine untergeordnete Rolle zu.
Das kann m.A.n. auch gar nicht anders sein, da Talleyrand „nicht … dafür eintrat, die Bourbonen auch wieder in ihre vollen Herrschaftsrechte einzusetzen, die sie vor der Revolution besessen hatten.“ [4/Seite 139] Schon aus persönlichen Gründen musste Talleyrand daran gelegen sein, die Rechte des Königs möglichst einzuengen. Das lässt vllt. die Vermutung zu, dass Talleyrand seine Memoiren, ähnlich wie Metternich, ein wenig in Richtung Betonung der Legitimität der Bourbonen geschönt hat.
Die vorsichtige Argumentation Talleyrands ist wohl auch darin begründet, da Napoleon nicht etwa wegen fehlender Legitimation oder als Usurpator der Macht seiner Rechte verlustig gehen sollte, nein: „Nicht weil er unrechtmäßig an die Herrschaft gekommen wäre, nicht wegen des Staatsstreichs von 1799, sondern allein wegen seiner Herrschaftsausübung wurde N. für abgesetzt erklärt.“ [5/Seite 151]
Die konsequente Nutzung der Legitimitätsthese durch Talleyrand konnte erst erfolgen als Ludwig XVIII. es vermocht hatte, seinen legitimen Anspruch durchzusetzen und es damit überhaupt möglich machte, diese These zu vertreten. Und dies geschah vor allem mit Blick auf den Wiener Kongress, von dessen Verhandlungen Frankreich defacto ausgeschlossen war. Hier taugte die These als Argument zur Wahrung franz. außenpolitischer Interessen z. B. in Richtung der Lösung der Sachsenfrage oder der „legitimen“ Rechte von Ferdinand IV. in Neapel:
„Ich wiederhole Ihnen, meine Herren, ich verlange nichts und bringe Ihnen außerordentlich viel. Die Gegenwart eines Ministers Ludwig XVIII. in dieser Versammlung gibt der Grundlage, auf welcher die ganze soziale Ordnung beruht, erst die rechte Weihe. Vor allen Dingen ist es jetzt für Europa notwendig, die Meinung, als könne durch die Eroberung allein irgendein Recht erworben werden, für immer zu verbannen und dagegen das geheiligte Prinzip der Legitimität aufleben zu lassen, welches allein eine dauerhafte staatliche Ordnung verbürgt.“ [4/Seite 215]
Natürlich war dies nur ein rhetorischer Achtungserfolg. Die Monarchen sprangen zwar auf den „Legimitätszug“ auf und versicherten sich der gegenseitigen Solidarität, dennoch, die strittigen Fragen wurden machtpolitisch entschieden. Wie wenig das Legitimitätsprinzip wert war, zeigt sich an der Teilung Sachsen und eine Entthronung Murats in Neapel war auch erst möglich, nachdem dieser vertragsbrüchig wurde.
Immerhin gelang es, vllt. auch durch die von Talleyrand insistierte „Mäßigung“ ein Gleichgewicht herzustellen, das unter den Großmächten einige Jahrzehnte hielt.
[1] Findeisen, Jörg-Peter: Jean Baptiste Bernadotte Revolutionsgeneral, Marschall Napoleons, König von Schweden und Norwegen, Casimir Katz Verlag, Gernsbach, 2010, Seite 168
[2] Sellin, Volker: Gewalt und Legitimität: Die europäische Monarchie im Zeitalter der Revolutionen, Oldenbourg Verlag, München, 2011
[3] Blei, Franz: „Talleyrand“, Rowohlt, Berlin, 1932, Seite 230
[4] Talleyrand: „Memoiren des Fürsten Talleyrand“, herausgegeben mit einer Vorrede und Anmerkungen von Herzog de Broglie, Original Ausgabe von Adolf Ebeling, Köln und Leipzig,1891, Bd. 2
[5] Sellin, Volker: Die geraubte Revolution – Der Sturz Napoleons und die Restauration in Europa, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2001
[6] Ferrero, Guglielmo: „Wiederaufbau – Talleyrand in Wien“, Leo Lehnen Verlag, München, (1950), Seite 102
[7] Bourrienne, Louis Antoine Fauvelet de: Memoiren des Staatsministers Bourrienne über Napoleon, das Direktorium, das Konsulat, das Kaiserreich und die Restauration, Paul Gotthelf Kummer, Leipzig, Bd 10, 1830, Seite 29