Ortsnamenkunde

Wiki schreibt:

Erstmals wurde der von den Alamannen eingeführte Name Spira im 6. Jahrhundert in der Notitia Galliarum erwähnt, obwohl er bereits 496/509 verwendet wurde.​


Da produziert Wiki leider einen ziemlichen Unsinn. Der Satz ist an sich schon unsinnig, und in der Notitia Galliarum steht auch nicht der "von den Alemannen eingeführte Name Spira", sondern der alte Name Ciu[itas] Nemetum.

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Die Jahreszahl "509" ist offensichtlich ein Verschreiber für "506", die ansonsten häufig zu lesende mysteriöse Angabe "496/506" lässt an die (keineswegs gesicherten) Jahreszahlen der Schlachten von Zülpich und Straßburg denken, und in der Tat bin ich auf diese Weise fündig geworden:

Ewig hielt die Interpretation des im Geografen von Ravenna beschriebenen Zustandes einer Grenze zwischen Mainz und Worms für „wahrscheinlich“, der bis zu der von ihm um 496 angesetzten Schlacht bei Zülpich angedauert habe. Der alamannische Vorstoß, den Sidonius Apollinaris geschildert habe, sei als Landnahme und Übernahme der politischen Herrschaft im linksrheinischen Gebiet zu deuten.​

Der Geograph von Ravenna nennt tatsächlich den Namen "Sphira":

Wie wahrscheinlich die These ist, dass der Geograph von Ravenna den Zustand 496/506 beschreibt, vermag ich nicht zu beurteilen, er schreibt jedenfalls in einer späteren Zeit:




Während bei Straßburg und Salzburg die Herleitung der Namen aus dem Althochdeutschen bzw. Germanischen offensichtlich ist, ist das bei Spira nicht so einfach. Läßt sich denn dieser Name aus dem Althochdeutschen/Germanischen bzw. Alemannischen herleiten?

Du hast Die Frage mit Deinem Nachtrag ja selber beantwortet. Die Herleitung ist sogar besonders einfach; der Name des Bachs bedeutet genau das, wonach er klingt....
 
@Sepiola ich kann diese Schrift nicht komplett entziffern. Steht da nicht nach Ciu. Nemetum gleich anfangs der nächsten Zeile (nach einer Abkürzung? nur ein Zeichen) Spira.?

Gut gesehen, das habe ich gar nicht beachtet! Da hat der süddeutsche Schreiber des 13. Jahrhunderts den ihm geläufigen Namen dahintergesetzt, siehe auch beim Namen davor das Strazpurgis. Andere Manuskripte haben diese Zusätze nicht, vgl.

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Der historische Verein Speyer (Dr. Karl Rudolf Müller, 2005) zum Stadtnamen:

Namensverwirrung
Die spätrömische Bischofsstadt Nemata hatte von dem rheinabwärts im Norden gelegenen Fischerdorf Spire an der Speyermündung seit
500 n.Chr. allmählich den Namen übernommen ("Nemeta vel Spira”).
Nach 1100 heißt unsere Stadt dann nur noch Spira, zu deutsch Speyer. Das Dorf nannte man zur Unterscheidung Altspeyer oder Dorf Speyer (villa Spira), später die nördliche Vorstadt vor dem Weidentor Vorstadt Altspeyer; die Speyer aber ist der Speyerbach.

Steht da nicht nach Ciu. Nemetum gleich anfangs der nächsten Zeile (nach einer Abkürzung? nur ein Zeichen) Spira.?

Entspricht das nicht genau dem, was Müller schreibt?
 
Entspricht das nicht genau dem, was Müller schreibt?
wie schon gesagt, kann ich das nicht vollständig entziffern; was ich als Abkürzungszeichen bezeichnet hatte, müsste demnach "v" für "vel" sein. Und das entspricht dem, was Müller schreibt.

Aber wie Wikipedia darauf kommt, dass "Spira" alamannisch sei:
Wiki schreibt:

Erstmals wurde der von den Alamannen eingeführte Name Spira im 6. Jahrhundert in der Notitia Galliarum erwähnt, obwohl er bereits 496/509 verwendet wurde.
das kann ich mir nicht erklären.
 
Civ. Nemetu[m] .l. [vel] Spira

In der mir nur im Internet vorliegenden Ausgabe des Cappelli wird dieses ".l." als Abbreviatur für "vel" vorgestellt (Seite 198, macht am besten eine Suche dort nach "Transkription: vel" und "Sprache: lateinisch").

Der Buchstabe "v" wird im vorgestellten Text hingegen durchgehend als "u" geschrieben, in den Abkürzungen "Civ.", "Civt" und "Civit", und wie auch in dem nachfolgenden "Civit Vangionu[m] .l. [vel] Womatia", also "Civitas Vangionum oder Worms".


Noch einmal Dank an @El Quijote, der uns allen mehrmals schon die Datenbank "Ad Fontes" der Uni Zürich nahe gelegt hatte, und das sogar noch vor einigen Tagen als humorvolle Replik.
 
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Aber wie Wikipedia darauf kommt, dass "Spira" alamannisch sei:

das kann ich mir nicht erklären.

Nun ja, erklären kann ich es mir schon. Der Name ist ja germanisch (oder zumindest althochdeutsch). Und diejenigen Germanen, die sich in der Gegend dauerhaft niedergelassen haben, werden üblicherweise als Alamannen bezeichnet.
 
Wie ist dann die Abgrenzung von Alamannen und Franken?

Spätestens ab 505 n.Chr. war Speyer fränkisch, und genau wie die Notitia galliarum impliziert, in die Verwaltung des fränkischen Reiches integriert, der Speyergau ist ja auch räumlich fast deckungsgleich mit der Civitas Nemetum, und scharf abgegrenzt von der Civitas Vangionum bzw. Wormatia / Worms.

Oder setzte die ja doch auf römische Kultur und Verwaltung zurückgreifende fränkische Herrschaft nur eine romanisierte Verwaltung auf eine alamannische Bevölkerung? In diesem Fall müssten ja deutlich mehr alamannische Siedlungs- und Gräberfunde aus dem 5. Jahrhundert in der Civitas Nemetum vorhanden sein.
 
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Ich wollte hier nicht die Gretchenfrage stellen und auch keine scharfzüngige Replik geben, sondern sehe in diesem kleinen geographischen Raum eine spannende Frage der kulturellen Kontinuität, und @dekumatland und @Sepiola haben viel mehr Kenntnis von diesen Überschneidungen und Abgrenzungen.

Franken und Merowinger, und die Kontinuität römischer oder romanisierter Verwaltungsstrukturen in Gallien ist ein Thema, auf das ich eher touristisch und ohne Vorwissen gestoßen bin.
 
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Spätestens ab 505 n.Chr. war Speyer fränkisch
oder vorsichtiger ausgedrückt: unter merowingischer Herrschaft.
Ob alemannische Gruppen zuvor schon bei Speyer siedelten, sei es im 5.Jh. als kurzfristige Förderaten*) oder als Eroberer, weiß ich nicht. Es ging doch drunter und drüber am Rhein seit den Barbarenzügen 406/7.
Ich nehme aber an, dass der germanische Name Spira nicht von Durchreisenden gegeben und danach tradiert wurde.

______
*) kurzfristig: es gab doch alle Nase lang Stress mit plündernden Alemannentrupps und Verträge mit Kleinkönigen waren nicht sehr dauerhaft
 
Oder setzte die ja doch auf römische Kultur und Verwaltung zurückgreifende fränkische Herrschaft nur eine romanisierte Verwaltung auf eine alamannische Bevölkerung? In diesem Fall müssten ja deutlich mehr alamannische Siedlungs- und Gräberfunde aus dem 5. Jahrhundert in der Civitas Nemetum vorhanden sein.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch einmal auf Winfried Schmitz, Spätantike und frühmittelalterliche Grabinschriften als Zeugnisse der Besiedlungs- und Sprachkontinuität in den germanischen und gallischen Provinzen hinweisen, einiges habe ich in anderem Zusammenhang referiert:

Die Grabinschriften zeichnen ein recht deutliches Bild: An der Mosel und am Rhein zwischen Worms und Köln hinterließ eine lateinisch (bzw. romanisch) sprechende Oberschicht zahlreiche Grabinschriften; zwischen Bad Dürkheim und Basel bzw. Kaiseraugst gibt es keine einzige spätantik-frühmittelalterliche Grabinschrift.

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zwischen Bad Dürkheim und Basel bzw. Kaiseraugst gibt es keine einzige spätantik-frühmittelalterliche Grabinschrift.

Vielleicht ist darin auch der Wechsel der Ortsnamen begründet. Hier wäre die Frage, ob in dieser Zone bedingt durch die römisch-germanischen Konflikte die Zivilbevölkerung geflüchtet oder evakuiert wurde und nur noch römische Truppen bzw. in römischen Diensten stehende Truppen dort waren. Dann hätten die Alemannen nicht in dem alten Noviomagus/Nemeta der Römer gelebt. Davon wären vielleicht höchstens ein paar Ruinen zu sehen gewesen. Der Ortsname blieb nur noch in den Schreibstuben der Kanzleien der römischen bzw. fränkischen Verwaltung in Gebrauch. Die Neusiedler siedelten am oder in der Nähe der Geisterstadt oder eines Ruinenfeldes und kannten die alten römischen Bezeichungen gar nicht mehr.

Das könnte bei Argentoratum/Straßburg ähnlich sein. Da müßte man nach Hinweisen auf eine Siedlungslücke von Jahren oder Jahrzehnten in beiden Orten suchen. Im Gegensatz zu Speyer war Argentoratum eigentlich eine Garnison mit Zivilsiedlung (canabae).
 
Dann hätten die Alemannen nicht in dem alten Noviomagus/Nemeta der Römer gelebt. Davon wären vielleicht höchstens ein paar Ruinen zu sehen gewesen. Der Ortsname blieb nur noch in den Schreibstuben der Kanzleien der römischen bzw. fränkischen Verwaltung in Gebrauch. Die Neusiedler siedelten am oder in der Nähe der Geisterstadt oder eines Ruinenfeldes und kannten die alten römischen Bezeichungen gar nicht mehr.

Entspricht das nicht genau dem, was Müller schreibt?

Ich wiederhole mich....
 
Ich wiederhole mich....

Eigentlich schreibt Müller nur von der Namensübertragung von (Alt-)Speyer auf das frühere Nemata. Er schreibt aber nicht, wieso das geschehen ist. Eigentlich ist es nicht besonders logisch, dass der Name eines Dorfes den einer Stadt ersetzt, falls es denn eine Stadt noch gegeben haben sollte. Deswegen war meine Vermutung, dass da nur noch eine Geisterstadt oder einige Ruinen oder Trümmer herumstanden (oder herumlagen).

Dann hätten wir einen vergleichbaren Sachverhalt am Niederrhein: die alte Römerstadt Colonia Ulpia Traiana wurde in der Spätantike aufgegeben, wurde zur Legionsfestung und dann endgültig verlassen. Die Stadt Xanten erwuchs aus einer Siedlung in der Nähe der alten Römerstadt, aber es bestand keine Siedlungs- oder Bevölkerungskontinuität.
 
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aber ich habe es noch nicht gelesen.
@Carolus inzwischen habe ich das Kapitel überflogen. Zwei kleine Ausschnitte daraus:
Zusammenfassend zeigt es sich, dass es durchaus nach 455/460 linksrheinisch zu einer Ansiedlung von Alamannen gekommen ist und seit etwa 480 ein fränkischer Einfluss – wohl aus dem rheinfränkischen Raum um Köln – mit einem verstärkten Bevölkerungszuzug anhand der ersten Reihengräberfelder erkennbar wird.
Städte wie Worms und Speyer scheinen hingegen bis weit in das 6. Jahrhundert hinein weiterhin romanisch geprägt geblieben zu sein, was in Worms neben dem beibehaltenen Ortsnamen vor allem an „frühchristlichen“ Grabinschriften, wenn auch mit z. T. germanischen Namen, kenntlich wird, verbunden mit geringen fränkisch geprägten Bestattungen in den stadtnahen spätantiken Nekropolen. Die wenigen Gräber dort – nur der wohl größere Bestattungsplatz ‚Schillerstraße‘ macht hier eine Ausnahme – werden mit Hofsiedlungen im städtischen Umfeld und nicht mit einer fränkischen Stadtbevölkerung in Verbindung gebracht.160 In Speyer gibt es zwar einen Namensbruch, auch fehlen frühchristliche Epitaphien, aber mit den frühmittelalterlichen Bestattungen im Umfeld zeigt sich ein mit Worms vergleichbares Bild, wobei in Speyer die beigabenlosen romanischen Gräber in großer Zahl nachweisbar sind. Aus archäologischer Sicht blieben beide Städte zumindest bis zum 6. Jahrhundert weitgehend romanisch geprägt. Einer seit etwa 480 rheinfränkisch dominierten Siedlungslandschaft in den ehemaligen Civitates Nemetum und Vangionum steht bis gegen 500 der deutlich alamannisch bestimmte Raum rechts des Rheins möglicherweise bis zur Lahnmündung gegenüber.
weiterhin interessant ist, dass hier die Katastrophennachrichten von Hieronymus (über die Barbareneinfälle 406/7) nicht bestätigt werden, d.h. dass es infolge dieser Einfälle nicht zu einem abwandern (gallo)romanischer Bevölkerung kam und dass die Rheingrenze danach wieder stabilisiert wurde. Unklar bleibt für die zweite Hälfte des 5.Jhs., welche linksrheinischen Funde klar als rheinfränkisch vs alemannisch zu bestimmen seien.
--- das nur in aller Kürze, ich hab es noch nicht gründlich gelesen.
 
Was mich beeindruckt hatte: Die hohe Siedlungskontinuität. Besonders natürlich in der Civitas Vangionum / Wormatia / Worms, geringer auch in der Civitas Nemetum / Speyer:

"Am Mittellauf der Pfrimm zwischen Monsheim und Marnheim (Donnersbergkreis) und im südlich anschließenden Göllheimer Hügelland lässt sich mittels intensiver Prospektion eine dichte Siedlungslandschaft mit Einraumhöfen, einfachen Hofanlagen und einigen Großvillen nachweisen. Liegen ausreichend große Fundbestände vor, erweist sich in den meisten Fällen eine Nutzung bis mindestens bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts, vereinzelt auch deutlich bis in die zweite Hälfte."

"In Speyer gibt es zwar einen
Namensbruch, auch fehlen frühchristliche Epitaphien, aber mit den frühmittelalterlichen Bestattungen im Umfeld zeigt sich ein mit Worms
vergleichbares Bild, wobei in Speyer die beigabenlosen romanischen Gräber in großer Zahl nachweisbar sind. Aus archäologischer Sicht blieben beide Städte zumindest bis zum 6. Jahrhundert weitgehend romanisch geprägt."

"Einer seit etwa 480 rheinfränkisch dominierten Siedlungslandschaft in den ehemaligen Civitates Nemetum und Vangionum steht bis gegen
500 der deutlich alamannisch bestimmte Raum rechts des Rheins möglicherweise bis zur Lahnmündung gegenüber."

M.E. ist markant:
  • Die schweren Zerstörungen durch die Alamanneneinfälle um 275 n. Chr., mit Wiederaufbau ab 280 n. Chr.
  • Die gravierenden Veränderungen während der Magnentiusunruhen um 375 n. Chr.
  • die erfolgreiche Befestigung der Rheingrenze unter Valentinian
  • und das Fortbestehen einer städtischen romanischen Bevölkerung, mit hochwertigen Importgütern (zumindest bis 430 n. Chr.) bis zum 5./6. Jh. n. Chr.
  • bei gleichzeitiger Abnahme v.a. der weniger wohlhabenden ländlichen romanischen Bevölkerung
  • zugleich weitere Nutzung der römischen Bausubstanz
 
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