Ich muß zugeben, daß mir der Gesamtbau des Thesenstruktur zu komplex erscheint;
Das liegt nun einmal an der Komplexität der historischen Prozesse, die sich über Jahrtausende hinziehen.
könntest du das anhand der Apophis-Schlange etwas detallierter ausführen,
Belegt ist diese Figur erst ab dem Mittleren Reich, hatte aber vermutlich Vorläufer im Alten Reich, die, so wie die Chaosschlangen im AR-Mythos um die Ogdoad,
weiblich waren.
Warum die Schlange im Mythos männlich konzipiert wurde, ist klar: Sie repräsentiert die
Feinde des Pharao bzw. die Rivalen um den Thron. Eine solche Gestalt konnte in den patriarchalischen Zeiten des MR und später des NR natürlich nicht weiblich sein (die einzige Pharaonin Hatschepsut stylte sich männlich und führte einen männlichen Thronnamen). Auch alle feindlichen Könige der Fremdländer waren Männer. Es wäre also widersinnig gewesen, den Hauptgegner des Re (= Pharao) als weiblich zu konzipieren. Das erklärt das männliche gender des Re-Feindes.
Warum aber als Schlange?
Da der Feind des Sonnengottes in der
Unterwelt, also unterhalb der Erdoberfläche, gegen Re (die untergegangene Sonne) kämpft und das
Chaos repräsentiert, bot sich für die priesterlichen Autoren des Re-versus-Apophis-Mythos die Gestaltung dieses Feindes als
Schlange natürlich unmittelbar an (siehe die weiblichen Chaosschlangen des Ogdoad als Vorbild für Apophis). Dabei griffen die Priester nicht auf die positiven Konnotationen der Schlange zurück (Regeneration, Wiedergeburt, Schutz), sondern auf die negativen (Gefahr und Verschlagenheit). Dass diese beiden Ebenen bei der Betrachtung des Schlangenthemas nicht durcheinandergeworfen werden sollten, wie dies z.B. El Quijote gerne unterläuft, darauf hatte ich schon gestern hingewiesen.
So also kam es, in meiner hypothetischen Rekonstruktion, zu der Gestaltung des Feindes des Sonnengottes als männliche Schlange.
Die Vorstellung der Verdrängung von Fruchtbarkeitskulten spricht mich intuitiv an, aber läßt sich das bspw. für das Alte Ägypten belegen?
Die altorientalische Religionsgeschichte ist sehr komplex, allein in Ägypten bestand eine Vielzahl von Kulten neben- und nacheinander mit z.T. äußerst unterschiedlichen Konzepten (Hathor-Kult, Re-Kult, Atum-Kult, Ptah-Kult, Isis-Kult, Osiris-Kult usw.). All diese Kulte sind Fruchtbarkeitskulte, nur der Kult um den Gott Ptah am Ende des 2. Jt. BCE hat eine stark anti"fertilistische" Tendenz, denn dieser Gott schafft alles nur "durch das Wort", Fruchtbarkeit wird hier also vergeistigt, was eine Absage an den sexuellen Schöpfungsmodus ist, wie er in den anderen Kulten mehr oder weniger gepflegt wurde. Diese "Schöpfung durch das Wort" wurde dann das Modell für den Schöpfungsmodus des israelitischen Jahwe.
Auch Mesopotamien, in Syrien und in der Ägäis wurden bis in die christliche Zeit hinein Fruchtbarkeitskulte hochgehalten, ebenso in Palästina, wo inbesondere der Kult um Baal und Aschera im Mittelpunkt stand, weshalb ihnen die Feindschaft der Israeliten in besonderem Maße galt.
Eine ausgesprochene "Verdrängung" von Fruchtbarkeitskulten fand also ausschließlich in der israelitischen Theologie und auf israelitisch dominiertem Territorium statt.
Weiter ausgreifend und allgemeiner gefragt: Es gibt gewissermaßen transkurell immer wieder die Vorstellung von basalen oder urmythischen Erdgottheiten, die häufig auch schlangenartige Aspekte aufweisen; aber müssen diese immer unausweichlich als die ursprünglichen Gottheiten angesehen werden, und dann auch noch unbedingt als weiblich eingestuft werden?
Die Schlangensymbolik muss ursprünglich im Kontext der ´Muttergöttin´ bzw. Urmutter des Paläolithikums gesehen werden, worauf ich mich im Artikel 15 vom 6. März bezog. Es gibt keinerlei archäologische Hinweise auf die paläolithische Verehrung eines männlichen ´Gottes´ bzw. eines Prototypen späterer männlicher Götter. In der nicht-patriarchalischen Wissenschaft (in diesem Forum noch stark in der Minderheit...) geht man daher davon aus, dass weibliche Gottheiten aka Urmütter bzw. daraus entstehende funktionale Differenzierungen die historisch ursprüngliche Form religiöser verehrter übernatürlicher Wesen waren.
Ich zitiere der Einfachheit halber unten einen eigenen älteren Text zu diesem Thema (bisher nicht in diesem Forum gepostet).
+++
Die konventionelle Religionswissenschaft ging bisher davon aus, dass das prähistorische Schamanentum eine Domäne der Männer war. Eine Untersuchung von Prof. Dean R. Snow aus dem Jahr 2013 hat allerdings ergeben, dass die Handabdrücke in diversen Kulthöhlen, die als ´Signaturen´ von Felsmalereien anzusehen sind, in der Überzahl ein weibliches Gender aufweisen. Die Hypothese liegt also nahe, dass schamanistische Praxis über Jahrzehntausende vorwiegend eine Angelegenheit der Frauen war. Laut Fachwissenschaftlern wie M. Winkelman und D. Lewis-Williams ist Höhlenkunst ein Produkt ekstatischer schamanischer Zustände und geschah oft im Zusammenhang mit Initiationen. Dafür sprechen auch die Orte mancher Zeichnungen, die in engen Stollen liegen und nur in unbequemer Körperhaltung erreicht werden können.
Die weibliche Dominanz im paläolithischen Schamanentum harmoniert mit der in der Religionswissenschaft nicht unumstrittenen These von der Urmutter-zentrierten paläolithischen Religiosität. Hier ist nicht der Ort, das Für und Wider dieser These zu diskutieren, ich begnüge mich mit dem Statement, dass die für die ´Urmutter´-Verehrung sprechenden Indizien ein größeres argumentatives Gewicht haben als alle dagegen angeführten skeptischen Argumente.
Die Paläolithiker dachten analogisch: Ähnlich wie der menschliche Mutterschoß bringt auch die Erde Leben zyklisch hervor, also imaginierte man sie als einen alles gebärenden Mutterschoß, in den das Leben sterbend zurückkehrt, um in neuer Gestalt wiederzuerstehen, und übertrug diese Vorstellung auf die Kulthöhle, die somit den Mutterleib und die ´Mutter Erde´ repräsentiert. Noch viele Jahrtausende später wird man in Ägypten das Sterben als Rückkehr in den Schoß der göttlichen Urmutter Nut (= Vulva) ansehen, deren Bild die Deckel vieler Särge zierte. Vermutlich galt die paläolithische Urmutter auch als Ur-Ahnin aller menschlichen Mütter, d.h. alle matrilinearen Generationen gingen aus ihr hervor.
Stilistisch ungewöhnlich, aber vom Sinn her charakteristisch für das paläolithische Denken präsentiert sich der Eingang der Höhle von La Magdeleine in Frankreich: Hier säumen zwei Frauenreliefs mit besonders betontem Schamdreieck den Eingang. Ihre Bedeutung lag vermutlich darin, den Besuchern der Höhle zu signalisieren, dass sie den weiblichen Schoß der Erde betreten, den Ort der Wiedergeburt von Tieren und Menschen im Rahmen des kosmischen Erneuerungskreislaufs. Im Innern vieler Höhlen finden sich Vulva-Zeichen verschiedener Art, die in der Höhle von zentraler Bedeutung sind. In El Castillo sind an den Wänden vier leuchtend rot gemalte Vulven zu sehen, neben die ein schwarzer Pfeil (ein Todeszeichen) gezeichnet wurde, was zusammengenommen als Symbolisierung von Tod und Wiedergeburt gedeutet werden kann. In Bedeilhac ist eine Vulva sehr naturgetreu im Lehmboden dargestellt, sie steht ´offen´ und zeigt die Klitoris. Die Beispiele ließen sich lange fortsetzen. Zu beachten ist, dass es sich dabei nicht um Sexual-, sondern um Regenerationssymbole handelt.
Die Rituale in diesen Kulthöhlen wurden, wie schon oben erwähnt, mehrheitlich vermutlich von Schamaninnen durchgeführt. Insofern der Schamanismus also eine ursprünglich weiblich dominierte Praxis war, ist diese Praxis als integraler Bestandteil der Urmutter-Religion anzusehen.
Einen weiteren Hinweis auf die zentrale Stellung des Weiblichen in der paläolithischen Religion liefern die zahlreichen Frauenfigurinen (oft mit betonter Vulva), die in einem Gebiet gefunden wurden, das vom Atlantik bis nach Sibirien reicht. Die meisten stammen aus der Zeit des Gravettien (29.000-22.000 vuZ).
Dass das Paläolithikum kein männliches Pendant zur ´Muttergöttin´ kannte, ist nur aus der Unkenntnis der Vaterschaft erklärbar. Aus demselben Grund hinterließ diese Ära auch keine fruchtbarkeitssymbolischen Darstellungen des Phallus. Das änderte sich nach der Einführung der Viezucht ab etwa 10.000 vuZ. Die ältesten bekannten Darstellungen eines menschlichen Sexualaktes stammen aus dem späten 9. Jahrtausend vuZ, der Frühphase des Neolithikums: ein Steinrelief und eine Steinskulptur aus der Natufien-Kultur in Ain Sakhri in Jordanien. Etwa zeitgleich ist die Steinskulptur eines ithyphallischen ´Fruchtbarkeitsgottes´ zu datieren, die man in Göbekli Tepe fand.
Weitere Funde fallen laut Catal-Hüyük-Ausgräber James Mellaart in das 6. Jahrtausend (5.800 vuZ in Tepe Güran, 5.800 vuZ in Sarab, 5.500 vuZ in Tell-es Sawwan und 5.000 vuZ in der Halaf-Kultur). Der Phallus etablierte sich also erst im Neolithikum als sakrales Symbol. Das ist umso erstaunlicher, als das Gegenstück, die sakral überhöhte Vagina, schon seit Jahrzehntausenden die religiöse Ikonographie prägte. Da ihr Fruchtbarkeitsaspekt diese Praxis begründete, kann das Fehlen des symbolischen Phallus nur bedeuten, dass die Vaterschaft bis zur Einführung der Viehzucht unbekannt war.
Im neolithischen Catal Hüyük (um 7000) sind, aus archäologischer Sicht erstmals, Indizien für einen maskulinen Gott erkennbar, der als stiergestaltiger Sohn der Urmutter verehrt wurde. Aus diesem Stiergott entwickelten sich nach und nach die unterschiedlichen Ausformungen männlicher Gottheiten, die zunächst vor allem eines waren: Fruchtbarkeitsgötter. Das lässt sich z.B. am Fruchtbarkeitsgott Enki erkennen, dem am frühesten nachweisbaren Mann-Gott der sumerischen Religion.
[FONT="]
[/FONT]