Parlamentarismus - Synopse

prolimit

Mitglied
Da wir z.Z. die englische Geschichte im Unterricht behandeln, interessiere ich mich auch themenübergreifend für die anderen Länder.
Seit Jakob I. und Karl I. regierten gab es Machtkämpfe mit dem Parlament, welches in einen Bürgerkrieg führte und letztendlich zur Köpfung Karl I. 1649.
Das ganze spielt also im Zeitraum von 1603-1649.

Zu dieser Zeit regiert in Frankreich Ludwig der XIII., dieser ernennt Richelieu als Minister und errichtet eine absolute Monarchie, die sein Sohn noch weiter ausbauen wird. Es kommt also bis zur Französischen Revolutionen zu keinen Parlement ähnlichen Strukturen.

Gibt es dazu Ergänzungen? Wie sieht die politische Situation in Brandenburg-Preußen aus? Ab 1740 regiert Friedrich Wilhelm. Das H.R.R.D.N. ist in den Fürstentümer aufgeteilt, wie sieht es dort mit Parlamentarismus aus?

Welche Auswirkungen hat der 30-jährige Krieg auf die Entwicklung demokratischer Strukturen?

Ich wäre für wertvolle Gedankenanstöße sehr dankbar.

Gruß

prolimit
 
@prolimit

Nun, eigentlich gilt König Franz I. (1515-1547) als Begründer des Absolutismus in Frankreich. Alle seine Nachfolger waren dann beständig bemüht, die Macht der Krone weiter auszubauen. Ludwig XIII. und Richelieu beseitigten dann eigentlich nur die Hugenotten als Machtfaktor im Königreich, womit der letzte „Staat im Staat“ aufhörte zu existieren. Außerdem legte Richelieu den Grundstein für eine rein monarchische Bürokratie, völlig losgelöst vom Hochadel, oder provinzständischen Institutionen. Als dann Ludwig XIV. die Macht übernahm, da war der königliche Absolutismus praktisch schon fertig, er füllte das ganze dann nur mit der nötigen Persönlichkeit.

Aber eine andere Tendenz ist zu beachten. In England existierte ein Parlament, das man aber eigentlich nicht als demokratisch betrachten kann, da im Oberhaus nur Hochadel saß und im Unterhaus nur die Großgrundbesitzer. Das ändert sich erst im 19. Jahr, als das Wahlrecht auch auf untere Klassen ausgedehnt wurde. Noch später aber die Arbeiter erreichte. Die frz. Aufklärer des 18. Jahr. waren überzeugte Feinde des englischen Parlamentarismus, insbesondere Rousseau sah darin einen Widerspruch zur Volkssouveränität. Während der Frz. Revolution betrachtete man England auch nicht als Vorbild für Frankreich. Das 1791 eingeführte neue Klassenwahlrecht in Frk., war zwar alles andere als allumfassend, bezog aber weit größere Bevölkerungsteile ein, als das englische.

Etwas das sich in Frankreich als Parlament bezeichnete, gab es aber schon Jahrhunderte lang zuvor. Die Obersten Gerichtshöfe nannten sich Parlamente, auch wenn dort nur Richter saßen, die ihre Ämter kauften. Dennoch maßten diese sich an, sich mit dem englischen Parlament zu vergleichen. Da die frz. Parlamente für die Registrierung der königl. Gesetze verantwortlich waren, verweigerten sie dies einfach, angestachelt durch den Englischen Bürgerkrieg. Während der Fronde kam es zum offenen Bürgerkrieg zwischen König und Parlament (1648-50). Der König gewann und zu recht hatte dies die völlige Entmachtung des Parlaments zur folge. Ludwig XIV. ging dann sogar so weit, 1673 dem Parlament von Paris sämtliche Privilegien zu entziehen, ganz besonders das Remonstranzrecht, jenes Recht, das die Ablehnung von Gesetzen erlaubte.

Dennoch machten diese sogenannten „Parlamente“ immer wieder ärger und wurden zu einem der schlimmsten Bremsklötze bei den Reformen im späten 18. Jahr. Das der frz. Staat derart desolat am Vorabend der Revolution dastand, ist maßgeblich die Schuld der Parlamente. Die frz. Parlamente versuchten immer wieder zu so etwas ähnlichen wie das englische zu werden, aber zum Glück gelang ihnen das nie. Was sie aber nicht davon abhielt, des öfteren ihre richterliche Macht für ihre eigene Politik zu missbrauchen.

In den deutschen Fürstentümern gab es so was wie Parlamente überhaupt nicht, auch nicht in Preussen. Es sei denn du lässt den Reichstag als solchen gelten, obwohl er eine reine Fürstenveranstaltung war, nebst einigen kleinen freien Reichstädten. Aber bei den Habsburgern glaube ich, gab es größere Ständeversammlungen, was man ja durchaus als eine Vorstufe zum Parlamentarismus sehen könnte.
 
Louis le Grand schrieb:
Aber eine andere Tendenz ist zu beachten. In England existierte ein Parlament, das man aber eigentlich nicht als demokratisch betrachten kann, da im Oberhaus nur Hochadel saß und im Unterhaus nur die Großgrundbesitzer. Das ändert sich erst im 19. Jahr, als .

Immerhin mußte der König in England sich mit zwei permanent tagenden Häusern des Parlaments auseinandersetzen. Dem Oberhaus gehörten auch die anglik. Bischöfe an, ohne die schlecht Staat zu machen war,im House of Commons war der landbesitzende Adel , der vom Bürgertum gewählt wurde .
Der Versuch von Karl I. ohne Zustimmung der beiden Häuser zu regieren ist im letztlich 1649 schlecht bekommen.
In England war die soziale Mobilität des Einzelnen im Gegensatz zum franz. Untertanen nicht so eingeschränkt. Eine schöne Voraussetzung ,neben anderem,für den Aufschwung und Erfolg des engl.Handelsbürgertums.
Das franz. Handelsbürgertum in den von Richeleu gegründeten Kompagnien dümpelte dagegen vor sich hin, nicht zuletzt weil sich die potenziellen Investoren durch den Ämterkauf von den leichteren Verdienstmöglichkeiten blenden ließen. In Welthandel-und Seefahrt war damit gegen England nicht viel zu holen.
Was den Zustand des röm.-dt. Reich nach 1648 anbelangt, belegt sehr schön der Geschichtsschreiber Samuel Pufendorf, der das Reich als
"irgendeine unregelmäßige und einem Ungeheuer gleiche Körperschaft" bezeichnet.
Was an Komplexität bereits bestand wurde durch den westf. Frieden auch noch abgesegnet. Die Oberhoheit des röm. Kaisers wurde von den Landesfürsten sämtlicher Glaubensrichtungen kaum anerkannt, nur in Zeiten
der chronischen Türkenbedrohung gabs finanzielle-und milit. Beistand- gegen Zugeständnisse , versteht sich. :)
 
Louis le Grand schrieb:
In den deutschen Fürstentümern gab es so was wie Parlamente überhaupt nicht, auch nicht in Preussen. Es sei denn du lässt den Reichstag als solchen gelten, obwohl er eine reine Fürstenveranstaltung war, nebst einigen kleinen freien Reichstädten. Aber bei den Habsburgern glaube ich, gab es größere Ständeversammlungen, was man ja durchaus als eine Vorstufe zum Parlamentarismus sehen könnte.

Zwar gibt es keine direkte Kontinuitätslinie von den vormodernen Ständeversammlungen zu den modernen Parlamenten, aber Korpora, zusammengesetzt aus verschiedensten Personen/Personengruppen eines Territoriums, die für sich in Anspruch nahmen, die Belange des Landes zu vertreten, gab es in nahezu jedem Territorium des Reiches (wie auch überall in Europa). Eine vollkommene Entmachtung der traditionellen lokalen bzw. regionalen Herrschaftsträger, die als Stände in das politische System des Territoriums integriert waren, war kaum möglich und fand auch praktisch nirgendwo statt - selbst wenn der Begriff der absolutistischen Herrschaft dies gerne suggeriert (gilt auch für Frankreich, das immer wieder als Idealbild des absolutistischen Staates erscheint). Fürstliche Versuche zur Zurückdrängung ständischer Macht gehören zum Grundbestand frühneuzeitlicher Geschichte und waren nicht selten auch erfolgreich, ihre grundlegende Funktion der Vertretung des Landes mit entsprechenden Kompetenzen büßten die Stände aber nicht ein. Noch zum Ende des Reiches hatte sich in den Territorien ein reicher Bestand an "Landständen", "Landschaften", "Ausschüssen", "Einungen", "Unionen" oder ähnlichem erhalten. Auf Reichsebene funktionierte der Reichstag ähnlich.

Natürlich herrschte in diesen Ständeversammlungen ein adeliges Übergewicht, bürgerliche Repräsentanz erlangt erst in den Parlamenten des 19. Jahrhunderts eine Prädominanz.


Arcimboldo schrieb:
Die Oberhoheit des röm. Kaisers wurde von den Landesfürsten sämtlicher Glaubensrichtungen kaum anerkannt,

Das stimmt nicht. Die Oberhoheit des Kaisers wurde von den Landesfürsten definitiv anerkannt. Eine eigene staatliche Existenz ohne den Rahmen des Reiches konnte sich bis weit ins 18. Jahrhundert eigentlich niemand der Reichsfürsten richtig vorstellen. Kaiser und Reich waren zentrale Elemente politischer Ordnungsvorstellungen. Dass das allerdings kaum einen der Reichsfürsten daran hinderte, primär eigene territoriale Interessenpolitik zu betreiben, und der Kaiser wirklich nicht mehr viele Möglichkeiten hatte, direkt auf diese Reichsterritorien einzuwirken, ist unbestritten. Es besteht aber ein gravierender Unterschied zwischen theoretisch-staatsrechtlichem Denken und alltäglicher Tagespolitik.

Eigentlich konnte der Kaiser nur noch über eine unbestimmte Oberhoheit verfügen, mehr als eine solche informelle Position hatte er aber kaum noch.
 
Zuletzt bearbeitet:
Im alten Württemberg gab es eine "Verfassung" der Tübinger Vertrag, mit einer "Volksvertretung" der Landschaft die über die damals üblichen Ständevertretungen weit hinaus ging.

Bei den Verfassungsverhandlungen 1815/16/17/18 wurde z. B. ein Musterdemokrat wie Uhland nicht müde, das "Alte Recht" zu verlangen.

http://www.verfassungen.de/de/bw/wuertt1514.htm

Grüße Repo
 
Herold schrieb:
Eine vollkommene Entmachtung der traditionellen lokalen bzw. regionalen Herrschaftsträger, die als Stände in das politische System des Territoriums integriert waren, war kaum möglich und fand auch praktisch nirgendwo statt - selbst wenn der Begriff der absolutistischen Herrschaft dies gerne suggeriert (gilt auch für Frankreich, das immer wieder als Idealbild des absolutistischen Staates erscheint).

Absolut richtig. In Frankreich: Auf Gesamtstaatlicher Ebene werden zwar 1614 zum letzten mal die Generalstände einberufen, aber die Provinzständeversammlungen bleiben im ganzen Königreich bestehen.
 
Herold schrieb:
Das stimmt nicht. Die Oberhoheit des Kaisers wurde von den Landesfürsten definitiv anerkannt. .....
Eigentlich konnte der Kaiser nur noch über eine unbestimmte Oberhoheit verfügen, mehr als eine solche informelle Position hatte er aber kaum noch.

De facto stimmts auf Reichsebene also doch.
Das ständische Prinzip dominiert auf der 1.Ebene des Reiches und verteidigt seine "Libertät "nötigenfalls auch bewaffnet gegen den Kaiser.
Auf der 2. Ebene der einzelnen Reichsterretorien verwirklicht sich das monarchisch-absolutistische Prinzip, allerdings neben einer Vielzahl von älteren stehengebliebenen feudalistischen Bindungen.
Ist nicht gerade der Aufstieg Brandenbg.-Preußens als Vorläufer der dt. Nationalstaatsfindung zu sehen , in der das o.g. Prinzip der 1. Reichsebene
nach 1648 zur Wirkung kommt und an dessen Ende eben das Ende des alte Kaiserreichs steht ?
 
Die Staatsbildung findet im Reich ganz sicher auf der Ebene der Territorien statt, und nicht auf der Ebene des Reiches. Das Reich bleibt als äußerer Ordnungsfaktor bestehen, dessen Existenz die (größeren) Reichsstände im schlechtesten Fall kaum stört, im besten Fall in ihren Interessen unterstützt. Modernisierung im Sinne einer Intensivierung staatlicher Macht bleibt hier größtenteils aus, weshalb die Fürstenstaaten in seinen Grenzen spätestens im 18. Jahrhundert einen staatlich-administrativ-institutionellen Vorsprung erlangen, das Reich aber zunehmend als archaischer Korpus (das von Pufendorff so genannte Ungeheuer) verbleibt. Dieser Rahmen bietet gerade den kleineren Reichsständen die nötigen Voraussetzungen für den Fortbestand ihrer Existenz und organisiert zumeist erfolgreich das Miteinander der Fürstenstaaten innerhalb des Reiches. Weniger ein bewusstes Herauswachsen von Reichsständen aus dem Reich zerstört schließlich dessen Existenz, als vielmehr neues staatstheoretisches Denken (Nationalstaat) und äußerer Druck (Napoleon) bei passivem Desinteresse der großen Reichsstände an seinem Fortbestand. (Insofern denke ich auch nicht, dass der Aufstieg Brandenburg-Preußens zwangsweise die Zerstörung des Reiches bei nachfolgender deutscher Nationalstaatsbildung mit sich bringen musste - auch wenn die borussische Geschichtsschreibung gerne eine solche direkte Kontinuität gezogen hat.)
 
Herold schrieb:
Die Staatsbildung findet im Reich ganz sicher auf der Ebene der Territorien statt, und nicht auf der Ebene des Reiches.

Dies wäre auch meine Einschätzung, da habe ich mich scheints unklar ausgedrückt. Eben weil auf der 1. Ebene keine durchschlagkräftige exekutive Autorität herrschte, verlagerten sich " Regalien " , die eigentlich dem Kaiser zustanden zunehmend in die Reichsstände. Daher mein Beispiel mit Brandbg.-Preußen als Vorreiter auch territorial-milit. Macht, betrachtet man die Einrichtung eines stehenden Heeres wie unter Ludwig XIV.
 
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