Partisanenkrieg im Ersten Weltkrieg?

Ja, die eignen sich bekanntlich besonders für Verschwörungstheorien. Bei Horne/Kramer (2018) ist darüber einiges zu lesen. Kleine Kostprobe (S. 158):

"Zum Mythenkomplex des Franktireurs gehörten auch spezifischere Legenden. Besonders auffallend waren Geschichten, die davon handelten, wie Priester in Belgien, Frankreich und Elsaß-Lothringen ihre Gläubigen zu bewaffnetem Widerstand aufgestachelt hatten. Die deutschen Behörden räumten schließlich ein, daß solche Geschichten fast jeder Grundlage entbehrten. Doch die Legende war sehr wirksam, weil sie eine bestimmte Version des Volkskriegs herausdestillierte - eine katholische Bevölkerung, die zu fanatischer Gewalt imstande war, und vom autoritären Klerus nach Belieben manipuliert werden konnte.

Deutsche Tagebuchschreiber bekundeten häufig ihre Feindseligkeit gegenüber Katholiken und eine pathologische Angst vor Priestern. Ein Soldat aus Hamburg schilderte den ersten belgischen Priester, dem er begegnete, als 'monsier le curé, diese unheimliche Gestalt Belgiens'.
Der Mythos entstand bereits in der ersten Phase der Invasion. Am 5. und 6. August wurden die Priester von Olne und Forêt in der Nähe von Lüttich getötet, und der Kirchturm von Visé, von dem aus angeblich Signale zum Fort de Pontisse ergangen waren, wurde am 10. August niedergebrannt. Als der allgemeine Vormarsch begann, galten die Priester bereits als Rädelsführer des Widerstands. General von Beseler schrieb am 16. August an seine Frau: 'Das Betragen der Belgier ist dagegen unqualificierbar; sie zeigen sich nicht als civilisiertes Volk, sondern als eine Räuberbande; eine schöne Folge der belgischen Pfaffenherrschaft.' Die überwiegend protestantische 1. Armee mißhandelte und erschoß westlich der Gette mehrere Geistliche unter der Beschuldigung, sie hätten einen Angriff der Einwohner auf die Deutschen organisiert und sich vom Kirchturm aus mit dem Feind verständigt. [...]" (Die Beispiele gehen noch einige Seiten weiter...)


Ganz ähnliche Erfahrungen zeigten sich in Serbien und Galizien, wo ebenfalls recht häufig Geistliche unter den Generalverdacht gestellt wurden, die Bevölkerung zu Agitation anzustacheln, und Priester waren immer wieder auch stark vertreten bei Geiselnahmen und Vergeltungsaktionen. Da waren die Betroffenen allerdings meist Orthodoxe und die Täter mehrheitlich Katholisch.
 
Es ist aber zumindest vorstellbar, dass eine deutsche Truppe mal Richtung Westen mit einem MG auf Ungefähr das Gelände abstreut, um zu zeigen Stop! Hier sind wir". Dass dabei eventuell noch Nachzügler beschossen werden, ist immerhin auch nicht völlig abwegig.

Sicherlich nicht vollkommen abwegig dass da vielleicht mal jemand in Richtung zurückflutender deutscher Truppen geschossen hat, in der irrigen Annahme es handle sich bereits um auf Leuven vorstoßende Belgier, aber wenn dann nur auf Entfernungen bei denen höchst unwahrscheinlich ist, dass da tatsächlich jemand getroffen würde, denn sobald die sich auf Leuven zubewegenden Truppen klar sichtbar wurden, würden auch die feldgrauen Uniformen und die Feldzeichen sichtbar.
Gleichsam, kann ich mir nicht vorstellen, dass ausgerenchnet das zu einer Franctireur-Panik geführt haben soll.

Wenn ich mich ggf. den Feind im Nacken in Richtung der eigenen Linien zurückziehe, muss ich damit rechnen nicht sofort erkannt und ggf. vorsorglich mal mit etwas Feuer aus den eigenen Linien bestrichen zu werden.

Das mag die Soldaten, denen das passiert ist im ersten Moment aufgeregt haben, es wird aber kaum dazu geführt haben auf einmal überall Frantireurs zu sehen oder die eigenen Truppen mit Kriegsgerichtsprozessen überziehen zu wollen, wogegen diese sich hätten wappnen müssen.
Wenn die Vorgestzten hier Verluste melden mussten, konnten sie das genau so gut als "Verluste infolge von regulärer Feindberührung" abstempeln, wer wollte denn nachweisen, bis wohin einzelne Trupps verfolgender Feindverbände ggf. nachgestoßen hatten?

Es lässt sich auch nicht ausschließen, dass beim Versuch, einer Einheit Feuerschutz zu geben, Nachbareinheiten gefährdet wurden.

Aber doch nicht von Leuvener Stadtgebiet aus.
Der Vorstoß der belgischen Truppen endete beim 8 Km entfernten Tildonk, auf solche Entfernungen wird mit Kleinwaffen nicht geschossen, allenfalls mit Artillerie und kein Mensch wird auf die Idee kommen einen unglücklichen Querschläger der eigenen Artillerie, unter "Franctireurs" abzurechnen, noch weniger wird irgendwer der überlebenden Beschossenen davon ausgehen, dafür irgendwelche Franctirerus verantwortlich machen und sich dafür rächen zu wollen.

Wie gesagt, friendly fire- da wird man von einer hohen Dunkelziffer ausgehen müssen. Es wird vielfach gar nicht erkannt, oft erst nachträglich und zufällig. Ballistische und forensische Untersuchungen haben die Deutschen bei den 40 Toten und 190 Verwundeten sicher nicht angestellt.

Nun muss aber irgendjemand geschossen haben.

Der Umstand ist doch aber, dass irgendwas die deutschen Truppen gegen die Zivilbevölkerung in Leuven aufgebracht haben muss.

Das war nicht irgedeine ausgeartete Eroberung der Stadt im Sturm, mit anschließenden völlig unkontrollieren Exzessen und Plünderungen, wenn es das gewesen wäre, wäre es am Tag der Besetzung oder unmittelbar danach passiert, aber nicht erst 6 Tage später.

Und bei Truppen, die sich zurückziehen wird völlig klar gewesen sein, dass wenn sie in Sichtweite des von deutschen Truppen bestzten Leuven von dort aus unter Feuer geraten sein sollten, es sich wahrscheinlich um friendly fire handelte, weil man sie auf die Entfernung irrtümlich für Belgier hielt oder nachstoßende belgische Angriffspitzen vermutete.
Selbst wenn irgendein Offizier auf die Idee gekommen wäre, dass in den Berichten an die forgesetzten Stellen als "Verlust durch Franctireurs" abzurechnen, um nicht die eigenen Truppen zu belasten, erklärt das nicht, warum zurückkommende Truppen daraus den Schluss hätten ziehen sollen, sie müssten sich irgendwie an der belgischen Zivilbevölkerung rächen, wo ihnen in diesem Fall klar gewsen sein dürfte, dass das aller Wahrscheinlichkeit nach friendly fire war, auch wenn das verständlicher Weise niemand einräumen will.

Sinnvolle Erklärungen für friendly fire im Stadtgebiet von Leuven selbst sehe ich nicht, man wusste dass die Stadt in deutscher Hand und Feindkräfte noch Km weit entfernt waren.

Und sofern Kellers behauptung die von Südosten in die Stadt einrückenden Truppen seien am massivsten beschossen worden, zutreffend sein sollte, wäre auch das sehr erklärungsbedürftig, weil die deutschen Besatzungstruppen absolut keinen Anlass hatten in dieser Richtung Feindkräfte zu vermuten, während die deutschen Stellen in Leuven sicherlich darüber informiert waren, dass aus dieser Richtung eigene Verstärkungstruppen anrückten, die zeitnah eintreffen würden.


Die Zivilbevölkerung war entwaffnet worden, die Zivilisten verfügten über keinerlei militärische Ausbildung.
Ausgeschiedende Reservisten, die nicht mobilisiert worden waren, taten das durchaus und vormalige Angehörige der Guarde Civique, hatten vielleicht eher eine paramilitärische, als eine militärische Vorprägung konnten aber sicherlich grundsätzlich durchaus mit Waffen umgehen.

Unter den gegebenen Umständen war es reiner Selbstmord, wenn Zivilisten, nachdem die belgische Armee sich zurückgezogen hatte, gegenüber zuletzt 15.000 deutschen Soldaten zu den Waffen ergriffen, die es nach zweimaligen Requirierungen immer noch in Löwen gab.

Es sei denn die Zivilisten hätten auf das baldige eintreffen eigener Truppen oder verbündeter Truppen zu ihrer Verstärkung gerechnet. Passt jetzt nicht ganz zum 1. Weltkrieg, aber denken wird z.B. mal an den Warschauer Aufstand im Herbst 1944.
In der gegebenen Situation, hatte die Zivilbevölkerung in Leuven druch denn kontinuierlichen Rückzug deutscher Truppen, möglicherweise auch vernehmbaren Gefechtslärm bei Tildonk (die Artillerie war über 8 Km Entfernung möglicherweise noch recht deutlich zu hören), gegebenenfalls den Eindruck, die eigenen Truppen würden in Kürze vor der Stadt auftauchen und versuchen sie zurück zu erobern.

In diesem Fall hätten sich möglicherweise auch Bedenken wegen Geiseln etc. eher verflüchtigt, denn ein Kampf um die Stadt zwische den regulären Truppenn hätte ohnedies zu Opfern unter der Zivilbevölkerung geführt.
Insofern die deutschen Truppen in der Stadt saßen und die belgischen sich näherten, durfte immerhin, wenn man voraussetzte, dass die Belgier noch näher kämen mit einem Rückeroberungsversuch und im Zuge dessen mit einem Artilleriebombardement der Stadt gerechnet werden.
Unter diesen Umständen hätte man möglicherweise zu dem Schluss kommen können, dass ein Aufstand gegen die Deutschen, wenn er zur Folge hätte, dass die sich panisch aus der Stadt zurückziehen oder wenn er den eigenen Truppen den Weg in die Stadt öffnete um diese ggf. im Handstreich nehmen zu können, die für die Zivilbevölkerung glimpfliche Variante gewesen wäre, als möglicherweise länger dauernde Artilleriegefechte unmittelbar um die Stadt.
 
Der Umstand ist doch aber, dass irgendwas die deutschen Truppen gegen die Zivilbevölkerung in Leuven aufgebracht haben muss.

Das war nicht irgedeine ausgeartete Eroberung der Stadt im Sturm, mit anschließenden völlig unkontrollieren Exzessen und Plünderungen, wenn es das gewesen wäre, wäre es am Tag der Besetzung oder unmittelbar danach passiert, aber nicht erst 6 Tage später.

Die waren aber doch schon aufgebracht und aufgeregt, als sie nach Löwen kamen. Der Widerstand der kleinen belgischen Armee kam überraschend. Anfangs war da noch recht verächtlich von Pralinen-Soldaten die Rede und man erwartete Franctireurs-Aktivitäten, man fürchtete sie, und die belgische Zivilbevölkerung wurde von Anfang an unter Generalverdacht gestellt.

Keller beschwört ein Bild herauf, dass die belgische Zivilbevölkerung in den Waffen geübt war, dass praktisch jeder Belgier zuhause ein Gewehr hatte, dass man auf die Jagd ging, und die belgische Zivilbevölkerung 1914 "Jagd auf behelmte Köpfe gemacht habe. Tatsächlich hat(te) Belgien ein relativ liberales Jagdrecht und auch ein recht liberales Waffenrecht. Eine relativ hohe Zahl von Belgiern besaß Waffen, konnte auch damit umgehen.

Das sogenannte August-Erlebnis sollte man kritisch sehen, das war, meiner Ansicht nach auch ein bisschen wie "pfeifen im dunklen Keller" Immerhin in ganz Europa meldeten sich junge Männer freiwillig, es gab Fälle von Jugendlichen, die ausrückten und sich Truppen anschlossen als "Kindersoldaten", und es ist immerhin denkbar, dass auch in Belgien Zivilisten sich versuchten, der Armee anzuschließen. Auch Horne und Kramer haben den vereinzelten Franctireur-Einsatz eingeräumt.

Immerhin hatte die belgische Armee aber nicht dazu aufgerufen, im Gegenteil nachdrücklich davor gewarnt. Die Deutschen haben davor gewarnt.

Die belgische Armee hat im Kriegsverlauf weitaus niedrigere Verlustziffern als Briten, Franzosen und Deutsche. Sie hat durchaus tapfer gekämpft, aber doch gesunde Zurückhaltung gezeigt, sich auf Materialschlachten einzulassen und sinnlos Menschenleben zu opfern. Im Großen und Ganzen wird man der belgischen Armeeführung und König Albert I. zugestehen, dass sie relativ verantwortungsvoll handelte, dass sie jedenfalls nicht zu unüberlegten Aktionen aufforderte, im Gegenteil sogar nachdrücklich davor warnte.

Die Bevölkerung verhielt sich ruhig in Löwen.

Die Franctireur-Vorstellungen waren bereits ausgeformt, als man Löwen erreichte.
Die belgische Bevölkerung wurde unter Generalverdacht gestellt
Man erwartete, auf Franctireurs zu treffen
Franctireurs waren bereits eine akzeptierte Tatsachen-Behauptung.
Die Mehrheit der deutschen Armee war von der Existenz von Franctireurs überzeugt wie im 16. und 17. Jahrhundert die Mehrheit der Bevölkerung von der Existenz von Hexen überzeugt war.
Die Franctireur-Phobie barg in sich bereits ein großes Gewaltpotenzial.

Wenn es einen Volkskrieg der Franctireurs gab, so war der Krieg ohne Uniformen natürlich ein Verstoß gegen Kriegsgesetze. Es war Terrorismus, und Geiselnahmen und Terror gegen Zivilisten schienen angemessene präventive Maßnahmen.

So gesehen barg die Franctireur-Phobie auch eine Entschuldigung für Terrormaßnahmen.
Belgiens Widerstand wurde vielfach generell die Legitimation abgesprochen. Belgien als nur nominell neutral und de facto Feind des Reiches eingestuft.

In Löwen hat sich die Gewalt allmählich hochgeschaukelt, und es bedurfte einer Provokation nicht.
Es haben die Deutschen schon in den ersten Tagen wahllos Geiseln genommen, und es sind deutsche Soldaten in die Häuser eingedrungen und haben Zivilisten getötet, und das geschah durchaus schon in den ersten Tagen, bevor dann schließlich die ganze Stadt in Brand gesetzt wurde.

Selbst wenn es in Löwen tatsächlich Franctireur-Aktivitäten gab, das deutsche Vorgehen gegen Zivilisten und das Niederbrennen der schönen alten Stadt samt ihrer Altstadt und ihrer Bibliothek war eine unglaubliche Barbarei, die Deutschlands Ansehen auch unter den Neutralen großen Abbruch taten.

In Dinant gab es noch weit mehr Opfer, aber das Massaker und die Zerstörung Löwens waren es vor allem, die das Bild der Barbaren, der Hunnen prägten.

Deutschland hatte sich über Belgiens Neutralität hinweggesetzt, und es war jedenfalls der Aggressor, der in der Pflicht war, die Franctireur-Vorwürfe zu beweisen und zu belegen. Franctireurs setzten jedenfalls das Leben ihrer Nachbarn, ihrer Familie auf recht verantwortungslose Weise aufs Spiel. Da wäre doch auch zu erwarten, dass sich das irgendwie auch in Quellen niederschlägt. Die Resistance hat einen Rattenschwanz an Konflikten zwischen Franzosen nach sich gezogen. Da hat dann auch mal jemand Widerstandskämpfer verraten, da gab es alte Rechnungen. Wenn es den groß angelegten Volkskrieg gegeben hätte, da hätte es doch auch mal Fälle gegeben, wo alte Rechnungen eine Rolle spielten, dass es Gegenstimmen gibt, wenn Irgendjemand sich entschließt, auf "behelmte Trophäen"zu schießen und seine Nachbarn dafür als Geisen erschossen werden.

Wenn es zum Volkskrieg, zum Partisanenkrieg kommt, dann machen nicht alle mit, dann gibt es auch einen "Volks-Bürgerkrieg", es kann gar nicht anders sein, dann tritt man auch Angehörigen des eigenen Volks auf die Füße, dann schlägt sich das auch in Quellen, Prozessen, alten Rechnungen nieder.

Wenn es doch so viele Franctireurs gab, da hätte man doch wenigstens mal einen ganz bösen/heldenhaften Frantireurs erwischen und zum Reden bringen müssen. Wenn Franctireurs so agierten wie die Deutschen unterstellten, so war das doch sehr rücksichts- und verantwortungslos. Da tritt man doch sehr vielen Landsleuten auf die Füße, da gibt es doch böses Blut. Gerade in Belgien, das immer schon eine sehr polarisierte Gesellschaft war: Flamen contra Wallonen, Arbeiter gegen Bürgertum, Intellektuelle gegen Bauern. Nun ist Belgien zwar auch bekannt, gewisse Ereignisse auszublenden. Die Kongo-Gräuel waren bis vor Jahren kaum präsent im Geschichtsgedenken, aber Franctireurs hätten viel böses Blut gegeben, und das hätte sich zumindest auch in Quellen niedergeschlagen. In den Quellen haben wir aber nur die anonymen Franctireurs und die Zivilisten, die man sich eben gegriffen hat oder die man erschossen hat. Wir haben dafür nur die Berichte in dem Weißbuch.



Da gibt es aus Dinant ja auch Lebensläufe und Biographien, und so recht vermag nicht zu überzeugen, dass ausgerechnet diese Zivilisten, darunter auch Frauen und Kinder sich mit der sehr nervösen, paranoiden deutschen Armee angelegt haben sollen, zumal sie unmittelbar Vergeltungsaktionen ausgesetzt waren.

Wie gesagt, nachdem die belgische Armee sich zurückziehen musste, nachdem nachdrücklich Aufrufe erlassen wurden, sich nicht mit den Deutschen anzulegen, nicht ihre Nachbarn damit Vergeltungsmaßnahmen auszusetzen.
Franctireurs mussten daher damit rechnen, dass sie für ihren Einsatz keine Anerkennung und Wertschätzung erwarten konnten.
Im Gegenteil! Es hat die belgische Regierung durchaus einiges getan, um einen Volkskrieg zu unterbinden, um auf die Bevölkerung mäßigend einzuwirken, um nicht Vergeltungsmaßnahmen heraufzubeschwören. Dass in Belgien durchaus viele Leute Waffen besaßen, auch dass die damit umgehen konnten, damit mag Keller Recht haben. Es hat die belgische Verwaltung Waffen eingesammelt, dann die deutsche Militärverwaltung, und da mag trotzdem immer noch einiges vorhanden gewesen sein.

Aber es haben die Deutschen von Anfang an, sehr deutlich gemacht, dass nicht mit ihnen zu spaßen war, dass sie bereit waren, knallhart durchzugreifen und dabei durchaus billigend in Kauf nahmen, dass viele Unschuldige dabei drauf gingen. Da war doch klar, dass der Krieg keine Fortsetzung der Jagd mit anderen Mitteln sein konnte und dass Jagdfieber, ein paar Löcher in Pickelhauben und "behelmte Köpfe" zu schießen, auf ganz gewaltige Einsprüche von Nachbarn, Verwandten und Landsleuten stoßen musste, die man mit solcher Jagdleidenschaft in Teufels Küche brachte. Da ist doch keineswegs zu erwarten, dass das allgemein auf patriotische Gefühle, Dankbarkeit und Anerkennung stoßen musste. Wer als Partisan mitmischte am Krieg nahm damit in Kauf, die Zerstörung der Heimatstadt und den Tod eines Teils ihrer Bewohner heraufzubeschwören. In diesem Fall musste man auch damit rechnen, dass so etwas keineswegs auf einhellige patriotische Begeisterung, Dankbarkeit und Anerkennung stoßen würde. Zumindest ein Teil der Bevölkerung musste solchen Plänen eher ablehnend gegenüberstehen.
 
Die Franctireur-Vorstellungen waren bereits ausgeformt, als man Löwen erreichte.
Was mir nicht einleuchtet: wenn die Angst vor französischen und belgischen Franctireurs so implementiert war, warum hat man dann nicht sogleich beim allerersten (völkerrechtswidrigen!) Schritt über die belgische Grenze eine tabula-rasa-Feuerwalze vorausgeschickt? Es musste doch, besagte Angst/Befürchtung praesupponiert, gleich als ein mindestens doppeltes Wagnis erscheinen, unter immensem Zeitdruck (Schlieffenplan, Wettlauf zum Meer) in derart gefährliches Gelände einzumarschieren - und kurioserweise hielt man zugleich das belgische Militär für keinen sonderlich ernst zu nehmenden Gegner...

Irgendwie sammeln sich Widersprüche, egal von welcher Seite aus man das betrachtet.

Und hinzu kommen lancierte Widersprüchlichkeiten: man wusste um die Beschaffenheit der belgischen Festungen (veraltet), die auch schnell fielen (hier wohl die meisten belgischen Verluste), aber zugleich trompetete man (Moltke), dass der schnelle Fall einer "modernen Festung" (Namur) ein "unerhörtes Wagnis, das gelingen müsse" sei... ((nebenbei was man wusste: man wusste, dass man sich bei Verdun eine blutige Nase holen wird, die Stärke dieser Position war bekannt und lästig - siehe Verdun Faden Link zu Krumeich Essay))
 
Keller beschwört ein Bild herauf, dass die belgische Zivilbevölkerung in den Waffen geübt war, dass praktisch jeder Belgier zuhause ein Gewehr hatte, dass man auf die Jagd ging, und die belgische Zivilbevölkerung 1914 "Jagd auf behelmte Köpfe gemacht habe.

Ich denke, dass ich doch auch deutlich gesagt habe, was ich von Kellers Stil und Schlussfolgerunge halte, nähmlich gelinde gessagt gar nichts.
Ich möchte nur der Vortellung widersprochen haben, dass alles was nicht in der regulären Armee war, weder Waffen besaß, noch wussste, wie damit umzugehen war.
Darüber wie viele Waffen in einzelnen bei der Zivilbevölkerung in Leuven im Umlauf waren, kann ich mir kein genaues Bild machen, daber die Vorstellung, dass ausgeschiede Reservisten und Ex-Mitglieder der aufgelösten Garde Civique nicht vernünftig mit Waffen hätten umgehenn können und so bewaffnet keine potentielle Gefahr dargestellt hätten, die weise ich zurück.

Immerhin hatte die belgische Armee aber nicht dazu aufgerufen, im Gegenteil nachdrücklich davor gewarnt. Die Deutschen haben davor gewarnt.[...]
Es geht doch hier überhaupt nicht um die reguläre Armee.

In Dinant gab es noch weit mehr Opfer, aber das Massaker und die Zerstörung Löwens waren es vor allem, die das Bild der Barbaren, der Hunnen prägten.

Steht außer Frage und in Dinant würde ich auch nicht infrage stellen wollen, dass das verbrecherische Handeln der deutschen Truppen unprovoziert geschah, nur erscheint mir alleine schon auf Grund der Abläufe der Fall Leuven etwas anders gelagert zu sein.

Deutschland hatte sich über Belgiens Neutralität hinweggesetzt, und es war jedenfalls der Aggressor, der in der Pflicht war, die Franctireur-Vorwürfe zu beweisen und zu belegen
Es geht doch hier nicht um das Thema Rechtmäßigkeit.
Was die deutschen Truppen auch in Leuven taten war unrechtmäßig/verbrecherisch, Punkt. Darum handelt es sich nicht.
Es geht darum ob etwaige Partisanen völlige Hirngespinste waren oder nicht.

Wenn es den groß angelegten Volkskrieg gegeben hätte

Ich denke, darüber, dass es den nicht gegeben hat, waren wir längst einig?
Keller unterstellt das, ich halte diese Behauptung Kellers für nicht hinreichend belegten Müll um es klar zu sagen.
Es geht mir um die Frage, lassen sich speziell in Leuven Aktivitäten von lokalen Partisanengruppen nachweisen oder erscheinen sie mindestens plausibel?

In Löwen hat sich die Gewalt allmählich hochgeschaukelt, und es bedurfte einer Provokation nicht.
Es haben die Deutschen schon in den ersten Tagen wahllos Geiseln genommen, und es sind deutsche Soldaten in die Häuser eingedrungen und haben Zivilisten getötet, und das geschah durchaus schon in den ersten Tagen, bevor dann schließlich die ganze Stadt in Brand gesetzt wurde.


Das Thema Geiseln ist weiter oben ja bereits erörtert worden, scheint damals ein durchaus akzeptiertes Mittel der Kriegsführung nicht nur bei de deutschen Truppen gewesen zu sein.

Und ich habe auch bereits mehrfach geschrieben, dass ich mir überhaupt kein Urteil darüber anmaßen möchte, wer mit den Gewaltaten nun begonnen hatte oder ob etwaiger belgischer Widerstand korrekt uniformiert war oder nicht und dementsprechend möglicherweise konform oder nicht konform mit der HLKO.

Das sind Diskussionen, die interessieren vielleicht Leute wie Keller, die das "Franctireur-Thema" unter dem Begiff "Schuldfragen" abhandeln wollen.
Das halte ich für Unsinn, weil selbst wenn Widerstand von belgischer Seite nicht entsprechend der HLKO geführt worden sein sollte, das das Ausmaß der Zerstörungen und Übegriffe in keinem Fall rechtfertigen kann. Punkt.

Mich intressiert nur, waren das reine Hirngespinste und die Übergriffe dementsprechend atosuggestiv intendiert oder gab es tatsächlich vermehrt widerstand, der in der Vorstellung der Soldaten mindestens als tatsächliche Franctireur-Aktivität aufgefasst werden konnte.

Dabei wäre auch vorauszusetzen, dass für die beteiligtenn Soldaten die Grenze zwischen Erlaubtem und nicht Erlaubtem möglicherweise nicht unmittelbar erkennbar gewesen sein dürfte.
Der Faden hat ja gezeigt, dass wir, die wir uns 100 Jahre später darüber unterhalten, die Bestimmungen der HLKO mitunter verschieden interpretiert und anders aufgefasst haben, als Juristen das gegebenenfalls tun, z.B. in der Frage, was denn ein angemessener Zeitraum sei, um sich zusammen zu finden und Erkennungszeichen zu beschaffen.
Wenn die juristische Auslegung, was da genau korrekt ist und was nicht, selbst für uns, die wir in der Regel etwas mehr als die damals gängige Volksschulbildung haben, nicht so ohne weiteres verständlich ist, werden die Grenzen für die damaligen Soldaten nicht weniger verschwommen und fließend erschienen sein.

Auch deswegen machen, wie ich das sehe Debatten darüber, wer die Sache nun angefangen hat oder ob eventuelle Freischärler regelgerecht uniformiert/gekennzeichnet waren, nur bedingt Sinn, sofern man sich nicht über irgendwelche unsinnigen "Schuldfragen" verzanken, sondern der Sicht der beteiligten Truppen einigermaßen gerecht werden will.

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Der Punkt wegen dem im Besonderen Leuven für mich interessant ist, ist derjenige, dass deutsche Verluste jedenfalls überliefert sind, es also unwahrscheinlich erscheint, dass es sich hier um ein vollständiges Hirngespinst handelt.
Und sofern das wie Keller in seiner Darstellung von Kühls Zusammentragen auf Tagebüchern basiert, die ursprünglich nicht für die Veröffentlichung bestimmt waren, hätte das auch einen ganz anderen Wert, als etwa das von Anfang an als Rechtfertigungsliteratur verfasste und für diesen Zweck zusammengestellte Weißbuch.

Das ich von Kellers Stil und seinen Schlussfolgerungen nichts halte, hatte ich bereits dargelegt.
Was ich bei Keller bisher nicht sehe ist dezidierte Quellenfälschung oder ganz bewusstes Verbreiten von gefälschtem Material und bewusste Abstellung seiner Argumentation auf Fälschungen und Lügen.
Dieser Vorwurf würde sehr schwer wiegen und den werde ich nicht so ohne weiteres erheben, bei aller berechtigten Kritik.

Und sofern man dann davon ausgehen möchte, dass die genannten deutschen Verlustziffern mindestens in der Tendenz den Tatsachen entsprechen, kann man das einfach nicht, als bloßes Hirngespinst abtun, wie Dion und Sitlicho das wünschen und sicherlich auch auch nicht als Folge spontaner Überreaktionen von unbesonnenen Einzelpersonen.
Friendly fire erscheint, insofern in der unmittelbaren Nähe von Leuven überhaupt nicht gekämpft wurde, keine wirklich plausible Erklärung.


Gegen die Gleichsetzung von Leuven mit Dinant und anderen Vorfällen wie das von anderer Seite versucht wurde, spricht die völlig unterschiedliche Abfolge.

Die meisten anderen Ortschaften, die es traf, wurden unmittelbar nach ihrer Eroberung verwüstet/terrorisiert, die Massaker an der Zivilbevölkrung fanden binnen Stunden danach statt.
In Leuven ist das anders.
In Leuven mag es vereinzelte Übergriffe gegeben haben, aber zu den wirklich großen Gewaltausbrüchen kam es erst knapp eine Woche nach der Bestzung der Stadt.

Dagegen, dass die Bevölkerung von Leuven seit der deutschen Besatzung unaufhörlich terrorisiert worden sein soll, wie Ugh das anführt, scheint die Zahl der Toten Zivilisten in Leuven zu sprechen, die sich auf etwa 250 zu belaufen scheint.
Wäre da tatsächlich über eine Woche lang wahllos auf Zivilisten geschossen und gemordet worden, inklusive der exremen Gewalterruptionen und etwaiger Brandopfer vom 25.-28. August 1914, würde die Zahl deutlich höher liegen.

Da gehen einige Dinge nicht zusammen.

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Ansonsten von meiner Seite her nochmal:

Es geht aus meiner Sicht explizit nicht um "Schuldfragen", deswegen interessieren mich Fragen, ob Widerständler korrekt uniformiert waren und wer nun angefangen hat, eigentlich nicht.

Wenn ich diese Dinge diskutiere, dann nur, weil ich den haarsträubenden Unfug, den vor allem Stilicho und Dion hier in die Welt setzen, die der Meinung zu sein scheinen, dass Gesinnung irgendwie wichtiger wäre als Fakten, nicht unkommentiert stehen lassen möchte.

Ich wiederhole auch gerne nochmal meine Einschätzung zu Keller (zu Spraul, den ich nicht gelesen habe, kann ich nichts sagen): Ich halte den Stil für unangemessen und die Schlussfolgerungen in Sachen Volkskrieg für unplausibel, was das angeht, bin ich ganz bei der Argumentation von Horne und Kramer.

Mir geht es tatsächlich um die Frage reines Hirngespinst vs. reale Vorfälle, die die vorhandenen Sentiments möglicherweise immer wieder zu bestätigen schienen.

Ich würde es beegrüßen, wenn man bei dieser Diskussion bleiben könnte und aufhören würde, zu versuchen das ganze immer wieder in Richtung irgendwelcher Schulddiskussionen zu framen oder zwecks Werfens von Nebelkerzen Fakten einfach mal für nichtig zu erklären oder mit einander nicht im direkten Zusammenhang stehende Ereignisse als einzig denkbare Erklärungsmuster heranzuziehen.
Letzteres geht vor allem an Dion und Stilicho.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nehmen wir das Landsturmbataillon Neuss. Es trifft am 24. per Bahn in Löwen ein und quartiert sich am Bahnhof ein. Am 25. wird eine Kompanie zum Nordwestausgang der Stadt beordert, um einen eventuellen Gegenangriff der Belgier entgegen zu treten. Unerfahrene und undisziplinierte Landsturmsoldaten, die eine Neigung zu Alkohol haben, werden also unter zusätzlichen Stress gesetzt. Nichts geschieht und sie müssen nach 1 Stunde zurück zum Bahnhof und treffen dort abends ein. Inzwischen kamen am Bahnhof neue Einheiten an und wurden rund um den Bahnhof einquartiert. Aber die Neusser glaubten sich laut Petri/Schöller alleine:

Durch die Wiedergabe von Aussagen zweier Offiziere, deren Landsturmeinheit in die erste Schießerei verwickelt wurde, konnte nachgewiesen werden, daß beteiligte Truppenführer außer ihren Einheiten keine oder nur wenige andere Truppenteile in Löwen glaubten....Bezeichnend dafür ist die Aussage des Leutnants Brand: „Am 25. 8. war überhaupt nur eine Kompanie und mein Zug in Löwen".

Eine schlechte Situation. Bald darauf nach 20 Uhr begann die Schießerei am Bahnhof.

In diesem Ablauf ist es für mich nachvollziehbar, dass es auch ohne Franktireure zu einer Schießerei kommen konnte. Genau so gut kann ich nachvollziehen, dass es noch Waffen und daran geübte Belgier in Löwen gegeben haben kann. Vom Sinn ihres Einsatzes muss ich jedoch noch überzeugt werden.

O.T. Die Neusser waren vermutlich mehrheitlich katholisch, nachweisbar der Kompanieführer Oberleutnant von Sandt.
Siehe Einwohnermeldekarte in https://www.stadtarchiv-neuss.de/pr...e/3_Preussenzeit 1814-1945/Metzdorf_Löwen.pdf
 
In diesem Ablauf ist es für mich nachvollziehbar, dass es auch ohne Franktireure zu einer Schießerei kommen konnte.

Allerdings scheint man, was ja durch die Nachforschungen belegt ist, in diesem Fall etwaige Verluste unter den eigenen Truppn ja auch nicht einfach als "Verluste duch Franctireurs" abgestempeelt zu haben, sondern der Sache schon einigermaßen ernsthaft nachgegangen zu sein.

Das würde jetzt für mich gegen die Annahme sprechen, man hätte einfach alles an Verlusten was irgndwie auf unangenehmes eigenes Versagen zurückgehen würde, pauschal auf irgendwelche Franctireurs geschoben und insofern wären die Quellen auch dahin zu lesen, dass das "Verluste durch Franctireur" zunächst mal nichts anderes wären, als Ausreden für friendly fire etc. bis das Gegenteil erwiesen wäre.
 
Allerdings scheint man, was ja durch die Nachforschungen belegt ist, in diesem Fall etwaige Verluste unter den eigenen Truppn ja auch nicht einfach als "Verluste duch Franctireurs" abgestempeelt zu haben, sondern der Sache schon einigermaßen ernsthaft nachgegangen zu sein.
Das ist beim Bataillon Neuss ganz eigenartig: es gab keine nennenswerten Verluste.

Tatsächlich meldete die deutsche Verlustliste für den gesamten Zeitraum vom 25. August bis zum 13. September 1914 für die 1. Kompanie des 2. mobilen Landsturm-Infanterie-Bataillons Neuß, die im Mittelpunkt des »organisierten Volksaufstandes« auf dem offenen Bahnhofsplatz unter gezielten Beschuss geraten sein soll, sechs (!) Verletzte.
Verlustliste vom 29. September 1914, Ausgabe 59, S. 627. Genannt werden die Landsturmmänner Josef Fenes, Albert Klönters, Josef Röseler und Heinrich Clemens aus Neuss, sowie Peter Kleu aus Glesch und Franz Bongartz aus Gindorf.


Somit müsste man annehmen, die Franktireure am Bahnhof hätten schlecht geschossen oder konnten in der Dämmerung nur noch schlecht treffen. Würde ein Franktireur überhaupt mit dem Schießen beginnen, wenn er davon ausgehen muss, nichts zu treffen?
»Die Belgier schossen schlecht, sonst wären die Verluste der Kompagnie größer gewesen.«
Neuß-Grevenbroicher Zeitung vom 27. Januar 1916.
 
Würde ein Franktireur überhaupt mit dem Schießen beginnen, wenn er davon ausgehen muss, nichts zu treffen?

Würde ich eher für unwahrscheinlich halten, zumal gerade bei Dämmerung oder vollkommener Dunkelheit er das Risiko eingehen würde, dass das Mündungsfeuer sehr gut sichtbar ist und von irgendwem wahrgenommen wird.

Offen gesagt, ich würde es auch generell für unwahrscheinlich halten, dass "Franctireurs" ausgerechnet in der Gegend des Bahnhofs wo mit viel deutscher Präsenz zu rechnen war, geschossen hätten.
Auf die Bedeutung der Bahnlinie Lüttich-Leuven-Mechelen-Antwerpen für die weiteren deutschen Bewegungen hatte ich ja bereits hingewiesen.

Wenn sich irreguläre Kämpfer im Schutz der Dunkelheit in die Nähe des Bahnhofs gewagt hätten, dann um die Bahnanlagen zu sabotieren, aber nicht um dort auf deutsche Truppen zu schießen und alles in Alarmbereitschaft zu versetzen.


Bei sechs Verletzten würde ich, was diesen Zwischenfall angeht, dann eher von friendly fire ausgehen, weil sich zwei kleinere Einheiten, die von der Anwesenheit der jeweils Anderen nichts wussten über den Weg gestolpert sind.
Da würde dann greifen, was ich weiter vorne zum Thema friendly fire gesschrieben hatte, nämlich dass dabei in der Regel geringe Verluste herauskommen, weil Treffer dadurch, dass das Ziel überhaupt nicht richtig gsehen und auf Verdacht geschossen wird, Zufallstreffer sind.

Nur da sind wir eben wieder bei genau dem Punkt:

Bei friendly fire, wenn zwei kleinere Trupps sich versehentlich gegenseitig besschießen, mag sein, dass dabei am Ende, wenn es schlimm kommt 1 oder 2 Dutzend Toten und Verletzte herauskommen.

Damit sind allerdings die Verlustzahlen von about 150 Toten und Verletzten, sofern man Kühls Angaben hier für einigermaßen authentisch hält (Spekulationen um Dunkelziffern mal außen vor gelassen), nicht zu erklären.
Um solche Verlustzahlen zu produzieren hätte schon in Battalions- wenn nicht in Regimentsstärke auf die eigenen Truppen geschossen werden müssen und das erscheint mir etwas weit heergeholt.
 
"Die ersten Schüsse, die auf Wellington abgegeben wurden, stammten von einem Battalion Nassauer, das in Panik geriet, als sie sahen, wie sich die Franzosen vor ihnen entfalteten." (Waterloo 1815)
Will damit sagen: ich halte im Krieg alles für möglich, von friendly fire bis zu unüberlegtem Schießen, auch ohne oder gegen ausdrücklichen Befehl. Und das ganz besonders, wenn es sich um wenig bis gar nicht ausgebildete Franktireurs/Partisanen einerseits und/oder noch unerfahrene Soldaten andererseits handelt.
Es ist da schwierig, mit Wahrscheinlichkeiten oder Logik zu arbeiten.

Gruß, muheijo
 
"Die ersten Schüsse, die auf Wellington abgegeben wurden, stammten von einem Battalion Nassauer, das in Panik geriet, als sie sahen, wie sich die Franzosen vor ihnen entfalteten." (Waterloo 1815)
Will damit sagen: ich halte im Krieg alles für möglich, von friendly fire bis zu unüberlegtem Schießen, auch ohne oder gegen ausdrücklichen Befehl. Und das ganz besonders, wenn es sich um wenig bis gar nicht ausgebildete Franktireurs/Partisanen einerseits und/oder noch unerfahrene Soldaten andererseits handelt.
Es ist da schwierig, mit Wahrscheinlichkeiten oder Logik zu arbeiten.

Das war zum einen allerdings auch noch eine vollkommen andere Art von Kriegsführung und zum anderen eine Situation, in der Tatsächlich Feindkräfte vorhanden waren.
 
Ein paar Worte zu Löwen.

Angeblich hatte die belgische Kavallerie am25.08/26.08 1914 mehrere deutsche Kompanien aus dem Dorf Werchter vertrieben. Diese deutschen Einheiten, die sich nach Löwen zurückgezogen haben, sollen für die anschließende panische Schießerei in Löwen ursächlich verantwortlich sein.

Eine andere Variante liefert Wolfgang Schievelbusch. Danach sollen die deutschen Soldaten vom Alkohol und wüsten Frantireur-Fantasien berauscht sich gegenseitig für belgische Partisanen gehalten haben und das Feuer eröffnet haben. Schievelbusch verzichtet auf Ortsangaben und der Nennung von Belegen.

Werchter sollt dann am 28.August dann Opfer deutscher Verbrechen geworden sein. Hier sollen dann 20 Zivilisten ermordet und 270 Gebäude zerstört worden sein.

Was erzählen uns die deutschen Quellen?

Die Geschichte des IR 42, Verfasser Hanns Mayer, informiert uns darüber, dass das „Regiment die traurige Pflicht gehabt habe, am Abend zwei belgische Bürger zu erschießen, die mit der Waffe in der Hand am Abend im Biwak bei Werchter angetroffen waren. Man fand bei Ihnen richtige Mobilmachungsvorschriften und Anweisungen, wie sie sich gegen die feindliche Armee zu verhalten haben. Bei aller Anerkennung dieser Bürgerwehr, war es doch ein schändliches Handwerk aus dem Hinterhalt und im Schlaf deutsche Soldaten zu morden.“


Am Morgen des 19.August wurde die Belgier weiter verfolgt. Dem IR 42 wurde freigestellt, entweder in den verschonten Häusern von Werchter Unterkunft zu beziehen oder zu biwakieren. Das Biwak wurde vorgezogen, da man dort nicht so leicht der Gefahr ausgesetzt war, im Schlaf ermordet zu werden.

Zu diesem Zeitpunkt brannte Werchter. Warum ist nicht klar.

Jedenfalls folgte der aktiven Truppe die Reserveformation; hier das RIR 52 welches vom 25.08. bis 27.08.1914 in Raum Sempst eingesetzt gewesen war (16km von Werchter entfernt). Leutnant d.R. Richter berichtet:

„Drei Tage lang lag unsere Kompanie, von aller Welt verlassen, in Werchter in Deckung. Es kam uns nicht recht geheuer vor. […] Am 25.08. nachmittags prallten feindlich Kavalleriepatrouillen an eine dicht am Orte von uns besetzte gelegene Brücke. Wie ließen 20 Mann ausschwärmen und das Gelände absuchen. Dann eilte wir mit zwei Mann voraus und kamen dicht ans nächste Dorf, hier bekamen wir Feuer wobei Leutnant Schollmeyer die tödliche Kugel erhielt. Ringsrum in den Dörfern donnerten die Kanonen und stiegen Rauchwolken auf. Da wir ohne jede Kenntnis waren, ob und wo von uns Truppen lagen, zogen wir uns auf die Chaussee zurück. Wir waren höchst erfreut, als wir auf der Straße nach Werchter – Löwen unsere Kompanie und noch ein Bataillon 24er trafen. Unsere Kompanie hatte an der Brück eine breite Verteidigungsstelle eingenommen, als die feindliche Artillerie begann Werchter zu beschießen. […] Um 01.Uhr Nachts wurde uns an der Brücke klar, das der Feind zurückgegangen war und keinen Angriff mehr auf unsere Stellung beabsichtigte. Wir zogen uns daher befehlsgemäß an Löwen heran, wo wir am Vormittag eintrafen und zum Abend Biwak bezogen.“

Die Darstellungen weichen also doch voneinander ab. Wie eingegrabene kampfstarke deutsche Artillerie von belgischer Kavallerie vertrieben sein soll, leuchtet nicht so recht ein.

Die deutsche Kompanie traf erst am Morgen des 26.August am Ortsrand von Löwen ein; kann also nicht für die am 25.08.1914 beginnende in Löwen verantwortlich zeichnen.

Aus der Regimentsgeschichte des RIR 52 von Herbert Ullrich geht hervor, das am26.August in Haecht, ein Nachbarort von Werchter, die Erfahrung, das die belgischen Einheiten sich zurückzogen. Und zum Erstaunen, „war die ganze belgische Stellung übersät mit weggeworfenen Uniform- und Ausrüstungsstücken. Die Belgier trugen offensichtlich unter der Uniform Zivilkleidung, um je nach Situation als Soldat oder Heckenschütze auftreten zu können.

Aus der Geschichte des RIR 8 von Karl August Rohrbeck erfahren wir, das dieses Werchter verließ. Das RIR 75 (Regimentsgeschichte von Dietrich Mahnke) verblieb noch während des 26.Augusts in Werchter. Der Ort wurde von den Deutschen durchsucht. Man fand 10 verwundete belgische Soldaten, die von den eigenen Truppen zurückgelassen worden waren und nun ins deutsche Lazarett geschafft wurden. Werchter wurde zur Verteidigung eingerichtet. Die in der Kirche versammelt Bevölkerung wurde nach Rotselaer, also rückwärts, gebracht. Mehrere Häuser, die das Schussfeld behinderten, wurden niedergebrannt.

Am 28.August 1914 waren also keine belgischen Einwohner mehr in Werchter. Wie sollen denn am diesen Tage Erschießungen von Zivilisten stattgefunden haben? Von amtlicher belgischer Seite gibt es insgesamt fünf verschiedene Varianten dieser Ereignisse.

Am 28.August schickte der belgische Außenminister aus Antwerpen eine Telegramm nach London und informierte über die Ereignisse in Löwen. Die furchtbaren Geschehnisse waren am 27.08. zu Ende. Am gleichen Tage wollen die Belgier in von deutschen Truppen besetzten Stadt Löwen eine Untersuchungskommission eingesetzt und diese am gleichen Tage abgeschlossen haben wollen und dann das Ausland informiert.

Die OHL informierte darüber, das man einen Ausfall aus Antwerpen befürchtete und die in der Stadt Löwen befindlichen deutschen Truppen in Richtung Antwerpen in Marsch gesetzt worden waren. Als die 2.Staffel des Generalkommandos sich auf dem Marktplatz bereit ,zum Abmarsch machte, wurden sie unter Beschuss genommen. Auch am Bahnhof, wo gerade Truppen ausgeladen wurden, wurde das Feuer eröffnet. Es entwickelte sich ein grauenhafter Straßenkampf.
 
Die Geschichte des IR 42, Verfasser Hanns Mayer, informiert uns darüber,
Veröffentlicht 1927
IR 42 – GenWiki

Aus der Regimentsgeschichte des RIR 52 von Herbert Ullrich geht hervor, das
Veröffentlicht 1919
RIR 52 – GenWiki

Aus der Geschichte des RIR 8 von Karl August Rohrbeck erfahren wir, das
Veröfentlicht 1934
RIR 8 – GenWiki

Das RIR 75 (Regimentsgeschichte von Dietrich Mahnke) verblieb noch
Veröffentlicht 1936
RIR 75 – GenWiki

Solche Regiments-Erinnerungsprotokolle, die Jahre später herauskamen, sind natürlich immer mit quellenkritischer Vorsicht zu genießen.
Hast du das selbst recherchiert oder aus Spraul oder Keller zitiert?
 
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