Pro et contra der 'waskonischen Hypothese' Theo Vennemanns

...
Welchen Sprachfamilien oder Ursprachen die Alteuropäer angehörten, lässt sich nicht mehr ermitteln, da sie wenig Texte hinterlassen haben. An vorindoeuropäische Sprachen Europas sind aus der Antike z.B. Iberisch, Etruskisch, Ligurisch oder Minoisch überliefert. Ob und in welche Ursprachen oder Sprachfamilien sie sich einordnen lassen, ist strittig.
dazu kommen wieder die Linguisten in's Boot. Es ist doch unzweifelhaft, dass viele geographische Bezeichnungen auf römische oder keltische Wurzeln zurück geführt werden können.
Campodunum => Kempten usw usw usw usw
Diese Namensweitergabe belegt eine kontinuierliche Besiedelung, denn nur so lassen sich diese Traditionen erklären.
Nun hat Vennemann weitere tradierte Namensbestandteile gefunden, die sich einer "vorindogermanischen" Sprache zuordnen lassen - die durch indogermanische Sprachen überlagert wurden. Und genau diesen Prozess der Überlagerung zeigen auch die wiedergegebenen genetischen Analysen.
Wir haben also zwei getrennte Beweisketten, die sich gegenseitig ergänzen könnten
- einmal archäologische Fundstücke und Genanalysen von zugehörige Körperbestattungen
- und ein andermal die Linguistik, die mit ihren Methoden zu gleichen Ergebnissen kommt.

Warum soll man dann nicht in Versuchung geraten, 2 und 2 zu addieren?:winke:
 
Nun hat Vennemann weitere tradierte Namensbestandteile gefunden, die sich einer "vorindogermanischen" Sprache zuordnen lassen - die durch indogermanische Sprachen überlagert wurden. Und genau diesen Prozess der Überlagerung zeigen auch die wiedergegebenen genetischen Analysen.

Zunächst einmal handelt es sich um eine Behauptung. Nur weil Vennemann etwas sagt, ist das noch lange nicht gesetzt. Aus Vennemanns eigenen Texten geht hervor, dass etliche - auch zeitgenössische - Wissenschaftler anderer Auffassung sind. Das ist auch nicht weiter schlimm, Wissenschaft ist der stetige Drang das Wissen verbessern zu wollen, und dazu gehört nun mal auch der Widerspruch gegenüber den Vorgängern und Kollegen.

Und genau diesen Prozess der Überlagerung zeigen auch die wiedergegebenen genetischen Analysen.

Ja eben nicht, da die fraglichen Gebiete in Deutschland und Frankreich, in denen Vennemann waskonische Ortsnamen zu finden glaubt, eben Regionen sind, in denen die angeblich als "alteuropäisch" identifizierte DNA gar nicht vorkommt. Nochmal das Zitat aus dem von dir verlinkten Text:

Recent DNA tests from Neolithic sites in southern Germany and southern France lacked all trace of E1b1b.


Wir haben also zwei getrennte Beweisketten, die sich gegenseitig ergänzen könnten
- einmal archäologische Fundstücke und Genanalysen von zugehörige Körperbestattungen
- und ein andermal die Linguistik, die mit ihren Methoden zu gleichen Ergebnissen kommt.

Warum soll man dann nicht in Versuchung geraten, 2 und 2 zu addieren?:winke:

Weil a) nicht stimmt und b) umstritten ist.
 
Nun hat Vennemann weitere tradierte Namensbestandteile gefunden, die sich einer "vorindogermanischen" Sprache zuordnen lassen - die durch indogermanische Sprachen überlagert wurden. Und genau diesen Prozess der Überlagerung zeigen auch die wiedergegebenen genetischen Analysen.
Wir haben also zwei getrennte Beweisketten, die sich gegenseitig ergänzen könnten

Die von Vennemann behauptete germanische Substrattheorie gilt als widerlegt. Vermeintlich nicht indogermanische Wörter wurden von Sprachwissenschaftlern inzwischen in anderen indogermanischen Sprachen gefunden.

Andere indogermanische Sprachen enthalten durchaus vorindogermanische Substrate, was allerding kein Geheimnis und der Sprachwissenschaft seit langer Zeit bekannt ist. So gibt es z.B. vorgriechische und vorkeltische Substrate
 
Vennemann hat eine Zusammenschau seiner beiden historiolinguistischen Kernhypothesen in dem Sammelband Europa Vasconica - Europa Semitica vorgelegt,...

Der nun von verschiedenen Sprachhistorikern eine von Udolph, dem "Namenpapst" herausgegebene Antwort erhalten hat:
Europa Vasconica - Europa Semitica? Kritische Beiträge zur Frage nach dem baskischen und semitischen Substrat in Europa. Hamburg 2013. Mittwoch besorge ich mi den Schinken.

Die Frage, ob sich in Europa Relikte aus vor- oder nichtindogermanischer Zeit finden lassen, ist so alt wie die wissenschaftliche Erforschung des Wort- und Namenschatzes selbst. So ist eine gängige Annahme weit bekannt, wonach ein Drittel des germanischen Sprachbestands nicht etymologisierbar sei. In seinen Beiträgen hat sich der Münchener Sprachwissenschaftler Theo Vennemann gen. Nierfeld diesem Thema angenommen und kam zu dem Schluss, dass in weiten Bereichen Europas mit einem vaskonischen (= baskischen) wie auch semitischen Substrat zu rechnen ist. Bisher sind diese Vorschläge kaum diskutiert worden. Der vorliegende Sammelband enthält Beiträge von Sprachwissenschaftlern, Baskologen, Indogermanisten, Namenforschern und Semitisten aus Europa und Amerika sowie Fragen und Antworten zur Genforschung, die im Zusammenhang mit der Frage nach einem vorindogermanischen Substrat in Europa in die Diskussion eingebracht worden sind. Sprache und Besiedlung Alteuropas und die Methodik derer Erforschung bilden den Kern der Beiträge.
 
Seit Monaten dümpelt nun schon eine Datei auf meinem Rechner herum voller Zitate aus der Antwort auf Vennenmann und seine Epigonen, die Udolph herausgegeben hat.
Die Beiträger zu diesem Buch sind Indogermanisten, Baskologen und Semitisten, am Ende des Buches befindet sich ein Interview, wleches Udolph noch mit zwei Humangenetikern führt.
Zur Aufteilung des Buches: M.E. wäre es besser gewesen, wenn der Beitrag von Michael Meier-Brügger an erster Stelle gestanden hätte, der Beitrag von Peter Anreiter wäre dadurch in Teilen verständlicher geworden.

Dass ich die deutlichen Stellen herausgehoben habe, mag mir als unwissenschaftlich, oder schlimmer noch, als Häme ausgelegt werden. Das ist jedoch keine Absicht. Das Problem ist, dass die Argumentation zum Teil nur sehr schwer nachvollziehbar ist, da man fundiertes sprachgeschichtliches oder etymologisches Wissen benötigt und auch Kenntnisse speziell der Indogermanistik und der Baskologie bzw. Semitistik notwendig wären, um die Argumentation zu verstehen. Wenn sich eine Argumentation z.T. über mehrere Seite zieht, ist es zudem sehr mühsam sie abzuschreiben und das wäre noch rahmensprengender als dies hier ohnehin schon ist.
 
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Peter Anreiter

Peter Anreiter, der den ersten Beitrag schreibt, weist Vennemann Inkonsequenz bzw. Willkür bzgl. der Lautgesetze zu und kritisiert dessen methodisches Vorgehen.

Es gibt bask. garnu oder gernu, doch beide können nicht als Vorlage dienen, denn Harn muss über *χarn- auf *korn- zurückgehen. Daher setzt Vennemann für bask. gernu ein vaskonisches *kernu an, das "mit Senkung von *e vor *rC als K ͪarno ins Vordeutsche gedrungen ist". Das heißt es wird ein Lautgesetz vaskon. *k > bask. g) konstruiert, das überhaupt nicht gesichert werden kann, weil wir durch die Annahme eines "Vaskonischen" eine Zeittiefe erreichen, wo uns jede Kontrollinstanz fehlt. Übrigens verstehe ich manche Lautentwicklungen nicht: bask. Gernu < vaskon *kernu-, bask garba 'Krempel, Breche' < vask. *krapo einerseits mit bask. garba 'eingeschlechtliche Blüte' < vaskon. *gerwa, bask. gari 'Geteide Weizen' < vaskon. *gar andererseits. Liegt hier eine Doppelentwicklung von vaskon. *k vor? […] Und sollte bask gari tatsächlich aus vaskon gar stammen, [also mit Erhalt des Gutturals], verstehe ich nicht, warum sich vaskon. gat Passage zu bask. ate 'Tür' [also mit Verlust des Gutturals] entwickelt haben soll. Kann man für diese und andere Lautwandelerscheinungen ein nachvollziehbares Regelsystem aufstellen?
(Zur Kritik an der vaskonischen Herleitung des deutschen Wortes Harn durch Vennemann, S. 32)

Ähnlich zur anderen großen Hypothese Vennemanns, der Atlantidischen:

Aus phönizisch q-r-t wird ein atlantidisches Wort erschlossen, das die Vorlage für nhd Garten bildete. Also entspricht hier atlantidisch q dem nhd G. Aber andererseits wird das G in nhd. Geiß auf atlant. *g- zurückgeführt. Was gilt jetzt? War das ein Versehen? Handelt es sich hier um konfluente Lautentwicklungen? Ich hätte gerne eine schöne Übersicht über nachvollziehbare Lautgesetze.
(Zur Kritik an der atlantidischen Herleitung des deutschen Wortes Garten durch Vennemann, S. 41 f.)

Es ist bei Vennemann häufig folgende Vorgehensweise beobachtbar: Man nimmt ein Wort W aus einer indogermanischen Sprache S, das tatsächlich oder angeblich schwierig zu etymologisieren ist. Dann sucht man sich ein baskisches Wort W´, das mit W eine gewisse äußere Ähnlichkeit aufweist und auch semantisch passt. Und da ja angenommen wird, dass das Baskische ein organischer Fortsetzer des Vaskonischen ist (dessen Existenz ja erst einmal plausibel nachzuweisen wäre!) konstruiert man zu W´ eine vaskonische Wortform W´´, die aber nicht auf Basis gediegener Lautgesetze gewonnen wird (ja, gar nicht gewonnen werden kann), sondern so gesetzt wird, dass es auch für W als Vorform dienlich sein kann. Dass man dabei alle möglichen und unmöglichen Lautveränderungen bemühen muss, um wiederum von W´´ zu W´ zu gelangen, scheint vennemann nicht sehr zu stören. Schlimmer noch, es wird immer suggeriert als sei dann als Konklusion des Ganzen der Entlehnungsweg von W´´ zu W wissenschaftlich "bewiesen" anzusehen.
(Zur Kritik an der vaskonischen Herleitung des lateinischen Wortes grandis S. 32 f.).

[FONT=Verdana, sans-serif]Es ist u.a. dies, was mich an Vennemanns Entlehnungstheorien schon ein wenig stört: die teilweise nicht zielführende Methodik. Denn wenn diese einmal schräg ist, sind es die daraus gewonnenen Ergebnisse meistens auch. Kurz: Brauchen wir ein atlantisches Lehnwort? - Auch hier scheint Vennemann seine eigenen Laut"gesetze" zu verletzen: Haus wird mit akkad. Ḫuṣṣu 'eine Art Rohrhütte' in Verbindung gebracht, wobei atlant. *χ → paläogerman *k ͪ ), aber Horn mit akkad. qarnu(m). Ist dann german. H Reflex von zwei verschiedenen atlantischen Lauten?
Hierzu muss man aber sagen, dass das durchaus möglich ist, da in historischer Zeit durchaus nachweisbar. So fallen z.B. arabisches /ğ/ und /š/ zu mittelspanisch /ʒ/ und neuspanisch /χ/ zusammen: So járabe – Sirup (dieses über das Italienische) von šaraba trinken, aber Gibraltar – ğabal Ṭāriq, Guadalajara Wādī al-Ḥağara


Hin und wieder kann sich Anreiter auch eines gewissen Sarkasmus nicht erwehren:

"Vielleicht liegt es an meiner gering ausgebildeten Zerebralkapazität, aber je häufiger ich das Kapitel 20.2.4 durchlese, desto verwirrter werde ich."
(Zur Kritik an der vaskonischen Herleitung des deutschen Wortes Gemse S. 36 f.).


Nachdem er Vennemann über 60 Seiten widerlegt hat, schließt Anreiter mit dem an Vennemann gerichteten Dank, dass dieser ihn gezwungen habe, sein heiles indogermanistisches Weltbild zu überdenken. (S. 62 f.)
 
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Lakarra

Lakarra, baskischer Baskologe an der Universität des Baskenlandes zeigt sich enttäuscht:

In spite of such flattering perspectives, an attentive reading von V[ennemann]s extensive article does not, unfortunatly, authorise us to conclude that here we find the great advance we could have expected for our field of study.
In what follows, while retaining a neutral stance between the analysis which V proposes for the toponymical data and Kitsons 1996 reply, we will show, that V's linguistic reconstruction does not correspond, in crucial aspects, to what we can reasonably assume about the structure of Protobasque, and that, therefore we cannot relate Old European with the Basque Language. (S. 66)

We have already indicated our surprise at the fact that V, in defence of his thesis, does not use any terms taken from B toponymy. […] Can this be attributed perhaps to the undeveloped state of B toponymic studies or is it perhaps that the author did not find what he was looking for? (S. 84)
Eine Stelle aus dem Artikel von Lakarra habe ich weniger wegen Vennemanns Hypothese(n) kopiert als vielmehr weil ich parallel Hennerbichlers Die Herkunft der Kurden las. Hennerbichler fällt nämlich in seinem Buch, welches er im Vorwort als "Handbuch" anpreist u.a. auf Arnaíz Villena herein, ein baskischer Immunologe, der mit Hilfe des Baskischen das Ertruskische, Kurdische und Altägpytische neu übersetzen will. Schuster, bleib bei deinem Leisten!

Other contemporary and more recent authors […] including Turkish, Ancient Egyptian, Hittite, etc. new translations via Basque Language hardly deserve to be mentioned outside publications concerned with spiritis or black magic, were it not for the peculiar arrogance, impertinence and ignorance of their authors. (S. 86, FN 49)​

As far as I can see, V is completely 'original' (in the worst sense!) when he affirms that the majority of B dialects do not have h and that in those in which it does exist, it is in generally free variation with zero. (S. 96)

none of the roots or suffixes listed by V for Old European looks like anything in B, save (inevitably) for the root *Is, which V of course wants to identify with Azkue's putative B root *iz 'water', discussed and dismissed as a phantasm. (S. 108)
Vennemann identifiziert das auslautende -a bei vielen Gewässernamen mit dem enklitischen baskischen Artikel -a. Lakarra dazu:

in any case, the identity of tha -a withe the definite article in Post-Aquitanian B is anything but obvious. We know without any doubt that this article is a modern development in B, arising at the same time as the Romanic article (or perhaps somwhat later) and also, to a great extent, as the Germanic. There ist not a trace of it in Aquitanian onomastics and evident signs in the early centuries of the Middle Ages that it was starting to spread very slowly from very sparse beginnings. On the other hand, Old B (not PB....) had not only one article but several... (S. 115)
Im Verlauf seines Textes wirft Lakarra Vennemann mehrfach Manipulationen auf verschiedenen Ebenen vor, um seine Hypothesen zu stützen.
 
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Michael Meier-Brügger bemängelt bei Vennemann „klingklangliche Assoziationen“ (S. 155).

Udolph merkt man z.T. eine gewisse Genervtheit an, die ich gut nachvollziehen kann:

Unkenntnis lautgeschichtlicher Entwicklungen zeigt sich sowohl bei Th. Vennemann wie bei seinen Anhängern. Es befremdet, wenn man bei Böhm […] liest, Unna in Westfalen lasse sich mit der Una, einem Bach in Kroatien verbinden. Es reicht nicht aus, anscheinend ähnlich gebildete Namen miteinander zu vergleichen. Bei onomastischen Laien mag man noch ein gewisses Verständnis dafür aufbringen, so vergleicht auch – wieder einmal, muss man sagen – H. Delkus Unna mit der kroatischen Una.
Meier Brügger, S. 151, übt zunächst Kritik an der Indogermanistik, aber nicht an ihren Methoden, sondern an ihrer Zurückhaltung gegenüber Vennemann. Dann zeichnet er die Genese der waskonischen Hypothese bei Vennemann in dessen Werk nach:

...factoisierende Tendenzen [sind] bei Vennemann ganz deutlich auszumachen. In seinen früheren Arbeiten unterscheidet er noch ganz klar zwischen Fakten und Spekulationen und signalisiert dies seinem Zuhörer und Leser auch deutlich […] es lässt sich aber schön zeigen, dass in den jüngeren Beiträgen die Tendenz sich immer stärker verfestigt, die früheren Spekulationen als etablierte Fakten zu sehen. Die Gefahr wird umso verführerischer, je mehr Vennemann, die Möglichkeit bekommt, auf seine eigenen immer zahlreicher werdenden Publikationen idiosynkratisch zu verweisen. S. 153 f.

Vennemanns Szenario ist eine interessante Hypothese, die weder verifiziert noch falsifiziert werden kann. Meier-Brügger, S. 157.​

Lutz Reichardt kritisiert in Nachfolger Hans Bahlows zunächst außerlinguistische Argumentation:

Diese Annahme (vom früheren Eintreffen der "Vaskonen") beruht auf einer außerlinguistischen Argumentation, nämlich der Tatsache, dass bei den betreffenden Orten teilweise seit der Jungsteinzeit Siedlungen archäologisch nachweisbar sind, und der daraus gezogenen Schlussfolgerung, dass Siedlungskontinuität vorläge und damit Namenkontinuität durch alle nachfolgenden Sprachschichten hindurch. Diese Argumentation ist in keiner Weise zwingend, da schon eine Siedlungslücke von wenigen Generationen die Namenüberlieferung abreißen lassen konnte und natürlich jederzeit eine Neubenennung […] möglich war. (S. 160)
Vennemann kehrt den normalen methodologischen Weg der rückschreitenden Namenerklärung vom Deutschen über das Germanische, das Galloromanische und das voreinzelsprachlich Indogermanische um... (Ebd.)​

Wolfgang P. Schmid:
Methodische Bemerkungen zur Klassifikation: Alteuropäisch meint etwas ironisch:

Es ist zwar durchaus legitim, die […] Annahme vom idg. Charakter der alteuropäischen Hydronomie in Zweifel zu ziehen und sie durch andere Annahmen zu ersetzen, aber man muss sich im Klaren darüber sein, dass die keineswegs neue Vermutung […] ihre Vertreter in Beweisnot bringt, denn die idg. Sprachen in Europa sind eine Tatsache, das 'Vaskonische' aber eine sowohl linguistisch als auch archäologisch unbeweisbare These (wenn auch ehrwürdigen Alters).

Nimmt man aber an, dass die Verschmelzung mit dem voridg. Substrat zu einer Zeit erfolgte, als die sich ausbreitenden idg. Sprachen noch einen idg. Lautstand besaßen, könnnten die Substratwörter nur in der Gestalt idg. Erbwörter auftreten. Die Variationen, die Vennemann für die Annahme baskischer oder vaskonischer Etyma aber braucht, wären dann gar nicht möglich. Er muss also mit einem längeren Nebeneinander von Substrat und Superstart rechnen. […] Schließlich will er mit seiner Theorie auch erst aus nachchristlicher Zeit überlieferte Ortsnamen wie München und Garmisch-Partenkirchen erklären. Tatsächlich wird aber mit dieser Erweiterung eine wesentliche Schwächung seines Standpunktes erreicht. (S. 170)

Wenn man das Baskische als Repräsentant einer einst weit verbreiteten vor-idg. Sprachgruppe Proto-Vasconic auffasst und dieser eine Ausdehnung zuschreibt, die mit der alteuropäischen Hydronomie übereinstimmt, dann sollte man erwarten, dass gerade in den Pyrenäen und in den angrenzenden Gebieten an der Biscaya ein Häufigkeitszentrum der Hydronomie auftauchen müsste. Soweit ich das sehe, ist das jedoch nicht der Fall. (S. 179)
Dazu interessant eine Bemerkung von Udolph, S. 226:

Entscheidend sind dabei die Verhältnisse im Baltikum, denn gerade dort befindet sich ein Zentrum der alteuropäischen Hydronomie. […] Schon jetzt kann man sagen, dass das starke Vorkommen vieler der von Th. Vennemann für baskisch gehaltener Namen in Osteuropa, das baltische Zentrum der alteuropäischen Hydronomie und der dichte Nachweis alteuropäischer Namen in Polen Fakten sind, die nachhaltig gegen ein baskisches Substrat in Europa sprechen.

Allerdings scheint Th. Vennemann, man kann das jedenfalls einer Äußerung seiner Schülerin A. Böhme entnehmen, inzwischen auch Osteuropa als vom vaskonischen Substrat erfasst zu betrachten. (Ebd.)
Hayim Sheynin, Indo-European, Old European, and Afrasian, or contra Vennemann:

S. 187:

One would wonder why the Indo-European words of Semitic proveneance were not discovered by the great linguists in the 19th and 20th centuries. V.'s answer to this question is that most of these words are coming from Afroasiatic languages which were not learnt in the schools. However this explanation cannot be true. Most of the Semitidic etyma are taken from well known Semitic languages, such as Akkadian, Aramaic, Hebrew, Phoenician, Arabic , Ethiopian (Geez), Amharic, Tigre, Tigrinya, Gurage, South Arabic. All these languages were studied in European universities and have rich traditions especially in German scholarship before 1929...“

To support his theory V. refers to extra-lingustic evidence. (S. 187)

A sizeable number of roots identified by V. have forms which would have been impossible in Proto-Basque, e.g. the roots with inital m-, p-, r-. (S. 190 – hier zitiert Sheynin eigentlich Lakarra)
Hayim Sheynin wiederum fällt in das entgegengesetzte Extrem, welches ebenso unglaubwürdig ist, wie die waskonische Hypothese Vennemanns, er beruft sich dabei auf Kitson:

Kitson […] states […] that the earliest Brits – British beaker folk – came from the Rhine-Elbe region. […] This leaves us with 'Old European' being completely Indo-European.“ (S. 193)
Das hieße im Klartext, dass die Basken nicht erst heute, sondern schon immer isoliert gewesen seien. Zusätzlich ist hier zu sagen, dass er bei Kitson gelten lässt, was er selbst und andere Vennemann vorwerfen: Außerlinguistische Argumentation. Wobei es durchaus einen Unterschied darstellt, wie man die Archäologie für seine Argumentation heranzieht.
 
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And the pope of names himself: Udolph

Nach Udolph, S.227 erklärt Vennemann Ar- und Or-Namen mit dem vaskonischen aran 'Tal', "ich habe für mehrere dieser Orte die Topographie studiert und festgestellt, dass sie alle durch eine ausgeprägte Tallage bestimmt sind", was Udolph mit dem Verweis auf die Erde-Gruppe im Germanischen in Abrede stellt:

got. aírϸa anord. jǫrd ahd. ero eng. earth aber auch Kies/Sand (jörfi) Ahrbecke also als Sandbach.​

228 f. Arberg → Bezug auf Berg- nicht Tallage. Udolph kann hierfür aber keine überzeugende Etymologie anbieten, die Etymologien die sich auf Sand/Kies, germanische Gewässerbezeichnungen oder Personennamen berufen, hält er für ebenso unwahrscheinlich bzw. unmöglich.

232 f., Bsp. Ahrensburg:
Wie fast immer bei seinen Versuchen beachtet Th. Vennemann die Fuge zwischen Bestimmungswort und Grundwort nicht und verliert kein Wort über das konstant erscheinende -s- bei Arnes-feld. Erneut muss man darauf hinweisen, dass dieses -s- auf eine Verbindung mit einem Personennamen verweist, es sei denn, im Bestimmungswort läge ein Appelativum vor, das einen-s-Stamm aufweist o.ä. […] Es muss nachhaltig und nochmals betont werden, dass für die Etymologie eines Ortsnamens die Fuge zwischen Bestimmungs- und Grundwort von elementarer Bedeutung ist.
233 Arundel, hier begreife ich die Kritik an Vennemann nicht:
bei Watts, English Place Names 18 wie auch bei Mills, British Place Names 19 als ältesten Beleg 1086 Harundel, so dass sich ein baskisches aran in diesem Fall in Luft auflöst.​

Udolph 233 Bsp. Arendal (Schweden):
Vennemann bedient sich einer Methode, die jeder onomastische Laie in gleicher Weise anwendet: Ähnlichkeiten genügen, um eine schlüssige Etymologie zu entwerfen.
Udolph 250:
Wer nach Substratresten in deutschen Ortsnamen sucht, sollte über derartige Fakten informiert sein. [gemeint ist im konkreten Fall die onomastische Forschung zum Ortsnamen Ebernburg und der Fuge -n- die "beweist, dass nicht das Tier Eber gemeint sein kann" und der Ortsname von einem Personennamen abgeleitet ist] Leider kann man Th. Vennemann und seinen Anhängern auf dem Gebiet der Morphologie deutscher Ortsnamen keinen hohen Kenntnisstand zubilligen. Das erschwert nicht nur die Diskussion, sondern fordert von den onomastisch Interessierten einen hohen Arbeitsaufwand ab. Auch in diesem Fall wäre es T. Vennemanns Pflicht gewesen, den entsprechenden Band über die Ortsnamen des Kreises Bad Kreuznach einzusehen und die Bemerkungen von H. Kaufmann, der alles andere als ein Mitläufer gängiger Theorien gewesen ist, zur Kenntnis zu nehmen.​

Udolph bemängelt wiederholt, dass Vennemann es versabsäumt, historische Namensformen von Orten heranzuziehen.

S. 252
Allein aus der Überprüfung dieser deutschen Ortsnamen [246 - 252] ergibt sich, dass Abbildung 4 in Vennemann 2003, 832 mit dem Titel "Fluss- und Siedlungsnamen mit Eber- in Europa" ohne Wert ist. Die hier etwas genauer behandelten Namen zeigen, dass die allermeisten mit einem Personennamen kombiniert sind. Das ergibt sich schon aus der Beobachtung der Fuge, auf die Th. Vennemann, wie so oft, nicht geachtet hat. Einige weitere erhalten die Tierbezeichnung, die auch in germanischen Personennamen einen hohen Stellenwert quer durch fast alle Sprachen besessen hat.
Bei den ibar-Namen auf dem Balkan, von Vennemann ebenfalls dem Vaskonischen zugeordnet, verweist Udolph auf das litauische aibrùmas 'wässern im Munde' und auf das griechische εἲβω 'tröpfeln, rinnen', "wobei aber das Griechische Probleme macht".

Udolph 269:
eine der großen Schwächen seiner Argumentation, die auch sonst sein Werk kennzeichnet: die Unberücksichtigung des östlichen Europa. Wer das starke Verb im Germanischen und nicht die offensichtliche Parallelität im Baltischen berücksichtigt, kann den Fakten gar nicht gerecht werden.
283 f.:
In jedem Fall sieht man bei den Bard- und Part-Namen, dass das Slawische und Baltische eine entscheidende Rolle spielen. Von diesen beiden Sprachen ist aber in dem gesamten Sammelwerk von Th. Vennemann an keiner Stelle auch nur ansatzweise die Rede. Es mag penetrant sein, wenn sich sozusagen darauf 'herumreite', aber es ist nun mal ein bisher nicht wiederlegtes Faktum, dass insbesondere dem Baltischen [...] eine ganz besondere Rolle in der Hydronomie, vielleicht sogar in der Indogermania insgesamt, zukommt.
Zwischen deutlichem Angenervtsein Udolphs auch mal ein Fünkchen Humor, S. 285:

Ein Slavist hat allerdings nur darauf gewartet, dass nach den angeblich vielfältigen Spuren des Vaskonischen auf der Iberischen Halbinsel, in Italien, Frankreich und Mitteleuropa nun auch Osteuropa mit einbezogen wird. Es fällt schwer, nicht ironisch zu werden und zu hoffen, dass die Vaskonisch-Welle am Ural zum Stehen kommt.
S. 287:
Die in diesem Zusammenhang vorgetragene These, semitische Spuren ließen sich etwa auch im Namen Irland nachweisen (Zur Etymologie von Éire, dem Namen Irlands, Vennemann 2003, 729 – 736), die allerdings eines Zusammenwirkens von Hebräern und Akkadern bedarf, scheitert […] an dem berechtigten Hinweis darauf, dass völlig unklar bleibt, "wie etwa, wo und wann Hebräer und Akkader sich zusammentaten, um einen solchen Namen zu schaffen" (Steinbauer, Vaskonisch, S. 63 f.) und raubt somit diesem Erklärungsansatz jegliche Akzeptierbarkeit.
S. 295 f.:
Sprachen verändern sich ständig. Anhand der Überlieferung der idg. Sprachen können wir dieses Faktum in hervorragender Weise über mehrere tausend Jahre hinweg verfolgen. Das hat zur Konsequenz, dass Gewässer- und Ortsnamen nicht mit Hilfe heutiger Sprachen erklärt werden können, sondern nur mit Hilfe der historischen Dimension, mit anderen Worten: Ältere und älteste Sprachstufen müssen untersucht und befragt werden... Die Versuche von Th. Vennemann widersprechen dieser einfachen und klaren Forderung diametral. Er zieht junge und jüngste Wörter des Baskischen heran, findet diese in europäischen Namen und behauptet allen Ernstes, dass damit die Namen geklärt sind. Wenn es stimmen würde, hätte das zur Konsequenz, dass sich die baskischen Appellativa in den letzten 6.000 – 8.000 Jahren nicht verändert haben. […] Wenn er allen Ernstes behauptet, ein norwegischer Flurname habe sich über 6.000 – 8.000 Jahre so wenig verändert, dass er problemlos mit einem baskischen Wort des 20. Jahrhunderts verglichen werden kann, so ist diese Methode #nicht mehr weit von der Scharlatanerie entfernt... […] Es reicht nicht aus, Wörter und Namen miteinander zu vergleichen, es ist darüber hinaus entschieden notwendig, die historischen Dimensionen zu beachten.​

S. 299 ff.:
Ich habe […] mehrfach bemängeln müssen, dass Namen falsch geschrieben wurden, ihre historische Überlieferung entweder überhaupt nicht beachtet wurde oder fehlerhaft recherchiert worden ist, dass die sorgfältigen Regionalstudien […] unbeachtet geblieben sind... Die geringe Qualität der Ortsnamenuntersuchungen zeigt sich […] in der Nichtbeachtung der Morphologie der Namen, also der Bildung, seien es Komposita oder Suffixbildungen. […] Entscheidende Mängel bei Th. Vennemann sind u.a.:
  1. Nichtbeachtung der Fuge […]
  2. Mißachtung historischer Belege […]
  3. fehlerhafte Beurteilung der Lautgeschichte […]
  4. Willkürliche Einschätzung angeblich baskischer Etyma […]
  5. Unzureichende Berücksichtigung bisheriger Etymologien [...]“
S. 310 f:
Demnach [wenn man Vennemanns Vaskonentheorie zu Ende denkt] sind die idg. Einzelsprachen nämlich aus dem Nichts heraus entstanden, denn Gewässernamen, die der alteuropäischen Hydronomie angehören sollen, seien ja aus einem vaskonischen Substrat heraus zu erklären. Wo aber sind dann diejenigen Gewässernamen zu suchen, die während des Prozesses der Entfaltung der idg. Einzelsprachen notwendigerweise entstanden sein müssen? Nach Th. Vennemanns Vorstellung gibt es nur […] folgende Schichten: vaskonisch und einzelsprachlich. Der mehr als ein halbes Jahrtausend und z.T. weit darüber hinaus andauernde Prozess der Entfaltung des Baltischen, Slavischen, Germanischen, Keltischen usw. aus einer idg. Grundlage heraus hätte also in den Namen Europas keinen Niederschlag gefunden. […] In der Übersteigerung seiner Vaskonen-Theorie hat Th. Vennemann offenbar nicht bemerkt, dass eine Eliminierung der alteuropäischen (=idg.-voreinzelsprachlichen) Namen nicht nur zu einem Chaos in der Frage der Herausbildung der idg. Einzelsprachen führt, sondern auch zu der Frage, wie Gewässernamen auszusehen haben, die dem noch nicht wesentlich differenzierten idg. Dialektbereich entstammen.
S. 319:
Wir finden deshalb keine voridg. Namen, weil eine kontinuierliche Namengebung Seßhaftigkeit der Menschen voraussetzt.
 
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Auch wenn ich großes Verständnis dafür habe, dass Udolph hin und wieder genervt wirkt, so hinterlässt er doch manchmal auch den Eindruck, als dürfe man gesicherte Etymologien nicht hinterfragen. Ob Vennemanns Ergebnisse und die seiner Adepten überzeugend sein können, steht zwar auf einem anderen Blatt, ihre Methoden sind jedenfalls nicht ausreichend. Dennoch muss man mit Sánchez Albornoz feststellen:

"Y las verdades científicas [...] son corregidas y perfeccionadas al correr de la historia. Newton ha sido rectificado por Einstein y éste lo será por otro hombre de ciencia del mañana."
Oder, um es mit Max Weber zu sagen:

"Wissenschaftlich aber überholt zu werden, ist [...] nicht nur unser aller Schicksal, sondern unser aller Zweck."​

Insofern muss die Infragestellung erlaubt sein (ich denke, das sieht auch Udolph so, aber manchmal hat man den Eindruck, dass er das nicht so sieht). Vielleicht sollte man aber mit der vorschnellen Theoriebildung etwas zurückhaltender sein.
 
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