Aufgrund eines anderen Threads lese ich eben
Herzens-Geschichten einer baltischen Edelfrau von Elisa von der Recke. Diese ist zunächst im Haus ihrer (ziemlich tyrannischen) Großmutter aufgewachsen, welche ziemlich dynastisch dachte, ab dem 11. Lebensjahr dann aber im Haus ihres bereits zum dritten Mal verheirateten Vaters.
Als sie 14 ist, werden ernsthafte Heiratsverhandlungen in Betracht gezogen. Die Grafen von Ketteler haben offenbar große Besitzungen in Lettland. Der alte Graf ist ein "Erzverschwender", der in Wien lebt, auch seine Frau, die Gräfin und der junge Graf werden von Elisa von der Recke als verschwenderisch dargestellt. Die Gräfin bemerkt gegenüber Medem, Elisas Vater, dass ihr Sohn großherzig sei, aber das ist wohl nur als Euphemismis für verschwenderisch zu verstehen. Der junge Graf wird von Elisa als Uhrensammler beschrieben, der sich mal eben mehrere Uhren (Taschenuhren, Tischuhren, ein Uhr für den Reisewagen) zulegt. Es wird vertraglich vereinbart, dass Medem, der als guter Gutsverwalter gilt (der aus einem Gut, dass 1000 Thaler abwürfe, 1500 Thaler Gewinn erwirtschafte), die Güterverwaltung übernimmt und seine Tochter zur Gräfin wird, um diese Güter vor dem Ruin zu retten:
Mein Vater hatte den Ruf, einer der größten Landwirte und Güterverbesserer zu sein, der da, wo andere 1000 Taler einnehmen, durch Industrie und zweckmäßige Projekte wenigstens 1500 Taler jährlich macht, und so hatte der Oberhofmeister Medem und die Gräfin den Plan, daß der alte Graf seinem Sohne die Güter abtreten, dieser die Schulden des Vaters übernehmen und diesem eine jährliche Pension zahlen sollte. Der junge Graf würde mir auf den Fall, daß er ohne Kinder stürbe, seine Güter und Schulden hinterlassen. Nur müsse seine Mutter und sein Vater die bestimmte Pension erhalten, und seine Mutter lebenslänglich auf Essern leben. – Der junge Graf übertrüge dann meinem Vater die ganze Verwaltung seiner Güter, und er behalte sich nichts vor, als die Pension für seine Eltern, für sich, für seine Frau, und die freie Wohnung auf seinen Gütern für seine Mutter, für sich und seine Frau. Er und seine Eltern wollten sich gerichtlich verpflichten, nie einen Heller Schulden machen zu können, weil die Esserschen Güter als das Eigentum meiner Kinder und als das meinige angesehen werden sollten, aber mein Vater müsse dagegen auch den Esserschen Schuldnern und den Eltern des Grafen mit seinen Gütern für ihre allgemeine Sicherheit haften.
Das zieht sich über mehrere Kapitel in den Erinnerungen von Elisa von Recke hin, die zitierte Passage stammt aus Kapitel 21, in Kapitel 24 entscheidet sich Elisa, deren Stiefmutter nach anfänglicher Zustimmung gegen den zukünftigen Schwiegersohn sowohl beim Vater, als auch bei der Stieftochter agitierte (den Vater warnt sie, dass er Verschwender bleibe und wenn er - Medem - stürbe, die Schuldenlast des Grafen auf seinen Kindern und seiner Witwe lasten würde, die Stieftochter macht sie auf sein kindliches und herrisches Gehabe aufmerksam), endgültig gegen die Heirat. Aber nun, was zur
Perücke gesagt wird:
Kapitel 21:
Drei Dinge mißfielen mir am Grafen; er trug eine Perücke, hatte ein etwas ausgeschlagenes Gesicht und die Wiener Aussprache, die ich noch nie gehört hatte, denn die Aussprache seiner Mutter war durch ihren langen Aufenthalt in Kurland sanfter geworden, obzwar sie sich immer von der unsrigen noch sehr unterschied. Die Gräfin war eine geborene Wienerin, eine Gräfin Wallenstein; sie war Hof- und Kreuzdame bei Maria Theresia gewesen.
[...]
Schnell entflohen diese acht Tage, und obzwar der Graf hie und da etwas sagte, das mir mißfiel, so vergaß ich das alles gleich, sobald ich um seine Mutter war.
[...]
Es wurde gescherzt, gelacht, der Graf kam hinzu, die Mutter sagte es ihm in einem artigen Säftchen, daß ich sie lieber, als ihn, heiraten wolle. Der Graf suchte seinen Mißmut zu verbergen. Meine Stiefmutter neckte ihn über seine Perücke und versicherte, daß mir Perücken zuwider wären; die Gräfin sagte: »Die würde Franz gleich beiseite schaffen, wenn er es nur seiner Kopfschmerzen wegen dürfte.« – »Nein, nein, rief ich aus, die Perücke muß bleiben!« – Mit einem forschenden und zärtlichen Tone fragte er mich: »Hat denn wirklich meine Gesundheit für Sie Wert?« – »Sind Sie denn nicht der einzige Sohn meiner lieben Gräfin?« – »Wieder nur Sohn,« sagte er verdrießlich. Nun sagte die Mutter zu ihm: »Der Sohn ist schon eine schöne, sichere Brücke zu ihrem Herzen, suche du als solcher diesem Herzen näher zu kommen.«
In Kapitel 24 wird das Perückenthema wieder aufgegriffen, als Elisa die halb ausgemachte Verlobung löst:
Mein Vater versicherte mit innigster Herzlichkeit, er würde sich nie in dies Verhältnis eingelassen haben, wenn meine Stiefmutter nicht ihren Beifall gegeben hätte. Diese erwiderte: da habe sie noch nicht den zum ewigen Leitbande bestimmten Grafen gekannt. Diese Äußerung befestigte meinen Entschluß, dem Wunsche meiner Stiefmutter gemäß, die ganze Heirat bestimmt zu zerreißen, doch eine Kleinigkeit erschwerte meinem Herzen die Ausführung. Den Tag vor seiner Abreise erschien der Graf ohne Perücke. Er hatte von dem Tage an, da er meine Abneigung gegen Perücken bemerkt hatte, den Entschluß gefaßt, sein Haar wachsen zu lassen, dies aber bis zu dem Tage unter seiner Perücke zu verstecken, da wir wären versprochen worden. Dann hätte er in eigenem Haar erscheinen wollen, um mir den Beweis zu geben, daß von dem Tage an, wo es festgesetzt worden sei, daß wir uns gewiß angehören werden, das Geschäft seines Lebens, in kleinen, wie in großen Dingen, dies sein sollte, daß er sich mir zu gefallen bestrebe. Die gewöhnliche Art der Freier sei die, in allen Neigungen und Wünschen der Geliebten zu schmeicheln, um als Ehemänner zu herrschen. Er habe bisher als Liebhaber einen ernsten Weg genommen, um als Gatte einst Liebhaber und Freund zu bleiben. – Mich rührte dieser Zug von Kettler, aber meine Stiefmutter machte die Geschichte der Perücke gegen mich so lächerlich, daß ich mich vor mir selbst schämte, daß, wie meine Stiefmutter sich ausdrückte, eine solche kindische Fratze mich gerührt habe. – Ich erklärte dem Grafen in Gegenwart meiner Eltern unablässig, daß ich es fühle, daß wir zwei zu heterogene Wesen wären und daher nie durch einander glücklich sein könnten; ich bäte also, daß er um unser beider Zufriedenheit willen seine Bewerbung aufgebe. – Wenn ich den wirklichen Schmerz des Grafen sah, dann war ich in Gefahr, weich zu werden, aber ein Blick von meiner Stiefmutter gab mir die Kraft, meinen Ausspruch zu wiederholen.
Also: Unterhalb der Perücke geschorenes Haar, offensichtlich aber
ohne Notwendigkeit des Perücketragens.