Du differenzierst leider zu wenig zwischen dem, was ein Redner WILL, dem, was ein Redner (taktisch) SAGT, und dem, was ein Zuhörer VERSTEHT. Schon deshalb erscheint mir Dein Schluss vom Verstehen (der deutschen Zuhörern) auf die außenpolitische Intentionen FDRs doch ziemlich fragwürdig zu sein.
Ein Differenzierungsproblem erscheint mir eher daraus zu entstehen, dass Deine Interpretationen meiner Aussagen nicht meinen Aussagen entsprechen.
Wenn ich in #13 ausführe, mir fehlen Belege, um der Chicago-These und der DR-These zu folgen, dann ist das eben so, wenn auch dE fragwürdig. Der Rest aus #9 ist Tuchman und Friedländer, andere können gerne folgen.
Wenn jemand (Roosevelt) etwas sagt, gehe ich erstmal ohne weitere Skepsis davon aus, dass
er sagt, was er will. Hier entsteht das erste Problem, nämlich dass dieses "Sagen" in der Bedeutung nicht nur einigen auf den politischen und militärischen Bühnen wenigen unklar blieb:
1. Beispiel Deutsche Reich: siehe oben
2. Beispiel GB: dargestellt zB bei Gibbs/Butler, Grand Strategy, Vol. I, S. 399.
3. Beispiel: innenpolitische Folgen USA, siehe oben.
Der "Wille" desjenige bleibt Spekulation, selbst anhand der Aussagen. Wir können aber anhand der Rahmenumstände Rückschlüsse tätigen: 1937 hat Roosevelt a) die erneute Depression, verursacht durch den schweren Fehler der Mindestreservepolitik 1936 und der Defizitverringerung 1936, b) die soeben getätigte Aggression Japans gegen China, die unter anderen USA-Interessen direkt verletzte, verbunden mit Massaker und Anfangserfolgen c) randlich die europäische Krise mit einem sich imperialistisch gebärdenden Italien und einem spanischen Bürgerkrieg (beides aufgrund der Bevölkerungsteile beachtlich) interessiert. Er hatte 1937 also wichtige Sorgen als Deutschland, unterstellt man ihm nicht hinsichtlich Hitler weitergehende Propheterie. Selbst wenn, war Hitler 1937 in erster Linie ein europäisches "Problem":
"Der alte Kontinent interessierte viele Amerikaner nicht (Anm: seine Politik wurde im Gegenteil weitgehend verachtet).
Hitlers Revisionismus stellte die USA nicht vor bedrängende politische und strategische Probleme, zumal nicht bis 1938. Die Rheinland-Besetzung erweckte hier (USA) keine Besorgnisse, wenn auch Roosevelt selbst seit 1933 Hitlers Politik kritisch verfolgte, ohne allerdings Konsewuenzen für die USA selbst zu befürchten. So war denn seine Chicagoer Quarantäne-Rede vom 5.10.1937 - übrigens stärker gegen Japan als gegen Deutschland gerichtet - mehr ein allgemeines Signal als ein Zeichen für eine bereits auf dem Weg befindliche Politik."
Deist/Messerschmidt/Volkmann/Wette, DRZW I, S. 635.
Die Perzeption der Rede in den deutschen Akten - die britische Seite habe ich nun von der politisch-strategischen Aufnahme her oben ergänzend zitiert (mit geteilten Fronten in der britischen Regierung, Skepsis in der Aufnahme und empfundener Störung der Appeasement-Politik) - bietet natürlich lediglich Rückschlüsse auf die Zielrichtung der Rossevelt-Rede, mehr nicht, aber auch nicht weniger. Mehr solltest Du aber da auch nicht hinein interpretieren.
Zum Meinungsstreit um die Rede:
Mir erscheint die Diskussion um die Reichweite der Rede auf/gegen das Deutsche Reich von daher interessant, weil die gewisse Teile der Literatur hier revisionistisch aufsetzen und eine Stoßrichtung (siehe "Kriegserklärung" oben) konstruieren. Ich halte das für absurd und gegen jede Fakten gerichtet:
1. das betroffene Deutsche Reich hat das selbst nicht empfunden
2. Rossevelt hat den Anlaß der Rede aus der aufschwellenden Aggressivität Japans (hauptsächlich, s.o.) und Italiens (Spanien/Abbessinien) gezogen (hieraus resultiuert der Plural der Aggressoren). Das DR sollte sich sicherlich mit angesprochen fühlen, weil es mit den beiden bereits "paktierte" etc. Der behauptete Anlaß "Deutschland" für die Rede ist ebenso wenig zu belegen wie die Hauptdrohung bzw. Kriegserklärung gegen Hitlers Politik. Wie oben gesagt, hier lagen für die USA noch wenig Probleme, Roosevelt interessierte sich in 1937 außenpolitisch vorwiegend für den Pazifik und die Krise China/Japan.
Zu dem Ostasienbezug noch folgende Untersuchung der militärisch/strategischen Konsequenzen der Rede, denn hier wurden schließlich drohende Kriege angesprochen:
Nach dem innenpoltischen Erdbeben folgte erste "Taten" aus der Analyse: am 28.1.1938 erklärte R. die nationale Verteidigung als unzureichend imVerhältnis zu dem "threat to world peace and security." USFP, S. 403, Message to the Congress. Direkte Folge als Ergebnis der strategischen Analyse: Ausbau der Flotte, daneben zB. Flugabwehr, nicht jedoch Flugzeuge!
Der mit dieser Rüstungsforderung angesprochene Hauptgegner war Japan (siehe oben, Grew, Hull, Roosevelt), nicht das Deutsche Reich mit seinen nach damaliger Sicht kümmerlichen und auch noch durch GB begrenzten/blockierten Marinerüstungen.
Das nochmals ausgeweitete Flottenrüstungskonzept der Two-Ocean-Navy, also unter Erweiterung der alten japanischen Bedrohung um die Kontrolle des Atlantiks, resultiert aus europäischen Entwicklungen 1938 -1940, verstärkt 1940 aus aus der Kontrolle des (west-)europäischen Kontinents durch Deutschland im Zuge der frz. Niederlage. Mit der politischen Entwicklung einher ging dann auch die vorwiegend gegen Osten, nicht gegen Westen gerichtete Luftrüstung (siehe zB. die Bedrohungsstudie Atlantik-Afrika-Südamerika gegen das Deutsche Reich vom 23.3.1939)
alles nach: Craven/Cate, The Army Air Forces in WW II, Vol. I.
Fazit: erst mit den Krisen 1939 in Europa verschoben sich die politisch-strategischen Schwerpunkte gegenüber der Sichtweise Roosevelts im Oktober 1937. Hier liegen wir wohl auseinander.