Ich würde gerne nachvollziehen können, wie man ein System unterstützen respektive nicht anklagen kann, das Menschen aus politischer Willkür verhaftet, einsperrt und hinrichtet (vgl. Hilde Benjamin, Verstrahlung von inhaftierten BRD-Bürgern vor der Heimreise), darüber hinaus auch bespitzelt (vgl. StaSi) und jegliche Opposition gewaltsam unterbindet (vgl. blutige Niederschlagung von Aufständen). Und wie ist es möglich, dass derlei psychische, verbale und physische Gewalttaten so gedeutet und wiedergegeben werden, dass eine unglaubliche Relativierung stattfindet.
Ich verstehe nicht, wie man die Geschichte der DDR nüchtern-neutral, fast beiläufig erwähnen kann, wenn dieses System doch genauso unrechtens und gewaltsam war wie zum Beispiel das Dritte Reich, südamerikanische Diktaturen und sonstige europäische Diktaturen.
Mit deinen bislang erworbenen Erkenntnissen wirst du kein (persönliches) Verständnis finden.
Es reicht nicht aus, schlaglichthaft mit ein paar Fakten einen Staat als Terrorregime zu deklarieren und dann Unverständnis ob der Reaktion der Bewohner zu artikulieren.
M.M.n. ist es ein Kardinalfehler, die Geschichte der DDR ohne die hist. Situation betrachten zu wollen, sprich ohne den Bezug auf die nichtvorhandene Souveränität.
Und damit sind wir mitten im Kalten Krieg, mitten in der Besatzungszeit beider deutscher Staaten, mitten im Ringen der beiden Systeme und deren Supermächte.
Um dies zu illustrieren einmal 2 amerikanische Meinungen zum Mauerbau:
Senator Fulbright 30. Juli 1961:
"Wenn sie ihre Grenze abriegeln wollen, können sie das nächste Woche tun - und sogar ohne vertragsbrüchig zu werden. Ich verstehe nicht, weshalb die Ostdeutschen ihre Grenzen nicht schon längst zugemacht haben, denn ich glaube, sie haben jedes Recht dazu." [1]
oder Kennedy höchstselbst:
"Eine Mauer ist, verdammt noch mal, besser als ein Krieg." [1]
Noch eine sowjetische Einschätzung von Valentin Falin:
"Nach den Ereignissen in Ungarn, im Nahen Osten und in Polen gewann das Thema Stabilität für Chruschtschow an Aktualität. Der zentrale Punkt war die innere Stabilität der DDR. Ich denke, dass die Krise der DDR, die mit der Katastrophe von 1989 endete, bereits 1953 begonnen hat. Die Zahl derer, die das Regime in der DDR unterstützten, war nie höher als dreißig Prozent, in der Regel niedriger. Folglich stellte sich irgendwann die Frage, die DDR entweder aufzugeben oder an der Grenze zur Bundesrepublik eine Ordnung einzuführen, die es ermöglichte, die Menschen daran zu hindern, das Land zu verlassen." [2]
Ohne Washington oder Moskau ging nichts.
Der zweite Kardinalfehler ist, die DDR auf die Merkmale eines Terrorregimes reduzieren zu wollen.
Die DDR unterschied sich doch schon von der Bundesrepublik in sozialen Fragen der Kinderbetreuung, Bildung, der Subventionen für Lebensmittel oder Wohnraum. Zudem waren Gespenster wie Arbeitslosigkeit ... kein Thema.
Wie Galeotto schon ausgeführt hat, ist das eine Frage der zeitlich bezogenen Wahrnehmung. So wie er habe ich keine Verhaftung erlebt, die Organisation "Horch und Guck" war legendär aber für mich nicht erlebt.
Was den Geheimdienst/Polizei selbst angeht, seit Mon. Fouché, den wohl Erfinder der struktuierten geheimen Polizei, gibt es kein System, dass nicht sein Heil auf Überwachungsmaßnahmen etc. zum Schutz seiner Existenz zurückgegriffen hätte. Das aktuelle Beispiel NSA zeigt doch nur, dass diese "Kraken" demokratisch nicht kontrollierbar sind.
Was nun den Blick zurück angeht, sicherlich gibt es "Wendegewinner", denen es materiell besser geht. Es gibt aber auch Verlierer, die ins kalte Wasser der Marktwirtschaft geworfen, arbeitslos geworden sind ... oder z.B. den Kleingärtner, der nach bundesdeutschen Kleingartengesetz jetzt viel stärker gegängelt wird als zu Ostzeiten.
Dass sich da der eine oder andere die alten Zeiten - zumindest partiell - zurückwünscht, dürfte nachvollziehbar sein.
Ja, ich weiß, Vergleiche hinken. Vllt. ist das zu vergleichen mit den Soldaten, die 1814 nach der Abdankung Napoleon auf Halbsold gesetzt wurden, und ihm 1815 bei seiner Rückkehr die Treue hielten.
Grüße
excideuil
[1] Wolf, Markus: Spionagechef im geheimen Krieg. Erinnerungen, List, 1997, Seite 141
[2] Wolf, a.a.O. Seite 132