Römische Besatzungspolitik in Germanien

@Wilfried: zur Lagerung in Speichergruben im Erdreich: Annahme ist, dass sie hauptsächlich für das Saatgut verwendet wurden. Ansonsten sehe ich es ähnlich, meiner Ansicht nach ist die Landwirtschaft im Lateneraum natürlich an klimatische und geologische Bedingungen geknüpft. In "Studien zur Lebenswelt in der Eisenzeit" (2006, de Gruyter) gibt einen interessanten Artikel von Willerding (Landnutzung während der Eisenzeit im mittleren Deutschland), in dem er Wintergetreideanbau im Leinetal feststellt, im Kernsiedlungsbereich der Cherusker -dies bestätigt meiner Ansicht nach (siehe Diskussion unter Kelten, wie weit sind die Kelten nach Norden...), dass der rhein-weser-germanische Bereich in den Latenewirtschaftraum einbezogen war. Ein schönes Beispiel für diesen Raum:
Auf der Pipinsburg bei Osterode wurden verkohlte Reste von Kulturpflanzen
– wie bei den Ausgrabungen in anderen eisenzeitlichen Siedlungen – in
der Füllung von Siedlungsgruben gefunden. Außerdem wurde eine mehrere
Zentimeter mächtige Schicht verkohlten Getreides festgestellt. Vermutlich handelt es sich dabei um die Überreste eines abgebrannten Speichers bzw.einer Scheune. Unter den verkohlten Pflanzenresten sind vor allem Emmer, Dinkel, Saatweizen und Hirse mit größeren Mengen vertreten. Neben denbei den Spelzweizenarten kommt auch der freidreschende Saatweizen vor,häufig in der Form aestivo-compactum, die durch ihre kurze, fast kugelige Gestalt auffällt. Von den Leguminosen sind, wie schon zuvor, Erbse, Ackerbohne und Linse kultiviert worden. Mohn, Leindotter, Lein und Hanf konnten zur Gewinnung von Öl eingesetzt werden. Damit sind die im mittleren Deutschland für die Latènezeit typischen Kulturpflanzen nahezu vollständig vertreten, z. T. in größeren Mengen (Willerding 1974). Auf den Parabraun-Lössböden im Leinetal scheint eine Landwirtschaft betrieben worden sein, die sich nur wenig von der "keltischen" Landwirtschaft weiter südlich absetzt, allerdings stärker von der nördlich und östlichen "germanischen" Landwirtschaft.
 
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:weinen:Ich habe selbst meinen letzten Beitrag gelöscht:motz:

@Wilfried: man nimmt an, dass Erdspeichergruben für das Lagern des Saatgutes des nächsten Jahres dienten.
Ansonsten sehe ich es genauso, dass die Latenelandwirtschaft von naturräumlichen und klimatischen Bedingungen abhängig war, außerdem bedingt eine arbeitsteilige Gesellschaft auch, dass es eine landwirtschaftliche Überproduktion gegeben haben muss. Eine Nord-Südgrenze ist deswegen zu vermuten, nur wo verläuft sie? Im Sammelband "Lebenswelt in der Eisenzeit" (de Gruyter, 2006) gibt es einen interessanten Beitrag von Willerding - Zur Landnutzung während der Eisenzeit im mittleren Deutschland - in dem er für das Leinetal und seine Parabraun - Lössböden eine Speltweizenanbau nachweist (zahlreiche Fundstellen bei Göttingen, Norten) - daher auch interessant der Fund im Zentralort (Oppidum?) Pippinsburg:
Auf der Pipinsburg bei Osterode wurden verkohlte Reste von Kulturpflanzen
– wie bei den Ausgrabungen in anderen eisenzeitlichen Siedlungen – in
der Füllung von Siedlungsgruben gefunden. Außerdem wurde eine mehrere
Zentimeter mächtige Schicht verkohlten Getreides festgestellt. Vermutlich handelt es sich dabei um die Überreste eines abgebrannten Speichers bzw.
einer Scheune. Unter den verkohlten Pflanzenresten sind vor allem Emmer,
Dinkel, Saatweizen und Hirse mit größeren Mengen vertreten. Neben den
beiden Spelzweizenarten kommt auch der freidreschende Saatweizen vor,
häufig in der Form aestivo-compactum, die durch ihre kurze, fast kugelige
Gestalt auffällt. Von den Leguminosen sind, wie schon zuvor, Erbse, Ackerbohne und Linse kultiviert worden. Mohn, Leindotter, Lein und Hanf konnten zur Gewinnung von Öl eingesetzt werden. Damit sind die im mittlerenDeutschland für die Latènezeit typischen Kulturpflanzen nahezu vollständig vertreten, z. T. in größeren Mengen (Willerding 1974).
Das Leinetal zählt eigentlich zum Kernsiedlungsraum der politischen / kulturellen Gemeinschaft Cherusker, von "Rhein-Weser-Germanen", die so meine These in den Wirtschaftsraum Latene mit einbezogen waren (siehe auch unter Kelten, wie weit sind die Kelten nach Norden...)
Zu den "germanischen" Siedlungen schreibt Willerding:
"Anders verläuft die Entwicklung während der Römischen Kaiserzeit in den
germanischen Siedlungen. Während alle Weizenarten noch fehlen, dominiert
die Gerste und mit gleicher Anteilshäufigkeit die Rispenhirse. Von den Ölfrüchten sind Lein und Leindotter vertreten. Wie Tacitus berichtet, wurde bei den Germanen die Leinfaser auch zur Herstellung von Textilien verwendet.Das ist inzwischen in Norddeutschland durch entsprechende Funde von Leinenfäden mehrfach bestätigt (Schlabow 1976). Vermutlich gilt es entsprechend auch für das mittlere Deutschland."
 
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@tejason:
Vorbemerkung: Der sich in der Diskussion spannende Bogen von Kelten zu Wikingern ist sicherlich sehr weit. Dies liegt allerdings auch daran, dass das Forum diesbezüglich unglücklich strukturiert ist. Wo diskutieren wir denn das vorrömische Germanien - "Frühzeit des Menschen"? Und die hier durchscheinende Frage - Was war vor den Römern, was entstand durch sie, und was blieb von allem? - scheint offensichtlich nicht nur mich zu interessieren.

Völkerwanderung Ostdeutschland: Gibt es hierzu einen gesonderten Thread? Sonst nur soviel: Neuere Grabungen (z.B. Urnenfeld Bad Segeberg) und diverse Pollenanalysen deuten darauf hin, dass tatsächlich ein fast kompletter germanischer Rückzug aus später slawischen Gebieten erfolgte. Warum dem so war, bleibt rätselhaft. ebenso, wieso einige Siedlungsinseln (z.B. Niemcza, Schlesien) sich hielten.
? A20 - die längste Ausgrabungsstelle Schleswig-Holsteins ? [Archäologie Online] ? ?
Niemcza ? Wikipedia

@tejason, Biturigos:
Kelten: Zwar wurden nach den römischen Eroberungens Galliens und Britanniens im Westen "Römer" und "Kelten" weitgehend deckungsgleich, für den Südosten gilt das jedoch nicht. Ich vermute, dass im Markomannenreich einiges aus dem Reich der Bojer fortlebte, vielleicht auch einige Überlebende des illyrische Aufstands das Nordufer der Donau aufsuchten. Ravenik mag hier mehr wissen. Parallelen zwischen Marbod und Ariovist, aber auch ein Vergleich der römischen "Markomannenpolitik" zur Germanenpolitik am Rhein, könnten diskussionswürdige Themen sein.
Zur Keltisierung des Mittelgebirgsrands gibt es eine interessante Analyse südniedersächsicher Latene-zeitlicher Höhenburgen, die vielfältige Parallelen zwischen dem dort gefundenen Wagenzubehör und solchem aus Manching aufzeigt (die Vermutung kompletter "Wagengräber" wird jedoch verneint). Auch hier scheint es, wenn ich die zitierten Forschungsergebnisse richtig deute,, landwirtschaftlich einen gewissen Bruch gegeben zu haben, "keltische" Metallurgie hat jedoch, wie auch um Wetzlar, offensichtlich fortgelebt.
Nur am Rand erwähnt sei das südthüringische Walldorf (Werra), dessen erste urkundliche Nennung 982 als "Wallachdorf" erfolgte. Der Name spricht für sich!

@ Biturigos:
Kohl (Brassicae): Das grundsätzliche Problem scheint zu sein, dass - mit Ausnahme des Rapses - die Blätter (Kohl) bzw. Wurzelstrünke (Rüben) genutzt werden, die keine "haltbaren" Überreste, d.h. Samen, in Fundstellen einbringen. In Pollenanalysen ist kaum zu unterscheiden, ob es sich um Wildformen oder gezielte Kultivation handelt. Hier stößt die Archäobotanik offenbar an methodische Grenzen.
Die Diskussion geht daher in eine andere Richtung: Kohlgewächse gehören zu den wenigen schon vor der Entdeckung Amerikas vorhandenen Vitamin C-Lieferanten, die auch im Winter verfügbar sind. Die Römer hatten hier auch ihre Zitronen, Datteln, getrocknete Feigen etc., nördlich der Alpen gab es aber ansonsten eigentlich nur Schlehen, Hagebutten und (Dörr-)Äpfel. Da die Sicherung ausreichender Vitamin C-Versorgung im Winter zweifellos erheblichen evolutionären Vorteil bietet, wird vermutet, dass Bevölkerungswachstum ohne Kohl- bzw. Rübenanbau nicht stattgefunden haben kann. Hier wären Skelettuntersuchungen auf Vitamin C-Mangelerscheinungen hilfreich, dummerweise überwogen bei den Germanen jedoch Feuerbestattungen. Wenn also nicht irgendwer irgendwann einen Sauerkrauttopf mit erhaltenem Inhalt ausbuddelt, werden wir vermutlich noch lange auf Mutmaßungen angewiesen sein.
Du hast jedoch den (mir schon wieder entfallenen) Hinweis Plinius auf die germanischen Pastinaken gebracht. Nach Plinius ließ Tiberius sie extra aus Germanien importieren, da muss also schon etwas Marktproduktion vorhanden gewesen sein. [Ich glaube nicht, dass Tiberius die Pastinake beim Plündern germanischer Hausgärten "entdeckt" hat.]

Roggen: Flächendeckender Roggenanbau ist für NW-Deutschland seit dem 3. Jh AD pollenanalytisch gesichert. Er gilt als wesentlicher Grund dafür, dass die Germanen (im Gegensatz zu den Einwohnern des Römischen Reiches) die zu dieser Zeit einsetzende Klimaverschlechterung unbeschadet überstanden, ja sogar (archäologisch dokumentiert) die Gehöftanzahl je Siedlung teilweise deutlich anstieg.
Der Brandenburger Befund, dass Roggenanbau dort bereits um die Zeitenwende einsetzte, war mir neu, basiert jedoch ebenfalls auf Pollenanalysen (14, über das gesamte Bundesland und Berlin gestreut). In den exemplarisch abgebildeten vier Diagrammen ist er drei Mal (Kleiner Molchowsee, Breitlingsee, Großer Krebssee) deutlich zu erkennen, über den Stolpsee mag man streiten. Die Anbauintensität scheint vergleichbar der zur Slawenzeit gesesen zu sein, lag jedoch deutlich unter der des Hochmittelalters.
 
OT
Warum in späterer Zeit ,-KdG- eine germanische Bevölkerung durch eine slawische ersetzt wurde, steht in den fränkischen Annalen
OT off
Was den Anbau von Brotgetreide gegen "Breigetreide" angeht, wer die Wahl hat, Brotgetreide zu mahlen, mit Sauerteig das Zeug gehen zu lassen,-wenn denn die Temperatur stimmt-, den Backofen anzuheizen, so 2-3 Stunden, so 2 Stunden insesamt die paar Brote für eine doch recht kleine Hofgemeinschaft im Halbdunkel eines germ. Langhauses zu kneten, die 3-4 Laibe in den Ofen zu schieben und nach ner Stunde oder so wieder rauszuholen und dann am Ende der Woche hartes Brot zu kauen, oder als Alternative gequollene, gequetschte Hirse/Hafer etc . in die Schüssel zu tun und mit etwas getrocknetem oder frischem Fleisch, mit Früchten etc zu verspeisen, naja, dann nehme ich lieber Müsli als Brot...
Zumal Brot als Eiweißquelle ja nicht gebraucht wird ...
Das erklärt auch wohl den Unterschied zwischen keltischem und germanischem Landbau.
 
@Augusto zum Roggenanbau
Die Geschichte des Roggens im Rheinland | Tanja Zerl - Academia.edu
Nach diesem Text setzte der Roggenanbau in verschiedenen Regionen tatsächlich um die Zeitenwende / römische Kaiserzeit ein. Das war mir auch neu. Meiner Ansicht nach spricht das dafür, dass der frostunempfindliche, anspruchslose Roggen Brotfruchtanbau auf kargen Böden ermöglichte (Bevölkerungswachstum), oder es tatsächlich eine Klimaverschlechterung gab - soweit ich mich erinnere, waren die Temperaturen um die Zeitenwende stabil hoch - in einer Studie habe ich jedoch verstärkte Niederschlagsmengen (nassfeuchte Sommer) in dieser Zeit gesehen.
Vitamin C -tatsächlich ein Problem für die eisenzeitlichen Menschen:
"An mehreren Skeletten der Wurt Feddersen Wierde wurden großflächige Spuren von Blutungen auf den Langknochen, aber auch auf dem Darmbein nachgewiesen (Teegen u. a. 1997 Abb. 4). Sie lassen sich mit einem ausgeprägten Vitamin C-Mangel (Skorbut) in Verbindung bringen. Betroffen waren insgesamt vier von 24 Individuen (16.6 %). Organisierte Prozesse auf den Innenseiten der Rippen weisen auf Rippenfellentzündungen
(Pleuritis) hin (s. u.). Teilweise sind beide Prozesse miteinander verbunden. Dies zeigt, daß eine infolge Skorbut geschwächte Abwehrlage
die Ausbreitung von anderen Krankheiten begünstigte. Gerade in der
Winterzeit muß die Versorgung mit antiskorbutisch wirkenden Lebensmitteln
erschwert gewesen sein. Gemüse und Obst konnten auf den Wurten nur selten nachgewiesen werden.
Gelegentlich werden auch bei Leichenbranduntersuchungen Hämatome beobachtet,deren Form und Ursache in der Regel nicht weiter untersucht wurde.Eine Auswahl ist in Tabelle 20 aufgeführt. Hier kann nicht ausgeschlossenwerden, daß es sich um Folgen eines Vitamin C-Mangels handelt." (aus Homo Patiens in der Eisenzeit in Nordwest-und Mitteldeutschland, Teegen - in Studien zur Lebenswelt in der Eisenzeit)
Dass Kohl archäobotansich schwer als kultivierte Pflanze nachweisbar ist, gebe ich dir recht, umgekehrt ist dies kein Beweis für den Anbau - auch deine Quellen sind insofern unklar, als nicht genau datiert wird, ab wann Kohlanbau nachweisbar ist. Bei einer Schautafel einer Villa rustica linksrheinisch wurde erwähnt (bei Bingen), dass sie große Darrevorrichtungen gefunden haben, und davon ausgehen, dass Wild - Kulturobst und Beeren dort getrocknet wurden.
Ich würde aber jetzt doch langsam wieder auf die ursprünglichen Fragestellungen zurückkommen, ich glaube wir haben ein relativ umfängliches Bild der Landwirtschaft gezeichnet, auf dass eine römische Okkupation rechtsrheinisch gestoßen ist.
@Wilfried: Brei oder Brot - beides! Natürlich schlug sich der römische Legionär sein Puls rein - trotzdem hatte jede Legion ihre Feldbäckereien.
Natürlich ist Brotherstellung arbeitsteilig und für große Gemeinschaften effektiver - deswegen gabs auch das Backhaus in den Dörfern - war der Ofen mal angeheizt, konnte man stundenlang backen!
Muss ich mal sagen: Ich finde deine praktisch denkende Art echt bereichernd und zum Nachdenken anregend :winke:
 
nun, wenn sich das Modell nicht geändert hat, und Homo sapiens hat sich zumindest die letzten 3 000 Jahre nicht geändert, sind die Bedürfnisse gleich. Gleiche Probleme erfordern ähnliche Lösungen. Und gibts Unterschiede in den Lösungen, sind die Probleme oft nicht gleich ...

Rom und "Verbündete"= relativ viele Menschen auf kleinem Raum, dazwischen nicht viel und eine steile Hierarchie <-> Germanien etc. relativ viele Menschen auf viel Raum und flache Hierarchie....
Eigentlich zwei Welten, die berührungslos aneinander vorbeigehen. Denn Rom kann Germanien nicht erobern, da die Bewohner eigentlich soo nicht greifbar sind und die Erzeugnisse, bedingt durch die dezentrale Lebensweise, auch ziemlich wertlos für die Römer sind, und später erobern zwar "die Germanen" Rom, nehmen aber entweder die "römische" Lebensweise an, oder siedeln einfach dezentral zwischen ihnen.

Das härteste Beispiel hierzu ist ein allamannisches Langhaus in einer römischen Villa Rustica.
Da muß eine Besatzungspolitik , die auf zentrale Orte mit Versorgung aus dem Umland setzt, an der Mentalität, Lebensweise und am Klima einfach scheitern.
 
Völkerwanderung Ostdeutschland: Gibt es hierzu einen gesonderten Thread? Sonst nur soviel: Neuere Grabungen (z.B. Urnenfeld Bad Segeberg) und diverse Pollenanalysen deuten darauf hin, dass tatsächlich ein fast kompletter germanischer Rückzug aus später slawischen Gebieten erfolgte. Warum dem so war, bleibt rätselhaft. ebenso, wieso einige Siedlungsinseln (z.B. Niemcza, Schlesien) sich hielten.
? A20 - die längste Ausgrabungsstelle Schleswig-Holsteins ? [Archäologie Online] ? ?
Niemcza ? Wikipedia

Zu den Bereichen Slawen, slawische Landnahme haben wir einige Threads:

http://www.geschichtsforum.de/f77/slawen-wenden-sorben-obodriten-293/

http://www.geschichtsforum.de/f35/slawen-von-der-zeitenwende-bis-zum-8-9-jh-14016/

www.geschichtsforum.de/f77/slawen-und-osteuropa-im-fr-hmittelalter-43871/

http://www.geschichtsforum.de/f35/slawen-und-germanen-im-ma-44357/

http://www.geschichtsforum.de/f35/die-v-lkerwanderung-als-gro-e-migration-30070/


und wohl noch einige mehr...:winke:
 
Eine traurige Anekdote aus einer archäologischen Ausgrabung in den 50er Jahren im Oppidum Pipinsburg. Manchmal vergisst man, dass man über reale Menschen schreibt:
Der Ofen
Nachdem der restliche Raum nichts Besonderes mehr bot, mußte der bisher ausgesparte Sockel untersucht werden. Vorsichtig wurde die deckende Erde in dünnen Schichten abgenommen, bis lockerer Lehm (20cm hoch) das ganze Innere deckte. Er schloß an die seitlich aufsteigende Lehmwand an, die den Innenraum noch 10cm weit überlappte. Unter dem lockeren Lehm füllten Asche und Holzkohle das Innere. An der Stirnseite, also nach Süden zu, zeigten hartgebrannte, dicke Lehmwülste mit Eindrücken von starken Ruten die ehemalige Öffnung des Ofens an. Die Ränder der Innenfläche waren besetzt mit mindestens 5 Gefäßen (Abb. 4, Abb. 5), darunter eine Schüssel mit verkohltem Getreidebrei, wie eine chemische Untersuchung ergab. Zur merkwürdigen Stellung der Gefäße im Ofen sei bemerkt: Wie die einseitige Schwärzung der Töpfe zeigte, standen sie nur am Feuer. Als Kochhilfe dienten glatte Quarzite in glühendem Zustand, wie sie zersprungen in Mengen überall bei zeitgleichen Siedlungen vorkamen. - Die Ofendecke wurde beim Bau von einem stabilen Rutengeflecht getragen, das auf beiden Seiten dick mit Lehm bestrichen, in gebranntem Zustande auch ohne die später verglühten Ruten noch genügend Tragfähigkeit besaß.
Nach dem Untersuchungsbefund war der ganze Raum nur auf die Herstellung von Speisen eingerichtet. Beim Siedlungsabbruch wurde gerade im Ofen gekocht, daneben Getreide gemahlen, und es wurden Fladen gebacken. Die Küche war in vollem Betrieb. Aber niemand nutzte die Speisen mehr. Die Ursache dieses merkwürdigen Verhaltens konnte aus dem Zustand des Raumes geschlossen werden. Der sicher vorher gepflegte Fußboden war so mit Scherben, Kohlen und Tierknochen bedeckt, daß er nicht mehr betretbar gewesen wäre. Er bot das Bild einer totalen Verwüstung:die Behausung niedergebrannt, alles Geschirr zerschlagen und das Vieh geschlachtet. Bei einem geplanten Siedlungsabbruch hätte man vorbereitete Speisen kaum verkommen lassen. Man wird einen plötzlichen Überfall vermuten müssen. Dieser Katastrophentag für die Bewohner hinterließ uns ein Kulturbild vom letzten Tage der mittel- bis spätlatènezeitlichen Besiedlung. Damit endete auch die vorchristliche Kulturperiode der Pipinsburg.
 
Kurz zur Gesundheitssituation: 16,6% Skorbut auf der Feddersen Wierde ist viel, allerdings war dies auch ein spezieller (Land-)Wirtschaftsraum. Zum Vergleich hier [OT] frühe Bronzezeit aus der Slowakei: 7.6% Skorbut wöhrend der Nitra-Kultur, 14.7% in der nachfolgenden Aujnetitzer Kultur. Hauptprobleme waren Nebenhöhlenentzündung (50%), Schwermetallvergiftungen (einschlie0lich durch arsenhaltige Ohrringe), und auch Vitamin D Mangel (7,4%, Bergbau unter Tage?). Im Gegenzug könnte jedoch die Nahrungsmittelversorgung recht gut ausgefallen sein.
http://opus.bsz-bw.de/ubhi/volltexte/2012/161/pdf/Dissertation_Band1_K.Koel.pdf

Die Diskussion ist echt anregend, habe mir gerade ein Müsli mit Äpfeln und Haselnüssen gemacht. [OT off].

Rom und "Verbündete"= relativ viele Menschen auf kleinem Raum, dazwischen nicht viel und eine steile Hierarchie <-> Germanien etc. relativ viele Menschen auf viel Raum und flache Hierarchie....
Eigentlich zwei Welten, die berührungslos aneinander vorbeigehen. Denn Rom kann Germanien nicht erobern, da die Bewohner eigentlich soo nicht greifbar sind und die Erzeugnisse, bedingt durch die dezentrale Lebensweise, auch ziemlich wertlos für die Römer sind.
Wenn man den Gedanken mal weiter spinnt: Wo war "Germanien" denn am "römischsten"? Dort, wo noch keltische Reste vorhanden waren - Anbau von Brotgetreide, größere Ansiedlungen mit teilweise zentralörtlichen Eigenschaften, spezialisertes Metallhandwerk statt Raseneisenerz-Rennofen hinterm Langhaus, fortgeschrittene Monetarisierung, etc. Wie z.B. Wetzlar-Waldgirmes. Oder wohl bei den Cheruskern .Wo legt der intelligente Römer also seine Städte an? [Varus Sommerlager wird nicht allzuweit von Segestes Haus entfernt gewesen sein, wenn dieser mal eben zum Abendessen vorbeischauen konnte.]

Jetzt die umgekehrte Perspektive: Es gab den suebischen Ariovist bei den Galliern, und einen Boiorix (König der Bojer?) als Anführer der Cimbern und Teutonen, Ceasar berichtet von einer keltisch-germanischen Durchdringung am Rhein. Aber der Kontakt war nicht immer harmonisch, wie die Geschichte aus der Pipinsburg, oder auch Ceasars Umsiedlung der Ubier zeigt. Die eine oder andere kelto-germanische Gruppe mag also zumindest anfänglich ganz froh gewesen sein, Römer zum Schutz gegen eventuell etwas ungestüm gen Westen drängende Sueben in ihrer Nähe zu wissen.
Außerdem hatte man etablierte Handelsbeziehungen über den Rhein, vielleicht auch den einen oder anderen Cousin "drüben", und jetzt wollen die Rümer doch tatsächlich eine Brücke bauen! Städtebau schafft Arbeitsplätze, einschließlich neuer Absatzmärkte für sauerländisches Blei. Ab und zu ein Glas Wein zwischendurch ist eigentlich ganz lecker, und diese römischen Fibeln sind doch wirklich todschick....
Fängt also erst mal gar nicht so schlecht an. Das dicke Ende kommt natürlich nach: Steuererhebung, römische Rechtsprechung (mit entsprechendem Macht- und Ansehensverlust des lokalen Adels), die Allmende wird plötzlich durch ein Marschlager belegt, vielleicht auch hier und da eine Siedlung zu Gunsten einer villa rustica oder einer colonia platt gemacht. [Und dann baggern diese Südländer auch noch "unsere" Mädels an!]
Natürlich gibt es Gewinner und Verlierer. Die einen begreifen und nutzen die Chancen der "Wiedervereinigung" über den Rhein, haben vielleicht auch bei den Eburonen beobachtet, welchen Blutzoll Widerstand fordern kann. Die anderen sehen ihren sozialen Status oder ihre bäuerliche Existenz gefährdet, oder sind einfach zu weit weg vom Rhein und den großen Handelsstraßen, um kurzfristig aus dem Wieder-Anschluss an den ehemaligen Wirtschaftsraum La Tene Nutzen zu ziehen. Demographisch ist die zweite Gruppe stärker als in vielen anderen bislang von den Römern eroberten Gebieten. Alles weitere ergibt sich aus dem politischen Geschick bzw. Ungeschick der Anführer, v.a. Varus, Segestes und Arminius.
 
Vielleicht könnten wir noch einmal ansetzen an einigen Thesen die aufgestellt wurden, bevor wir einen Ausflug in die eisenzeitliche Landwirtschaft in Mitteleuropa unternommen haben.
Was ist für eine erfolgreiche Provinzialisierung notwendig?
1. Integration lokaler, politischer Eliten als Voraussetzung der Provinzalisierung
2. Produktionpotential nicht nur für das Militär, sondern für einen eigenständigen lokalen Markt und den römischen Binnenmarkt (afrikanisches Olivenöl konkurriert mit italienischen, menapischer Schinken mit Würstchen aus Lugdunum (die Lyoner), damit einhergehend Aufstiegschancen für Produzenten, Eigentümer, Händler, Spediteure
3. Eine breite besitzende, gebildete Schicht, die ansässig ist, und der Akkulturation zugänglich ist - Anwärter für Beamtenschaft/Verwaltung, politsche Ämter, kulturelles Personal, militärische Laufbahn
Hätte eine Provinzialisierung in der Germania libra funktionieren können?
Oder war die gesellschaftliche Basis zu "dünn" für eine Provinzialisierung?
Welche Produkte waren auf dem "Weltmarkt" konkurrenzfähig?
 
Was ist für eine erfolgreiche Provinzialisierung notwendig?
1. Integration lokaler, politischer Eliten als Voraussetzung der Provinzalisierung.
Das haben die Römer offensichtlich versucht: Segestes, Segimer, Arminius, Marbod, etc.
In mindestens zwei Fällen (Arminius, Marbod) haben sie sich "faule Eier" ins Nest geholt. Zufall oder Pech? Ich denke, da steckt mehr dahinter, wenn zwei von Rom offenbar gut ausgebildete und hofierte Mitglieder der germanischen Elite unabhängig voneinander (und dann gegen den jeweils anderen) beschließen, ihre persönlichen und politischen Ambitionen ohne und/oder gegen Rom zu verwirklichen.
2. Produktionpotential nicht nur für das Militär, sondern für einen eigenständigen lokalen Markt und den römischen Binnenmarkt (afrikanisches Olivenöl konkurriert mit italienischen, menapischer Schinken mit Würstchen aus Lugdunum (die Lyoner), damit einhergehend Aufstiegschancen für Produzenten, Eigentümer, Händler, Spediteure.(..)
Welche Produkte waren auf dem "Weltmarkt" konkurrenzfähig?
Lebensmittel: Ackerbaulich war da sicher wenig Exportpotential, solange man die Römer nicht von den Vorzügen von Müsli, Roggenbrot, Bier (und Sauerkraut?) überzeugen konnte. Ob die Römer ihr garum für Salzhering aufgegeben hätten, wage ich auch zu bezweifeln. Bei Schinken, Würsten und Käse steht die Sache schon anders (man schaue sich nur mal heutige deutsche Exporte nach Italien an).
Textil: Leinen(-stoffe) werden ihren Markt im römischen Reich gehabt haben; ob Germanien da gegenüber Ägypten konkurrenzfähig war, ist eine andere Frage. Wolle von der Nordseeküste halte ich auf jeden Fall für exportfähig, sie sollte aus klimatischen Gründen der mediterranen Wolle überlegen gewesen sein. Für Leder gilt vermutlich ähnliches.
Töpferei war natürlich v.a. linksrheinisch traditionell stark, und blieb dies auch in römischer und fränkischer Zeit. Aber die Heimat der Trichterbecher, Kugelamphoren und Schnurkeramik im Elbe-Saale Raum hatte durchaus auch ein paar Jahrtausende Töpfertradition in petto. Ich weiss jetzt nicht, was die um die Zeitenwende da so "gebacken" kriegten, aber prinzipiell könnte ich mir schon Exportfähigkeit vorstellen. Um böhmische feuerfeste Drehscheibenware mache ich mir diesbezüglich überhaupt keine Sorge (vgl. die Verbreitungskarten im "Wirtschaftsraum La Tene"-Thread).
Metall: Raseneisenerz war leicht und v.a billig verfügbar, Eisenverarbeitung gut entwickelt - eigentlich hätten die (Tiefebenen-)Germanen schon aus Preisgründen den gesamten römischen Markt aufrollen müssen. Blei wurde aus der Germania libera nach Rom exportiert, Kupferabbau und Buntmetallverarbeitung hatte lange Tradition.

Zusammengefasst: Handelsware gab es mehr als genug. Ich denke, das Problem lag eher anders herum. Die beiden begehrtesten Waren aus Germanien, nämlich das Salz vom Hellweg und das Silber aus dem Harz (und Erzgebirge/ Böhmen?), waren beides römische Staatsmonopole. Da gab es keinen Platz für germanische Eliten!

Ich wage mal folgende These: Arminius hat während des Pannonischen Aufstands mitbekommen, wie die Römer mit dem gold-und silberreichen Illyrien umgingen. [Über direkte Zusammenhänge zwischen römischer Bergbaupolitik und dem pannonischen Aufstand ist zwar nichts bekannt, das dortige Gold und Silber gilt aber als wesentlicher Grund der römischen Eroberung, und die Einrichtung kaiserlicher Bergbaudistrikte in Dalmatien begann unmittelbar nach Niederschlagung des Aufstands]. Er erfährt in Germanien von Silberfunden im Harz (die den Römern vermutlich verborgen blieben), und kann sich ausmalen, was dies für das Cheruskerland bedeuten wird [Das "Dollarzeichen" in Varus Augen blieb der römischen Geschichtsschreibung nicht verborgen, Arminius wird es wohl auch erkannt haben.] Gleichzeitig begreift er die Möglichkeiten, die aus eigener Kontrolle dieser Vorräte entstehen.
http://www.google.de/url?sa=t&rct=j...cSkxeV-a5R_ecGwWpCUHJog&bvm=bv.77880786,d.ZWU

Von Marbods Gründen für den teilweisen Bruch mit Rom wissen wir nichts, aber auch dort könnte böhmisches Silber, verbunden mit dem, was über die Donau geflüchtete Pannonier zu berichten wussten, eine Rolle gespielt haben.

3. Eine breite besitzende, gebildete Schicht, die ansässig ist, und der Akkulturation zugänglich ist - Anwärter für Beamtenschaft/Verwaltung, politsche Ämter, kulturelles Personal, militärische Laufbahn.
Wenn meine vorstehende These stimmt, ist dieser Punkt schon müßig. Dennoch: Eine breite Mittelschicht gab es zweifellos, sie war aber v.a. bäuerlich geprägt. Alphabetisierung fehlte - aber wie weit bzw. tief war Gallien oder Raetien (oder das Merowingerreich) alphabetisiert? Beispiele für einer Akkulturation zugängliche Germanen gibt es genug; neben den oben unter 1.) Erwähnten haben wir u.a. Ariovist, und dann natürlich später die Massen germanischer Söldner in römischen Diensten. Ich denke nicht, dass hier ein Hauptgrund für das Scheitern Roms in Germanien liegt.

Ich möchte eine Gegenfrage in den Raum stellen: Warum hatten die Römer mit Friesen und Chauken keine Probleme (Tacitus erwähnt für 14 n.Chr. eine römische Besatzung im Chaukenland)? Was machte gerade den Mittelgebirgsrand so problematisch?
Fundplatz Bentumersiel ? Wikipedia
Leer (Ostfriesland) ? Wikipedia
 
Die Chauken wie auch die Friesen nahmen wie viele anderen nicht an der Koalition des Arminius teil. Mit den Chauken gab es dann wieder Auseinandersetzungen parallel zu Claudius Britannienfeldzug. Die Chauken übten sich wohl in der Piraterie, was Claudius im Rücken seiner britannischen Legionen nicht dulden konnte. Der Statthalter Niedergermaniens besiegte die Chauken. Von weiteren Aktionen musste er aber auf Befehl des Claudius absehen. Freunde Roms wurden sie danach nie mehr.

Auch die Friesen revoltierten wegen überzogener Steuern. Die Sache mit den Rinderhäuten dürfte bekannt sein. Die Römer konnten dies Revolte zwar niederschlagen, aber später fielen auch die Friesen vom römischen Reich endgültig ab.

Auch beim Aufstand des Arminius scheinen Steuern ein Hauptgrund gewesen zu sein. Es heisst, die Römer hätten die Provinzialisierung und Besteuerung erst forciert, als nach dem pannonischen Krieg die Kassen leer waren und man sich den Luxus einer langsamen Entwicklung Germaniens einfach nicht mehr leisten konnte. Die Urbanisierung Nordgalliens war oft auch nicht viel besser und auch in Gallien gab es Aufstände nach Vercingetorix. Die hatten aber anscheinend keinen Arminius und die Römer keinen Varus und so hielten sich diese Konflikte im Rahmen.

Ich denke schon, daß die Eliten Germaniens wie auch die Ökonomie kein Hindernis gewesen wären. Da kam Vieles zusammen: eine (unnötige weil sinnlose) forcierte Provinzialisierung, ein Varus der dies offensichtlich gnadenlos durchsetzte und damit eskalierte und ein Arminius, der charismatisch, fähig und ehrgeizig genug war, dem ganzen ein Ende zu machen.

Mommsen wirft Claudius zwischen den Zeilen vor, die immer noch recht gute römische Position im rechtsrheinischen Germanien nicht genutzt und stattdessen den vermeintlich einfachen Erfolg in Britannnien gesucht zu haben. Was auch den Exercitus Germaniae nachhaltig schwächte.
 
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Für Arminius ist keine römische Ausbildung belegt, für Marbod immerhin so einigermaßen.
Marbod war im übrigen durchaus romfreundlich wurde aber zu mächtig. Das solche Fürsten auch unabhängig von den Römern Machtpolitik betrieben war durchaus normal.

Die rechtsrheinischen Gebiete wurde in erster Linie erobert um die linksrheinischen zu schützen. Nun hatte man 5 Legionen+Hilfstruppen dauerhaft stationiert. Die Stämme hatte man unterworfen, die Eliten mehr oder weniger mit ins Boot geholt. Die Truppen und die nötige Infrastruktur kosteten aber eine Menge Geld. Was war naheliegender als sich zumindest einen Teil davon aus dem Land selbst zu holen? Der pannonischen Krieg wurde als Grund für Steuern nicht gebraucht und die Römer hatten keinerlei Skrupel unterworfenen Völker auszubeuten. Aufstände waren etwas normales im Imperium und Arminius mußte wie alle anderen Germanen nicht in Illyrien gewesen sein um zu wissen wie die Römer tickten..!
Ich glaube es waren die ganz normalen Folgen der zunehmenden Provinzialisierung die die Germanen in den Aufstand trieben.
- Macht -und Bedeutungsverlust der einheimischen Eliten
- Einschränkunge der Freiheit, Steuern, Bevormundung (römisches recht), kulturelle Differenzen im weitesten Sinne, usw.
Silber oder allgemeine wirtschaftliche Gründen spielten keine Rolle.
 
Für Arminius ist keine römische Ausbildung belegt, für Marbod immerhin so einigermaßen.

Ich meine, wir hätten irgendwo im Forum eine Diskussion zu Velleius Paterculus' "adsiduus militiae nostrae prioris comes, iure etiam civitatis Romanae decus equestris consecutus gradis". Das müssen wir hier an dieser Stelle nicht weiterdiskutieren, es nervt eh, dass früher oder später jede Rom&Germanien-Diskussion bei Arminius und Varus landet.
 
Der pannonischen Krieg wurde als Grund für Steuern nicht gebraucht und die Römer hatten keinerlei Skrupel unterworfenen Völker auszubeuten.

Das ist zwar im Grundsatz richtig, aber die Römer haben es bei der Provinzialisierung durchaus auch langsamer angehen lassen, wenn ihnen dies möglich war. Ihnen war durchaus aus den negativen Erfahrungen in Spanien und anderen Orts bewußt, daß es besser ist, 1-2 Generationen lang eher vorsichtig vorzugehen. In Gallien begann man erst 30 Jahre nach der Eroberung mit der Provinzialisierung.

Natürlich hatten die Römer - insbesondere während der Republik - keine Skrupel, Provinzen auszubeuten. Manche Kaiser hatten aber durchaus ein Auge für wirtschafts- und sicherheitspolitische Notwendigkeiten und Gefahren. Und es war gerade die Steuergesetzgebung der Kaiser und ihre verbesserte Kontrolle der Statthalter, die den alten Mißbrauch in den Provinzen eindämmte. Es muß einen Grund gegeben haben, warum Augustus sich gegen jede Vernunft, zu einer forcierten Provinzialisierung entschloß.

Der pannonische Krieg wäre eine Erklärung. Und auch der große Brand in Rom im Jahre 6 n. Chr. kam zur Unzeit und könnte erhebliche Kosten verursacht haben.
 
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Das ist zwar im Grundsatz richtig, aber die Römer haben es bei der Provinzialisierung durchaus auch langsamer angehen lassen, wenn ihnen dies möglich war. Ihnen war durchaus aus den negativen Erfahrungen in Spanien und anderen Orts bewußt, daß es besser ist, 1-2 Generationen lang eher vorsichtig vorzugehen. In Gallien begann man erst 30 Jahre nach der Eroberung mit der Provinzialisierung.

Natürlich hatten die Römer - insbesondere während der Republik - keine Skrupel, Provinzen auszubeuten. Manche Kaiser hatten aber durchaus ein Auge für wirtschafts- und sicherheitspolitische Notwendigkeiten und Gefahren. Und es war gerade die Steuergesetzgebung der Kaiser und ihre verbesserte Kontrolle der Statthalter, die den alten Mißbrauch in den Provinzen eindämmte. Es muß einen Grund gegeben haben, warum Augustus sich gegen jede Vernunft, zu einer forcierten Provinzialisierung entschloß.
Ich frage mich allerdings, ob dieses "langsamer angehen" bei Gallien wirklich eine bewusste Entscheidung oder nicht eher den Umständen geschuldet war. Nachdem Gallien erobert worden war, hatte eigentlich niemand die Zeit und die Mittel, sich weiter intensiv darum zu kümmern: Caesar war mit dem Bürgerkrieg beschäftigt. Nach seiner Ermordung wurde mit einem Abfall der Gallier gerechnet, zu dem es zwar nicht kam, aber danach waren die Statthalter Galliens, insbesondere Plancus, in erster Linie damit beschäftigt, die innenpolitische Entwicklung zu beobachten. Plancus stand mit seinem Heer stets im Süden Gewehr (ähm ... pilum) bei Fuß, um sich im gegebenen Moment auf die richtige Seite (Decimus Iunius Brutus [+Cicero+Senat] vs. Marcus Antonius) zu schlagen und erforderlichenfalls in Italien einzumarschieren oder aber auf allfällige Aktionen von Lepidus zu reagieren. Da blieb natürlich keine Zeit, sich wirklich mit Gallien zu befassen. Später gehörte Gallien zum Machtbereich Octavians, der aber auch eher damit beschäftigt war, gegen Sextus Pompeius vorzugehen, argwöhnisch Marcus Antonius zu beäugen oder in Dalmatien eigenen militärischen Ruhm zu suchen. Gallien lag eher abseits; kleinere Aufstände gab es ohnehin immer wieder; Octavian konnte es wohl kaum riskieren, sich und seine Ressourcen allzu sehr in Gallien zu engagieren und Italien außer Acht zu lassen. Sobald er jedoch Alleinherrscher worden war und seine Macht in Rom abgesichert hatte, wandte er sich relativ zügig und zwar persönlich Gallien zu und trieb dessen Organisation voran.

Im Übrigen ließ es auch Augustus bei Germanien vergleichsweise "langsam angehen". Zwischen dem Beginn der Eroberung und Varus lagen immerhin auch an die zwei Jahrzehnte.

Mommsen wirft Claudius zwischen den Zeilen vor, die immer noch recht gute römische Position im rechtsrheinischen Germanien nicht genutzt und stattdessen den vermeintlich einfachen Erfolg in Britannnien gesucht zu haben.
Dabei wird freilich ignoriert, dass seit Caesars beiden Britannienfeldzügen die Unterwerfung Britanniens eine Art Pflichtprogramm für den römischen Machthaber war, dessen Umsetzung erwartet wurde.
 
Failed State?

Den Pannonischen Aufstand halte ich nicht für den unmittelbaren Grund, die Steuererhebung in Germanien zu forcieren. Aufstandsbekämpfung finanziert sich normalerweise selbst - wenn es genug zu plündern gibt, nehmen die Legionäre auch mal ein paar Monate ohne Sold hin. Aüßerdem führen solche Ereignisse üblicherweise dazu, dass weniger Veteranen den aktiven Dienst lebend verlassen und abgefunden werden müssen. Schließlich wurde Varus bereits 7 n. Chr., also als der Aufstand gerade erst ein Jahr lief, Statthalter in Germanien. Richtig teuer wurde es wohl erst in den Folgejahren, als aus Dalmatien und Pannonien nichts mehr zu holen war, und das Getreide für die Truppen aus Afrika herangeschafft werden musste.

Wenn allerdings illyrisches Gold und Silber auch vor dem Aufstand schon eine wesentliche Finanzquelle war, hätte der Aufstand die kaiserlichen Finanzen schon empfindlich getroffen. Die Desideraten, einer der beiden Stämme, bei denen die Rebellion begann, siedelten wohl um Sarajewo. Sowohl das zentralbosnische Goldrevier um Zenica, als auch Srebrenica, das römische Argentaria, liegen nicht allzuweit entfernt. Da mögen so einige Gold- und Silbertransporte es nicht bis Rom oder zur Mümze in Sirmium geschafft haben. Dann wirds natürlich schon enge, und die germanischen Legionen müssen sich mal langsam selbst finanzieren.

Wenn man die römischen Quellen so liest, gewinnt man allerdings auch den Eindruck, dass es nicht um des Kaisers Kasse allein ging. Das beginnt mit Velleius berühmter Beschreibung von Varus, der als armer Mann das reiche Syrien betrat, und als reicher Mann das arme Syrien verließ. Später nimmt Velleius ausdrücklich den Legaten L. Aspenas, der zwei Legionen direkt ins Winterlager führte, anstatt Varus zu Hilfe zu eilen, vor dem Vorwurf in Schutz, er hätte sich der Hinterlassenschaft der mit Varus Umgekommenen bemächtigt. Berechtigt oder nicht - die Tatsache allein, dass solch ein Gerücht aufkommt, ist bezeichnend.
Tacitus berichtet, dass der nach der Rebellion der germanischen Legionen vom gallischen Zensus an den Rhein zurückgeeilte Germanicus den Aufruhr beruhigte, indem er vier Legionen aus der eigenen Schatulle befriedigte. Diese Schatulle muss einiges gefasst haben, und man fragt sich, warum sie so gut gefüllt aus Gallien zurück kam, und was Germanicus dort so alles zählte. Tacitus beschreibt weiterhin ausführlich die Abrechnung der am Rhein stationierten Soldaten mit ihren Centurionen - wenn diesen Habgier (avaritiam) vorgeworfen wurde, wurden sie entlassen.

Wir hatten vor einiger Zeit hier im Forum eine Diskussion über Kleptokratie - nach meiner Erfahrung ein Phänomen, dass vor allem dann auftritt, wenn ein langjähriger Autokrat in die Jahre gekommen ist, seinen "inner circle" nicht mehr kontrollieren kann oder will, so dass sich Selbstbedienungsmentalität von oben bis nach ganz unten ausbreitet. Genau dieses Bild meine ich in den römischen Quellen zu erkennen. Die daraus entstehende Wut - der Pannonier oder Germanen gegen die Römer, der einfachen Soldaten gegen ihre Centurionen und einen "nur rumlabernden" Senatsabgesandten, ist nachvollziehbar, und mehr als einmal in der Geschichte beobachtbar.
Genauso nachvollziehbar - falls meine Diagnose stimmt - ist es dann, dass ein Arminius oder Marbod, der solch ein System von innen her kennengelernt hat, beschließt, es sei nicht reformierbar, und mit Rom bricht, um es "seinen" Leuten zu ersparen.

Friesen und Chauken waren wohl einfach zu weit abseits der römischen Trampelpfade, entlang derer jeder seinen Eigeninteressen nachging, um bereits ausreichend Leidensdruck zu entwickeln. Dies geschah erst ein paar Jahre später. [Die Geschichte mit den Rinderhäuten ist mir übrigens nicht bekannt, Agricola, erzähl sie bei Gelegenheit mal.]
 
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[Die Geschichte mit den Rinderhäuten ist mir übrigens nicht bekannt, Agricola, erzähl sie bei Gelegenheit mal.]

Die Friesen mussten ihren Tribut in Form von Naturalien zahlen, genauer gesagt in Rinderhäuten. Das ging wohl lange Zeit auch gut. Eines Tages verlangte ein Centurio die doppelte Anzahl Häute, da die friesischen Rinder und ihre Häute nur halb so groß waren, wie die römischen. Daraufhin kam es zum Aufstand.

Hier war offensichtlich ein Centurio als Steuereintreiber im Auftrag des zuständigen Procurators unterwegs, was eher ungewöhnlich klingt. Aber möglich ist, wenn die Rinderhäute direkt an das niedergermanische Heer zur weiteren Verarbeitung abzuliefern waren. Ob dieser einen Auftrag zur Erhöhung der Steuern hatte, oder eigenmächtig handelte und sich bereichern wollte, ist nicht auszumachen.

Wir wissen natürlich auch beim Aufstand 9 AD nicht, ob es überhaupt eine allgemeine Steuererhöhung gab. Es mögen auch zunehmende Fälle von illegaler Bereicherung gewesen sein. Ob Varus selbst dabei Allen voran ging und/oder seiner Aufsichtspflicht nicht nachkam ist auch unklar. Das Varusbild antiker Autoren scheint mir doch oft zu sehr von historischer Perspektive geprägt zu sein, als daß wir darauf bauen könnten.

Ebensowenig wissen wir, wie genau die Römer in Germanien Tribute eingetrieben haben. Über die lokalen Eliten, wie ab dem Prinzipat üblich, über römische Steuerpächter oder gar direkt unter Einsatz von Militärpersonal? Auch wissen wir nicht wie genau in Germanien die Steuern differenziert wurden. Eine solche Differenzierung fand im Rahmen jeder Provinzialisierung statt. Mussten etwa die Cherusker als Verbündete Roms nur Truppen stellen, aber keine Abgaben leisten wie die Bataver? Gab es civitates liberae oder gar steuerfreie civitates foederatae. Letzteres hätte für alle mit dem Drusus verbündete und in 12 v Chr. noch nicht unterworfene rechtsrheinische Stämme gelten sollen.

Bei den wenigen allgmeinen und dürftigen Formulierungen antiker Autoren zu den konkreten Strukturen und Prozessen in Germanien, fällt es schwer zu sagen, worin nun genau der kapitale Fehler der Römer bestand und Wer dafür verantwortlich war.
 
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Dabei wird freilich ignoriert, dass seit Caesars beiden Britannienfeldzügen die Unterwerfung Britanniens eine Art Pflichtprogramm für den römischen Machthaber war, dessen Umsetzung erwartet wurde.

Was noch mehr für Germanien seit den Kimbern und Teutonen gilt.

Aber ich will hier nicht Mommsen in Schutz nehmen, sondern wollte nur klar stellen, daß die römische Position in Germanien noch lange Zeit weit besser war, als Hollywood und viele populärwissenschaftliche Werke uns die Situation nach der Varusschlacht darstellen.
 
Ich frage mich allerdings, ob dieses "langsamer angehen" bei Gallien wirklich eine bewusste Entscheidung oder nicht eher den Umständen geschuldet war. ...

Octavian konnte es wohl kaum riskieren, sich und seine Ressourcen allzu sehr in Gallien zu engagieren und Italien außer Acht zu lassen. Sobald er jedoch Alleinherrscher worden war und seine Macht in Rom abgesichert hatte, wandte er sich relativ zügig und zwar persönlich Gallien zu und trieb dessen Organisation voran.

Es ist sicher richtig, daß hier der Bürgerkrieg dazwischen kam. Aber auch Octavian befand sich oft Finanznot, wenn es ihm etwa wieder mal nicht gelang das patrimonium caesaris zu versilbern, um seine Veteranen auszuzahlen. Er hätte also gute Gründe gehabt, den Statthalter der Gallia Comata anzuweisen für mehr Tribute zu sorgen, wie er das in Germanien getan haben soll. Natürlich erst nachdem Gallien eindeutig zu seinem Machtbereich zählte und bevor seine Probleme mit der Eroberung des ägyptischen Staatsschatzes endeten.

Hätte sich Augustus wie auch in Gallien persönlich um die Sache gekümmert, wären die Dinge vielleicht anders gelaufen. Fühlte er sich zu alt dazu? Selbst wenn er gewollt hätte, so kam ihm der pannonische Krieg dazwischen. Und wieder ist es der pannonische Krieg.

Ich bin auch kein Freund monokausaler Erklärungen. Aber dieser pannonische Krieg taucht mir einfach bei viel zu vielen verschiedenen Erklärungsansätzen auf, als daß man ihn und seine Wirkung unterschätzen dürfte.
 
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