Römische Stadtmauern: Verteidigungsanlagen oder Prestige?

Es ist trotzdem auffällig, dass Stadtmauern in dem Moment angelegt wurden, als die Stadt den Rang eine Colonia erhielten.

Und das unabhängig davon, ob sie weit weg von jeder Grenze lagen (wie z. B. Aventicum) oder direkt an einer Grenze (wie z. B. Carnuntum):
Sie liegen aber alle in den unterworfenen Provinzen! Die Coloniae waren die Leuchttürme der Romanisierung, mit reichen Veteranen besiedelt und exklusive Wohnorte in der im ausgehenden 1. Jh. ansonsten (noch) wenig attraktiven, bisweilen noch unruhigen Provinz. Nur Römer (Veteranen) wurden dort angesiedelt. Für die CUT ist das sehr gut belegt. Damit ballte sich der Reichtum und die Macht Roms in diesen aus dem Boden gestampften Coloniae. Es gab also gute Gründe für die Einheimischen, diese Bollwerke der unverschämt reichen Eroberer/Besatzer mit Missgunst, Neid oder gar Hass zu begegnen. Es gab daher auf der anderen Seite sehr gute militärische Gründe für Rom, eine jede Colonia, Außenposten und Symbol des Imperiums in erobertem/feindlichem Gebiet, von Anfang an gut zu befestigen. Gerade am Niederrhein, wo es zusätzlich noch die Grenze zu den gefürchteten Germanen gab und der letzte lokale Aufstand gerade erst mal ein paar Jahre her war. Hier war militärische Absicherung besonders wichtig.

Die Neugründung der Siedlung war doch unmittelbar nach dem Bataver-Aufstand, oder nicht?

Der Bataver-Aufstand war 69. Dort, wo man in der CUT auf ältere Bausubstanz stößt, ist m. W. immer ein Brandhorizont zu erkennen. Bei dem Aufstand wurde vermutlich alles abgefackelt, was vorher dort stand. So genau kann man das aber (noch) nicht sagen, weil bisher nur ein kleiner Teil des CUT-Areals ergraben wurde.

Als ich meine Tätigkeit in Xanten 1990 beendet habe, war der Forschungsstand so, dass dem Aufstand zunächst keine Besiedlung folgte. Eine Übergangsbesiedlung wurde bis dahin nicht festgestellt. Ich meine mich aber entsinnen zu können, dass man mittlerweile wenigstens partiell eine begrenzte Zwischenbesiedlung gefunden hat; ich meine, ich hätte letztes Jahr mit den alten Bekannten vor Ort darüber gesprochen, bin mir aber nicht mehr sicher. Sicher ist aber, dass die CUT am Reißbrett geplant und in einem Guss aus dem Boden gestampft wurde und ältere Bebauung oder deren Reste, so weit noch vorhanden, abgerissen wurden, bevor die gänzlich neue Colonia gegründet wurde.
 
M. W. wird angenommen, dass der Matronentempel noch aus der Zeit vor der Colonia-Gründung stammt, weil er sich nicht in das Straßenschema einordnet.
Ja, den wollte ich auch gerade nennen. Aber dann stand es da schon ...

Gibt es denn Erkenntnisse darüber, wie die Germanen in späteren Jahrhunderten die römischen Städte überwunden haben?
Wenig! Es gibt dürftige schriftliche Quellen, etwa von der Eroberung Kölns. Vielfach sind die spätrömischen Festungen von den Germanen aber nur umgangen worden, bis die verbliebenen Römer von alleine abgezogen sind (mangels "Auftrag" bzw. Besoldung). Heather berichtet davon in seinem Buch über die Spätantike. Mein hochverehrter alter Chef im APX, Dr. G. Precht, erzählte mir mal, dass das von ihm ergrabene Kastell Divitia (Deutz) von den Römern kampflos aufgegeben wurde. An dem Monstrum hätten sich die Germanen die Zähne ausgebissen. Also hat man das Umland erobert und abgewartet, bis die Festung von alleine fällt. So wird es vielfach, aber nicht immer gewesen sein. Die spätantike Festung in Xanten scheint dagegen überrannt worden zu sein.
 
Ja, den wollte ich auch gerade nennen. Aber dann stand es da schon ...

Im Thread http://www.geschichtsforum.de/f28/die-colonia-ulpia-traiana-und-das-vorkoloniale-gr-berfeld-42499/ hast Du den Matronentempel auch bereits erwähnt.


Wenig! Es gibt dürftige schriftliche Quellen, etwa von der Eroberung Kölns. Vielfach sind die spätrömischen Festungen von den Germanen aber nur umgangen worden, bis die verbliebenen Römer von alleine abgezogen sind (mangels "Auftrag" bzw. Besoldung). Heather berichtet davon in seinem Buch über die Spätantike. Mein hochverehrter alter Chef im APX, Dr. G. Precht, erzählte mir mal, dass das von ihm ergrabene Kastell Divitia (Deutz) von den Römern kampflos aufgegeben wurde. An dem Monstrum hätten sich die Germanen die Zähne ausgebissen. Also hat man das Umland erobert und abgewartet, bis die Festung von alleine fällt. So wird es vielfach, aber nicht immer gewesen sein. Die spätantike Festung in Xanten scheint dagegen überrannt worden zu sein.

Ist die Zerstörung der spätantiken Festung denn archäologisch nachweisbar? Aus der Erinnerung heraus meine ich, dass zumindest bei den Thermen der CUT ein Zerstörungshorizont (Brand?) festgestellt wurde.
 
...Ist die Zerstörung der spätantiken Festung denn archäologisch nachweisbar? Aus der Erinnerung heraus meine ich, dass zumindest bei den Thermen der CUT ein Zerstörungshorizont (Brand?) festgestellt wurde.
Wenn ich es noch richtig in Erinnerung habe: Ja, es gibt archäologische Hinweise darauf.
 
Sie liegen aber alle in den unterworfenen Provinzen! Die Coloniae waren die Leuchttürme der Romanisierung, mit reichen Veteranen besiedelt und exklusive Wohnorte in der im ausgehenden 1. Jh. ansonsten (noch) wenig attraktiven, bisweilen noch unruhigen Provinz. Nur Römer (Veteranen) wurden dort angesiedelt. Für die CUT ist das sehr gut belegt. Damit ballte sich der Reichtum und die Macht Roms in diesen aus dem Boden gestampften Coloniae. Es gab also gute Gründe für die Einheimischen, diese Bollwerke der unverschämt reichen Eroberer/Besatzer mit Missgunst, Neid oder gar Hass zu begegnen. Es gab daher auf der anderen Seite sehr gute militärische Gründe für Rom, eine jede Colonia, Außenposten und Symbol des Imperiums in erobertem/feindlichem Gebiet, von Anfang an gut zu befestigen. Gerade am Niederrhein, wo es zusätzlich noch die Grenze zu den gefürchteten Germanen gab und der letzte lokale Aufstand gerade erst mal ein paar Jahre her war. Hier war militärische Absicherung besonders wichtig.

Das alles zieht im Fall von Aventicum nicht.

Spätestens um 5/6 n.Chr. sind für Avenches eine Hafenanlage und das typisch römische Strassennetz in Gitterform belegt. Mehr als 60 Wohnquartiere (lat. insulae) wurden bis ins 2. Jh. gebaut. Die Stadt besass ein Forum (öffentlicher Platz), verschiedene Badeanlagen (Thermen) und mindestens acht Tempel. Die Nekropolen (Friedhöfe) lagen an den Ausfallstrassen.

Das Baumaterial Stein stammt vorwiegend aus dem Jura. Weite Teile des Stadtgebietes hatten einen feuchten Untergrund. Zur Stabilisierung wurde deshalb der Baugrund oft mit in den Boden getriebenen Eichenpfählen gefestigt. Diese sind meist gut erhalten und erlauben eine genaue Datierung mittels der Dendrochronologie (Jahrringmethode).

Einen ersten Höhepunkt erlebte Aventicum gegen 30-50 n.Chr. unter der Herrschaft der Kaiser Tiberius und Claudius. Davon zeugt eine überlebensgrosse Gruppe von Kaiserstatuen, die das Forum schmückte.

71/72 n.Chr. erhob Kaiser Vespasian, dessen Vater und Söhne einen Teil ihres Lebens in Aventicum verbracht haben, die Stadt in den Rang einer Kolonie mit dem Namen Colonia Pia Flavia Constans Emerita Helvetiorum Confoederata. Damals wurde mit dem Bau der 5,5 km langen Stadtmauer begonnen, die ein Gebiet von 228 ha umfasst. Ebenso wurden das Theater, das Amphitheater und das Cigognier-Heiligtum, drei charakteristisch römische Typen öffentlicher Gebäude, errichtet.

Fern von der Reichsgrenze und den politisch kritischen Regionen erlebte Aventicum seine Blütezeit bis an den Anfang des 3. Jh. ...

Aventicum - Geschichte
 
Die römische Stadt wurde nicht erst anlässlich der Erhebung zur Colonia "aus dem Boden gestampft", sie existierte schon seit Jahrzehnten.
Da war keine "politisch kritischen Region".
Die Eroberung lag schon viele Generationen zurück.
Die Reichsgrenze war fern.

Schau mal das andere Beispiel Carnuntum an.
Das lag an der Grenze, da gab es gefährliche Nachbarn, mit denen man schon mehrfach Ärger gehabt hatte.
Die Zivilstadt hatte Anfang des 2. Jahrhunderts 50.000 Einwohner und war Sitz der Provinzverwaltung. Da gab es einiges zu schützen.

In Aventicum gab es zu der Zeit eine Stadtmauer, in Carnuntum nicht.
 
Die römische Stadt wurde nicht erst anlässlich der Erhebung zur Colonia "aus dem Boden gestampft", sie existierte schon seit Jahrzehnten...
Das heißt nichts. In Xanten gab es vorher auch (zeitweise) römische Besiedlung. In Köln auch lange vor der Koloniegründung. Bei der Neugründung der CUT wurde aber in der Tat fast alles neu gebaut. In Aventicum wurde durch die Erhebung ebenfalls ein großer Bauboom ausgelöst; die Stadt wuchs deutlich und jetzt konzentrierte sich der Reichtum in der Stadt. Aventicum wurde somit ein erstrangiges Aushängeschild Roms. Eine solche Kolonie war immer auch militärisches Bollwerk Roms.

Da war keine "politisch kritischen Region".
Die Eroberung lag schon viele Generationen zurück...
Das ist ganz falsch. Der verheerende Helvetieraufstand 68/69 n. Chr. lag bei Kolonieerhebung gerade ein Jahr zurück. Zusammen mit dem Bataveraufstand und anderen Aufständen im Reich während des Vierkaiserjahres hätte er die römische Macht im Norwesten fast komplett zum Einsturz gebracht. Der Schock saß tief, die flächendeckende militärische Niederlage konnte Rom gerade noch abwenden. Gerade auch deswegen wurde Aventicum zum - auch militärischen (!) - Bollwerk Roms. Natürlich mit Stadtmauer. Die Bewohner der unterworfenen Provinz hatten sich ja gerade erst als feindlich erwiesen. Das Beispiel Aventicum untermauert meine These ganz besonders, dass es nicht unbedingt der Feind jenseits der Grenze war, der eine Stadtmauer erzwang, sondern eine feindliche gesonnene Bevölkerung im Umland. Im 1. Jh. keine Seltenheit. Eine Colonia war eine Machtdemonstration; mit den hier angesiedelten Veteranen war sicher nicht zu spaßen. Der Colonia darf man daher eine explizit militärische Bedeutung zumessen.

Schau mal das andere Beispiel Carnuntum an.
Das lag an der Grenze, da gab es gefährliche Nachbarn, mit denen man schon mehrfach Ärger gehabt hatte.
Die Zivilstadt hatte Anfang des 2. Jahrhunderts 50.000 Einwohner und war Sitz der Provinzverwaltung. Da gab es einiges zu schützen.

In Aventicum gab es zu der Zeit eine Stadtmauer, in Carnuntum nicht.
Das widerspricht meiner These ganz und gar nicht. Im Gegenteil. Carnuntum ist erst unter Septimius Severus Kolonie geworden und ist danach noch mal richtig erblüht (Bauboom, Attraktivitätssteigerung usw.). Eine Mauer war vorher auch weniger wichtig, da Carnuntum in unmittelbarer Nachbarschaft zur Legion verortet ist, ähnlich wie Mainz. Die unmittelbare Nachbarschaft zur Legion bot auch hier offensichtlich großen Schutz, was ich absolut einleuchtend finde; erst im 3. Jh. änderten sich die Vorzeichen; deswegen gab es später doch eine Mauer. Wie in Mainz. Aber im 3. Jh. änderten sich die Vorzeichen ja ohnehin grundlegend.

Dass die Coloniae alle eine Stadtmauer hatten, spricht dafür, dass das ein gewisser Standard war. Aus vorrangig militärischen Gründen, denn der Verlust einer solchen Vorzeigestadt mit höchstem Symbolwert wäre für Rom ein besonders verheerender Imageschaden. Zweifelsohne hatte eine solche Stadtmauer auch einen abschreckenden Effekt, nach der Devise, versucht es erst gar nicht. Aber auch das ist ein militärischer Ansatz.
 
In Aventicum wurde durch die Erhebung ebenfalls ein großer Bauboom ausgelöst; die Stadt wuchs deutlich und jetzt konzentrierte sich der Reichtum in der Stadt. Aventicum wurde somit ein erstrangiges Aushängeschild Roms. Eine solche Kolonie war immer auch militärisches Bollwerk Roms.

Wobei ja in Aventicum offenbar Stadtmauer und tatsächlich besiedelte Fläche nur bedingt miteinander korrespondierten.
 
[...] Aventicum wurde somit ein erstrangiges Aushängeschild Roms. Eine solche Kolonie war immer auch militärisches Bollwerk Roms. [...] Gerade auch deswegen wurde Aventicum zum - auch militärischen (!) - Bollwerk Roms. Natürlich mit Stadtmauer. [...] Der Colonia darf man daher eine explizit militärische Bedeutung zumessen. [...] ähnlich wie Mainz. Die unmittelbare Nachbarschaft zur Legion bot auch hier offensichtlich großen Schutz, was ich absolut einleuchtend finde; erst im 3. Jh. änderten sich die Vorzeichen; deswegen gab es später doch eine Mauer. Wie in Mainz. Aber im 3. Jh. änderten sich die Vorzeichen ja ohnehin grundlegend.
Dass die Coloniae alle eine Stadtmauer hatten
, spricht dafür, dass das ein gewisser Standard war. [...]
Da stellt sich mir die Frage, ob tatsächlich alle röm. Städte vom Rang einer Colonia mit einem Befestigungsring (Vorgraben, Graben, Mauer mit ausspringenden Türmen etc.) fortifiziert waren, ob nicht auch andere relevante Städte befestigt wurden, aber ganz besonders: ab wann das befestigen, der festungsmäßige Ausbau notwendig war und durchgeführt wurde. Laut A. Demandt (Geschichte der Spätantike) sind die großen Römerstädte erst zu Beginn der Völkerwanderungszeit stark befestigt worden, insbesondere die großen städtischen Zentren im "römischen Inland" (also auch diejenigen, die weit von der Grenze zum zunehmend feindlichen Barbaricum entfernt waren (und in der Zeit der Völerwanderungswirren bewährten sich einige der erst relativ spät befestigten Städte gegen die "Barbarenhorden" wie Alamannen, Vandalen usw.)) Das erstaunliche am römischen Städtebau von der späten Republik bis tief in die Kaiserzeit hinein war doch, dass die expandierenden Städte auffallend oft nicht befestigt waren.
 
Da stellt sich mir die Frage, ob tatsächlich alle röm. Städte vom Rang einer Colonia mit einem Befestigungsring (Vorgraben, Graben, Mauer mit ausspringenden Türmen etc.) fortifiziert waren, ob nicht auch andere relevante Städte befestigt wurden, aber ganz besonders: ab wann das befestigen, der festungsmäßige Ausbau notwendig war und durchgeführt wurde. Laut A. Demandt (Geschichte der Spätantike) sind die großen Römerstädte erst zu Beginn der Völkerwanderungszeit stark befestigt worden, insbesondere die großen städtischen Zentren im "römischen Inland" (also auch diejenigen, die weit von der Grenze zum zunehmend feindlichen Barbaricum entfernt waren (und in der Zeit der Völerwanderungswirren bewährten sich einige der erst relativ spät befestigten Städte gegen die "Barbarenhorden" wie Alamannen, Vandalen usw.)) Das erstaunliche am römischen Städtebau von der späten Republik bis tief in die Kaiserzeit hinein war doch, dass die expandierenden Städte auffallend oft nicht befestigt waren.


Zumindest im römischen Rheinland sind erst mit den unruhigen Zeiten der Barbareneinfälle auch kleinere Siedlungen befestigt worden und teilweise m. W. auch verkleinert worden. Mit dem Fall des Limes mußte das Dekumatland aufgegeben werden. Aber die Raubzüge der Germanen gingen sogar weit in das Imperium. Sogar Südfrankreich und Nordspanien waren betroffen. Sogar Tarraco (Tarragona) wurde 258 von den Franken geplündert.
In Rom selber wurde eine neue Stadtmauer (aurelianische Mauer) in aller Eile gebaut, nachdem Germanen plündernd in Norditalien eingefallen sind.

Ich habe noch einen Blick auf jenseits der Pyrenäen gelegene Römerstädte geworfen: Tarraco/Tarragona und Carthago Nova/Cartagena. Beide Städte wurden schon vor dem Colonia-Status mit Mauern versehen. Allerdings dürften diese als jeweilige Brückenköpfe und Versorgungsbasen der römischen (Tarraco) und punischen (Carthago Nova) Expansionsbestrebungen in Spanien befestigt worden sein. Später wurden diese schon vorhandenen Mauern weiter genutzt und ausgebaut.

Neben Gründen der Verteidigung und des Presitge mag es vielleicht noch einen weiteren Grund für die Anlage und Unterhaltung einer Stadtmauer gegeben haben: im Mittelalter und bis in die Neuzeit waren doch Stadtmauern auch noch dazu da, um den Personen- und Warenverkehr zu kontrollieren. Spontan fallen mir Berlin und Paris ein, die mit jeweiligen Zollschutzmauern umgeben waren. Zur Mauer von Paris hatten wir doch auch mal einen Thread gehabt (Nachschlag - hier isser: http://www.geschichtsforum.de/f328/die-pariser-stadtmauer-im-jahre-1795-a-35196/). Gab es ähnliche Regelungen bereits in der Antike, wenn Waren in die Stadt gebracht worden sind?

Wobei ja in Aventicum offenbar Stadtmauer und tatsächlich besiedelte Fläche nur bedingt miteinander korrespondierten.

Ich vermute, dass in Aventicum die Fläche intra-muros größer als die Siedlungsfläche war.


Pourtant, il semble qu’à l’intérieur de cette surface, l’occupation urbaine des habitations n’ait effectivement couvert que la moitié de cette surface.

https://fr.wikipedia.org/wiki/Nemausus#L.27enceinte
Beim antiken Nîmes war nur die Hälfte des Stadtareals bebaut.

Bei Autun (s. den Abschnitt Taux d'occupation et évolution des îlots S. 180 in Rebourg Alain. L'urbanisme d' Augustodunum (Autun, Saône-et-Loire). In: Gallia, tome 55, 1998. pp. 141-236; Link: L'urbanisme d' Augustodunum (Autun, Saône-et-Loire) - Persée) hat man sogar in der Nähe des Cardo Maximus große unbebaute Flächen gefunden. Möglicherweise handelt es sich dabei aber auch um Gärten. In der CUT waren doch auch einige größere Areale unbebaut.
 
Da stellt sich mir die Frage, ob tatsächlich alle röm. Städte vom Rang einer Colonia mit einem Befestigungsring (Vorgraben, Graben, Mauer mit ausspringenden Türmen etc.) fortifiziert waren, ob nicht auch andere relevante Städte befestigt wurden

Wenn ich mit ein paar Beispiele aus einer vollkommen anderen Region des römischen Reiches aufwarten darf, nämlich aus Griechenland:

Die colonia Korinth, die 44. v. Chr. in den Überresten der von L. Mummius 146 v. Chr. eroberten Polis gegründet wurde (vornehmlich mit griechischen Freigelassenen als Kolonisten), lag innerhalb des alten Stadtmauerrings. Einzelne Tore waren weiterhin verkehrstechnische Zugangspunkte, aber die Stadtmauer selbst erfüllte keinen fortifikatorischen Zweck mehr, da sie 146 v. Chr. in entscheidenden Partien geschleift worden war. Damit ist auch von einer ordnungspolitischen Funktion abzusehen, wie sie hier im Thread verschiedentlich angeklungen ist.

Die colonia Patrai, ebenfalls auf der Peloponnes, wurde 16 v. Chr. von Augustus durch einen Synoikismos gegründet. Die römischen Kolonisten waren vornehmlich Veteranen. Das Stadtgebiet der älteren Polis, das kontinuierlich besiedelt war, wurde massiv erweitert. Nach dem derzeitigen Kenntnisstand besaß die colonia keine Mauer.

Die civitas foederata Nikopolis, gewissermaßen das urbanistische Prestigeprojekt von Augustus nach der Schlacht von Actium 31 v. Chr., erhielt eine Mauer, die allerdings auf der Westseite der Stadt unvollendet blieb. Die sporadische Zahl der Türme war zudem auch nicht gerade state of the art.

Der Bedeutungsverlust der Stadtmauern im hochkaiserzeitlichen Griechenland, der sich vielfach beobachten lässt, zeigt sich schön am Beispiel des makedonischen Dion, unter Augustus zur colonia erhoben. Um die Wende vom 2. zum 3. Jh. n. Chr. hat man über eine zuvor niedergelegte Mauerpartie eine Thermenanlage errichtet.
 
Das ist ganz falsch. Der verheerende Helvetieraufstand 68/69 n. Chr. lag bei Kolonieerhebung gerade ein Jahr zurück. Zusammen mit dem Bataveraufstand und anderen Aufständen im Reich während des Vierkaiserjahres hätte er die römische Macht im Norwesten fast komplett zum Einsturz gebracht. Der Schock saß tief, die flächendeckende militärische Niederlage konnte Rom gerade noch abwenden. Gerade auch deswegen wurde Aventicum zum - auch militärischen (!) - Bollwerk Roms. Natürlich mit Stadtmauer. Die Bewohner der unterworfenen Provinz hatten sich ja gerade erst als feindlich erwiesen.


Es ist wahrscheinlich falsch, den "Helvetieraufstand" als Aufstand gegen die römische Macht anzusehen. Ursache war doch, dass sich die
Helvetier weigerten, die gegen Rom rebellierenden Truppen des Vitellius zu unterstützen.

Der Bataveraufstand hingegen könnte sich tatsächlich gegen die römische Herrschaft gerichtet haben.

Gerade auch deswegen wurde Aventicum zum - auch militärischen (!) - Bollwerk Roms. Natürlich mit Stadtmauer. Die Bewohner der unterworfenen Provinz hatten sich ja gerade erst als feindlich erwiesen.
Diese "feindlichen" Helvetier blieben aber nach wie vor in Aventicum wohnen, nur eben jetzt mit Stadtmauer außen rum. Eine Besiedlung mit Veteranen lässt sich hingegen nicht nachweisen. Wie die erhaltenen Inschriften zeigen, dominierten in der Führungsschicht der Colonia "romanisierte Helvetier, zum Teil Nachfahren des helvetischen Adels"*. Dagegen ist kein einziger Veteran inschriftlich nachgewiesen.



* Regula Frei-Stolba, Die römische Schweiz, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II.5.1
 
Zuletzt bearbeitet:
... In der CUT waren doch auch einige größere Areale unbebaut.
Nein, nach dem derzeitigen Forschungsstand war die CUT komplett bebaut. Auf den Plänen sieht es oft nur anders aus, weil ein großer Teil der Stadt noch nicht ergraben ist. Bisher war es aber immer so, dass dort, wo die Archäologen in den letzten 100 Jahren den Spaten angesetzt haben, auch irgendwelche Fundamente zum Vorschein kamen. Das schließt natürlich nicht aus, dass das noch mal anders kommen könnte. Es erscheint jedoch unwahrscheinlich und in Xanten rechnet niemand damit. Aber die flächendeckende Bebauung überrascht mich gar nicht. Wahrscheinlich war Boden in der CUT teuer und begehrt, und daher gab es auch nichts zu "verschenken", weil das Umland ganz besonders unsicher war (s. Bataveraufstand). Womit ich wieder bei meiner Ausgangsthese bin. Die Stadtmauer war für die CUT gerade in trajanischer Zeit ein unverzichtbarer Schutz.
 
Es ist wahrscheinlich falsch, den "Helvetieraufstand" als Aufstand gegen die römische Macht anzusehen. Ursache war doch, dass sich die Helvetier weigerten, die gegen Rom rebellierenden Truppen des Vitellius zu unterstützen.

Der Bataveraufstand hingegen könnte sich tatsächlich gegen die römische Herrschaft gerichtet haben.

Diese "feindlichen" Helvetier blieben aber nach wie vor in Aventicum wohnen, nur eben jetzt mit Stadtmauer außen rum. Eine Besiedlung mit Veteranen lässt sich hingegen nicht nachweisen. Wie die erhaltenen Inschriften zeigen, dominierten in der Führungsschicht der Colonia "romanisierte Helvetier, zum Teil Nachfahren des helvetischen Adels"*. Dagegen ist kein einziger Veteran inschriftlich nachgewiesen.


* Regula Frei-Stolba, Die römische Schweiz, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II.5.1
Die Helvetier wurden zweifelsohne in den innerrömischen Konflikt zwischen Galba und Vitellius rein gezogen. Bei Wikipedia heißt es dazu: In diesem Zusammenhang kam es zu einem bewaffneten Zusammenstoß zwischen helvetischen Gruppen und der Legio XXI Rapax aus Vindonissa (Windisch). Als Reaktion ließ der römische Feldherr Caecina, der gerade mit dem obergermanischen Heer nach Helvetien gelangt war, hart durchgreifen. Die helvetischen Siedlungen im Aargau wurden geplündert und zerstört. Da die Helvetier Widerstand leisteten, wurden Tausende von ihnen umgebracht oder unter Kriegsrecht als Sklaven verkauft. Schließlich besetzten die römischen Truppen die Stadt Aventicum, die zum Hauptort der helvetischen civitas geworden war, womit der Aufstand endete. Aventicum wurde anschließend ebenfalls in eine römische Kolonie umgewandelt unter dem Namen Colonia Pia Flavia Constans Emerita Helvetiorum Foederata.
Die Römer haben sich somit kurz vor der Stadtgründung ziemlich unbeliebt gemacht bei den Helvetiern und hatten somit guten Grund, deren Rache zu fürchten und ihre neue Colonia mit einer wehrhaften und nicht symbolischen Mauer zu versehen.
Welcher Herkunft die dort neu angesiedelten Römer waren, spielt nur eine nachrangige Rolle. Wenn es mehrheitlich keine Veteranen waren, hatten sie wahrscheinlich umso mehr Gründe, eine wehrhafte Stadtmauer zu bauen.

Was den Bataveraufstand anbetrifft, so wurde er von einem Kommandanten einer Hilfstruppe angeführt. So ähnlich wie bei Arminius 60 Jahre vorher. Und auch dabei wurde das Imperium schwer erschüttert. Das Erschrecken über den Aufstand dürfe somit gewaltig gewesen sein. Die CUT, deren Vorgängersiedlung bei dem Aufstand komplett zerstört wurde, verbunden mit Massakern an der Bevölkerung, worauf es archäologische Hinweise gibt, wird nur 30 Jahre später aus gutem Grund eine wehrhafte Mauer bekommen haben. Die Römer saßen im Rheinland im 1. Jh. noch langst nicht so fest im Sattel, dass sie darauf hätten verzichten können.
 
Welcher Herkunft die dort neu angesiedelten Römer waren, spielt nur eine nachrangige Rolle.
Die Frage ist, ob überhaupt eine nennenswerte Anzahl von Römern "neu angesiedelt" wurde. Auch dafür sehe ich keinen Beleg.
Römer lebten ja schon vorher in der Stadt, darunter die Familie des späteren Kaiser Vespasian, der - ebenso wie die Helvetier - gegen den "Usurpator" Vitellius Widerstand leistete und ihn schließlich stürzte.
So sieht es das Historische Lexikon der Schweiz:
In der Erhebung Aventicums zur latin. Kolonie sieht die Forschung eine Gunstbezeugung Vespasians, der sich den Helvetiern für die gegenüber Galba erwiesene Loyalität bzw. den Kampf gegen Vitellius erkenntlich zeigte, und datiert diesen Rechtsakt deshalb in dessen erste Regierungsjahre.
Flavier
 
Richtig. Die kleineren Siedlungen waren im 2. Jh. unbefestigt. Die großen aber alle (Trier, Köln, Xanten, Mainz usw.). Das ist ganz einfach zu erklären. Je größer die umfriedete Siedlung ist, desto geringer wird der individuelle Anteil eines jeden Einwohners an einer Stadtmauer. Anders ausgedrückt: Je mehr Einwohner eine Stadt hat und je komprimierter diese gewohnt haben, desto geringer ist der Anteil eines jeden Bürgers an der Errichtung bzw. am Erhalt und Betrieb der Stadtmauer. Einfache Mathematik. Anders ausgedrückt: Je kleiner eine Siedlung war, desto weniger konnten sich die Bewohner eine Stadtmauer leisten.

Nachdem geklärt ist, dass der Teil "Die großen aber alle" so nicht richtig ist, nochmal zu den beiden Beispielen Carnuntum und Aventicum. Wie gesagt:

Carnuntum befand sich im frühen 2. Jh. direkt an einer kritischen Grenze, hatte 50.000 Einwohner und war Sitz einer Provinzverwaltung.

Aventicum war weg von einer Grenze und hatte nur 20.000 Einwohner. Das war eine mehrheitlich helvetische Bevölkerung, deren Oberschicht auch "in der Kolonie selbst die führende Rolle" innehatte (Frei-Stolba). Daneben gab es - ebenfalls seit Jahrzehnten - eine Minderheit von Zugezogenen, jedoch keine nennenswerte Militärpräsenz.

Die Römer haben sich somit kurz vor der Stadtgründung ziemlich unbeliebt gemacht bei den Helvetiern und hatten somit guten Grund, deren Rache zu fürchten und ihre neue Colonia mit einer wehrhaften und nicht symbolischen Mauer zu versehen.

Einen richtigen Grund zum Fürchten hatten die Einwohner von Aventicum nur einmal, als nämlich die Truppen des Vitellius gegen die Stadt vorrückten...
 
Die Frage ist, ob überhaupt eine nennenswerte Anzahl von Römern "neu angesiedelt" wurde. Auch dafür sehe ich keinen Beleg.
Wen interessiert die Frage? Rom hatte kurz vor Koloniegründung Massaker im Umfeld veranstaltet. Ergo lag die Stadt in (vorerst) feindlicher Umgebung, eine wehrhafte Mauer machte Sinn. Aber das hatten wir doch schon.

Nachdem geklärt ist, dass der Teil "Die großen aber alle" so nicht richtig ist, ...
Die Colonia Korinth hatte keine Mauern? Schön, aber wenig überraschend, war sie doch ein paar Jahrhunderte älter und lag 250 Jahre im längst friedlichen Griechenland, als die CUT gegründet wurde. Und dann sehr fern der Grenzen. Was einmal mehr zeigt, dass die Römer (bzw. romanisierte Griechen) sogar auf eine Stadtmauer verzichteten, wenn man sich vergleichsweise sehr sicher fühlen konnte. Zu Repräsentationszwecken hat man dann wohl doch lieber Thermen, Foren oder Tempel gebaut. Das passt zu meiner These.

nochmal zu den beiden Beispielen Carnuntum und Aventicum. Wie gesagt: ...
Richtig, wie gesagt. Ich möchte mich aber nicht wiederholen.

Bevor wir jetzt noch weiter von der Ausgangsfrage abkommen und womöglich noch die Bevölkerungsstruktur Korinths diskutieren (wozu ich keine Lust habe), möchte ich zum Abschluss zu meiner ursprünglichen These zurückkommen, nämlich, dass ich es für völlig falsch halte, was der Archäologe Becker über die trajanische Stadtmauer der CUT sagt, nämlich: "Dass der Mauerbau einfach nur schicklich und keinesfalls als Verteidigungsinstrument gedacht war...". Ich bin dagegen weiter der Meinung, dass die Stadtmauer sehr wohl und in erster Linie militärische Bedeutung hatte, ja, dass sie gerade im Fall der CUT lebenswichtig war. Ich möchte die Argumente dafür nicht wieder und wieder durchkauen und belasse es bei einem letzten neuen Argument, das mir heute zufällig über den Weg lief:

Prof. Matthias Warmhoff befasst sich in seiner erst vor wenigen Tagen erschienenen Sendung "Rom am Rhein" sehr ausführlich mit der CCAA und dabei ganz besonders mit der Stadtmauer aus dem 1. Jh., die er als "Bollwerk" und "uneinnehmbar" bezeichnet, was, so wird es dargestellt, gerade der Bataveraufstand belegt, der im Zentrum der ersten Folge steht. Es wird in dem Film so dargestellt, dass die Bataver die CCAA wegen der starken Mauern (die nur wenig stärker waren als die der CUT) militärisch nicht einnehmen konnten, während die ebenfalls befestigten Legionslager Xanten und Bonn bereits erobert worden waren. Andererseits saßen die Bewohner in der Falle, Hoffnung auf Entsatz gab es nicht, die römischen Truppen waren abgezogen nach Italien. Deswegen gab es Verhandlungen zwischen den Batavern und den Bewohnern der CCAA, die schließlich zu einem (angeblich typisch kölschen) Seitenwechsel (zum Schein) führten, da man einer längeren Belagerung mangels Vorräten nicht standhalten könnte. Wie realistisch Warmhoff die Situation in der für den "leichten Genuss" erstellten Sendung darstellt, bleibt offen. Tatsache scheint es aber gewesen zu sein, dass den Batavern die Stadtmauer ein gewaltiger Dorn im Auge war, und dass ihre Forderung, diese zu schleifen, zum erneuten Seitenwechsel der Kölner führte, weil man sich keineswegs den Schutz durch die Mauer nehmen lassen wollte. Das jedenfalls berichtet Tacitus.

Wie auch immer; wenn die Stadtmauer der CCAA die Bataver, wenigstens zeitweise, stoppen konnte, kann sie ja wohl kaum nur "repräsentativen Charakter" gehabt haben. Im Gegenteil, sie hat ihren militärischen Nutzen im Bataveraufstand sehr wohl unter Beweis gestellt. Und da die Gefahrenlage in antiken Köln mit der des antiken Xanten noch am ehesten zu vergleichen ist, behaupte ich mal abschließend, die Mauer der CUT war ähnlich wehrhaft wie die der CCAA. Und das war auch der Sinn und Zweck dieser Mauer.

Wenn ich mal wieder in Xanten bin, werde ich Herrn Becker fragen, wie er zu seiner gewagten These kommt.

Für mich ist das Thema jetzt abgeschlossen. Aus meiner Sicht ist alles gesagt.

Ach ja, der Link zu der netten Sendung von Prof. Warmhoff:
https://www.youtube.com/watch?v=iY9LA8HxcMg
 
Zurück
Oben