Mein Gedankengang ist eigentlich der: Wir haben in Dtld. ja seit ca. 20 Jahren mit der Wiederkehr des Wolfs "zu kämpfen". Es gibt Leute, die die Wiederkehr des Wolfs begrüßen und es gibt solche, denen das Angst macht. Ich selbst gehöre zu beiden Gruppen. Ich finde das toll und denke auch, dass Wölfe im Normalfall keine Gefahr für den Menschen darstellen. Allerdings: Ich habe schon im Kindergartenalter alleine im Wald gespielt. Ich weiß nicht, ob ich das heute noch so erlauben würde, wenn ich Kinder hätte. Ein Kind könnte ein leichtes Opfer sein. Und deshalb interessiert mich, welche historischen Erfahrungen hinter den verschiedenen Legenden stecken, die vom Wolf als Räuber und vom Wolf als Lebensretter sprechen.
Charismatisches Großwild hat zu allen Zeiten die Phantasie des Menschen angeregt, wie viele Städte, Staaten, Länder und Gemeinden führen Löwen, Leoparden, Bären oder Stiere im Wappen. Homer erwähnt in unzähligen Gleichnissen das Verhalten von Löwen: Menelaos freut sich wie ein Löwe, der "großem Kadaver im Gebirge begegnet, als er zum Zweikampf mit Paris/Alexandros antritt. Ajax zieht sich missmutig beim Kampf um die Mauer zurück wie ein Löwe, den Hunde und Hirten zwingen, sich von der Herde zurückzuziehen. Achilleus weint um Patroklos wie eine Löwin, der Jäger die Jungen raubten, und er begibt sich auf den Kriegspfad mit dem Zorn eines verwundeten Löwen, der seinerseits dem Jäger auflauert.
Der Wolf ist eines der am weitesten verbreiteten Landraubtiere und den meisten Kulturen gut bekannt. Nordamerikanische Nations bewunderten den Wolf als Jäger, verehrten seine Intelligenz, seinen Familiensinn. Andererseits war der Wolf seit Beginn der Viehhaltung ein Nahrungskonkurrent des Menschen, der scharf bejagt wurde. Das traf auch auf andere Raubtiere zu, wobei von Löwen, Leoparden und Bären weitaus mehr Angriffe auf Menschen zu verzeichnen waren/ sind, als bei Wölfen dokumentiert. Trotzdem sind Leoparden, Tiger, Löwen und Bären nie so erbarmungslos bis zur Ausrottung bekämpft worden wie Wölfe.
Bären, Löwen und Tiger waren Hochwild, deren Erlegung teilweise schon in der Antike Königsprivileg war. Indische Maharadschas haben viele Tiger geschossen, sie aber auch gehegt wie europäische Potentaten ihr Rotwild. Der Asiatische Löwe, mit dem sich einst Heroen wie Herakles und Simson herumbalgten, den Homer so bildreich beschrieben hat und dessen Verbreitungsgebiet sich bis nach Makedonien erstreckte (, Herodot schreibt, dass die makedonischen Löwen die Kamele des Xerxes zum fressen gern hatten) verdankt sein Überleben im winzigen Habitat des Gir Forrest Parks der Hege eines indischen Nabots.
Der Wolf fand solche Heger in Europa nicht. Der Hund gilt als "bester Freund" des Menschen, als Sinnbild für Treue, man denke an die Episode von Odysseus Heimkehr nach Ithaka, der nur von seinem Jagdhund Argos wiedererkannt wird, und der Wolf ist der Stammvater aller Hunderassen. Dennoch wurde der Wolf zum "bösen Wolf" zum Sinnbild des Bösen schlechthin, zu einem Raubtier, dass wie kaum ein anderes solche Urängste erregt. Das ist ein kulturhistorisch interessantes Phänomen.
Ich würde aber schon die These vertreten, dass solche Ängste in der Zeit der Antike noch nicht Gemeingut war. Ambivalent war natürlich schon damals die Einstellung zum Wolf. Die Wölfe Geri und Fregi sind Begleiter Wodan/Odins, andererseits wird einst die Bestie des Fenris Wolfs Odin verschlingen und die Götterdämmerung auslösen. Der Wolf war eine geschätzte Jagdbeute, deren Erlegung mit Steigerung des Prestige verbunden war , der Wolf war ein Symbol für Stärke, Aggressivität und Autonomie und auch geschätzt als vierbeiniger Gladiator in römischen Venationes.
Wölfe galten aber natürlich auch als Schädlinge und Bedrohung für Nutztiere, und als solche wurden sie natürlich scharf bejagt. Es gab schon in der Antike abgetrennte Jagdgebiete, in denen die Ausübung der Jagd Privileg war, prinzipiell aber war die Ausübung von Jagd und Fischerei frei, jeder, der sich die Ausrüstung leisten konnte, durfte jagen.
Im Frühmittelalter begann die Jagd ein Privileg des Adels zu werden, der immer härter auf dieses Recht pochte. Wer in den karolingischen Königsforsten beim Wildern erwischt wurde, kam noch relativ glimpflich davon, das änderte sich aber in den kommenden Jahrhunderten, und Wilderei wurde teilweise sogar mit Todesstrafe bestraft. Die Aristokratie betrachtete jedes Stück Wild als persönliches Eigentum, und wer sich am geliebten herrschaftlichen Schalenwild verging, egal ob Mensch oder Tier wurde erbarmungslos verfolgt. Bären waren Hochwild, Wölfe dagegen durften auch von Vertretern des unehrlichsten Berufes-den Scharfrichtern- gejagt werden. Da war jedes Mittel recht, Wölfe wurden mit Gift oder auch Wolfsangeln erlegt. Eine Wolfsangel ist ein ankerförmiges Metallstück mit zwei scharf geschliffenen Haken. Diese Haken wurden mit Fleisch beködert und gerade noch in Sprunghöhe eines Wolfs an einem Baum befestigt. Sprang der Wolf hoch und schnappte danach, hing er am Haken und musste elend zugrunde gehen.
Ich würde sagen, dass der "böse Wolf" erst im Mittelalter geboren wurde. Es war eine ziemlich komplizierte Gemengelage, die zu einem Paradigmenwechsel im Wolfsbild führte: Beigetragen haben 1. Christianisierung, 2. Entwicklung des feudalen Jagdrechts im Mittelalter, 3. die verbreitete Form der Waldweidewirtschaft. 4. Die Werwolf-Hysterie im 17. Jahrhundert, als fast so viele Werwölfe wie Hexen exekutiert wurden.
Mit der Christianisierung verschlechterte sich das Image des Wolfs. Schon im alten Testament, wird häufig die Metapher von reißenden Wölfen gebraucht. Gott wurde als "guter Hirte" symbolisiert, da lag es nahe, im Wolf eine Kreatur Satans zu sehen. Die im Mittelalter gebräuchliche Form der Waldweide bedeutete, dass für Wölfe buchstäblich die Dinnerglocke geläutet wurde. Das Leben der Bauern war schon mit Abgaben und Fronden schwer belastet, der Verlust von Vieh, den natürlich niemand ersetzte, konnte durchaus existenzbedrohliche Züge annehmen.
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Das Zusammenleben mit großen Raubtieren ist niemals konfliktfrei. Der Wolf ist ein hoch entwickelter Beutegreifer, der das frisst, was er zu überwältigen im Stande ist. In freier Wildbahn ausgewachsene Bisons und Elche. Im Normalfall gehört der Mensch und seine Nutztiere nicht in das Beutespektrum des Wolfs. Angriffe auf Menschen sind extrem seltene Ausnahmen, Fälle, in denen Wölfe Menschen nicht nur angefallen, sondern sogar gefressen oder angefressen haben, sind noch seltener, und das waren auch ganz andere Zeitumstände. Es ist aber schlichtweg Augenwischerei, wenn wie es manche Wolfsliebhaber tun, Wölfe kategorisch für harmlos erklärt werden. Im schwedischen Kolmarden warb ein Wildpark als besondere Attraktion damit, dass Besucher das Wolfsgehege betreten durften. Eine Pflegerin betrat gegen Rat das Gehege allein, und das Rudel griff sie an und tötete sie.
Den Wolf hat kein Maharadscha oder Nabot gerettet, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks tauchten Wölfe plötzlich nach mehr als 100jähriger Abwesenheit aus der Konkursmasse wieder auf. Wissenschaftler und Engagierte wie Erik Ziemen und Werner Freund haben seit den 1980ern viel getan, das öffentliche Bild des Wolfs zu verbessern und antiquierte Vorurteile zu revidieren. Der "böse Wolf" schien nur noch ein Schreckgespenst, ein Kinderschreck aus grauer Vorzeit zu sein, der Omas und Rotkäppchen frisst. In meiner Jugend haben die Flüchtlinge erzählt, dass die Wölfe in manchen Jahren bis nach Ostpreußen kamen, inzwischen sind die Wölfe weiter nach Westen vorgedrungen als "der Russe" sich jemals hätte träumen lassen. Die Biester drohen, die heimischen Stadtwälder, und in unmittelbarer Nähe zum eigenen Idyll wollen selbst die großen Enthusiasten Canis Lupus dann doch nicht haben. Die Wölfe haben nicht um Erlaubnis gefragt, sie haben sich ökologische Nischen zurückerobert, den Umgang mit dem Wolf müssen wir erst wieder lernen, Herdenschutz, Wolfsmanagement etc. da fehlt es an praktischen Erfahrungen.
Rational betrachtet dürfte die potenzielle Gefahr für Kinder im Asphaltdschungel wesentlich größer sein, aber die Zahl der Verkehrstoten erschreckt uns nicht wirklich, ein Kleinkind, das von einem Laster zerquetscht wird, ist eine grauenhafte Vorstellung- ein Kind, womöglich das eigene Kind, das von einem Wolf gefressen wird eine unerträgliche Vorstellung, die Urängste mobilisiert.
In den 1820er Jahren erschütterte der Fall der Wölfe von Gysinge. Bei einer Jagd hatten Dorfbewohner eine Wolfhöhle ausgehoben und zwei Welpen mitgenommen. Ein Welpe wurde verkauft der andere wurde von einem Paar wie ein Hund gehalten. Mit zunehmendem Alter wurde das Tier unkontrollierbar und der Jäger setzte den Wolf aus, man glaubte, das Tier könne ohne Rudel nicht überleben. Der Wolf, der die Scheu vor Menschen verloren hatte wurde zu einem der wenigen Maneater, die es unter Wölfen gab und versteckte sich im Dorf und fiel immer wieder Kinder und Jugendliche an. Als der Fall bekannt wurde, begann man systematisch damit, Wölfe in Schweden auszurotten. Wer erinnert sich nicht an Hänsel und Gretel, die befürchten, zu verschmachten oder von wilden Tieren gefressen zu werden. Der Wald in Märchen bietet einerseits Schutz, ist aber auch reich an Bedrohungsszenarien.
Rotkäppchen wird aber erst zur leichten Beute, als sie Vorsichtsmaßnahmen in den Wind schlägt, solange sie auf dem Weg bleibt, kann der Wolf oder Werwolf nichts machen. Im Epilog des Märchens der Grimms wird erwähnt, dass Rotkäppchen sich bei einer späteren Konfrontation mit einem (Wer)Wolf besser bewährt.