Nikolai Wassiljewitsch Krylenko † 29.7.1938
Welcher Schachspieler hat im 20. Jahrhundert den größten Einfluss auf die Entwicklung des Spiels gehabt? Eine sicher zu allgemeine Frage, die kaum sinnvoll beantwortet werden kann (selbst in übersichtlichen 19. Jahrhundert ist nicht restlos klar, ob man eher Morphy oder Steinitz nennen sollte - erst beide zusammen machen die große Revolution aus, wobei die Arbeit der theoretischen Fundierung durch Steinitz natürlich viel umfangreicher war).
Der wohl stärkste Spieler des Jahrhunderts - Kasparow - scheidet aus, da er zumindest aus aktueller Sicht nicht sehr viel Dauerhaftes hinterlassen hat (er hat eher alte Strukturen zerstört, was nun nicht per se schlecht sein muss - nur waren eben seine Alternativen leider nicht lebensfähig, ebenso wie er zu wenig beständig und zu sehr am eigenen Vorteil interessiert). Eher könnte man im Westen noch Fischer zählen, der fraglos wichtige Impulse gab - die immer noch existierende Kultur des Schachprofitums ist ohne die seinerzeit durch ihn erregte Aufmerksamkeit nicht denkbar.
Dennoch, wenn es überhaupt eine Hauptströmung des 20. Jahrhunderts gab, dann war es die Dominanz der sowjetischen Schachschule. Man könnte hier also Botwinnik auf den Schild heben, aber Grundlagen und Umfeld hat ein anderer geschaffen: Nikolai Krylenko, der vor 70 Jahren den Moskauer Schauprozessen zum Opfer fiel.
Es war wie immer vor allem ein Zufall, dass der Bolschwist der ersten Stunde, der eine wesentliche Rolle bei der Machtergreifung 1917 spielte, eben auch ein Schachfanatiker war - und seine einflussreichen Posten der nächsten zwanzig Jahre nutzte, um ein riesiges Sportförderungssystem aus dem Boden zu stampfen. (Er war im übrigen, wie die meisten seiner Mitgenossen, kein sehr angenehmer Mensch, und dass er dann vor siebzig Jahre unter die Räder einer Maschine geriet, die er selbst wesentlich mitgebaut hatte, nötigt nur begrenztes Mitleid ab). Bei allen Wandlungen und Umbrüchen - in den Grundzügen hat sich diese Organisation bis heute erhalten, und es gibt gute Aussichten, dass Russland auch zur 100-Jahr-Feier der Schachschule (so in 20 Jahren) immer noch ganz oben steht.