Selbstauflösung der Zentrumspartei

iamNex

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Sup!

In Christopher Hitchens religionskritischem Buch "Der Herr ist kein Hirte" bin ich auf folgende Behauptung zur Selbstauflösung des Zentrums im Juli 1933 gestoßen:

"Die erste diplomatische Übereinkunft, die Hitlers Regierung am 8. Juli 1933, wenige Monate nach der Machtergreifung, traf, war ein Vertrag mit dem Vatikan. Im Gegenzug für die unangefochtene Kontrolle über die Erziehung katholischer Kinder in Deutschland, die Einstellung der Nazipropaganda gegen Missbrauchsfälle in katholischen Schulen und Waisenhäusern und das Zugeständnis weiterer Privilegien an die Kirche, ordnete der Heilige Stuhl die Auflösung der katholischen Zentrumspartei an und befahl den Katholiken knapp, sich jeglicher politischen Aktivität in allen Bereichen zu enthalten, die das Regime für tabu zu erklären gedachte."

(Hitchens: Der Herr ist kein Hirte. Wie Religion die Welt vergiftet. München 2007, S. 287.)

In wikipedia finde ich dazu nur folgende Aussage:
Nach dem Abschluss der von Brüning scharf kritisierten Papenschen Version des Reichskonkordats verlor die Partei auch noch den Rückhalt im Vatikan und sah sich weiterer Drohungen seitens der NSDAP und Verhaftungen führender Mitglieder gegenüber.
(Deutsche Zentrumspartei ? Wikipedia)

Das klingt aber viel passiver, als die Aussage, dass der Vatikan die Auflösung des Zentrums regelrecht anordnete.
Außerdem bezieht Hitchens sich doch hier auf das Reichskonkordat. Dieses wurde aber doch am 20. Juli '33 abgeschlossen und nicht am 8., oder?
Die Selbstauflösung des Zentrums fand aber schon am 5. Juli statt.

Ich blick grad nich so ganz durch. Ordnete der Vatikan wirklich die Auflösung des Zentrums an?

Cheers.
 
Das gehört doch vermutlich in das Umfeld der jahrzehntealten Repgen-Scholder-Debatte mit spekulativem Zusammenhang von Zustimmung des Zentrums zum Ermächtigungsgesetz und Reichskonkordat.

Das wäre hiernach (und nach der zitierten Veröffentlichung aus 2009) erledigt:
Bayerischer Multimediaserver - Objektansicht

EDIT: da der link permanent nicht funktioniert, bitte über die google-Suche
"auflösung der zentrumspartei bibliotheksverbund bayern"
eingeben. Beim dritten Treffer landet man auf der Seite:
PDS SSO
... und bei der richtigen Datei.:winke:
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Zentrumspartei war keineswegs eine kirchliche Organisation. Der Vatikan hätte die Partei dazu auffordern können, aber eine Auflösung konnte nur durch die Partei selbst geschehen. Anordnen ist mit sicherheit das falsche Wort. Die Tatsache, dass den katholischen Priestern politische Aktivität untersagt wurde ist allerdings bekannt, aber die Macht des Vatikans reichte wohl keineswegs so weit, dass er allen Katholiken die politische Betätigung verbieten konnte. Mit dem Ermächtigungsgesetz war eigentlich klar, dass neben der NSDAP keine weiteren Parteien mehr existieren konnten. Es gab zudem den latenten Druck der NSDAP sich entweder aufzulösen oder verboten zu werden, wie SPD und KPD.
 
Nach der Zustimmung zum "Ermächtigungsgesetzt" ging es für das zentrum um das schiere Überleben. Der politische Druck wuchs Permanent und die Mitglieder verließen die Partei hat die Bischhofskonferenz am 28.März zur loyalen Unterstützung des neuen Staates aufgerufen.

Bei den Verhandlungen bezüglich des Reichskonkordats war übrigens auch Prälat Kaas dabei. Brünning übernahm den Parteivorsitz mit weitreichenden Vollmachten, aber auh er vermochte der partei kein neues Leben einzuhauchen. Der Auflösungsprozß der Parteien und Gewerkschaften war ja auch nicht zu übersehen.

Das der Vatikan bereit war das Zentrum zu opfern, das war für Brünnung klar. Es blieben Resignation und die Selbstauflösung am 05.Juli.

Das Reichskonkordat wurde am 20.Juli 33 unterzeichnet und am 10.September rechtskräftig.

Informationen zur politischen Bildung Heft 251
 
Mehr noch: Das Zentrum war die letzte der Parteien der Mitte, die sich selbst auflöste. Von den demokratischen Parteien außer der Auslands-SPD Sopade also die Partei, die sich am längsten der Auflösung gegenüber querstellte. Nicht einmal die monarchistische, den Nazis den Steigbügel haltende DNVP hat im Nationalsozialismus so lange überlebt.
Es ist wieder mal schön erkennbar, wie unter Verschweigen wichtiger Fakten Skandale aufgedeckt werden, die keine sind.
 
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@Nex

Welche Quellenangaben/Literaturangaben finden sich in Deiner Literaturangabe? Im Konkordat finde ich dazu nichts, außer in den Artikeln 16 und den Artikeln 30 ff. In Artikel 32 sagt der Vatikan zu, daß "Geistliche und Ordensleute" in politischen Parteien nicht tätig werden dürfen sowie geeignete Bestimmungen erlassen werden und hierzu hat der Papst durchaus das Recht.

Vergl.:

Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich (1933)

M.
 
Es ist wieder mal schön erkennbar, wie unter Verschweigen wichtiger Fakten Skandale aufgedeckt werden, die keine sind.

Nach der Öffnung der Archive des Vatikans - die der deutschen politischen Parteien sind mE schon seit Jahrzehnten, soweit sie den Krieg überdauerte, offen. Ganz abgesehen von den NS- und Akten des Auswärtigen Amtes, soweit es solche Absprachen gegeben hätte - für Forschungszwecke hat sich jedenfalls nichts Neues ergeben.

Die alte Debatte über die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz über Auflösung und Konkordat, also eine angebliche Absprache zwischen NS-Diktatur und Vatikan basierte ohnehin auf vorgelegten Indizienketten statt Quellen. Das war auch Ursache des oben genannten Streits.
 
Also, ich wäre immer vorsichtig, wenn in Sachbüchern neben dem Hauptthema Bezug zu historischen Ereignissen hergestellt wird (vgl. "Thilo Sarrazin - Deutschland schafft sich ab!"), schon gerade wenn es sich dabei um ein derartiges "Hetz-Werk" Handelt wie von Hitchens. Mit Historischen "Fakten" lässt sich der Leser sehr gut manipulieren. Ich finde es gut, dass du diesen Punkt hier hinterfragt hast, iamNex!
 
gerade wenn es sich dabei um ein derartiges "Hetz-Werk" Handelt wie von Hitchens. Mit Historischen "Fakten" lässt sich der Leser sehr gut manipulieren. Ich finde es gut, dass du diesen Punkt hier hinterfragt hast, iamNex!

Danke, ja deine Vorsicht teile ich. Auch wenn ich das Buch von Hitchens einfach unglaublich gut und logisch fand.
 
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