Strafmaß Arbeiter Industrialisierung

moeti.

Neues Mitglied
Hallo zusammen,

ich beschäftige mich in letzter Zeit viel mit der Lage des Proletariats zur Zeit der Industrialisierung. Dabei habe ich auf eine meiner Fragen noch keine Antwort gefunden:
Man findet immer wieder mal eine Auflistung darüber, wieviel die Arbeiter für welches "Vergehen" bezahlen mussten - konkret habe ich hier einen Auszug aus dem sog. "Rothen Strafbuch" vor Augen, das in der Schnellpressfabrik König und Bauer in Würzburg angelegt wurde. Hier wurde akribisch aufgelistet, wer was weswegen zu bezahlen hatte.
Meine Frage nun an Euch: wer setzte derartige Kataloge fest? also, wer bestimmte denn das Strafmaß? waren dies immer die Unternehmer? oder wurde dies staatlich gesteuert?

Vielen Dank für Eure Hilfe -
moeti.
 
Solche Strafen und Maßregeln standen meist in Arbeitsordnungen, die von den Unternehmern erlassen und vollstreckt wurden. Der Staat war hauptsächlich bei unternehmensübergreifenden "Problemen" wie Streiks involviert.
Dass Unternehmern so weitgehende Rechte eingeräumt wurden bzw. sie sich diese herausnehmen konnten, kann man im Kontext der obrigkeitsstaatlichen Vorstellungwelt sehen, die ja auch Gutsherren sogar Gerichtsbefugnisse zubilligte.
Sozialkritisch könnte man sagen, dass eher die Unternehmer die staatlichen Organe steuerten als umgekehrt.
 
Wie Liborius schon schrieb wird vieles in der Arbeitsordnung geregelt. Die muss man bei der Einstellung auch unterschreiben. Die ist heute eine Betriebsvereinbarung, also zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung abgestimmt.
Wo es keinen Betriebsrat oder vergleichbares gibt war die Instanz wohl nur die Geschäftsführung. Zum anderen mussten auch in der Frühindustriealisierung die Gesetze eingehalten werden, wie Gewerbeordnung, BGB und StGB u.s.w.
Nur, wer an Behörden Missstände gemeldet hat, wie Gesetzesübertretung verlor auch sehr schnell mit fadenscheinigen Argumenten seinen Arbeitsplatz. Zum anderen waren in der Frühindustriealisierung sehr viele Tagelöhner beschäftigt. Die hatten noch weniger Chancen sich gegen die Geschäftsführung durchsetzten.

Apvar
 
...vertiefende Frage - sollten die Unternehmer mit ihren Firmen ihr Kapital erhöht haben, gab es auch Fälle, in denen sie die Löhne der Arbeiter erhöhten??
 
Hallo zusammen,

.. konkret habe ich hier einen Auszug aus dem sog. "Rothen Strafbuch" vor Augen, das in der Schnellpressfabrik König und Bauer in Würzburg angelegt wurde. Hier wurde akribisch aufgelistet, wer was weswegen zu bezahlen hatte.
..
moeti.

Hast Du einen Link?
Würd mich interesssieren.

Grüße hatl
 
...vertiefende Frage - sollten die Unternehmer mit ihren Firmen ihr Kapital erhöht haben, gab es auch Fälle, in denen sie die Löhne der Arbeiter erhöhten??

Eine Kapitalerhöhung wird in der Regel durch die Einzahlung von Geld seitens der Kapitaleigner durchgeführt, nur ausnahmsweise auch einmal durch die Zuweisung von Gewinnen in den Kapitalstock.

Du meinst doch wohl eher, ob es Fälle gab, in denen Kapitaleigner im Falle üppiger Gewinne einen Teil der Erhöhung der Löhne zuwiesen?

Das würde voraussetzen, dass sie sicher davon ausgingen, dass die Profitsituation anhalten würde. Ansonsten hätten sie allenfalls einmalige Prämien auszahlen können.

Für den genannten Zeitraum weiß ich das nicht, würde aber vermuten, dass auch dies auftrat, da nicht jeder Kapitalist automatisch ein Unmensch war, die Frage ist eher mit welcher Häufigkeit. Und ich fürchte, wahrscheinlich eher selten.

Streiks als Druckmittel um z.B. Lohnerhöhungen durchzusetzen, waren damals ja noch kriminalisiert. Allerdings müssten auch damals Arbeiter das Recht gehabt haben, fristgemäß zu kündigen, was auch ein Druckmittel sein kann.
 
...vertiefende Frage - sollten die Unternehmer mit ihren Firmen ihr Kapital erhöht haben, gab es auch Fälle, in denen sie die Löhne der Arbeiter erhöhten??

Kapitalerhöhungen gibt es bei Kapitalgesellschaften, also Firmen die eine Juristische Person darstellen. Beispiel ein Kommanditgesellschaft oder eine Aktiengesellschaft.
Ein Unternehmer ist eine reale Person, der auch die Firma gehört und er selber das sagen hat.
Unternehmer ? Wikipedia
Kapitalgesellschaft ? Wikipedia
Kapitalerhöhung ? Wikipedia
Portal:Wirtschaft ? Wikipedia

Zu Deiner Frage eine Gegenfrage. Wozu? Mit einer Kapitalerhöhung bekomme ich bessere Kredite, weil mehr Betriebsvermögen. Das machte und macht man meist wenn man in Sachgüter investieren will. Aus Sicht der vieler Unternehmer der Industrialisierung ist Personal ein reiner Kostenfaktor.

Apvar

P.S. Denn Arbeitern und Angestellten Löhne/Gehalt und Prämien vorzuenthalten würde ich eher als Gewinnmaximierung sehen.
Arbeiter = Lohn
Angestellter = Gehalt
 
Zuletzt bearbeitet:
ich beschäftige mich in letzter Zeit viel mit der Lage des Proletariats zur Zeit der Industrialisierung. Dabei habe ich auf eine meiner Fragen noch keine Antwort gefunden:
Man findet immer wieder mal eine Auflistung darüber, wieviel die Arbeiter für welches "Vergehen" bezahlen mussten -

Die bisherige Diskussion wirkt ein wenig so, als wenn sie in fast jeder Beziehung von den realen Verhältnissen der damaligen Zeit komplett abstrahiert.

Vor allem wird die Dimension des sozialen Leids, das durch die Industrialisierung erzeugt wurde, nicht angemessen berücksichtigt. Bereits im Jahr 1837 gab es in Preußen die erste Kinderschutzdebatte, in denen die skandalösen Arbeitsbedingungen kritisiert worden sind (vgl. Pöls, Deutsche Sozialgeschichte, Bd. 1, S. 243ff)

Eingebettet ist diese Situation der problematischen Kinderarbeit in die problematischen Arbeitsbedingungen der Industrialisierung und der damit zusammenhängenden "sozialen Frage".

Soziale Frage ? Wikipedia

Entsprechende Darstellungen zu dieser Situation findet sich bei Engels, "Die Lage der arbeitenden Klasse in England".

Und bei Thompson (The making of the English working class, S. 189ff) werden die Konsequenzen der Ausbeutung des Proletariats beschrieben. Wobei er zu einem differenzeirten Ergebnis kommt (S. 212).

Vor diesem Hintergrund stellte sich die Frage nach der Durchsetzung der Interessen des anwachsenden Proletariats.

Zum einen im Bereich der Wirtschaft und damit zusammenhängend im Bereich der Politik.

Und es wird deutlich, das im wilhelminischen Deutschland sich ein Interesse von Staatswegen ergab, die soziale Frage politisch zu kontrollieren. Man befürchtete soziale Unruhen oder gar eine Revolution.

Im Rahmen des Sozialistengesetzgebung wurden die entsprechenden Gesetze formuliert, die eine Disziplinierung der Vertreter der Arbeiterschaft ermöglichten.

Sozialistengesetz ? Wikipedia

Unterhalb dieser Ebene gab es aber auch zusätzliche Möglichkeiten einer konzertierten Aktion von Staat und Arbeitgebern, Arbeiter und ihre Vertreter durch repressive Maßnahmen einzuschüchtern.

So wurde beispielsweise die Teilnahme an gewerkschaftlichen Aktionen durch die Eintragung in "Schwarze Listen" sanktioniert. Das kam im Prinzip einem Berufsverbot gleich und damit der fast automatischen Vernichtung einer "normalen" Existenz.

Saubere Papiere konnte sich ein Arbeiter nur besorgen, sofern er sich beispielsweise verpflichtete ein paar Jahre "freiwillig" zur See zu fahren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hi moeti,

ich hab mir das durchgelesen und finde es sehr lesenswert!
Es erinnert mich auch schon (Seite 7) ein bisserl an Szenen denen ich als junger Mann bei speziellen Gelegenheiten beiwohnen durfte. :D
Na gut, lustig ist das nicht wirklich.

Was ich nicht herausfinden konnte: wer ist Nicolaus Joniak, der ja offensichtlich richtig berühmt ist?
Was ich auch nicht finden konnte, war der Bezug zum "Rothenbuch" und "König und Bauer" in Würzburg.

Wie kommst Du auf das Büchli?

Grüße hatl
 
Hi Hatl,
oh sorry, du wolltest ja das rothe strafbuch - du siehst, ich bin derzeit etwas gestresst.
Den Auszug daraus hab ich bei Henke-Bonkschatz, Industrialisierung entdeckt.

hmmm wie komme ich drauf....zufall! ;)
 
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