Das Cantar del Mio Cid ist eigentlich recht realistisch gehalten. Es lobt zwar Don Rodrigo und bemüht sich um ein durchgehend positives Bild, es werden ihm aber keine phantastische Taten angedichtet wie Helden in anderen mittelalterlichern Epen (z.B. dem Rolandslied).
Findest du? Eigentlich gelingt es ihm doch im Cantar immer, mit einer keinen Schar Verbündeter eine Übermacht in die Flucht zu schlagen und dabei eine ganze Menge Feinde zu erschlagen. So etwa 15 Mauren in dem Handstreich, in dem er Castejón erobert:
Mio Çid Ruy Diaz | por las puertas entrava,en mano trae | desnuda el espada,quinze moros matava | de los que alcançava.
Und bei der Schlacht zur Verteidigung der kurz zuvor eroberten Burg Alcocer, als der Cid mit 300 Mann gegen 3.000 Mauren ausreitet, sollen 1.300 Mauren auf den Schlachtfeld geblieben sein. Das macht im Durchschnitt mehr als 4 Mauren getöteten pro Christen und allein Minaya Hañez soll 34 erledigt haben:
A Minaya Albar Fañez | bien l'anda el cavallo,d'aquestos moros | mato .xxxiiii.;
Von den 300 Christen sollen nur 15 das Schlachtfeld nicht verlassen haben.
Auch aus der Schlacht gegen Ramón Berenguer, den Grafen von Katalonien (die im Übrigen historisch ist) geht der Cid mit seinen 300 ermüdeten Kriegern siegreich gegen eine nicht näher definierte Übermacht aus Mauren und Christen hervor.
Später ruft er dann nach weiteren Erfolgen, ohne dass etwas über die Zahlen ausgesagt wird, abenteuerlustige Männer aus den christlichen Königreichen zu sich, um Valencia zu erobern. Dies gelingt ihm und der König von Sevilla kommt, um gegen ihn in Valencia zu kämpfen. Wir erfahren, dass der König von Sevilla 30.000 Krieger mit sich führt, die vom Cid und seinen Truppen in die Flucht geschlagen werden. Als der Cid nach der Schlacht seine Truppen zählen lässt, sind seine Truppen 3.600 Mann stark.
A aquel rey de Sevilla | el mandado legavaque presa es Valençia, | que non gela enparan;vino los ver | con .xxx. mill de armas.
[...]tres mill e seis çientos | avie mio Çid el de Bivar
Das Heer des Cid vergrößert sich dann noch einmal, als Minaya das zweite Mal König Alfonso aufsucht und die Erlaubnis einholt, die Frau des Cid und seine Töchter aus dem Kloster zu holen, um sie zu ihrem Ehemann und Vater zu bringen. Kaum ist das passiert, kommen die Almoraviden mit 50.000 Mann aus Marokko:
Aquel rey de Marruecos | ajuntava sus virtos,
con .l. vezes mill de armas | todos fueron conplidos;
entraron sobre mar, | en las barcas son metidos,
van buscar a Valençia | a mio Çid don Rodrigo.
Das erste Treffen geht dann mit 500 Toten auf Seiten der Almoraviden und einem Gefangenen auf Seiten der Christen aus.
Am nächsten Tag reiten dann 3.700 Christen gegen 50.000 Mauren aus:
La seña sacan fuera, | de Valençia dieron salto,
quatro mill menos .xxx. | con mio Çid van a cabo,
a los cinquaenta mill | van los ferir de grado.
Der Dichter erzählt uns dann, dass der Cid selbst unzählbar viele Mauren erschlagen habe -
Mio Çid enpleo la lança, | al espada metio mano,
atentos mata de moros | que non fueron contados,
- und dass von den 50.000 Almoraviden lediglich 104 das Schlachtfeld lebend verlassen hätten:
Los .l. mill | por cuenta fueron notados;
non escaparon | mas de çiento e quatro.
Bei dem nächsten großen Treffen gegen die Almoraviden zählt der Dichter schon nicht mehr die Soldaten sondern nur noch die Zelte.
Ellos en esto estando | don avien grant pesar,
fuerças de Marruecos | Valençia vienen çercar;
çinquaenta mill tiendas | fincadas ha de las cabdales,
aqueste era el rey Bucar, | sil oyestes contar.
Auch hier wieder Schilderungen, wie der Cid, Minaya, Bischof Jerónimo teilweise mit einem Hieb mehrere Mauren töten. Wie sie mitten ins Gewühl der Feinde gallopieren und trotzdem siegreich daraus hervorgehen.
Es ist halt die Frage, wie man "phantastische Taten" definiert.
Wunder vollbringt der Cid des Heldenepos nicht, phantastisch möchte ich die Leistungen, die ihm und seinen Vertrauten im Heldenepos zugeschrieben werden dennoch nennen.
Es werden jedoch auch Facetten von ihm dargestellt die wir heute nicht gerade als Ehrenhaft bezeichnen würden, so z.B. dass er zwei Juden betrügt in dem er Ihnen eine mit Sand gefüllte Schatzkiste als Pfand hinterlässt für geliehenes Geld.
Das ist dem aus heutiger Sicht flachen Humor dieser Zeit geschuldet, denn eigentlich handelt es sich hierbei um eine Eulenspiegelei.
Die Reconquista hat er nicht wesentlich weitergeführt, seine Eroberungen sind nach seinem Tod wieder verloren gegangen. Das geht aber hauptsächlich darauf zurück, dass zu diesem Zeitpunkt die Almoraviden in Spanien einfielen, die wesentlich kriegerischer waren als die verweichlichten spanischen Muslime und mit denen man keine Kompromisse schliessen konnte.
Es war sicherlich auch ein Stück weit politischer Wille Alfonsos VI. mit dem der Cid sich ja mehrfach überworfen hatte. Im Heldenepos, dem ja leider die ersten Seiten fehlen, wird er ungerechterweise von Alfons verbannt, kann sich aber durch Treuebeweise in den folgenden Jahren (er schickt Alfonso eigentlich immer den Löwenanteil seines Anteils an der Beute) wieder mit Alfonso versöhnen, bis dahingehend, dass Alfonso bei einem Treffen in Toledo sogar die Ranggleichheit des Cid mit ihm durch seine Handlung dokumentiert - was absolut unhistorisch ist. Tatsächlich hat es zwischen beiden immer wieder Annäherungsversuche gegeben, die aber immer wieder scheiterten.
Als Valencia dann nach dem Tod des Cid von den Mauren belagert wurde, kam Alfonso mit einem Heer nach Valencia, um die belagerten Kastilier zu befreien. Er entsetzte die Stadt aber nicht, sondern führte die Kastilier zurück nach Kastilien. Das Heer war also groß genug, um zu verhindern, dass die Almoraviden es angriffen. Mit der Stadt im Rücken hätte Alfonso also eine ähnliche Schlacht schlagen können, wie anderhalb Jahrzehnte zuvor in az-Zallaqa, seinem ersten Treffen mit den Almoraviden, nur diesmal unter veränderten Vorzeichen - damals belagerte
er Badajoz und die Andalusier und Almoraviden hatten eine Stadt im Rücken und Alfonso erlebte die schwerste Niederlage seiner Amtszeit (außer vielleicht die Schlacht von Úcles, in der sein Sohn und Thronfolger umkam, wo Alfonso selbst aber altersbedingt nicht mehr anwesend war).
Für Alfonso dürften mehrere Gründe gegen den Erhalt Valencias (Balansiyyas) gesprochen haben:
1.) Seine Feindschaft gegenüber dem Cid
2.) Die unsichere Lage der Stadt. Im Prinzip wäre ihre Versorgung davon abhängig gewesen, dass Zaragoza sich weiterhin der Almoraviden würde erwehren können und sich gegenüber Kastilien neutral bzw. freundschaftlich verhielte.
Die These von den verweichlichten Andalusiern will ich auch nicht teilen.