Unruhen in den Südprovinzen der Donaumonarchie

Shinigami

Aktives Mitglied
Dieser Faden verfolgt die Absicht sich etwas näher mit der Frage zu beschäftigen wie konkret die von großserbischer und pan-jugoslawischer Propaganda im Vorfeld des 1. Weltkriegs ausgehende Gefahr für den territorialen Bestand der Österreichisch-Ungarischen Monarchie tatsächlich war.

Mir geht es hier ganz konkret um den Unterschied zwischen einer abstrakten Gefahr, wie etwa Propaganda, die grundsätzlich geeignet sein konnte zu staatsgefährdenden Taten aufzurufen oder Ideen bewarb, die mit dem territorialen Bestand der Donaumonarchie grunsätzlich unvereinbar war* oder dem aufkommen national(istischen)Vereinswesens, sofern dies keine konkreten politischen Schritte nach sich zog, sondern lediglich eine Einstellung bekundete und tatsächlich greifbaren Tumulten, Unruhen und Auseinandersetzungen, die auf eine nicht nur abstrakte sondern real vorhandene Instabilität der Donaumonarchie vor und während des 1. Weltkriegs vor 1918 hindeuten.

Das vorhandensein abstrakter Gefahren, propagandistischer Art, bedarf keiner näheren Erörterung, solche waren durch entsprechende Propagandaerzeugnisse etc. durchaus gegeben, da sehe ich keinen großen Ansatz für Diskussionen, die Frage ob allerdings konkrete greifbare Bedrohungen durch politische Ereignisse für die K.u.K.-Monarchie motiviert durch die verschiedenen südslawischen Nationalismen, verstärkt verhanden waren allerdings schon.
Deswegen würde ich Hinweise auf entsprechende Ereignisse gern sammeln und diskutieren.

Da es mir um die Stimmung und mögliche Gefahren in den südslawischen Provinzen en gros, es geht mir vor allen Dingen auch um greifbare Massenphänomene, wie größere Demonstrationen, Streiks und auseinandersetzungen, weniger um das Handeln einzelner Personen, dass zwar möglicherweise durch seine Radikalität (wie etwa das Attentat von Sarajevo) eine tatsächliche Gefahr darstelle, aus deren Handeln allein sich allerdings keine breite Unterstützung der Bevölkerung für den Versuch einer Sezession ableiten lässt.








*Konzepte die auf eine trialistische oder föderale Reform hinausliefen und lediglich mit der damaligen Erscheinungsform der Donaumonarchie nicht vereinbar waren, das Konzept allerdings nicht grundsätzlich ablehnten, würde ich hier ausklammern wollen.
 
Zuletzt bearbeitet:
"Aus der Jugendbewegung wuchsen anarchistische und sozialrevolutionäre Gruppen hervor, die zu Gewaltmitteln griffen. In Kroation entstand die "Nationalistische Jugend", die die Einheit von Serben und Kroaten mit umstürzlerischen Methoden erreichen wollte. Im Juni 1912 unternahm ein kroatischer Student den Versuch den verhassten Gouverneur Österreich-Ungarns in Kroatien, Graf Slavko Cuvaj, zu ermorden, der den Landtag aufgelöst und politische Versammlungen verboten hatte um den Machtantritt einer unerwünschten Regierungskoalition zu unterbinden. In vielen Städten der Monarchie kam es daraufhin zu Demonstrationen und Straßenschlachten mit Polizei und Armee, die kroatische Schülerschaft trat in Streik Im April 1912 wurde die Verfassung suspendiert, Cuvaj zum Königlichen Kommissär ernannt, was zu einer weiteren Radikalisierung und Solidarisierung der studentischen Jugend führte."

Marie-Janine Calic: Geschichte Jugoslawiens, 1. Auflage C.H. Beck Paperback 2018, Orriginalauflage erschienen in München 2010. S.60-61

Mir geht es vor allem um Ereignisse dieser Art, die zu greifbarer Massenmobilisierung und Unruhe mit nationalistischer Zielstzung führten.

Das obige Beispiel zeigt zwar das Muster der Massenmobilisierung, allerdings ist bei dem Beispiel nicht klar, ob es der Masse der sich auflehnenden Teile der Bevölkerung hier um eine tatsächliche Loslösung der südslawischen Gebiete aus dem Länderkonglomerat der Donaumonarchie ging oder ob die Empörung vor allem auf eine als ungerecht empfundene Herrschaftspraxis abzielte, ohne aber mit dem Faktum der K.u.K.-Monarchie vollständig brechen zu wollen.

Über einen weiteren interessanten Umstand, während des Weltkriegse, lässt sich Calic wie folgt ein:

"Wie ein zukünftiger jugoslawischer Staat verfasst sein sollte, blieb weiter offen. 1917 standen drei Akteursgruppen mit unterschiedlichen Zielvorstellungen auf dem Plan: Erstens die serbische Exilregierung auf Korfu, allen voran Nikola Pasic, die einen serbsich dominiertenn Zentralstaat favorisierte, dem Slowenen und Kroaten lediglich beitreten würden. Zweitens der "jugoslawische Ausschuss" in London, der eine föderale Verfassung auf Grundlage des Selbstbestimmungsrechts und damit der Gleichstellung der drei beteiligten Völker verlangte. Drittens hatten sich innerhalb Österreich-Ungarns slowenische, kroatische und serbische Abgeordnete im "Jugoslawischen Klub" organisiert, um unter der Führung des Slowenen Anton Korosec eine Lösung im Rahmen des Habsburger Staates zu finden. Er forderte am 30. Mai 1917 "auf Grundlage des nationalesn Prinzips und des kroatischen Staatsrechts" die "Vereinigung aller Länder der Monarchie", in denen "Slowenen, Kroaten und Serben leben". Die Mai-Deklaration wirkte auf die Südslawen der Monarchie enorm elektrisierend, löste öffentliche Kundgebungen und Unterschriftensammlungen für das nationale Programm aus. Bald hatte sie sich allerdings politisch überlebt, und auch der Klub gab Anfang 1918 seine Loyalität zum Kaiser auf."

Vorgenanntes Werk, S.76-S.77

Folgt man dem, musste also Zustimmung für die Idee einer jugoslawischen Nation jedenfalls vor 1918, auch wo sie sich im Vereinswesen und im Rahmen politischer Parteien manifestierte nicht unbedingt im Grundsatz gefährdend für die Donaumonarchie sein.
Was einmal mehr zu der Frage führt, wie viel Unterstützung gab es in den südslawischen Gebieten tatsächlich für das Projekt einer Abspaltung und die Gründung eines jugoslawischen Staates außerhalb der Donaumonarchie und theoretischer trialistischer oder föderaler Lösungsansätze?

Hier wird man wahrscheinlich den serbischen Nationalismus von den südslawischen Vorstellungen trennen müssen, insofern für die serbischen Nationalisten die Vereinigung mit Serbien Priorität gehabt haben dürfte, die wiederrum innerhalb der Donaumonarchie nicht denkbar war, während die Realisierung eines südslawischen Staatswesens unter Ausschluss der zu Serbien gehördenden Gebiete im Rahmen der Monarchie durchaus möglich gewesen wäre und nicht unbedingt eine Sezession voraussetzte.


Ich denke dass das eine solide Basis darstellt, um sich über das Thema und die damit verbundene Frage der Stabilität der Donaumonarchie iim Hinblick auf ihre Südprovinzen auszutauschen, um ein wenig der Frage nachzugehen, inwiefern es sich um wirkliche konkrete Gefahren handelt und wie viel möglicherweise eher dem Topos des zerfallenden Vielvölkerreiches in Analogie zum Osmanischen Reich entspricht und die Geschehnisse von 1918 mit größerer Gewissheit ex post vorweg nimmt, als es möglicherweise angemessen wäre, ebenso um sich über die Frage zu unterhalten, wie gefährlich die von Serbien aus betriebene Propaganda für den Bestand der Donaumonarchie an und für sich tatsächlich war.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hier wird man wahrscheinlich den serbischen Nationalismus von den südslawischen Vorstellungen trennen müssen, insofern für die serbischen Nationalisten die Vereinigung mit Serbien Priorität gehabt haben dürfte, die wiederrum innerhalb der Donaumonarchie nicht denkbar war, während die Realisierung eines südslawischen Staatswesens unter Ausschluss der zu Serbien gehördenden Gebiete im Rahmen der Monarchie durchaus möglich gewesen wäre und nicht unbedingt eine Sezession voraussetzte.
Die Schwierigkeit dabei wäre jedoch gewesen, einen Doppelstaat - welcher von den Ungarn erst mühsam nach 1848 erkämpft worden war - in einen Bundesstaat umzuwandeln. Eine eigenständige slowenisch-kroatische Einheit wäre überwiegend zu Lasten des ungarischen Reichtsteiles gegangen. Ähnlich war das ein Thema bei einem Bundesland für die Tschechen, welches den österreichischen Landesteil geschwächt hätte.
Wieder ein anderes Problem war die Banater Militärgrenze. Dort waren die Serben auf der einen Seite sowie die Ungarn und die Deutschen auf der anderen Seite etwa gleich stark. Das meine ich nicht geographisch sondern mathematisch. Die dortigen Serben (in der Nähe von Belgrad lebend), wollten ein Teil Serbiens sein. Die deutschen und ungarischen Volksgruppen wollte das gerade nicht.

Jede Veränderung der politischen Strukturen kam einem Durchschlagen des gordischen Knotens gleich. Die Vorstellung, dass Erzherzog Franz Ferdinand nach einer Thronbesteigung einfach die Doppelmonarchie in so etwas wie die Europäische Union hätte umwandeln können, halte ich für ziemlich unwahrscheinlich. Nicht, dass ich diese Umwandlung Shinigami unterschieben will. Aber man liest so ewas manchmal in Zeitungen oder Zeitschriften.
 
Zuletzt bearbeitet:
Im Mai 1911 wurde in Serbien die Organisation "Vereinigung oder Tod", genannt Schwarze Hand gegründet. Der Name dieser Gesellschaft war Programm und enthält gleichzeitig das Ziel.

Das Statut erklärt:
"Die Organisation führt ihre Aufgaben aus, indem sie in 1. Serbien als dem Piemont, alle amtlichen Stellen sowie alles Gesellschaftsschichten und das gesamte soziale Leben ihren Charakter entsprechend beeinflusst, 2.in allen Gebieten, in denen Serben leben , revolutionäre Organisationen bildet, 3.außerhalb der Grenzen gegen alle Feinde dieser Idee mit allen Mitteln kämpft, 4. freundschaftliche Beziehungen mit allen Staaten, Völkern, Organisationen und einzelnen Persönlichkeiten, die Serbien und dem serbischen Volke freundschaftliche Gesinnung entgegenbringen. (Aritkel 4)

Die Oberste Zentralleitung bilden außer den Mitgliedern aus dem Königreich Serbien noch je ein bevollmächtigter Delegierter der Organisationen aller serbischen Provinzen, nämlich 1.Bosnien und die Herzegowina, 2. Montenegro, 3. Altserbien und Mazedonien, 4.Kroatien, Slawonien und Symrien, 5.die Wojwodina, 6. das Küstengebiet...(Artikel 7)

Die Provinzleitungen haben Freiheit des Handels. Einzig die Durchführung ausgedehnter revolutionärer Bewegungen hängt von der Zustimmung der Obersten Zentralleitung ab. (Artikel 9)

Die Gründung wurde nicht geheim gehalten und war der serbischen Regierung bekannt. Was wurde unternommen? Nichts.

Die zur Wirkung im Auslande bestimmter Geheimorganisationen begann auch ihre Aktion mit erhöhter Bandentätigkeit in Mazedonien und Bosnien und der Herzegowina.

 
Zuletzt bearbeitet:
Ungefähr zur gleichen Zeit wurde im serbischen Generalstab der Plan ausgearbeitet und vom Kriegsministerium genehmigt, für bestimmte Grenzabschnitte Posten für den Kundschafterdienst einzurichten.
Organisator dieser Arbeit Cedomir Popovic. Für Popovic bestand kein Zweifel, dass die Arbeit jenseits der Grenze gemäß dem Artikel 2 der Schwarzen Hand: "Die Organisation stellt den revolutionären Kampf den kulturellen voran:"
Der Erfolg der Grenzoffiziere war groß. Die Prestigeerhöhung Serbiens durch die Balkankriege hatte das Vertrauen in seine Kraft, die bei der Werbung unter den Auslandsserben gemachten Versprechungen zu erfüllen, bedeutend gesteigert. Als aber die Grenzoffiziere Anfang 1914 an die planmäßige Vorbereitung der Genossen in Bosnien und der Herzegowina für den in allernächster Zeit erwarteten Kampf gegen Österreich-Ungarn gehen wollten, bekam die Belgrader Regierung, wohl die Entdeckung durch die bosnischen Behörden fürchtend, von ihrer Arbeit Angst und bereif sie zur Truppendienstleistung im Inneren Serbiens ab.
 
Die Schwierigkeit dabei wäre jedoch gewesen, einen Doppelstaat - welcher von den Ungarn erst mühsam nach 1848 erkämpft worden war - in einen Bundesstaat umzuwandeln.

Es geht mir so überhaupt nicht darum, ob die Forderungen oder Ideen dieser Gruppen umsetzbar waren oder nicht.
Das man die Donaumonarchie nicht gegen den Willen Budapests mal eben trialistisch oder föderal umbauen konnte und da zumindest um 1914 herum kein Weg führte, damit hast du sicherlich recht.

Mir geht es aber eher um die Frage, welche der Gruppen, die eine südslawische Einheit anstrebten gemäß ihrer eigenen Zielvorstellungen eine tatsächliche Gefahr für die österreichisch-ungarische Monarchie darstellten, weil sie sie komplett ablehnten, nicht bloß umgestalten wollten und wie wirkmächtig die waren.

Wieder ein anderes Problem war die Banater Militärgrenze. Dort waren die Serben auf der einen Seite sowie die Ungarn und die Deutschen auf der anderen Seite etwa gleich stark. Das meine ich nicht geographisch sondern mathematisch. Die dortigen Serben (in der Nähe von Belgrad lebend), wollten ein Teil Serbiens sein. Die deutschen und ungarischen Volksgruppen wollte das gerade nicht.

Die Regionen Banat/Vojvodina und Bosnien sind wie ich das sehe ohnehin ein Sonderfall, weil hier die Serben große Bevölkerungsgruppen stellten, die durchaus auch für Ideen empfänglich sein konnten, die nicht in das Spektrum Idee eines jugoslawischen Sammelbeckens passten, sondern tatsächlich eher einen großserbischen Nationalismus darstellten.
Im Sinne der Frage, ist es mir wie gesagt aber gerade wichtig diese verschiedenen Spielarten auseinander zu bekommen um einschätzen zu können, ein wie großes Gefährdungspotential tatsächlich dahinter steckte.
Das Problem, was ich sehe, ist folgendes:

Propaganda und Bewegungen, deren Inhalte eher großserbischer Natur waren, waren für die K.u.K.-Monarchie per se gefährlich, weil hier die politische Agenda auf eine Vereinigung mit Serbien nicht verzichten konnte.
Gruppierungen dieser Art dürften für Belgrad auch tatsächlich bis zu einem gewissen Grad lenkbar und instrumentalisierbar gewesen sein.
Allerdings werden solche Bewegungen bei den muslimischen Bosniern (die en gros nicht an einer Landreform in Bosnien und der Herzegowina auf ihre Kosten und zu Gunsten der Serben interessiert gewesen sein dürften) auf wenig Gegenliebe gestoßen sein, auch nicht unbedingt bei den Kroaten und Slowenen, die sich ihre Zukunft wahrscheinlich eher nicht als Anhängsel eines zentralistischen Großserbien vorstellten.
Insofern wird man vermuten dürfen, dass die Reichweite darauf zielender Bewegungen eher gering war.

Bewegungen, die eine gleichberechtigte südslawische Sammlung anstrebten und deswegen sicherlich bei den Kroaten und Slowenen über deutlich mehr Zustimmung verfügten, mussten nicht mit Bestrebungen einhergehen sich aus dem Verbund der Donaumonarchie vollständig zu lösen und konnten auch einfach auf deren Umgestaltung abzielen.
Diese Bewegungen dürften innerhalb der Moarchie einen deutlich größeren Anhang gehabt haben, als die großserbischen Vorstellungen, waren aber nicht zwangsläufig tatsächlich gefährlich und in einem wesentlich geringeren Maße, möglicherweise sogar de facto übeerhaupt nicht von Belgrad aus lenk- oder beeinflussbar.
 
https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarze_Hand und die waren nicht die einzigen: 1893 gegründet
https://de.wikipedia.org/wiki/Mlada_Bosna wo der spätere Literaturnobelpreisträger Ivo Andric Mitglied war

Nur hatten die "Schwarze Hand" und "Mlada Bosna", wie Calic herausstellt vollkommen verschiedene, miteinander unvereinbare Zielsetzungen.

"Die "schwarze Hand", der sich auch der Königsmörder Oberst Dimitrijevic-Apis anschloss, unterstützte anarchisch-revolutionäre Aktivitäten im Ausland um alle Serben in einem gemeinsamen Staat zu vereinen. Obwohl beide Gruppen die nationale Befreiung auf ihre Fahne geschrieben hatten und später punktuell zusammenarbeiteten, trennte "junges Bosnien" und die "Schwarze Hand" grundsätzliches, denn erstere hatten ine südslawische, letztere eine pan-serbische Staatsbildung im Sinn und während die jugendbeewegten Atheisten und Republikaner waren, hing die "Vereinigung oder Tod", autoritären, militaristischen und klerikalen Weltbildern an."

Calic, Marie Janine: Geschichte Jugoslawiens München 2018 (Paperback), S. 62.

Diese beiden Gruppierungen waren sicherlich grundsätzlich gefährlich für die K.u.K.-Monarchie, weil sich weder die Vreinigung mit Serbien, noch eine südslawische Republik mit dem Konzept der multinationalen Monarchie vereinbaren ließ.
Allerdings wird man in Rechnung stellen müssen, dass diese Ideen im Konkuerrenzverhältnis zueinander standen und sich damit möglicherweise wechselseitig schwächten.

Hinzu kommt der Umstand, dass "Mlada Bosna" sich auf Grund seiner Ausrichtung im Gegensatz zur "Schwarzen Hand" wahrscheinlich kaum von Belgrad aus lenken ließ.
Insofern stellt sich gerade im Kontext der Julikrise denn auch die Frage, inwiefern man die serbisch Regierung und den serbischen Staat eigentlich für das propagandistische Wirken der betreffenden Organisationen sinnvoll verantwortlich machen konnte.
Bei der "Schwarzen Hand", die mindestens teilweise womöglich tatsächlich der Vorstellung des serbischen Propagandawerkzeuges entsprochen haben mag, kann man das sicherlich sinnvoll annehmen, bei "Mlada Bosna" wäre das mit Fragezeichen zu versehen.


Allerdings geht mir das etwas in die falsche Richtung.
Ich hatte ja im Eröffnungsposting breits geschrieben, dass es mir nicht um die Existenz um abstrakte Gefahren, in Form der Existenz von Propaganda und Vereinen, die sie beförderten oder solchen, die einfach nur eine nationale Gesinnung zur Schau stellten (wie die "Sokol"-Vereinigungen), ohne aber konkretes gegen die K.u.K.-Monarchie zu unternehmen.
Mir geht es um die Frage, wie wirkmächtig die Propaganda von Vereinigungen war, die die Donaumonarchie nicht blos umgestallten, sondern abschaffen oder sich von ihr abspalten wollten, in form des Umstands, inwiefern es ihnen gelang eine greifbare Massenbasis zu entwickeln und um politische Massenereignisse, die mit solchen Zielsetzungen in Verbindung standen (Massendemonstrationen, Streiks, Tumulte etc.) die eine tatsächlich weit fortgeschrittene Vernnerlichung solcher Konzepte durch die Massen und deren Bereitschaft nötigenfalls auch zu umstürzlerischen Mitteln zu greifen belegen könnten.

Aus dieser Kategorie finde ich nach wie vor herzlich wenig, außer die oben genannten Ereignisse in Kroatien 1912, bei denen aber nicht so klar ist, ob sich der Zorn der Massen hier tatsächlich gegen die Monarchie an sich richtete oder lediglich gegen die als ungerecht empfundenen politischen Maßnahmen und Repressionen, die deren Repräsentant vor Ort Cuvaj veranlasst hatte.
 
Im Mai 1911 wurde in Serbien die Organisation "Vereinigung oder Tod", genannt Schwarze Hand gegründet. Der Name dieser Gesellschaft war Programm und enthält gleichzeitig das Ziel.
Ja und das ist genau das, wo ich nicht hinwollte.

Was die "Schwarze Hand" gewesen ist, ist hinlänglich bekannt.
Geiches gilt für "Mlada Bosna". Was mir hingegen nicht so gut belegt scheint, ist deren angebliche Massenwirksamkeit, die die Donaumonarchie von innen ausgehölt und merklich destabilisiert habe.

Wir haben an Aktionen, in die diese Gruppen auf verschiedene Weise involviert waren das Attentat von Sarajevo, aber was haben wir denn noch, vor allem was, dass eine tatsächliche Massenbasis nachweisen würde?
Ich sehe da nicht viel.
Sicherlich es gab die Verbreitung illegaler Propagandamittel, die dafür warben sich von der Österreichisch-Ungarischen Monarchie loszusagen nur Organisationen, die in politischen Subuklturen um so etwas warben, gab es zuhauf.

Die Deutschnationalen in der Donaumonarchie warben ja in Teilen etwa auch propagandistisch dafür, dass sich die deutschsprachigen Teile der Monarchie vom Rest lossagen und den Anschluss an das Deutsche Reich suchen sollten.
Diese Ideen war im Kern nicht weniger umstürzlerisch als die Vorstellungen der "Schwarzenn Hand", aber sie wurden nicht annähernd mit einem solchen Feuereifer als staatsgefährdend angeprangert und als für die Monarchie lebensgefährlich dargestellt.
Diverse anarchistische und kommunistische Verbindungen hatten Europa ein halbes Jahrhundert lang mit umstürzlerischer Propaganda überschwemmt, ohne dass das die Europäischen Staaten bis 1914 in erkennbarer Weise deutlich destabilisiert hätte.
Es hatte von solchen Gruppierungen oder Einzeltätern tötliche Attentate auf Mitglieder der Königshäuser gegeben (Kaiserin Elisabeht, König Umbeerto von Italien, Zar Alexander II.) die zwar die Polizeiorgane in helle Aufregung versetzten und zum Teil zu einem repressiven Politikstil führten, bei denen aber kein Mensch annahm, dass sie die Existenz des jeweiligen Staates selbst gefährdeten, obwohl sie teilweise die Monarchen selbst betrafen, nicht deren (umstrittene) Nachfolger.

Insofern ist die Frage, inwiefern aus der schieren Existenz von "Mlada Bosna" und der "Schwarzenn Hand" und dem Umstand des Attentats eine Tendenz zur Illoyalität der Südslawen gegenüber Wien abzuleiten sei und dementsprechend Zerfallserscheinungen der Donaumonarchie, wie ich meine, nicht ganz unbeerechtigt.
 
Ja und das ist genau das, wo ich nicht hinwollte.
aber diese beiden "anti-österreichischen" Organisationen sind ein Bestandteil des "Pulverfass Balkan", d.h. wir sollten weder diese noch den gesamten Komplex namens https://de.wikipedia.org/wiki/Bosnische_Annexionskrise außer Acht lassen.
Aus dem Wikipedia-Artikel:
Die Annexion richtete sich nicht nur gegen das Osmanische Reich, sondern auch gegen Serbien, das versuchte, alle Südslawen in einem Staat zu einen (Panserbismus). Zwischen beiden Ländern bestand seit 1906 außerdem ein scharfer Zollkonflikt, der sogenannte Schweinekrieg.[8]
(...)
Infolge der akuten Kriegsgefahr im Zuge der Annexionskrise sahen Nationalisten aller Schattierungen – nicht nur der Südslawen – die Chance auf Durchsetzung ihrer nationalstaatlichen Ideen näher rücken, während die deutschen Österreicher über die weitere Slawisierung Österreich-Ungarns klagten. In Wien, Prag, Laibach und weiteren Städten der Monarchie kam es aufgrund dieser nationalen Aufwallungen zu zahlreichen Krawallen vor allem an den Universitäten. Von Prag griffen diese Unruhen auf zahlreiche weitere böhmische und mährische Städte über, wo sich Deutsche und Tschechen gegenseitig gewaltsam attackierten.
(...)
Obwohl ein europäischer Krieg noch vermieden werden konnte, ist die Annexionskrise als wichtiger Schritt auf dem Weg zum Ersten Weltkrieg anzusehen. Ein großer Krieg um den Balkan war in Sichtweite gerückt. Der erste der beiden „Balkankriege“ (gegen das Osmanische Reich) brach 1912 aus, wenngleich vorerst noch nicht unter direkter Beteiligung der Großmächte. Aus dem Frieden in Europa war endgültig ein „Vorkrieg“ geworden. Außerdem hatte sich gezeigt, wie sehr Österreich-Ungarn in den meisten Beziehungen auf das Deutsche Reich angewiesen war.
dass dieser Artikel als recht allgemeine Übersicht gebaut ist und keine Spezialabhandlung explizit über (groß)serbische Aktionen gegen KuK samt Quellenexpertise vermag ich erkennen ;) weshalb eine umfangreiche kontra-Replik unnötig ist - was da sichtbar wird, ist die enorm angespannte Lage auf dem Balkan (woran KuK nicht schuldlos ist) und es macht verständlich, dass KuK sehr besorgt, sehr sensibel auf jeden Unruheherd dort blickte.

Was keine Quelle und keine Wissenschaft ist: Naphtha und Settembrini liefern sich im Berghof ein politisches Wortgefecht (sinngemäß) wenn der Serbe dann dies - nein ganz und gar nicht was sehr amüsant zu lesen ist, wie diese beiden die Großwetterlage kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs "wortgewandt analysieren" und sich dabei in die Haare geraten (Th. Mann, der Zauberberg)
 
Zwischen 1868 und 1871 gab es in Slowenien die sog. Tabor Bewegung, die nicht nur Zehntausende mobilisieren, sondern auch für kurze Zeit Teile der Konservativen gewinnen konnte, trotz teilweiser Träumerei von der Wiederbelebung des illyrischen Königreichs und Vereinigung mit den Südslawen.
Aus der slowenischen Wikipedia durch Google übersetzt:
Taborsko gibanje - Wikipedija, prosta enciklopedija

Dabei kam es wohl gelegentlich zu gewalttätigen Ausschreitungen, wie ich dem Jahresbericht des Laibacher Turnvereins für die Jahre 1866-1870 für ein Ereignis 1869 entnehmen kann:

..das seit dem Tabor in Vižmarje in Folge der aufreizenden Reden gegen die Nemškutarje (Deutschthümler) ohnedies schon aufgeregte und noch mehr durch Briefe leidenschaftlicher Parteigänger aus Laibach aufgestachelte Volk kam aus der ganzen Umgebung herbei, um an den Nemškutarje, "die dem slovenischen Volke das Brot wegessen, ihnen den Glauben und die Sprache nehmen wollen." ihr Müthchen zu kühlen.
Wir wollen dieses Blatt aus der Geschichte des Laibacher Turn-Vereins überschlagen und hier nur erwähnen, dass die Fahne des Vereins bei dem von den Behörden ausgeführten Ueberfalle geraubt wurde und dass bei dieser Gelegenheit viele Turner mehr oder minder verletzt wurden.


Dennoch würde ich ich bei der Tabor-Bewegung nicht von Unruhen im engeren Sinne sprechen und es scheint auch wenig Beunruhigung verursacht zu haben. Die Versammlungen waren bewilligt.
https://www.historischerverein-stmk...chen-Tabore-zu-Luttenberg-und-Sachsenfeld.pdf
 
aber diese beiden "anti-österreichischen" Organisationen sind ein Bestandteil des "Pulverfass Balkan", d.h. wir sollten weder diese noch den gesamten Komplex namens https://de.wikipedia.org/wiki/Bosnische_Annexionskrise außer Acht lassen.

Ich beabsichtige auch durchaus nicht das eine oder das andere außer acht zu lassen, mir geht es nur wie gesagt um die Unterscheidung abstrakter und realer Gefahren, was die innere Lage an der südlichen Peripherie angeht.

und es macht verständlich, dass KuK sehr besorgt, sehr sensibel auf jeden Unruheherd dort blickte.
Das ist sicherlich grundsätzlich verständlich, bei der dortigen zwischenstaatlichen Gemengelage, die sehr viel Raum für weitere Konflikte ließ und bei dem Einflusspielraum, den Russland dort hatte.
Nur geht es mir nicht um die angespannte Lage auf dem Balkan per se, sondern und die Lage in den Südprovinzen der Donaumonarchie (und etwas weniger explizit um die Frage, ob bestimmte Diplomaten daraus irgendeinen realen Anlass zu der steilen Vermutung hätten gelangen können, das dort eine Erhebung der Bevölkerung gegen Habsburg mehr oder minder sicher in nächster Zeit bvorstünde).

Zwischen 1868 und 1871 gab es in Slowenien die sog. Tabor Bewegung, die nicht nur Zehntausende mobilisieren, sondern auch für kurze Zeit Teile der Konservativen gewinnen konnte, trotz teilweiser Träumerei von der Wiederbelebung des illyrischen Königreichs und Vereinigung mit den Südslawen.
Das ist eine interessante Randnotiz, ich danke.
Zumal Calic in ihrem Werk den Eindruck vermittelt, dass die Vorstellung eines "Illyrischen Königreichs" vor allem auf dem Gebiet Kroatiens und Sloweniens, mehr oder minder der ideengeschichtliche Vorläufer des Jugoslawismus gewesen sei.

In diesem Fall wären nämlich großserbische und juogslawische ideologische Vorstellungen auch insoweit von einander verschieden, dass erstere eine orriginär serbische Kreation darstellen, wohingegen letztere sich aus der slowenischen und kroatischen Tradition herleiten würden, die von serbischer Seite lediglich adaptiert wurde.

Wenn das zutrifft, wäre zu hinterfragen, inwiefern die Anhänger dieser Vorstellungen nun automatisch ihren natürlichen Bezugspunkt in Serbien ausmachen wollten.
Der bei Calic erwähnte "Jugoslawische Klub", bezog sich mit dem Beruf auf das "Kroatische Staatsrecht", jedenfalls auf eine Vorstellung, bei der Kroatien, nicht Serbien den Kernpunkt einer jugoslawischen Staatsgründung gebildet hätte.

Im Hinblick auf die Tabor-Bewegung wird man allerdings bezweifeln dürfen, dass die in der Wahrnehmung der Verhältnisse in der Donaumonarchie kurz vor dem ersten Weltkrieg noch irgendeine Rolle spielten, immerhin lag das bereits über 40 Jahre zurück.

Und die Krawalle um die bosnische Annexion scheinen Ergebnis der Zuspitzung der Nationalitätenkonflikte im Allgemeinen, weniger ergebnis jugoslawischer Nationalismen gewesen zu sein.
Auch diese Auseinandersetzungen lagenn im Juli 1914 bereits 6 Jahre zurück, ohne dass sich entsprechende Krawalle im größeren Maß widerholt zu haben scheinen.
 
"Aus der Jugendbewegung wuchsen anarchistische und sozialrevolutionäre Gruppen hervor, die zu Gewaltmitteln griffen. In Kroation entstand die "Nationalistische Jugend", die die Einheit von Serben und Kroaten mit umstürzlerischen Methoden erreichen wollte. Im Juni 1912 unternahm ein kroatischer Student den Versuch den verhassten Gouverneur Österreich-Ungarns in Kroatien, Graf Slavko Cuvaj, zu ermorden, der den Landtag aufgelöst und politische Versammlungen verboten hatte um den Machtantritt einer unerwünschten Regierungskoalition zu unterbinden. In vielen Städten der Monarchie kam es daraufhin zu Demonstrationen und Straßenschlachten mit Polizei und Armee, die kroatische Schülerschaft trat in Streik Im April 1912 wurde die Verfassung suspendiert, Cuvaj zum Königlichen Kommissär ernannt, was zu einer weiteren Radikalisierung und Solidarisierung der studentischen Jugend führte."
Das von Calic erwähnte Beispiel aus Kroatien vom Juni 1912 begann schon im Februar und führte zu einem Schülerstreik im März, der sogar im fernen Australien wahrgenommen wurde.

The West-Australian 20.3.1912:

SCHOOL STRIKES.

SERIOUS RIOTS.
Vienna, March 18.
In consequence of the police seriously injuring a schoolboy during a recent demonstration at Sarajevo, the capital of Bosnia, the boys attending the grammar schools in Croatia, Dalmatia, and Bosnia struck yesterday. They stormed the Servian schools at Sarajevo and insulted the professors, in addition to maltreating the boys who refused to strike.

SCHOOL STRIKES. - SERIOUS RIOTS. Vienna, March 18. - The West Australian (Perth, WA : 1879 - 1954) - 20 Mar 1912

Mir ist auch nicht klar, wer im Frühjahr 1912 in Kroatien auf die Straßen ging und gegen bzw. für was genau demonstriert wurde. Die Schülerstreiks waren mE nur eine Reaktion auf die Schulverweise (u.a. Princip) und Behandlung der demonstrierenden Studenten .

Aus der englischen Wikipedia zum Jahr 1913 in Kroatien:

Jul 21 - Slavko Cuvaj relieved from the post of the Royal Commissioner for Croatia-Slovenia. He had been appointed in January 1912, when anti-Habsburg sentiments were on the rise in Croatia, often manifesting in sympathies for Serbia and calls for creation of Yugoslavia. Cuvaj tried to curb those trends by a series of decrees directed at curbing press freedom, limiting rights of assembly and local autonomy. This created a backlash in the form of strikes and demonstrations, and Cuvaj himself was target of two assassination attempts in 1912.
1913 in Croatia - Wikipedia

Den Teil "often manifesting in sympathies for Serbia and calls for creation of Yugoslavia" bezweifle ich, auch angesichts der späteren heftigen Reaktion einiger Kroaten auf das Attentat in Sarajevo 1914.

James Lyon in Serbia and the Balkan Front 1914 nennt zwar eine Reihe von serbo-kroatischen Jugendorganisationen und schreibt All seemed to have been deeply influenced by the actions of Bogdan Žerajić Bogdan Žerajić – Wikipedia , ich sehe aber nicht, dass diese in Kroatien 1912 Demonstrationen mobilisieren konnten.

Laut Lyon waren es im Februar 1912 über 1000 Demonstrierende, hauptsächlich Kroaten. Er erwähnt zwar, dass bei einer Gelegenheit das Hej Sloveni – Wikipedia gesungen worden sei, das ist mir aber noch zu wenig.
Serbia and the Balkan Front, 1914

Hat Cuvaj gleich bei Amtsantritt im Januar 1912 Schulverweise ausgesprochen, die dann zu Demonstrationen führten oder waren die Demonstrationen zuerst?
Wie auch immer, pro-serbische Studenten, die es sicherlich auch gab, waren vermutlich an den Demonstrationen beteiligt und skandierten vielleicht ihre Parolen, ob das aber von der Mehrheit der Mitdemonstrierenden unterstützt wurde, kann ich nicht sagen.

Die oben erwähnte Zeitungsmeldung spricht von Sturm auf die serbischen Schulen. Ist das richtig und wenn ja, warum sollten sie das getan haben?
 
Zurück
Oben