Das Verhalten der USA war ein eklatanter Verstoß gegen das Seekriegsrecht. Ein US-Zerstörer hätte ausschließlich US-Handelsschiffe vor einer Durchsuchung oder Beschlagnahme durch deutsche Seestreitkräfte schützen dürfen.
Die Bewertung der Situation im Atlantik im Jahr 1941 sollte man im Kontext sehen, um die geringe Bandbreite zu erkennen, die Roosevelt und auch Churchill zur Verfügung standen (vgl. Kershaw , S. 375-416) Ausführlich dargestellt beispielsweise in Kimball (S. 87 ff)
1. In den USA gab es eine deutliche Mehrheit (ca. 60 %) im Congress, die aus sehr unterschiedlichen Gründen isolationistisch, wie beispielsweise anglophobe „Iren“ in Kombination mit militanten Katholiken, die in der UdSSR ebenfalls einen Feind sahen.
2. Die Regierung Roosevelt erkannte deutlich die Bedrohung, die primär durch NS-Deutschland für den liberal-demokratisch verfassten Zustand der Westlichen Hemnisphäre ausging.
3. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt – 2. Juli 41- glaubte man, die Japaner durch eine „ökonomische Kriegsführung“ so weit abschrecken zu können, dass sie nicht zu aktiven Kriegshandlungen im südlichen Pazifik übergehen würden. „MAGIC“ legte die Zielsetzungen der Japaner offen (Kershaw, S. 377)
4. Nach dem Angriff auf die UdSSR durch NS-Deutschland wurde die Bedrohungsanalyse von FDR bestätigt und durch eine Zweckallianz mit Stalin ergänzt, in der sich bereits Churchill befand.
Das zentrale Ereignis im Sommer (9. Bis 12. 8.41) bildete das – erste - Zusammentreffen von Roosevelt und Churchill auf Schiffen vor Neufundland. Neben dem wichtigen persönlichen Kennenlernen war es für drei Punkte wichtig.
1. Es wurde über die Entwicklung im Pazifik gesprochen und die Frage, wie durch eine koordinierte Dislozierung von Marinestreitkräften Japan abgeschreckt werden könne
2. Roosevelt machte deutlich, dass es derzeit keine Mehrheit für eine Kriegserklärung in den USA geben würde. Dass er dennoch bereit wäre, bis an die Schwelle zum Krieg gegenüber NS-Deutschland seine Vollmachten als Präsident aktiv zu nutzen.
3. Es wurde mit der „Atlantik Charta“ eine wichtige völkerrechtliche Absichtserklärung formuliert, die die Wertebasis bilden sollte, auf der die antizipierte Nachkriegsordnung aufgebaut sein sollte.
Punkt 1 lasse ich zunächst außen vor. Beim Punkt 2 erhoffte sich Churchill, dass Roosevelt einen Zeitpunkt für den Kriegseintritt der USA nennen würde. Aus den obigen Gründen sah sich FDR nicht in der Lage, einen derartigen Termin zu benennen. Sagte aber zunehmende Kooperation bis „short of war“ zu. Churchill zitierte Roosevelt folgendermaßen: „he would wage war, but not declare it, and that he would become more an more provocative. (Kimbal, S. 102)
Ein zentrales Ergebnis der Konferenz war, dass Roosevelt zusagte, bewaffneten Geleitschutz für alle Schiffe bis Island zur Verfügung zu stellen. Mit einer Weisung von Admiral Stark sollte dieser aktive Geleitschutz ab 16.09.1941 beginnen. Dieser Zeitpunkt kann man als den Beginn des unerklärten Krieges gegen NS-Deutschland verstehen. (Kershaw, S. 398). Damit verbunden war ein Abrücken von der bisherigen Neutralität. Die Intensivierung diente vor allem dazu, einen so gravierenden Zwischenfall zu provozieren, der als Vorwand genutzt werden könnte, die US-Öffentlichkeit in Richtung Krieg mit NS-Deutschland zu manipulieren.
Ein durchaus schwieriges Unterfangen, da wie Rohwer (S. 337ff) es schreibt, die deutschen U-Boot auf Hitlers ausdrücklichem Befehl sehr vorsichtig zu agieren hatten. Die – mehr versehentliche – Torpedierung der „Athenia“ durch U-30 bildete eher die Ausnahme der deutschen U-Bootkriegsführung zu Beginn des WW2 (vgl. Link, „Der schöne Traum….“)
Dennoch kam es am 4. September 1941 zu einem Zwischenfall in dem Gebiet, in dem sich die deutsche Kampfzone und die US-Sicherheitszone sich überlappten zwischen dem US Zerstörer Greer und dem getauchten U-Boot U 652. Der US-Zerstörer agierte aggressiv, informierte britische Luftstreitkräfte, die Wasserbomben warfen. Von U-652 wurden zwei Torpedos auf den US-Zerstörer abgefeuert, die nicht trafen.
Roosevelt nutzte die Gelegenheit und hielt darauf eine scharfe Rede an die Nation, in der er der Öffentlichkeit deutlich sagte, dass die Amerikaner in einer von Nazis beherrschten Welt nicht mehr glücklich und in Frieden leben könnten (Kershaw, S. 404). Und machte deutlich, dass er die Freiheit der Meere durch eine konsequente Einführung eines Geleitschutzsystems durchsetzen wollte gegen die „Klapperschlangen des Atlantiks“, also die deutschen und italienischen U-Boote. Die Torpedierung von USS Greer bildete den konkreten Grund bzw. Vorwand für die Implementierung des Geleitzugsystems und des „shoot on sight“ (Herring, S. 533)
Die Rede veränderte die Stimmung in den USA. „Die Isolationisten waren isoliert.“ (Kershaw, S. 404)
Ende September, Anfang Oktober trat eine gewisse „U-Bootleere“ im Nordatlantik auf (Rohwer, S. 338), die sich auch in relativ niedrigen Versenkungszahlen in dieser Periode niederschlug, gerade auch im Vergleich zu den hohen aus April bis Juni 41 (über 300 Tsd im Vergleich zu 60 bis 80 Tsd) (vgl. Rohwer, Tab. 3, S. 335).
Erst mit dem Auslaufen von SC 48 und der beginnenden Geleitzugschlacht erfolgte eine deutlich Verstärkung des Geleitzuges u.a. durch 5 US-Zerstörer, darunter USS Kearney. Während einer konfusen Nachtsituation erhielt Kearney einen Torpedotreffer am 17. Oktober, aber konnte noch Island erreichen (Terraine, Pos. 7424). Die „Geleitzugschlacht“ um SC48 war die letzte große Aktion im Nordatlantik im Jahr 1941.
Der dritte Zwischenfall ereignete sich im Rahmen des nach Osten gehenden Konvoi HX156 am 31. Oktober 1941, der von 5 US Zerstörern eskortiert worden war. Während des Geleitzuges erhielt USS Reuben James einen Torpedotreffer, nachdem er ein starkes Asdic-Signal aufgefangen hatte. Der Treffer brachte das vordere Munitionsmagazin zur Explosion. Und während des Untergehens explodierten weitere Wasserbomben und erzeugen insgesamt relativ hohe Verluste (115 von 160 getötet) (Terraine, Pos. 7431). USS Reuben James wird damit als der erste Verlust der USN geführt (Willmott, Appendix 10.4)
Die Veränderungen in Japan, das Ersetzen der moderaten Regierung von Prinz Konoye durch eine Militärdiktatur am 16. Oktober lenkte die Aufmerksamkeit von FDR von den Ereignissen im Nordatlantik auf den Pazifik.
Es folgten noch kriegerische Aktionen im Rahmen des Geleitzuges ON26 (28.10) und um SC52 (31.10), die durch die „Wolfsrudel“ „Mordbrenner“, „Reißwolf“ und „Schlagetod“ und durch die ad-Gruppe „Raubritter“ ausgeführt worden sind. (Terraine, Pos. 7453).
Von einer gewissen Bedeutung sind die Vorgänge um SC52, weil er der einzige Gleitzug im WW2 war, der durch die Bedrohung und die Angriffe von U-Booten per Befehl nach Canada zurück beordert worden ist.
Mit der Versenkung der USS Reuben James, so Rohwer: „Damit hatte das deutsch-amerikanische Verhältnis praktisch den Kriegszustand erreicht, wenngleich dieser noch nicht offiziell erklärt worden war (Rohwer, S.339)
Durch die kritische Lage im Mittelmeer erfolgte eine Verlegung von U-Booten dahin und das erklärt, warum es im November und Dezember zu keinen weiteren kriegsähnlichen Handlungen kam.
Anzumerken ist, dass durch die überraschende Kriegseröffnung der Japaner gegen die USA keine U-Boote von Dönitz zur Schwerpunktbildung von der US-Küste entsandt werden konnten.
Versucht man das Verhalten der Akteure zu bewerten dann kann ich die Kritik an FDR und seine Politik bis zum Dezember 1941 nicht ganz nachvollziehen. Dieses vor allem vor dem Hintergrund, dass mit dem Ausbruch des WW2 deutlich geworden ist, dass sich Hitler an Verträge nicht gebunden fühlte. Und bereits seit der „Quarantäne-Rede“ (1937) war FDR auf eine deutlich Distanz zu Hitler gegangen, in dem er eine Gefahr für die liberalen und demokratischen Werte der US-Nation sah.
In diesem Sinne sah FDR in den Feldzügen seit September 1939 durch die Wehrmacht einen impliziten Angriff auf die USA. Dass bornierte Isolationisten, „America Fist“-Ideologen und eifernde Katholiken ihn hinderten, einen konsequenteren Weg zu gehen, ist der Vor- oder Nachteil einer an eine Verfassung gebundene Demokratie. Die er schützen wollte.
Beitrag in der Welt zum U-Bootkrieg
https://www.welt.de/geschichte/arti...ene-Traum-vom-zivilisierten-U-Boot-Krieg.html
Herring, George C. (2011): From colony to superpower. U.S. foreign relations since 1776. New York: Oxford Univ. Press
Kershaw, Ian (2010): Wendepunkte. Schlüsselentscheidungen im Zweiten Weltkrieg 1940/41. München: Pantheon.
Kimball, Warren F. (1997): Forged in war. Roosevelt, Churchill, and the Second World War. Chicago: Ivan R. Dee.
Rohwer, Jürgen (1960): Der U-Bootkrieg und sein Zusammenbruch 1943. In: Hans-Adolf Jacobsen, Jürgen Rohwer und Hans Speidel (Hg.): Entscheidungsschlachten des zweiten Weltkrieges. Im Auftrag des Arbeitskreis für Wehrforschung, Stuttgart. Frankfurt am Main: Verlag für Wehrwesen Bernard und Graefe, S. 327–398.
Terraine, John (1999): Business in great waters. The U-boat wars, 1916-1945. Ware: Wordsworth Editions
Willmott, H. P. (2010): The last century of sea power. Volume 2: From Washington to Tokyo, 1922-1945. Bloomington, IN: Indiana University Press.