Verbotene Archäologie? was bedeutet das?

Ich hatte beim Bundesheer einen Kameraden, der Stammleser des Kopp-Verlages war. Einmal habe ich mir einen Verlagskatalog angesehen. Eines der Highlights: Ein Buch, in dem behauptet wird, die CIA vertusche, dass sich in der Cheopspyramide ein altägyptischer Atomreaktor befindet...:rofl:
Ich bitte Dich - das war das erste was ich im Studium lernte - Informationspolitik - was darf ich an wen weiter verraten?
Für viele Dinge ist die Welt eben noch nicht reif.

Wenn Du wüsstest, was wir Ägyptologen noch alles geheim halten :devil:
 
Selber das Buch gelesen? Nein? Woher dann das Wissen das nur Blödsinn drinsteht? Weil ein dritter, vierter oder fünfter das gesagt hat?
Ich für mein Teil versuche mir selber eine Meinung zu bilden,
Ich muss das Buch nicht lesen, sobald die Worte "Atomreaktor" und Pyramide im selben Satz auftauchen. Der Verlag sollte ja schon wissen was drin steht...

Aber was sag ich denn, ich habe ja nur 7 Jahre Studium und Forschung auf dem Buckel, bin ja kein Außenseiter, da habe ich natürlich keine Ahnung
 
Da fällt mir ein: in einem anderen Forum, in dem ich unterwegs bin, haben die Leute diskutiert, welche Wörter aus dem Duden entfern werden müssten da sie veraltet sind.

Schreibmaschine, Dampflokomotive, die Vorschläge waren auch stark von technologischen Fortschritt bedient (wobei "Audio-Kasette" auch son unter geht gar nicht mehr, raus damit lief) und ich dachte mir nur: What the f***, ich bin Historiker - das kann man doch nicht machen!

(Mein Rechtschreibprogramm auf dem PC ist recht mies; gut, die Beispiele sind alle viel zu modern für mich :-D aber was ist erst mit meinen Worten dann...)
 
Wenn ein Archäologe in einem Grab in Jerusalem eine Audiokassette findet und das dann verschweigt, ist es wieder "Verbotene Archäologie".
 
ich hole diesen Uraltthread hervor, weil mich das Thema verbotene Archäologie, Verschwörungstheorien, Chronologiekritik et al schon lange beschäftigt bzw nicht die Themen, sondern die Ursachen, warum solche Bücher geschrieben und warum sie so gerne gekauft und geglaubt werden.

Ich betrachte das Thema von zwei Seiten:

das der Buchverfasser bzw Themenvertreter und
das der Leser

ad 1.

Es könnte durchaus sein, dass Autoren am Anfang ihrer Befassung mit diesen Themen durchaus finden, sie hätten etwas Spektakuläres, revolutionär Neues entdeckt. Dann verfassen sie ihr Buch und stellen fest, dass es sich sehr gut verkauft, dass sie in einschlägige Talkshows eingeladen werden, ihre These zu vertreten, dass einiges Geld in ihre Kasse fließt.

ad 2.

Die Leser: mir scheint es, als sind sie Gläubige einer Ersatzreligion. "alles ist ganz anders, als man uns vormachen will", aber ich komme "denen" auf die Schliche. Die "Wissenschafter" sind voreingenommen, betriebsblind, bestochen, gekauft .......

Vor längerem habe ich einen Artikel über die Funktion des Gehirns bei Verschwörungstheorien gefunden, leider ist er mir durch Pc-Absturz verloren gegangen.

Er, der Artikel lautete in etwa so: die meisten Menschen lesen, wahrnehmen nur das, was in ihr Weltbild, ihre Ideologie, ihr Wohlbefinden passt und klammern den Rest aus. Das ist eine unbewusste Entscheidung des Gehirns, ich hoffe, ich habe das richtig rezipiert.

Ich nenne das Tunneldenken.

Beiden Gruppen ist gemein, dass sie von der Fülle an Informationen überfordert sind. Sie schlagen daher den gegenteiligen Weg ein und glauben, statt wissen zu wollen.

ZaphotB hat das sehr schön antiaufklärerisch genannt.

Ähnliches haben wir ja geschichtlich schon gegen die Aufklärung gesehen. Der Spiritismus, das Sprechen mit den Toten, Telepathie, Telekinese haben antiaufklärerische Tendenzen.

Dazu kommt, medizinisch gesehen, die Ausschüttung von Glückshormonen durch das Bewusstsein, besser, gescheiter, informierter zu sein als all die Elfenbein"wissenschafter".

Wir haben es im Forum ja immer wieder erlebt, dass Chronologiekritiker und ähnlich Gläubige mit einer Leidenschaft und Erkenntnisresistenz ihre Thesen vertreten, diese Leidenschaft käme einer besseren Sache zugute.

Ich kann nicht umhin, diese Leute ein wenig zu bewundern, obwohl ich ihre Themen absonderlich finde. Schade, dass sie sich keines rationalen Themas angenommen haben.

Beide Gruppen zeichnen sich durch antiaufklärerische Haltungen, Wissenschaftsfeindlichkeit, angelesenes Halbwissen und ja, sektenartige Aggressivität aus, wenn man ihren Thesen widerspricht.

Richtigstellungen ihrer geschichtlichen Fehler werden ignoriert ---> Tunneldenken. Mit dem Hintergrund"wissen", man hätte diese uninformierten Wissenschafter durchschaut und ist hinter ihre Schliche gekommen.

Denn wissenschaftliche Aussenseiter haben es doch schon oft der etablierten Wissenschaft so richtig gezeigt. Dann kommt immer wieder als singuläre Beispiele Schliemann oder Wegener.

Diese Gläubigen kann man nicht bekehren, denn es ist ein Glaube und kein Wissen und gegen Gläubige kann man nicht an.

Zuletzt noch danke, dass ihr mir bis jetzt in meiner Argumentation gefolgt seid und ein abschließender Satz eines Chronologiekritikers zu einen Wissenschafter:

"Sie mögen ja recht haben, aber ich mache das große Geld".
 
Es könnte durchaus sein, dass Autoren am Anfang ihrer Befassung mit diesen Themen durchaus finden, sie hätten etwas Spektakuläres, revolutionär Neues entdeckt. Dann verfassen sie ihr Buch und stellen fest, dass es sich sehr gut verkauft, dass sie in einschlägige Talkshows eingeladen werden, ihre These zu vertreten, dass einiges Geld in ihre Kasse fließt.

Leute, die sich absonderliche Thesen ausdenken und diese niederschreiben, gibt es wie Sand am Meer. Um damit an die Öffentlichkeit zu gelangen, mussten diese Leute früher Bücher veröffentlichen (oder zumindest ihre Manuskripte kopieren).
Heute kann jeder seinen Quark online stellen und in Internetforen breittreten.
Bücher mit hanebüchenem Inhalt werden aber auch weiterhin massenweise gedruckt, im Selbstverlag, "on demand" oder in Verlagen mit esoterischer bis rechtsextremer Ausrichtung.

Für die allermeisten Autoren wird sich das finanziell nicht rechnen, im Gegenteil. Das Angebot an "revolutionären" Thesen ist unübersehbar, und wenn es einer der Autoren auch nur in eine einzige publikumsträchtige Talkshow schafft, gehört er zu den ganz seltenen Ausnahmen.
Sogar ein Erich von Däniken, ein wahres Genie der Vermarktung, würde heute vermutlich untergehen.

Die Leser: mir scheint es, als sind sie Gläubige einer Ersatzreligion. "alles ist ganz anders, als man uns vormachen will", aber ich komme "denen" auf die Schliche. Die "Wissenschafter" sind voreingenommen, betriebsblind, bestochen, gekauft .......
Da würde ich keinen großen Unterschied zwischen Autoren und Lesern machen. Die meisten Autoren sind von ihren Thesen überzeugt, nicht wenige davon haben einen deutlichen religiösen bzw. weltanschaulichen Hintergrund. Diethard Sawicki* hat das für einige frühe Chronologiekritiker herausgearbeitet: Der Jesuit Jean Hardouin (1646-1729) behauptete, "nahezu die gesamte antike Literatur sei ... durch eine Verschwörergruppe atheistischer Mönche gefälscht worden. Außer der Vulgata, dem für die katholische Kirche seit dem Konzil von Trient einzig verbindlichen Bibeltext, seien alle anderen Übersetzungen der Heiligen Schrift ebenso wie die hebräischen und griechischen Urtexte in Wirklichkeit ver- oder gefälscht. Das Wort Gottes wurde also laut Hardouin in Latein diktiert."

Im Gegensatz dazu hielt Wilhelm Kammeier (1889-1959) die römische Kurie für die Wurzel alles Bösen. Diese habe "im späten Mittelalter zusammen mit den Humanisten die deutsche Geschichte in einer großen Fälschungsaktion umgeschrieben. Ganz im Sinne des Antikatholizismus der Nationalsozialisten behauptete Kammeier, die Fälscher hätten einen Kulturraub an der germanischen Rasse begangen und den kirchlichen Primat Roms zu begründen versucht."

Peter Franz Joseph Müller zeigte sich 1814 schon davon überzeugt, das europäische Urvolk sei das deutsche gewesen, das ost- und weströmische Reich sei eigentlich ein deutsches "Östreich" und "Westreich" gewesen, und die römische Geschichte einschließlich Völkerwanderung und Karl dem Großen sei eine große französisch-vatikanische Fälschung...

Sawicki schreibt dazu:
"Ungeachtet der unterschiedlichen historischen Kontexte, in denen diese drei Fälschungstheorien stehen, weisen sie eine Gemeinsamkeit auf: Offenbar sind alle drei Gedankenkonstrukte an weltanschauliche Positionen religiöser oder quasireligiöser Natur gebunden, die sich den rein methodologischen Kritikverfahren des historiographischen Diskurses entziehen."


Denn wissenschaftliche Aussenseiter haben es doch schon oft der etablierten Wissenschaft so richtig gezeigt. Dann kommt immer wieder als singuläre Beispiele Schliemann oder Wegener.
Dabei wird dann immer geflissentlich ignoriert, dass Schliemann weder Autodidakt noch ein Gegner des etablierten Wissenschaftsbetrieb war.
Im Gegenteil: Schliemann schlug im zweiten Bildungsweg eine akademische Karriere ein, studierte an der Sorbonne, legte eine Dissertation vor und wurde an der Universität Rostock zum Dr. phil. promoviert.
Erst danach begann er, in Hisarlık nach dem antiken Troja zu graben.
Wobei das noch nicht einmal seine Idee war: https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Schliemann#Troja

Und Wegener brachte es zu einer ordentlichen Professur für Meteorologie und Geophysik...



* Lügenkaiser Karl der Große? Ein kritischer Blick auf Heribert Illigs These vom erfundenen Mittelalter, in: Tilman Bendikowski, Arnd Hofmann, Diethard Sawicki, Geschichtslügen - Vom Lügen und Fälschen im Umgang mit der Vergangenheit, Münster 2001
 
Ein Quellenbeleg wäre nützlich.
Der Spruch ist mir in dieser Form noch nicht begegnet. Wer sagte das zu wem?

du hast recht.

leider ist mir der Ausspruch nur in Erinnerung, nicht mehr gespeichert, weil mein pc den Geist aufgegeben hat und alle bezüglichen Daten waren weg.

Es war eine Seite, die sich sehr intensiv mit Illig auseinandergesetzt hat, optisch habe ich auf der rechten Seite dieser Stelle mehrere Links zu dem Thema, da ist dieser Ausspruch drin.

Tut mir leid, mehr weiss ich leider nicht.
 
@sepiola:

danke für deine mich ergänzenden Stellen.

Daran kann man ersehen, dass Verschwörungstheorien keine Erfindung unserer Zeit ist.

Du hast schon recht, spinnerte Thesen werden gerne ins Internet gestellt. Doch damit ist nur Geld zu machen, wenn dabei Werbung inkludiert ist. Dennoch meine ich, dass sich die Bücher von Illig, von Däniken und Epigonen und Mitläufer noch heute gut verkaufen. Siehe die Esoterikabteilung in den Buchhandlungen.

Zu meinem vorigen Kommentar: ich suche noch nach dem Ursprung des Ausspruchs über das Geldmachen.

vielen Dank zu deinem fundierten Beitrag.
 
Peter Franz Joseph Müller zeigte sich 1814 schon davon überzeugt, das europäische Urvolk sei das deutsche gewesen, das ost- und weströmische Reich sei eigentlich ein deutsches "Östreich" und "Westreich" gewesen, und die römische Geschichte einschließlich Völkerwanderung und Karl dem Großen sei eine große französisch-vatikanische Fälschung...

Falls sich jemand für diesen blühenden Unsinn interessieren sollte, hier gibt es das Buch online.

Die alten Römer hätten niemals ein Weltreich erobern können, glaubte Müller, denn als Weltherrscher kommen nur die Deutschen in Frage. Rom konnte er sich nur als "Erbhoflager eines uralten Weltherrscher-Stamms" vorstellen.
Und natürlich hat man in Rom - wie überall in Europa - deutsch gesprochen. Die lateinische Sprache bildete sich erst später heraus, eine vielleicht als eine Geheimcode der Regierenden - was der genaue Sinn sein sollte, kann Müller nicht so richtig erklären: "Entweder zum Abzeichen, wie der deutsche Adel bis auf den heutigen Tag lieber eine fremde Sprache, wie die seinige spricht, oder auch aus Staats=Absichten", die Volkssprache sei aber weiterhin Deutsch gewesen.

Bizarre nationalistische Fantasien, wie sie nur anno 1814 ausgebrütet werden konnten?

Mitnichten.

Der Herr Dr. Dipl.-Ing. Dipl.-Ing. Hans Joachim Zillmer - nominiert als "International Scientist of the Year"* greift jeden noch so absurden Schwachsinn auf und treibt ihn auf die Spitze. Da inzwischen die Franzosen nicht mehr "böse" sind und die Kelten sogar richtig in Mode gekommen sind, modernisiert Zillmer die Sache ein wenig und faselt von "Keltogermanen" (wahlweise auch mal von "Keltoskythen"). Nur die römische Kirche eignet sich nach wie vor für die Schurkenrolle und bleibt (wie schon bei Kammeier 1935) die Wurzel des Bösen.

O-Ton: "Die Römer in Mittel- und Westeuropa waren eine Art Heer mit Angehörigen verschiedener keltogermanischer Stämme und mit keltogermanischen Offizieren. Die angeblichen Legionärsheere des italienischen Roms mit ihren keltischen Führern können als eigenständige Heere der keltogermanischen Völker gesehen werden, naturgemäß mit keltischer Führung." Die lateinische Sprache gab es nicht, alles sprach keltisch. Die lateinische Sprache wurde "wesentlich später im Auftrag der römisch-katholischen Kirche neu entwickelt". Das gilt auch für alle anderen Sprachen wie Spanisch, Französisch, Italienisch, Englisch, Deutsch, Holländisch. Alles Kunstsprachen, die sich Klerikerhirne ausgedacht haben.

Ach so, ja: Die Kelten waren auch in Indien, in Japan, auf den Südseeinseln, in Nord- und Südamerika. Das versteht sich ja wohl von selbst.




* So nennt er sich noch 2006 in "Kolumbus kam als Letzter". Was es mit diesen Titeln auf sich hat, siehe hier: Die Wissenschaftskritik des Dipl.-Ing. Hans-Joachim Zillmer



 
ad # 75:

danke für den ausführlichen Kommentar.

Dieser könnte durchaus in meine Idee von der Wissenschaftsfeindlichkeit und des antiaufklärerischen passen. Fällt es doch in die Zeit des Biedermeier oder vielleicht Präbiedermeier, das ja auch ein Rückzug bzw eine Antwort auf die vorangegangenen schweren Zeiten durch Napoleon sind.

Oder liege ich da ganz falsch?
 
PS was ich bei meiner Erstkommentar vergessen habe zum Thema Verschwörungstherorien:

Fantasien sind halt wesentlich leichter und weniger anstrengend als Wissenserwerb.

Hinzu kommt das oft für Laien ohne zumindest Grundvoraussetzungen, wissenschaftliche Literatur zu verstehen.

Dazu kommt noch beim Fantasien das erhebende Gefühl, intelligenter als all die Elfenbeintürmler zu sein :)
 
Dieser könnte durchaus in meine Idee von der Wissenschaftsfeindlichkeit und des antiaufklärerischen passen.

Dazu kommt bei vielen Autoren noch eine gewisse religiöse Schlagseite. Das Stichwort "Gläubige einer Ersatzreligion" hast Du ja bereits genannt. Sicher kann man nicht alle Geschichtsfantasten über einen Kamm scheren. Auf einige Zusammenhänge will ich aber aufmerksam machen:

Dass die römisch-katholische Kirche spätestens seit Müller 1814 - unabhängig von der politisch-ideologischen Ausrichtung - besonders gern für die Rolle des Oberschurken herangezogen wird, habe ich ja schon erwähnt.

Kammeier ("Die Fälschung der urkundlichen Quellen des deutschen Mittelalters") postuliert "eine einzige universale Geschichtsfälschungsaktion", diese kann er sich nur erklären "durch die Annahme des planvollen Handelns einer zielbewußt strebenden und organisatorisch eng verbundenen Fälschergenossenschaft. Und diese Genossenschaft besaß, wie wir erkannten, in der römischen Kurie, ihr Haupt, ihre Zentrale".
Veröffentlicht wurde Kammeiers Machwerk 1935 beim Adolf Klein Verlag Leipzig. Das war schon ein sehr spezieller Verlag. Am Ende des Büchleins werden weitere Verlagsprodukte beworben, an erster Stelle "Das Schwert der Kirche und der germanische Widerstand", Herausgeber Gustav Neckel und Bernhard Kummer.

Kummer veröffentlichte hauptsächlich im Verlag von Adolf Klein (Leipzig), um den sich ein Autorenkreis versammelte, dessen Anhänger eine "Renaissance altnordischer Frömmigkeit und Kultur anstrebten" und als dessen 'geistiges Oberhaupt' Kummer agierte. (Annett Hamann) (Siehe auch)

Neckel und Kummer gehörten zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Glaubensbewegung. In deren "Führerrat" war auch ein weiterer prominenter religiös motivierter Geschichtsfantast aktiv - Herman Wirth:

Herman Wirth vertrat die Ansicht, dass in der Jungsteinzeit die germanischen Völker im Zustand des Matriarchats im Einklang mit der Natur lebten. Zu diesem Zustand, der die „Reinrassigkeit” der Arier voraussetze, gelte es laut Wirth zurückzukehren. Durch die Durchsetzung des patriarchalen Heerkönigs- und Priestertums, und verstärkt mit dem Auftreten des (für Wirth jüdischen und „artfremden”) Christentums, sei dieser paradiesische Urzustand zerstört worden.
Wirth hat sich eine Urgeschichte zusammenfantasiert, bei der die nordische Urrasse, von der allein alle menschliche Hochkultur ausgeht, ihre Heimat in der Arktis hatte (leider im Meer und unter ewigem Eis versunken). Das zweite große Kulturzentrum hatte sie in Atlantis (leider im Meer versunken), das dritte in Doggerland (leider auch im Meer versunken). Siehe auch:
http://www.geschichtsforum.de/718001-post46.html

Katastrophen regen die Fantasie an, und (tatsächliche oder herbeifantasierte) Katastrophen sind gleichzeitig eine nützliche Ausrede, um das eigene Geschichtsbild gegen faktenbasierte Einwände zu verteidigen. Warum gibt es für die paradiesischen Hochkulturen keine Beweise? Weil alle von unvorstellbaren Katastrophen vernichtet wurden. Und dass die Beweise verschwunden sind, beweist ja gerade, dass es diese Katastrophen gegeben haben muss!

Dieser pseudoreligiöse Dünnpfiff wird von Zillmer wieder aufgewärmt und mit neuen Zutaten verrührt. In der Grundsubstanz beruft er sich jedoch ausdrücklich und mehrmals auf Wirth: Das "kultische Matriarchat war die heilige Ordnung des Lebens in der Sippe", es soll sich bis ins Mittelalter erhalten haben und wurde dann erst abgeschafft. Von wem wohl? Natürlich von der römisch-katholischen Kirche. (Die Papstkirche soll laut Zillmer erst im 14. Jahrhundert entstanden sein, das patriarchale Königtum verbindet er indes mit Karl dem Großen, den er dazu doch mal kurz aus dem Illigschen Zeitloch hervorzaubern muss, was in dem ganzen sinnfreien Geseier dann aber auch wieder egal ist.)

Der vor-katholische "urchristliche Glaube" soll sich laut Zillmer nicht sehr von der alten heidnischen Religion unterschieden haben: "Die alte Religion der Druiden wurde eigentlich auch nicht grundsätzlich geändert". Einen "gravierenden Unterschied" sieht Zillmer dagegen "zwischen dem Glauben der erst im Mittelalter räumlich wuchernden Papstkirche und dem christlichen Glauben der in Europa im ersten Jahrtausend vorherrschenden keltisch-germanischen, altnordischen, gotischen und skythischen Völker".

"Der wirkliche Feind der römisch-katholischen Kirche lauerte jedoch mitten in jeder feindlich-häretischen kelto-germanischen Sippe selbst, personifiziert durch die Druiden und weisen Frauen." Und so kommt Zillmer auf die Hexenverfolgung zu sprechen, wobei er die (von der Fachwissenschaft zu Recht abgelehnten) Thesen des Chronologiekritikers Gunnar Heinsohn zitiert und verwurstet.
 
Katastrophismus - Velikovsky und seine Jünger

Dieser könnte durchaus in meine Idee von der Wissenschaftsfeindlichkeit und des antiaufklärerischen passen.

Einen Rückzug auf unhaltbar gewordene wissenschaftliche Positionen der Vergangenheit sehen wir beim Katastrophismus:

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts erfreut sich der Katastrophismus auch vermehrten Zuspruchs unter den Anhängern des religiös motivierten Kreationismus und der pseudowissenschaftlichen Chronologiekritik, die sich allerdings weit von den ursprünglich naturwissenschaftlichen Ansätzen des Katastrophismus entfernt haben. Gelegentlich wird sogar die Konstanz und Allgemeingültigkeit der Naturgesetze bezweifelt (siehe Exzeptionalismus)
Der große Guru des Neo-Katastrophismus war Immanuel Velikovsky.
Velikovskys Ideologie und der religiös motivierte Kreationismus (dessen Anhänger sich auf Bibel oder Koran berufen) hängen ursächlich nicht voneinander ab, auch wenn Velikovsky sich nicht scheut, biblische Erzählungen für seine Thesen auszuschlachten.

Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das katastrophistische Weltbild von dem Psychoanalytiker Immanuel Velikovsky neu ausgearbeitet. Nach seiner Ansicht hat die Welt ihre heutige Gestalt nicht (nur) gleichförmig in Millionen von Jahren erhalten, sondern zum Teil innerhalb von nur wenigen tausend Jahren oder noch kürzeren Zeiträumen. Ebenso sei unser Sonnensystem in seiner heutigen Form weniger als 15.000 Jahre alt.

...

Nach Velikovskys Auffassung verdrängt der Mensch das bedrohliche, katastrophistische Weltbild durch das heute anerkannte aktualistische Weltbild, das die Ursachen und Phänomene heutiger Zeit auf die Vergangenheit projiziert. Daraus münde dann u. U. neurotisches Verhalten von gesellschaftlichen Verantwortungsträgern, die zu Krieg und Vertreibung sowie Ausbeutung großer Bevölkerungsteile führten.
Nach der Wiederveröffentlichung von Velikovskys Werken 1978 beschäftigte sich die Gesellschaft zur Rekonstruktion der Menschheits- und Naturgeschichte mit seinen Thesen. Seit 1994 stellt die Zeitschrift Zeitensprünge eine Plattform für Chronologiekritik und Katastrophismus in Deutschland dar. Das Interesse dieser Autoren scheint sich jedoch tendenziell vom Katastrophismus ab- und der Chronologiekritik zuzuwenden. Gunnar Heinsohn, Professor für Sozialpädagogik an der Universität Bremen und eines der ursprünglichen Mitglieder der Gesellschaft zur Rekonstruktion der Menschheits- und Naturgeschichte, hat auf der Basis eines von Velikovsky inspirierten katastrophistischen Geschichtsbildes hypothetische Erklärungen für die Entstehung der ersten und zweiten Stufe der menschlichen Hochkultur (Zivilisation) vorgeschlagen.
...

In teilweiser Anknüpfung an Velikovsky erlangte Hans-Joachim Zillmer Bekanntheit auch über den deutschen Sprachraum hinaus. Seit 1998 behauptet er in seinen Büchern das Wirken von Superfluten und anderen gewaltigen Naturkatastrophen im Laufe der Erdgeschichte und vertritt eine spezielle Junge-Erde-Katastrophen-Theorie. Zillmer wandte sich über das Wirken von Naturkatastrophen bis in geschichtliche Zeiten (6./9. und 14. Jahrhundert) hinein ebenfalls der Chronologiekritik zu.


Uwe Topper plädierte ursprünglich für eine Abfolge von vier Weltzeitaltern, die durch große Katastrophen voneinander getrennt seien. Später versuchte er die Identität von Islam und christlichem Arianismus nachzuweisen. Die Thesen von Velikovsky, Heinsohn, Topper und Zillmer werden von anerkannten Wissenschaftlern jedoch abgelehnt.
Zillmer schmeißt das arianische Christentum mit der Religion der Druiden in einen Topf, Topper mit dem Islam. Jeder schreibt halt daher, was ihm gerade so einfällt. Eine wissenschaftliche Beweisführung (Auswertung aller einschlägigen Quellen) ist nicht nötig, denn die Quellen sind sowieso alle gefälscht. Wenn man in einer Quelle allerdings zufällig eine zur eigenen These passende Stelle findet, dann ist natürlich diese eine Stelle ausnahmsweise nicht gefälscht.

Da also freie Auswahl zwischen Fakten und Fantasie besteht und jeder nur seinem eigenen Gusto folgt, können die Ergebnisse auch nicht kompatibel sein.

So kommt es zwangsläufig früher oder später zu unüberbrückbaren Differenzen, siehe zum Beispiel https://de.wikipedia.org/wiki/Gesellschaft_zur_Rekonstruktion_der_Menschheits-_und_Naturgeschichte
 
Zurück
Oben