Hallo Scorpio,
es passiert selten, dass ich mal nicht mit Dir konform gehe, aber diesmal ist es der Fall.
Stimmt so nicht. Seit Herbst 1914 hat sich der Bewegungskrieg hin zum Stellungskrieg entwickelt. Seitdem haben die kriegsführenden Parteien dieses System immer weiter perfektioniert. Ein Graben von 1914 war natürlich ganz anders gebaut als einer von 1915 ff. aber man hat schnell gelernt und zu einer wahren Wissenschaft entwickelt.
So hat man beispielsweise ab 1915 - wenigstens auf deutscher Seite - damit begonnen, Beton-Fertigteile für Unterstände zu fabrizieren, die dann nur noch eingebaut werden mussten.
Falkenhayn hatte mit dem Angriff auf Verdun etwas ganz besonderes im Sinn: Er wollte, dass die Franzosen sich in einem langwierigen Zermürbungskrieg aufrieben ("weißbluten" nannte man das damals). Deshalb war der Angriff auf Verdun angesetzt worden, wo die Verteidigung und Truppenmassierung der Franzosen am stärksten war. Und man ging langsam, beinahe Schritt für Schritt vor, um die gegnerischen Verluste so hoch wie möglich zu halten. Ein schneller Durchbruch hätte womöglich einen hohen Geländegewinn zur Folge gehabt, aber das war von der OHL nicht gewollt.
Nach Frankreichs Ausbluten sollte England besiegt werden, das man als eigentlichen Hauptgegner ansah (Frankreich wurde in diesem Zusammenhang sogar als "Englands Festlanddegen" diskriminiert).
Falkenhayn war mit dieser Planung so im Prinzip der langwierigen Grabenkämpfe verhaftet, dass man an andere Alternativen für lange Zeit (auch auf alliierter Seite übrigens) gar nicht dachte. Dass ein solches Ausbluten des Gegners natürlich auch auf die eigenen Soldaten zurückfallen könnte (wie es ja dann auch geschah) kam wohl keinem in den Sinn.
Gruß
Jacobum
Sicher, die Westfront war seit Herbst 1914 im Grabenkampf erstarrt, die ersten noch provisorischen Gräben wurden zu einem tief gestaffelten Verteidigungssystem ausgebaut, dass nur durch genaue Kenntnis passiert werden konnte. Seit der Lorettoschlacht 1915 kannte man Trommelfeuer und experimentierte mit der "Feuerwalze". Seit April 1915 bei Ypern spielte auch Giftgas eine Rolle, doch die Entwicklung zeigte, dass tiefere Erkenntnisse in Gesetzmässigkeiten der Materialschlacht und des Grabenkampfs noch in der Entwicklung waren, zumal bisher Erfahrungen mit einer Material- und Abnutzungsschlacht dieser Dimension fehlten.
Für jeden Graben, den man halten wollte, war ein Reserve- und ein Versorgungsgraben erforderlich. Wie man die Truppen am besten staffelte, um grosse Verluste zu vermeiden, in welcher Entfernung Reserven am besten stationiert wurden, um sie rechtzeitig zum Gegenangriff mobilisieren zu können, da fehlten auf beiden Seiten noch Erfahrungen.
In wochenlangem Stellungskrieg stellten sich Probleme mit der Psyche der Truppen, denn die mussten ja irgendwann einmal abgelöst werden. Dazu das organisatorische Problem der Versorgung von Tausenden von Verwundeten, die Entsorgung von Hunderten von Toten, mit denen die Soldaten tagelang kampieren mussten. Bei den Franzosen gab es das "Paternostersystem". Alle 2 Wochen wurden die Truppen geschlossen abgelöst. So grub sich Verdun tief in das Bewusstsein der französischen Armee ein, denn fast jede Division lag mal vor Verdun. Vor allem bei der Artillerietaktik zeigte die spätere Erfahrung des Krieges, dass die Zerstörungskraft des Trommelfeuers überrschätzt wurde. Der Gegner wurde gewarnt, und das Gelände wurde noch unübersichtlicher und schwieriger für die Infanterie.
Einige typische Waffen für den Grabenkampf wie Stielhandgranaten, Gasgranaten, Gasmasken und Flammenwerfer waren bei Verdun noch relativ neu oder wurden dort in grösserem Stil erprobt. Der Stahlhelm wurde zum Beginn der Verdunoffensive nur von einigen Spezialeinheiten benutzt, zu Beginn zogen die Deutschen noch mit Pickelhauben los.
Falkenhayn wählte das Schlachtfeld, weil das ein Punkt war, den die Franzosen aus ideologischen Gründen halten mussten. Aber bei der Unübersichtlichkeit des Geländes war es doch recht vermessen, anzunehmen, dass dem Verteidiger 3 mal so hohe Verluste zugefügt werden konnten. Die Franzosen verfügten über eine gute Rückzugs- und Nachschubstrasse, die Voie Sacre´, während die Deutschen jede Patrone und Konserve durch das Trichterfeld nach vorne bringen mussten. Aber auch bei den Franzosen gewannen Anhänger einer starren Verteidigungsdoktrin die Oberhand, es wurden Offiziere, die Rückzugsbefehle ausgaben vors Kriegsgericht gestellt. Letztlich war Verdun ein moralischer Erfolg für die franzosen, trotz ihrer immensen Verluste. Bei den Materialschlachten des Weltkriegs fällt auf, dass sie irgendwann eine gewisse Eigendynamik gewannen. In Verdun, an der Somme 1916, am Chemin des Dames und in Flandern 1917 zeichnete sich bald schon ab, dass die gesteckten Ziele nicht erreicht würden, man aber aus Rücksicht auf ideologisch- moralische Erwägungen oder wegen der Verbündeten gar nicht anders konnte, als weiter anzugreifen, zum Gegenangriff ansetzen, einfach weil es die Eigendynamik erforderte. An der Somme und in Flandern waren es am Ende eher der Schlamm und der einbrechende Winter, der die Materialschlachten beendete.