Verfolgungen der Zigeuner in Preußen

gibt es denn Quellen zu deren Umsetzung?

Wie es mit der Umsetzung aussah, kannst Du Dir von S. M. Friedrich Wilhelm König in Preußen selber erzählen lassen (Edikt vom 30. November 1739):

"Demnach zu Unserm nicht geringen Mißfallen vielfältig wahrgenommen worden, daß man Unsere wegen derer auf dem Lande sich so häuffig ziehenden Ziegeuner, herumstreichenden Bettler, und Vagabonden, verschiedentlich emanirte heilsahme Verordnungen sehr schlecht beobachte, ja fast gäntzlich ausser Augen setze..."


(beim Volksliederarchiv finden sich Beachtenswerte weiterführende Infos zu diesem Lied!)

Da wird Goethe im Zusammenhang mit der aufkommenden Zigeunerromantik erwähnt, schon der junge Goethe lässt (1773) Götz von Berlichingen Schutz bei den "wilden Kerls, starr und treu" Zuflucht finden (5. Akt, "Nacht, im Wilden Wald. Zigeunerlager").
 
Sogenannte "Zigeunerstöcke", Bildtafeln, die Roma und Sinti drohenden Strafen abbildeten, die ihnen bei Betreten des Landes drohten, waren nicht ungewöhnlich. Schon relativ kurz nach ihrem ersten Erscheinen auf Reichsgebiet Anfang des 15. Jahrhunderts erließen zahlreiche Territorien Mandate gegen Roma und Sinti. Sie galten als asozial und man verdächtigte sie als Spione der Türken.

Es gab verschiedene Legenden: Eine sagte, dass Zigeuner der Heiligen Familie auf der Flucht nach Ägypten Obdach verweigert habe, eine andere, dass sie unter der Herrschaft der Osmanen vom christlichen Glauben abgefallen waren und auf sieben Jahre die Welt durchstreifen mussten.

Im Gegensatz zu Vaganten oder Betteljuden war die bloße Existenz bereits ein Straftatbestand, und bei Zigeunern waren die Obrigkeiten vielfach geneigt, die oft menschenfeindlichen Mandate buchstabengetreu auszuführen.

Bei Razzien und Fahndungen kam es zuweilen vor, dass Zigeuner abgeknallt und gelyncht wurden. In einem rheinischen Fürstentum erschien auf der Strecke einer Treibjagd auch eine Zigeunerin mit einem Kleinkind, die man kurzerhand erschossen und aufgelistet hatte, als handelte es sich um Hasen oder Rebhühner. De facto waren Zigeuner Anfang des 18. Jhds rechtlos.

Der Jurist Weißenbruch, der eine Untersuchung gegen die Zigeunerbande des großen Galantho und des Hemperla leitete, schrieb:

"Des Stehlens seynd sie von Jugend auf gewohnt, und ist dieses Laster bei ihnen so ausgeprägt, daß sie das Wegnehmen der Hühner, Gänse, Katzen, Gemüß und Obst und in Summa aller Viktualien für keine Sünde halten."

Der Einfluss der Aufklärung ging aber auch an der Justiz nicht vorbei.

Der Pfarrer Wittich, der den berüchtigten Banditen Hannikel auf den Tod vorbereitete schrieb um 1780 einen Aktenmäßigen Bericht" über Hannikel, und er machte die erbärmlichen Lebensbedingungen, unter denen Roma leben mussten für die Ursache seiner kriminellen Laufbahn.

Wittich fügte seinem Bericht ein selbst verfasstes Gedicht bei, in dem er plädierte, Zigeuner fair zu behandeln.

Die Einstellung der Bevölkerung war ambivalent. Einerseits stellte man Zigeuner unter Generalverdacht, unterstellte ihnen Kriminalität, verdächtigte sie, Kinder zu rauben.

Andererseits aber begegnete man ihnen auch mit Mitgefühl, und unter der Landbevölkerung galt ihr Erscheinen vielfach als günstiges Omen, als ein Indiz für bessere Zeiten. Ein altes Sprichwort sagte:

"Wo der Zigeuner im Land lebt, herrscht Freiheit."
 
Der Pfarrer Wittich, der den berüchtigten Banditen Hannikel auf den Tod vorbereitete schrieb um 1780 einen Aktenmäßigen Bericht" über Hannikel,
Du meinst den hier?

"Ein wahrhafter Zigeuner-Roman, ganz aus den Kriminal-Akten gezogen"
 
Bevor wegen dieser eigenwilligen Abschweifung in Tagespolitik

der Faden womöglich zerfasert oder eine vom Thema abschweifende Diskussion anhebt, erinnere ich an meine Frage(n):

und ergänze diese um eine weitere:
Haben diese extremen Verordnungen irgendwo eine Reaktion oder Erwähnung in der Literatur des 18. Jhs. erhalten, bei Voltaire, Wieland, Sterne oder anderen?

Es entstand im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts eine ganz eigentümliche Genregattung: Die sogenannten Aktenmäßigen Berichte. Das waren Schriften, in denen Geistliche und Juristen über Räuber und Banditen berichteten, gegen die sie ermittelt hatten.

Diese Aktenmäßigen Berichte verfolgten verschiedene Zwecke:
-Sie sollten brave Bürger aufklären, um sie in der Konfrontation mit Gaunern und Räubern zu schützen.
- Sie sollte Kriminalbeamte aufklären über deren Masche und Informationen zu deren Überführung bieten.
- Sie berichteten über Fahndungserfolge und die Arbeit der heimischen Kriminaljustiz.
-Schließlich sollten diese Berichte aber auch unterhalten.

Das war durchaus so etwas wie ein frühes Aktenzeichen XY ungelöst.

Zu den Verfassern gehörten auch Christian Friedrich Wittich und Johann Ullrich Schöll, beide Pastoren, die auch den Amtmann Schäffer aus Sulz kannten, der energisch das Bandenwesen im Südwesten des Reichs bekämpfte und u. a. den Banditen Konstanzer Hans festnehmen konnte.
Schöll schrieb einen Aktenmäßigen Bericht über den Konstanzer Hans und Wittich über Hannikel.

Das sind unschätzbare sozialhistorische Quellen, die einiges auch zur Geschichte der Roma und Sinti enthalten.

Wittich hatte den Banditen Hannikel auf den Tod vorbereitet. Wittich machte die große Armut, mangelnde Bildung und Erziehung von Hannikel für dessen Kriminalität verantwortlich.

Christian Friedrich Wittich, Hannikel ein wahrhafter Zigeuner-Roman, ganz aus den Kriminalakten gezogen Tübingen 1787.

Johann Ullrich Schöll, Konstanzer Hanß Eine schwäbische Jauners-Geschichte aus zuverlässigen Quellen geschöpft Stuttgart 1789.

Die Berichte von Schöll und Wittich sind ungekürzt enthalten in:

Heiner Boehnke/Christian Sarkowicz Die Deutschen Räuberbanden Band 1.
 
Bevor wegen dieser eigenwilligen Abschweifung in Tagespolitik

der Faden womöglich zerfasert oder eine vom Thema abschweifende Diskussion anhebt, erinnere ich an meine Frage(n):

und ergänze diese um eine weitere:
Haben diese extremen Verordnungen irgendwo eine Reaktion oder Erwähnung in der Literatur des 18. Jhs. erhalten, bei Voltaire, Wieland, Sterne oder anderen?

Von den ganz großen der deutschen Literatur hat zumindest Schiller auch das Bandenwesen verarbeitet, Berichte von der Uraufführung der Räuber erinnern an die ersten Auftritte der Beatles oder Elvis.

Einer von Schillers Lehrern an der Karlsschule war ein Sohn des Amtmanns der Friedrich Schwan, alias Sonnenwirtle festgenommen hatte. Schiller verarbeitete das Schicksal des Sonnenwirtles in Der Verbrecher aus verlorener Ehre.

Bevor wegen dieser eigenwilligen Abschweifung in Tagespolitik

der Faden womöglich zerfasert oder eine vom Thema abschweifende Diskussion anhebt, erinnere ich an meine Frage(n):

und ergänze diese um eine weitere:
Haben diese extremen Verordnungen irgendwo eine Reaktion oder Erwähnung in der Literatur des 18. Jhs. erhalten, bei Voltaire, Wieland, Sterne oder anderen?

Solche Zigeuner-Stöcke fanden sich an fast allen Landesgrenzen, und es wurde weder massenhaft an der Grenze gehängt, noch hat es abgeschreckt.

Obrigkeitliche Mandate im 18. Jahrhundert das war immer ein "Potentialis", und sehr selten wurden solche Mandate auch umgesetzt. Auch "Betteljuden" und Vaganten wurden drastische Strafen angedroht, im Fall von Zigeunern war man aber weit eher bereit, solche drastischen Mandate wörtlich zu nehmen. Im günstigsten Fall drohten Prügel und Brandmarkung, im ungünstigsten Fall konnten Zigeuner getötet werden, sie waren vogelfrei.
Das setzte durchaus keine schweren Straftaten voraus- die bloße Existenz war ein Straftatbestand
Immerhin war man, wenn es um Zigeuner ging, weit eher bereit, so etwas auch durchzuziehen.

Das, was 1724 im fränkischen Berneck geschah, war ein Justizmord. 17 Zigeunerinnen, darunter auch Christinnen, waren bei einer Razzia aufgegriffen und kurzerhand aufgehängt worden.

Das war nun schon ungewöhnlich, aber solche Zigeuner-Stöcke waren im 18. Jahrhundert völlig alltäglich.
 
Das war schon ein Fortschritt, klar, aber angesichts der drakonischen Strafen, die sein Vater 50 Jahre zuvor gegen die "Zigeuner" verhängt hat, durften es nicht viele davon in Preußen gegeben haben, die sich schon mehrere Jahre lang "im Lande redlich genähret" hatten.
Ich darf darauf aufmerksam, machen, dass das oben von @Sepiola zitierte Dekret Friedrich II. von 1774 nicht Preußen als Gesamtheit, sondern Ostfriesland betraf (wie du wüsstest, wenn du aufmerksam gelesen hättest) und das Ostfriesland erst 1771 der preußischen Krone zugefallen war.

Mit anderen Worten das rabiate Dekret Friedrich-Wilhelms war hier zuvor überhaupt nicht in Kraft.
Anlass für das Dekret Friedrich II. dürfte vor allem gewesen sein, einen Umgang mit den in Ostfriesland bei Regierungsantritt vorgefundenen Umständen zu finden.

Das traf auf alle zu, die nichts sesshaft waren. Aber nur "Zigeuner" durften per Todesstrafe Preußen nicht betreten – siehe Eröffnungsbeitrag und die Bestätigung durch das von @Sepiola verlinkte Dokument. Das war wohl der Fremdenscheu geschuldet, von der Eibl-Eibesfeldt zuerst sprach: Diese stehe in einer Ambivalenz zum ebenfalls angeborenen Neugierverhalten. Ob sich ein Mensch nun einer ihm fremden Kultur mit Scheu oder mit Neugier nähere, sei von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängig.
Wie immer hübsch an den historischen Tatsachen und Logiken vorbei.

1. Andere Gruppen, gegen die sich das Edikt richtete, waren entweder im Land bereits vorhanden, so dass es witzlos gewesen wäre ihnen das Betreten des Landes zu verbieten, oder
2. Andere Gruppen die möglicherweise unerwünschtermaßen die Grenze queren konnten unterschieden sich von den "Zigeunern" in der Regel darin, dass sie Untertanen der benachbarten Herrscher waren.

Den Untertan eines benachbarten Herrschers bringt man, wenn er unerwünschter Weise die Grenze überschreitet, aber selbstverständlich nicht um, denn das könnte zu massivem politischen Ärger mit den Nachbarfürsten führen, sondern den schiebt man selbstverständlich dahin ab, wo er hergekommen ist, bzw. übergibt ihn am nächsten bewachten Grenzübergang einer Amtsperson des Nachbarstaates, damit sich der entsprechende Grund- oder Landesherr darum kümmert.

Und Rahmenbedingung in einem Staat setzt der Gesetzgeber fest – in der Zeit des Absolutismus war das der jeweilige Herrscher.
Ja, das hat Joseph II. auch gedacht und versucht.
Mit dem Ergebnis, dass ihm Provinzialstände, Hofparteien und Klerus auf die harte Tour vermittelten, dass sie da auch noch ein Wort mitzureden hatten.

Die Aufklärung hat mit dafür gesorgt, dass sich die Rahmenbedingungen langsam änderten, ohne jedoch diese Fremdenscheu ganz verdrängen zu können.
Maßgeblicher für die Veränderungen dürften eher die wirtschaftlichen Umbrüche gewesen sein, die zur beginnenden Auflösung der Ständegesellschaft führten.

Das kann man am Beispiel der als "Zigeuner" bezeichneten Gruppen durchaus festmachen.
@Ravenik hat nicht zu unrecht darauf hingewiesen, welche Probleme z.B. im Bereich des Handwerks durch die Ständegesellschaft und ihre Zunft- und Handwerksordnungen vorhanden waren, die es diesen Gruppen quasi unmöglich machten, im Bereich des Handwerks im Sinne der Ständegesellschaft "ehrliche/ehrbare" Arbeit zu leisten.


Das änderte sich aber natürlich um so mehr kapitalistische Logiken und das Manufakturwesen sich zu etablieren begannen, und die traditionellen Handwerksstrukturen an macht verloren
In dem Moment in dem die ständischen Schutzräume im wirtschaftlichen leben massiv zu schrumpfen begannen (ganz abgeschafft werden sie erst im 19. Jahrhundert) und unternehmerische oder handwerkliche Tätigkeiten außerhalb der tradierten, strengen Handwerksordnungen möglich wurden, entstanden in diesem Bereich auf einmal Räume, die es den entsprechenden Gruppen möglich machten, z.B. im handwerklichen Bereich im Sinne des Systems ehrliche Arbeit zu leisten und sich, wie es in Friedrichs Edikt heißt, "redlich zu nähren".
 
Außerdem lese ich, dass sie ev. vorher schon durch "Brand-Marcken" gekennzeichnet worden sind, d.h. sie wurden wie Diebe oder Prostituierte gebrandmarkt. Weiß jemand, wie diese Brandzeichen aussahen? Ich konnte nichts darüber finden.

In den Verordnungen des Fränkischen Reichskreises wird immer ein "Brandmal F. C." erwähnt, siehe Des Löblich-Fränkischen Creyßes anderweit- verneuert- und geschärftes Poenal-Patent wider das Diebs-Rauberisch-Zigeuner-Jaunerisch-Herren-loses und anderes Bettel-Gesindel (Nürnberg, 7. November 1746):

"Als solle der Zigeuner, welcher nicht seines Wohlverhaltens wegen, und weilen er im Creyß gebohren, im Schutz stehet [...] bey Betretung das erstemal [...] mit dem bestimmten Brandmahl F. C. auf den Rucken gezeichnet, und darauf so gleich aus den gesamten Fränkischen Creyß-Landen unter der nachdrucksamsten Einbindung, daß, im wieder Betretungs-Fal, der Strick ihme ohnfehlbar zu theil werden müste, verwiesen, dahingegen der Jauner das erstemal statt des Brandmals auf einige Zeit an einen Ort zum Vestungs-Bau, oder andere offene Arbeit gesandt, das zweytemal aber gebrandmarket werden"
Vollständige samlung von actis publicis und staats-schriften zum behuf der neuesten welt- und Teutschen Reichsgeschichten unter Kayser Franz ... , ab S. 377
(Auch hier heißt es wie in ähnlichen "verschärften"Verordnungen, das vorangegangene Poenal-Patent vom 28. Junii 1720 sei "nur von einer geringen Würkung gewesen".)
 
Im Gegensatz zu Vaganten oder Betteljuden war die bloße Existenz bereits ein Straftatbestand

Im zitierten Edikt Friedrichs des Großen wurden ihnen zumindest härtere Strafen angedroht. Das Edikt unterscheidet vier Gruppen:

1. "Ziegeuner" (gelten a priori als nichtsesshaft und bekommen zwei Jahre "Festungs-Arbeit")
2. "fremde Bettel-Juden" (falls sie in einer Nachbarprovinzwohnhaft sind, werden sie ausgewiesen, ansonsten gibt es ebenfalls zwei Jahre Zwangsarbeit)
3. "fremde Bettler" (dasselbe, aber nur ein Jahr Zuchthaus statt Jahren Zwangsarbeit)
4. "sonstiges herumlaufendes Gesindel und Vagabonden" (werden lediglich ausgewiesen, sofern sie keiner Straftat verdächtig sind.)

Die Definition der ersten Gruppe lautet so:

"worunter die Art Leute zu verstehen, die sich gemeiniglich durch ihre gelbe Gesichtsfarbe und schwarze krause Haare von andern unterscheiden, gewöhnlich unter freyen Himmel sich aufhalten, auch wohl zu ihrer Nahrung dergleichen Mittel gebrauchen, deren sich andere Leute nicht bedienen, und die Truppweise herum zu ziehen pflegen"
 
In den Verordnungen des Fränkischen Reichskreises wird immer ein "Brandmal F. C." erwähnt, siehe Des Löblich-Fränkischen Creyßes anderweit- verneuert- und geschärftes Poenal-Patent wider das Diebs-Rauberisch-Zigeuner-Jaunerisch-Herren-loses und anderes Bettel-Gesindel (Nürnberg, 7. November 1746):
Vielen Dank, @Sepiola, für den Link. Daraus (Seite 383) entnehme ich, dass man schon damals organisierte Kriminalität (z.B. mehr als 3 Leute 4 Wochen lang zusammen) schärfer verurteilte: Der Strick war ihnen gewiss, auch Frauen und Minderjährige wurden gehängt. Vielleicht kommt daher der Spruch: Mitgegangen, mitgehangen!

In Bezug des Brandstempels „F.C.“ vermute ich eine Abkürzung eines lateinischen Begriffs. Bei Begriffen, die sich mit F.C. abkürzen lassen und die einigermaßen passen, habe ich das gefunden: De fronte cauteriata, sive de stigmatis inustione, von Breñnung eines Zeichens oder Mahls vor der Stirn/ auf der Hand/ Rücken oder andern Orten des Leibes. Quelle: Deutsches Textarchiv – Döpler, Jacob: Theatrum poenarum, Suppliciorum Et Executionum Criminalium, Oder Schau-Platz/ Derer Leibes und Lebens-Straffen. Bd. 1. Sonderhausen, 1693.

Inzwischen bin ich auch anderweitig fündig geworden – Zitat: Obwohl in vielen deutschen Gegenden bereits unüblich, ist für 1712 in Suhl ein Fall belegt, bei dem der Scharfrichter Glaser öffentlich zwei Männer und vier Frauen gebrandmarkt hat. Den als Zigeuner bezeichneten Personen ließ er einen Galgen auf ihre Rücken brennen.

Ob das mit den Galgen allgemein so üblich war, vermag ich nicht zu beurteilen.
 
Das Josephinische Strafgesetz vom 13. Januar 1787 kennt folgende Bestimmung:

"§ 39.
Auch die geheime Brandmarkung wird als eine Verschärfung der Strafe bestimmt. Sie geschieht mittelst kennbarer und unvertilgbarer Einschröpfung eines Galgens an der linken Seite des hohlen Leibes, findet aber nur gegen fremde Verbrecher Statt, die zugleich außer Landes verwiesen werden."
 
Bei den „Zigeunern“ kam als weiteres „Problem“ hinzu, dass sie außerhalb der etablierten sozialen Ordnung standen und sich nicht an deren Spielregeln hielten. In einer Gesellschaft mit relativ festen sozialen Schranken und vielfachen Normen, an die sich die Masse der Bevölkerung zu halten hatte (durch die sie aber zum Teil auch geschützt wurde), konnte das schnell zum Problem werden (bzw. von den Einheimischen als solches wahrgenommen werden).
Z.B. übten sie vielfach handwerkliche Tätigkeiten aus, ohne den entsprechenden Zünften anzugehören und ohne sich an deren Reglements zu halten; dadurch konnten sie die etablierten Handwerker vielfach zumindest preislich unterbieten (durch ihre in der halben bekannten Welt gesammelten Erfahrungen mitunter vielleicht auch qualitativ überbieten). (Heute würde man sagen, sie „pfuschten“ bzw. betrieben „Schwarzarbeit“; man könnte auch sagen, sie betrieben „unlauteren Wettbewerb“.) Ein derartiges Verhalten wird auch heutzutage zwar von vielen Kunden geschätzt, vom Staat und den eingesessenen Gewerbetreibenden aber nicht gerade gerne gesehen - egal ob es ein Einheimischer oder ein Fremder ausübt.
Die Bauern, die sich ihrer Dienste bedienten, mögen profitiert haben, die eingesessenen Handwerker (und diejenigen, die in Form von deren Abgaben profitierten) aber nicht. Deren Ressentiments muss man also nicht zwingend mit „Rassismus“ erklären.

Also auch in dieser Hinsicht hinkt der Vergleich mit reisenden Pensionisten, die nicht als Störung und Konkurrenz wahrgenommen werden.

Fairerweise wird man feststellen dass die Möglichkeiten ein Gewerbe auszuüben, ja schon für Juden sehr begrenzt waren. Juden durften keinen Grund erwerben, durften keiner Zunft beitreten, durften nicht Getreide auf dem Halm kaufen. Schutz galt nur für eine bestimmte Zeit, häufig konnte dann nur ein Sohn "Schutzjude" werden, und etliche Juden konnten sich ohnehin keinen Schutzbrief leisten. Ein einigermaßen auskömmliches Einkommen boten eigentlich auf dem Land nur der Vieh und Häutehandel, und Aufstiegsmöglichkeiten im Juwelen- und Münzhandel.

Immerhin aber waren die Juden in das Wirtschaftsleben eingebunden, man brauchte sie. Die Klein- und Kleinstkredite, die auf dem Land so stark benötigt waren, boten nur Juden an, und das waren oft durchaus riskante Geschäfte, Zeitgenossen fiel auf, dass das Vorurteil vom judischen Wucher nicht so recht zog und Juden selbst oft geprellt wurden. Juden lebten seit Jahrhunderten in Europa, und sie wurden ziemlich ausgeplündert von den Obrigkeiten, aber zumindest prinzipiell geschützt.

Die Zigeuner wurden dagegen seit ihrem ersten Erscheinen kriminalisiert. Die Kleinkriminalität hat es natürlich auch bei Zigeunern gegeben. Auch wenn in obrigkeitlichen Mandaten nicht zwischen Räubern, Gaunern und Zigeunern differenziert wurde, waren Räuberbanden, die von Zigeunern dominiert wurden selten.

In den 100-150 Jahren des Bandenwesens gab es in Mitteleuropa nur zwei, die bekannt wurden. Die des Hemperla und des Großen Galantho um 1720 und die von Hannikel um 1770-80. Beide zeichneten sich durch ein außergewöhnliches Maß von Brutalität aus. Morde waren relativ selten. Für die Morde an dem Landleutnant Emmeraner war immerhin noch Rache im Spiel, der Mord an dem Pfarrerehepaar Heinsius war dagegen völlig grundlos.

Bei Zigeunern war man weit eher bereit, die brutalen Mandate tatsächlich mit voller Konsequenz auszuführen, und die Möglichkeiten der legalen Ansiedelung und der Gewerbsarbeit waren für Zigeuner sehr begrenzt.
Aber die Unterdrückung war auch nur eine Seite, eine gewisse Faszination eine andere. Viele Obrigkeiten machten dann doch Ausnahmen, und dort wo sie geduldet wurden, da versuchten sie auch, sich an die Spielregeln zu halten, bzw. die Einhaltung gewisser Regeln durchzusetzen.

Schon im Mittelalter wurden aus den Zigeuner "Herzöge" oder Zigeunergrafen ernannt, die für Ordnung sorgen sollten n und die Einhaltung von Regeln überwachten auch haftbar gemacht werden konnten.

Zu den Sentiments der Bevölkerung ist zu sagen, dass deren Reaktion vor allem von der großen Armut bestimmt war.

Es gibt von Zeitgenossen Berichte, dass jeder Hauseigentümer am Tag oft 10- 15 Bettler beköstigten. Die jüdischen Gemeinden wurden von Schnorrern und Betteljuden regelrecht überschwemmt. Sie halfen wo sie konnten, aber in Judenherbergen wurden oft von 50 Menschen am Tag besucht.

Es gibt Schätzungen dass zwischen 5-10 Prozent der Bevölkerung Vaganten oder sogenanntes "herrenloses Gesindel" waren, und die mussten natürlich von etwas leben.

Für Zigeuner boten eigentlich nur der Pferdehandel und das Schaustelllergewerbe eine Subsistenzmöglichkeit. Seit Ende dem 18. Jahrhundert gelangten Musiker, in Spanien Matadore ein gewisses Ansehen.

Bei den obrigkeitlichen Mandaten gegen Räuber, Gauner und Vaganten wäre es aber verfehlt, die oft brutalen Mandate allzu wörtlich zu nehmen.

Bei Zigeunern war man allerdings vielfach geneigt, da wirklich knallhart vorzugehen, ja sogar darüber hinaus zu gehen, wie beim Zigeunermord in Berneck, wo man 17 junge Frauen, darunter Minderjährige und Kinder oder bei einer Treibjagd im Rheinland wo man eine Zigeunerin mit einem Kind erschoss und sie auf der Strecke auflistete.

Auch nach den Reichsgesetzen war die Tat von Berneck ein Justizmord.

Da würde ich schon von Antiziganismus ausgehen. Es waren auch meistens Frauen und Kinder, die man bei Razzien oder Streifen erwischte. Es war durchaus nicht die Norm, Zigeuner niederzuschießen oder sie zu lynchen, es ließen aber obrigkeitliche Mandate durchaus das zu, und es hatte so etwas nicht unbedingt Sanktionen zu befürchten.
Im Verlauf des 18. Jahrhunderts machte sich aber auch in der Justiz der Einfluss der Aufklärung bemerkbar.

Die schon erwähnten Autoren Wittich und Schöll haben nie rassistisch- antiziganistisch argumentiert wie der zitierte Weißenbruch es tat oder wie es Hermann Arnold und Robert Ritter im 20. Jhd. taten. Wittich erkannte, dass Leute wie Hannikels oft nach dem Motto der Bremer Stadtmusikanten leben mussten. In der schweren Kriminalität, im Bandenwesen waren Zigeunerbanden recht selten. In dem Zeitraum zwischen 1700 und 1820 gab es in Mitteleuropa nur zwei. Eben die beiden Banden von Anthoine la Grave der Große Galantho und Jean le Fortune alias Hemperla, die in den 1720er Jahren in Hessen und Kurmainz aktiv war und die von Hannikel, der fast 20 Jahre Schwaben, das Elsass und die Schweiz unsicher machte. Eigentümlich bei diesen Banden war auch, dass die meisten Mitglieder miteinander verwandt waren. Hannikels bevorzugte Opfer waren übrigens Juden, die er oft furchtbar malträtierte, wobei er fand, dass das keine Sünde sein kann.

Andererseits gab es aber auch so etwas wie romantische Faszination und durchaus auch Mitgefühl. Es war vielerorts die Vorstellung verbreitet, dass ihr Erscheinen auf bessere Zeiten deutete.
 
Aber Rassismus blieb – Zitat: Sinti und Roma gehören laut einer Studie zu der unbeliebtesten Minderheit in Deutschland. Rund ein Drittel aller Deutschen empfindet eine direkte Nachbarschaft mit Sinti und Roma als „eher oder sehr unangenehm“ – und alte Vorurteile prägen das Bild der Deutschen.


Den Sinti und Roma ist mit Sicherheit über Jahrhunderte großes Unrecht zugefügt worden, auch in der Nachkriegszeit hat die bürokratische Erfassung auf Material der NS-Zeit zurückgegriffen, und "Fachleute" wie Robert Ritter und Hermann Arnold haben im Prinzip in der Nachkriegszeit da weitergemacht, wo sie aufgehört haben 1945. Es hat lange gedauert, bis der Porajmos als Völkermord anerkannt wurde.

Es ist Integration aber keine Einbahnstraße, und die Rassismuskeule, das Einnehmen der Opferrolle ist eben auch ein Mittel des politischen Kampfes, und es haben Aktivisten wie Romani Rose auch eine ganze Menge erreicht, er hat als Vorsitzender des Zentralrats der Sinti und Roma sich Gehör verschafft, sicher auch berechtigte Forderungen formuliert und durchgesetzt.

Rose ist aber auch eine Persönlichkeit, die polarisiert, auch jemand, der gerne anprangert, Forderungen stellt und die Opferrolle einnimmt.
Es ist aber fraglich, ob es Sinn macht, Leute in ihrer Opferrolle zu bestärken.



Es ist die moralische Keule auch ein bisschen überstrapaziert. Einem Drittel der deutschen Bevölkerung Antiziganismus zu unterstellen.
Wenn man bestimmte Personengruppen nicht als Nachbarn haben will, sollte man vielleicht auch die Gründe hinterfragen. Liegt das daran, dass Vorurteile vorliegen, dass Menschen wegen ihrer Herkunft, ihres Aussehens diskriminiert werden? Oder ist es vielleicht so, dass bestimmte Personengruppen durch negative Verhaltensweisen eher auffallen als andere? Wenn ein Vermieter keine Roma haben will, dann kann das an Vorurteilen liegen, es kann aber auch an konkreten negativen Erfahrungen, an mangelnder Integrationsbereitschaft liegen.

Wenn die statistische Wahrscheinlichkeit, dass es Ärger gibt, bei einer bestimmten Volksgruppe unverhältnismäßig größer ist, als bei anderen, ist es nur natürlich, wenn man dieses Risiko nicht eingehen will und eine andere Klientel als Nachbarn bevorzugt, bei denen die statistische Wahrscheinlichkeit eben niedriger ist.
 
Obrigkeitliche Mandate im 18. Jahrhundert das war immer ein "Potentialis", und sehr selten wurden solche Mandate auch umgesetzt.
Mit anderen Worten: was in #1 mit empörtem Effekt vorgestellt wurde (das sofortige aufhängen bei Grenzübertritt nach sozusagen zeittypischen "racial profiling" per Dekret), das hat nur selten wenn nicht gar nie stattgefunden? Ich habe keine Nachweise finden können, dass das irgendwo tatsächlich so wie angeordnet/angedroht an der Grenze im 18.Jh. stattgefunden hat.
Aber dass ich nichts gefunden habe, besagt erst mal nichts, weshalb ich meine Frage wiederhole:
gibt es denn Quellen zu deren Umsetzung? Wurde an den preuss. und österr. Grenzen massenhaft gehängt?
 
In Bezug des Brandstempels „F.C.“ vermute ich eine Abkürzung eines lateinischen Begriffs. Bei Begriffen, die sich mit F.C. abkürzen lassen und die einigermaßen passen...

... wird man eigentlich schon im Text fündig, da hätte ich auch gleich drauf kommen können:

"Als solle der Zigeuner, welcher nicht seines Wohlverhaltens wegen, und weilen er im Creyß gebohren, im Schutz stehet [...] bey Betretung das erstemal [...] mit dem bestimmten Brandmahl F. C. auf den Rucken gezeichnet, und darauf so gleich aus den gesamten Fränkischen Creyß-Landen ... verwiesen
 
Mit anderen Worten: was in #1 mit empörtem Effekt vorgestellt wurde (das sofortige aufhängen bei Grenzübertritt nach sozusagen zeittypischen "racial profiling" per Dekret), das hat nur selten wenn nicht gar nie stattgefunden? Ich habe keine Nachweise finden können, dass das irgendwo tatsächlich so wie angeordnet/angedroht an der Grenze im 18.Jh. stattgefunden hat.
Ulrich Friedrich Opfermann, "Seye kein Ziegeuner, sondern kayserlicher Cornet" - Sinti im 17. und 18. Jahrhundert, Eine Untersuchung anhand archivalischer Quellen, Berlin 2007, hat sich den Raum zwischen Rhein und Rhön, Main und Sieg vorgenommen.

In dieser Region wurden ebenso wie in Preußen, in Österreich und anderswo die Verordnungen in den 1720er Jahren auf brutale Weise verschärft. Warnschilder wurden flächendeckend aufgestellt, "Streifungen" (Treibjagden) wurden veranstaltet.

"So beharrlich die Obrigkeiten während des gesamten 18. Jahrhunderts alle Arten von Streifzügen organisieren, so regelmäßig hieß es, die Erfahrung habe gezeigt, dass sie 'bishero wenig gefruchtet' hätten (Nassau-Diez, 1725), dass 'nichts ausgerichtet' werde (Nassau-Weilburg, 1738), dass 'wenig Fruchtbahrliches ausgerichtet worden' (Nassau, Usingen und Kurtrier, 1739), dass 'der intendirte Zweck nicht erreichet' werde (Hessen-Darmstadt, 1750), dass 'so wenig die allgemeine als besondere Streifung von Soldaten und Landleuthen von genugsamer Wirksamkeit gewesen' sei (Oranien-Nassau, 1765)." (S. 147f)
In vielen Fällen dürften die Sinti von der örtlichen Bevölkerung ("sowohl Schultheiß als Unterthan") rechtzeitig gewarnt worden sein.

Aussagekräftige Zahlen zu Hinrichtungen zu gewinnen sei schwierig, so Opfermann, man müsse mit einer hohen Dunkelziffer rechnen. Es lässt sich allerdings auch hier ein Höhepunkt in den 1720er/1730er Jahren feststellen: "Nahezu die Hälfte von fast 80 festgestellten Hinrichtungen von Sinti und von etwa 220 Hinrichtungen insgesamt im Jahrhundertverlauf fällt in die Jahre 1726 bis 1733. Die von der härtesten Form der Vagierendenverfolgung im 18. Jahrhundert mit Abstand am stärksten Betroffenen sind ohne Zweifel Sinti gewesen." (S. 198)

"Allerdings, es erreichten die regionalen Exekutionen selbst unter Anrechnung einer Dunkelziffer keine Größenordnung, die berechtigt, von einer realen 'Vertilgung' oder 'Ausrottung' der Gruppe zu sprechen. Das Fazit von Fricke, dass nämlich 'die Hinrichtungszahlen bei Zigeunern keine spektakuläre Höhe erreichten', lässt sich für den hier untersuchten Raum übernehmen, wenn man die Relation zu den übrigen Hinrichtungen von 'Diebs- und Raubgesindel' außer acht lässt.
Was den Anstieg der Lebensstrafen in der Region in den 1720er-Jahren angeht so erklärt er sich z. T. mit der besonderen Wichtigkeit des Verwandtschaftsverbands um Franz Lampert, Caspar Lorries und die Brüder La Grave. Die Massenhinrichtung 1726 in Gießen und eine Folgehinrichtung 1733 in Darmstadt, vielleicht auch weitere Hinrichtungen (Fulda, 1726, 1727) betrafen mit mehr als der Hälfte der Opfer diese Gruppe." (S. 199)

Deine konkrete Frage dürfte allerdings vor allem auf die standrechtlichen Verfahren abzielen - die rigorosen Vorschriften erlaubten ja, aufgegriffene Sinti "am nächsten Baum" aufzuhängen.

"Angesichts der öffentlichen Bekundungen und der aus der Sicht der Behörden gegebenen Vorteile müsste die Zahl der Opfer des Standrechts die der nach einem ordentlichen Verfahren Verurteilten weit überschreiten. Das müsste sich in den vielen Berichten über Streifzüge und Zusammenstöße zwischen Ordnungskräften und Sinti nachlesen lassen, was aber nicht so ist. Der Normvorgabe folgte die Praxis nicht." (S. 202)

"Der von den Landesherrschaften erklärte Ausrottungsfeldzug blieb auf dem Papier. Ein wesentlicher Grund dafür war, dass weder die Unterbehörden noch die Untertanen ihn wie verlangt mittrugen. Aus unterschiedlichen Motiven werwendeten sie ihren Handlungsspielraum dazu, weiterhin am Ziel der Vertreibung festzuhalten." (S. 204)
 
Zuletzt bearbeitet:
Obrigkeitliche Mandate im 18. Jahrhundert das war immer ein "Potentialis", und sehr selten wurden solche Mandate auch umgesetzt. Auch "Betteljuden" und Vaganten wurden drastische Strafen angedroht, im Fall von Zigeunern war man aber weit eher bereit, solche drastischen Mandate wörtlich zu nehmen. Im günstigsten Fall drohten Prügel und Brandmarkung, im ungünstigsten Fall konnten Zigeuner getötet werden, sie waren vogelfrei.
"Die Brandmarkung mit einem glühenden Eisen sollte die Übertretung des Aufenthaltsverbots nachweisbar machen und den Verurteilten davon überzeugen, dass die Justiz entschlossen war, ihn beim nächsten Mal zu töten. Diese letzte Warnung vor der Anwendung der Höchststrafe wurde weitaus seltener angewendet als die beiden anderen Elemente der Erstbetretungstrias [Ausweisung und Prügel]. Es zeigt sich eine deutliche Differenz zwischen der rigorosen staatlichen Gewaltbereitschaft und deren behördlicher Umsetzung." (Opfermann S. 185)
 
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