Verluste an antiker Literatur

Dieses Thema im Forum "Das Römische Reich" wurde erstellt von Carolus, 17. Juni 2010.

  1. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied


    Die Grafik in der Wikipedia gibt die überlieferten Buchmengen von einigen antiken Bibliotheken wieder. Das Problem ist, daß man nicht weiß, wann diese Bibliotheken unwiderruflich untergegangen sind. Daher weiß man auch nicht, warum sie untergegangen sind. Waren es wilde Germanen oder fanatische Christen oder nur der Zahn der Zeit? Die Epoche Spätantike / Frühmittelalter war ja eine ereignisreiche Zeit.

    Zum Thema "Verlustquote" der antiken Literatur, kann man nur auf Schätzungen mit einer der Schätzung innewohnenden Unsicherheit aufbauen, so von Bestandsmengen antiker Bibliotheken im Vergleich zu den Beständen, die wir heute haben, oder wie Du auch geschrieben hast von den Namen der Autoren.

    Die These von den "unwiderbringlichen Verlusten" durch den Brand einzelner, wenngleich auch großer Bibliotheken bezweifle ich. Bedingt durch die antike Buchherstellung und -verbreitungkann eigentlich ein Buch mit einer gewissen Auflage nicht durch die Zerstörung einer einzelnen Bibliothek nicht verloren gehen. Schließlich war die antike Literatur nicht eine Sammlung von Unikaten. (Allerdings haben einige antike Werke bis zur Renaissance nur in jeweils einzigen, fragmentierten Werken bis zur Renaissance gerade noch überlebt, wie die Germania von Tacitus, aber das ist ein hochinteressantes Thema der Überlieferung der antiken Literatur während des Mittelalters.) Die antike Literatur war dezentral im Reich verteilt. Würde heute irgendwo eine Stadtbibliothek in Flammen aufgehen (ist ja im Zweiten Weltkrieg häufig genug passiert) oder z. B. eine Sammlung von Urschriften von Goethe ein Raub der Flammen werden, so wäre dadurch weder der Bestand an Literatur noch der einzelner Werke gefährdet. Die Zerstörung einzelner Bibliotheken kann nur in Kombination mit anderen Faktoren zu unwiderbringlichen Literaturverlusten geführt haben.

    Der Symmachuskreis war zwischen Spätantike und frühen Mittelalter wichtig für die Weitergabe und Pflege der antiken Literatur. Hätte es ihn nicht gegeben, wäre wohl noch mehr verloren gegangen. Später ging dann diese Weitergabe an die Klosterbibliotheken über.

    Was heißt "rigoroser ausgesondert"? Wenn Du von Ostkirche und griechischer Literatur sprichst, dann vermute ich, daß du den Ostteil des Römischen Reiches (bzw. das sogenannte Byzantische Reich) meinst. Es gibt ja die Vermutung, daß gegen Ende des 4. Jhdt. unter Kaiser Theodosius mit der Einführung des katholischen Christentums als Staatsreligion die heidnisch geprägte (und sei sie auch nur von Heiden geschrieben worden) Literatur (und der heidnischen Kultur insgesamt) verfolgt worden (siehe dazu der im Beitrag #1 erwähnte Bergmeier).

    Was die arabische Expansion betrifft, so befinden wir uns da schon im 7. Jhrdt. Unmittelbar betroffen sind der nahe Osten und Nordafrika, die seit Alexander des Großen griechisch geprägt waren. Die Zerstörung von Literatur (bzw. Bibliotheken) mag als Kollateralschaden im Krieg vorgekommen sein, aber ansonsten galten doch die Araber als tolerante Herren. Mit der Überlieferung griechischer Literatur durch Araber an den Schnittstellen zwischen Orient und Okzident (arabisches Spanien - Übersetzerschule in Toledo, Sizilen & Kreuzfahrerstaaten in den Zeiten zwischen den Schlachten) ist eine weitere Traditionslinie im Mittelalter. Dann natürlich noch die Tradition von Ostrom bzw. Konstantinopel (aber da sind wir auch schon im späten Mittelalter).

    Gibt es denn eigentlich irgendwo eine Untersuchung darüber, wieviel wann über die einzelen Traditionslinien gerettet worden ist?
     
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  2. Water

    Water Neues Mitglied

    Da sprichst du was an. In Archiven generell (in beinahe jeder Universitätsbibliothek usw.) schlummert ja noch eine ganze Menge, was erstmal restauriert werden muss, bevor man es lesen kann, und kein Mensch weiß, was da dabei ist. Das sind ja teilweise Sachen, die im 19. Jahrhundert z.B. auf ägyptischen "Märkten" erstmal zur Sicherheit gekauft wurden, bevor es sich jemand anders unter den Nagel reißt. ;)
    Nur es dauert halt ewig, bis alles restauriert ist (ist glaub ich hauptsächlich eine Geldfrage). Währenddessen zerfällt es weiter vor sich hin oder ist teilweise im Weltkrieg verloren gegangen. Also wir bräuchten eigentlich gar nicht im Wüstensand suchen, es liegt noch genug in Regalen bereit, was einfach nur angegangen werden muss, hab ich den Eindruck.
    Und wer weiß wieviel noch in Privatbesitz ist, wo einfach keiner weiß, wie er damit umgehen soll...
    Oder es gab so lustige Leute, die haben dann die alten Papyri einfach mal in ein Buch EINGEKLEBT. Wie man auf sowas kommt... aber naja, die Erhaltungsmethoden verändern sich halt auch. Hab z.B. was interessantes gelesen über die Lagerung von restaurierten Papyri, früher wurden sie noch unter Luftabschluss zwischen Glas gepresst... jetzt ist man sich bewusst, dass Papyrus "arbeitet" und lässt kleine Luftschlitze offen.
    Der Verlust alter Literatur setzt sich also eigentlich bis heute fort.
     
    Zuletzt bearbeitet: 26. August 2010
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  3. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied

    Gibt es denn noch Papyrusfunde, die noch unausgewertet "herumliegen"?

    Viele Papyrusfunde waren leider nur noch "Fitzelchen". So richtig große erhaltene Rollen sind leider selten.
     
  4. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied


    Zum Vorgang, um die karbonisierten Schriftrollen aus der Villa dei Papiri wieder lesbar zu machen, gibt es ein kurzes Video von National Geographic.

    OT1: Kann (und darf) man hier Videos einbetten (und falls ja, wie?)?

    OT2: @Tib. Gab. - Revenias, amice fori
     
  5. Water

    Water Neues Mitglied

    Ja in Leipzig schon. Kann sein, dass es nur Fitzelchen sind. Es ist halt so "geknülltes", was dann viele Löcher hat aber am Ende kommen schon noch ganze Blätter raus manchmal. Da sind oft so Rechnungen drunter und so Alltagszeug, aber man weiß ja nie, ob nich doch mal eins drunter ist, wo jemand was abgeschrieben hat, was bis jetzt als verschollen gilt. :confused:
     
  6. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied

    Wenn Du da noch einen antiken Schriftsteller auftust, der genau beschrieben hat, wo Varus mit seinen Legionen gefallen ist & wo Aliso liegt, dann bekommst Du hier im Geschichtsforum bestimmt den großen, goldenen Renommée-Punkt mit Diamanten und Eichenlaub.:D

    Was sind denn das für Papyri in Leipzig? Die stammen doch wahrscheinlich von Ausgrabungen von vor 100 Jahren aus Ägypten?
     
  7. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied


    ich bin noch auf einen Bericht (von 2005, also schon ein wenig älter) gestoßen:

    es ist zu vermuten, daß in der Villa dei papiri nicht nur der oben erwähnte Philodemos literarisch gelagert wurde, sondern daß es auch eine lateinische und griechische Bibliothek gab.

     
  8. Water

    Water Neues Mitglied

    Jaja. Also wir haben grad sone Ausstellung laufen. Dazu hab ich mir den Katalog gekauft (die Ausstellung wird bald betrachtet :scheinheilig:) und da steht drin, dass die im 19. Jh. halt gekauft wurden, also verschiedene Unis haben sich zusammengetan und erstmal so viel wie möglich gekauft, bevor es weg ist (oder es jemand anders kauft).
    Dass da noch einiges geknüllt rumliegt, das schließe ich daraus, dass da Fotos drin waren von so geknüllten Dingern und erst Recht daraus, dass wir ja einen Papyrusrestaurator haben, der da in seiner Werkstatt steht und Papyri herrichtet, der wäre ja arbeitslos, wenn da nichts mehr liegen würde, was man bearbeiten muss. :grübel:Und lesen tut das dann ein Prof von uns und seine Mitarbeiterin (griechisches) oder die Ägyptologen, je nachdem.
    Falls jemand von euch in der Nähe von Leipzig wohnt: am 24.9. ist die "Lange Nacht der Wissenschaften", wo man auch in die Papyrus- und Restaurationswerkstatt kann, die bieten Führungen an, zeigen alte Bücher, Papyri zwischen Glasplatten und man kann beim Restaurieren zugucken. :D
     
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  9. Legat

    Legat Aktives Mitglied

    Ich versuchs mir zu merken :) Wohne ja in Leipzig :)
     
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  10. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied

    Ich gehe mal davon aus, daß die Papyri wohl in Ägypten gefunden worden sind.
    Weiß jemand, ob es noch woanders Papyrifunde gibt (außer Herculaneum natürlich)? Die Qumran-Texte sind wohl hauptsächlich auf Pergament, aber auch auf Papyrus erhalten geblieben.
     
  11. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Antike Papyri natürlich hauptsächlich in Ägypten (Wüstenklima) bzw. in der genannten Villa am Vesuv. Mittelalterliche Papyri findet man allerdings im Vatikan, da die Päpste für ihre Schreiben Papyri, die sie aus Ägypten oder Sizilien bezogen für gewisse Dokumentenklassen benutzten.
     
  12. Treibsand

    Treibsand Neues Mitglied

    Vor einiger Zeit sah ich eine Dokumentation über Alexandria .
    Darin wurde berichtet , das ständig historische Funde , welche
    fortfolgend überbaut worden waren jetzt bei Bauprojekten oder
    einfach nur durch Erdbewegungen - sowohl aus pharaonischer , als auch
    aus ptolemäischer Zeit gemacht werden.
    Auch Raubgräberei soll in diesem Zusammenhang grassieren - nicht
    ungewöhnlich für Ägypten.


    In Zusammenhang mit dem Verlust der alexandrinischen Bibliothek sucht
    man jedenfalls nicht - was ich sehr schade finde.
    Vielleicht wäre ja doch noch etwas aufzufinden .
    Oder wird doch gesucht - wer weiss etwas dazu ?

    .
     
  13. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied


    Vor einiger Zeit ging ein Bericht durch die Presse, daß man vermutete, die Bibliothek von Alexandria gefunden zu haben. Leider haben sich diese Vermutungen nicht erfüllt. Selbst wenn man das Gebäude fände, so hätte man einige Fundamente und aufgehenden Mauerwerk, aber die Schriften, die sich einstmals darin befanden, werden sich dort nicht erhalten haben. Meine große Hoffnung ist, daß diese oder eine andere große Bibliothek in Tonkrügen verkorkt irgendwo in der Wüste verborgen auf ihre Entdeckung wartet. :yes:

    Man stelle sich die Bedeutung einer solchen Entdeckung für Latein- und Griechischschüler vor.:S
     
  14. Dieter

    Dieter Premiummitglied

    Gerade in Alexandria ist es nahezu unmöglicj, gezielte Grabungen durchzuführen, da das infrage kommende Stadtgebiet völlig von Wolkenkratzern und mehrstöckigen Häusern überbaut ist. Funde sind nur zufälliger Art, wenn z.B. ein älteres Bauwerk abgerissen und durch ein neues ersetzt wird.

    Deshalb ist auch die Suche nach dem Alexandergrab nahezu unmöglich, obwohl sein Besuch durch römische Kaiser noch nach der Zeitenwende durch Quellen belegt ist und man Beschreibungen seiner Ausgestaltung hat. Nur die genaue Lage - die ist eben nach so langer Zeit nicht mehr feststellbar. Und so gibt es immer wieder Meldungen, dass hier oder dort hoffnungsvoll geforscht wird, aber leider ohne Erfolg.

    Ergo werden die Schätze und Reste der Ptolemäer wohl noch sehr lang in der Erde liegen oder aber auf dem Meeresgrund, da Teile der Palaststadt dort versunken sind.
     
  15. Water

    Water Neues Mitglied

    Davon geh ich auch aus, dass die aus Ägypten sind. Leider kein Aliso und so... :( das wär ja zu schön, aber wer weiß... ich denk mal, dass noch so einiges da draußen schlummert... :D
     
  16. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied


    Zu meinem Erstaunen liegt da tatsächlich noch einiges herum, nachdem es in Ägypten geborgen ist. Ich möchte hier noch aus einem Artikel aus der FAZ zitieren:

    Die Oxyrhynchus Papyri sind Papyri einer griechischen Stadt in Unterägypten, die im späten 19. Jh. von einer antiken Müllkippe gerettet worden sind. Meine oben genannte Befürchtung, daß die meisten Papyri "Fitzelchen" sind, ist aber nicht zu Unrecht:
    Man stelle sich vor: antike Werke der Komödie, Philosophie, Geschichte als Einkaufstüte oder Babywindel mißbraucht.:motz::motz::motz:

    -> ein riesiges Puzzle!:fs:

    Allerdings hat man auch schon das ein oder andere Werk der Antike aus der Oxy.-Müllkippe "recyclet"*) worden.


    *) Das gibt jetzt bestimmt mehrere Rote für Ausdruck:weinen:
     
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  17. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied

  18. Lucio Cinico

    Lucio Cinico Neues Mitglied

  19. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied

    Eher zufällig bin ich darauf gestoßen, wie die Werke des griechischen Komödiendichters Menanders, der u. a. Plautus, beeinflußte, gefunden worden sind:

    Menander - Wikipedia, the free encyclopedia

    Zu dem letzten Fund:
    http://www.roger-pearse.com/weblog/?p=1515

    Übrigens wurde auch "De Re Publica" von Cicero der Nachwelt in der Form eines Palimpsest überliefert.

    Nachtrag: Die Überlieferung der Werke Meanders wurde schon in einem Thread im Rahmen des antiken Papyrus behandelt:

    http://www.geschichtsforum.de/f34/das-papier-der-antike-16043/
     
    Zuletzt bearbeitet: 17. März 2011
  20. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied

    Als Artikel des Tages erschien heute in der Wiki Boethius ? Wikipedia, der um die Wende zum 6. Jhdt. lebte. Die meisten Lateinschüler dürften ihn noch vom Satz "Si tacuisses, philosophus mansisses." kennen, mit dem der Konjunktiv Plusquamperfekt geübt wurde.

    Neben seiner Tätigkeit als Politiker unter Theoderich (eine Tätigkeit, die Boethius schließlich das Leben kostete) gehörte er in der Zeit des Ausklingens der Antike und des Beginns des Mittelalters) zu denjenigen, die das Wissen der Antike weitertradierten. Wäre seine Tätigkeit nicht gewesen, wäre uns noch weniger der antiken Literatur erhalten. So gehöärte er zu denjenigen, die für den Westen z. B. die Werke Platons erhalten haben.
     
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