lynxxx
Aktives Mitglied
Hi,
habe gerade das folgende Buch in die Finger bekommen und geblättert, und wollte euch das nicht vorenthalten, weil ich zumindest noch kaum was davon gehört habe.
Das Buch ist übrigens empfehlenswert für den ersten kleinen Überblick.
Rezension: *
habe gerade das folgende Buch in die Finger bekommen und geblättert, und wollte euch das nicht vorenthalten, weil ich zumindest noch kaum was davon gehört habe.
Das Buch ist übrigens empfehlenswert für den ersten kleinen Überblick.
Rezension: *
Faruk Şen / Hayrettin Aydın
Islam in Deutschland
München 2003
Verlag C.H. Beck
ISBN 3 406 47606 6
Islam in Deutschland
München 2003
Verlag C.H. Beck
ISBN 3 406 47606 6
S. 10-12:
"Vom Beutetürken zum Mitbürger
Historische Rückschau
Díe Präsenz von Muslimen in Deutschland in größerer Zahl ist
ein Phänomen der vergangenen Jahrzehnte. Dennoch reichen die
Anfänge nunmehr drei Jahrhunderte zurück. Im Verlauf der
kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem Osmanischen
Reich und den Mächten auf dem Balkan und in Mitteleuropa
wurden bereits im 17. Jahrhundert Muslime als Kriegsbeute
(»Beutetürcken«) in das Gebiet des heutigen Deutschland gebracht,
die sich nach vollzogener »Türckentaufe« dort dauerhaft
niederließen. Im 18. Jahrhundert kamen erstmalig Muslime ins
damalige Preußen, denen die Glaubensfreiheit zugestanden
wurde. 1739 vermachte der Herzog von Kurland dem preußischen
König Friedrich Wilhelm I. 22 »Türcken«, die als Kriegsgefangene
aus dem osmanisch-russischen Krieg 1735 – 39 mitgebracht
worden waren. Diesen wurde von königlicher Seite die
Glaubensausübung als Muslime zugesichert. Unter Friedrich II.,
dem Großen, wurden die Kontakte Preußens zum Osmanischen
Reich intensiviert. Nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen
zu Sultan Mahmud I. (1730 –1754) kam es wenig später
auch zum Abschluß eines Handelsvertrags zwischen beiden
Mächten. Als aufgeklärter Monarch sicherte Friedrich Muslimen
die Glaubensfreiheit zu und formulierte diese mit den Worten:
»Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, die
sich zu ihnen bekennen, ehrliche Leute sind. Und wenn Türken
und Heiden kämen und wollten hier im Land wohnen, dann
würden wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen.«
Unter Friedrich II. wurden erste Muslime in die preußische
Armee aufgenommen. 1741 warb er einige hundert tatarische
Soldaten aus Polen an, deren Vorfahren dort bereits seit dem 14. Jahrhundert lebten. Sie wurden in das »Ulanenregiment« – die
Bezeichnung »Ulanen« stammt von dem türkischen Wort oğlan
(= Junge/Soldat) – eingereiht. In dieses Regiment, das bis 1760
eine Stärke von bis zu 1000 Personen hatte, wurden in der Folge
weitere Tataren und auch bosnische Muslime eingegliedert.
Durch die osmanisch-preußischen Kontakte entstand schon im
18. Jahrhundert in Berlin und Potsdam eine kleine Kolonie von
etwa 100 Türken.
1798 wurde für einen verstorbenen osmanischen Gesandten in
Berlin eine Grabstätte eingerichtet, und 1866 erfolgte auf Anweisung
Friedrich Wilhelms II. die Errichtung eines Friedhofs für
osmanische Gesandte und Angehörige des Militärs am Columbiadamm.
Eigentümer war zunächst das Osmanische Reich, später
ging er in den Besitz der Republik Türkei über. Bis auf den
heutigen Tag ist dies der einzige islamische Friedhof in Deutschland.
Nach der Reichseinigung 1871 bemühte sich Deutschland um
eine aktive Orient-Politik, die in der »deutsch-türkischen Waffenbrüderschaft« während des Ersten Weltkriegs ihren Höhepunkt
erlebte. Im Sinne dieser Politik bereiste Kaiser Wilhelm II. 1898
das Osmanische Reich und sprach in Damaskus allen »Mohammedanern« seine Freundschaft aus. Nach Beginn des Ersten Weltkriegs
wurde bereits 1914 in Wünsdorf bei Zossen, nahe Berlins,
eine Moschee für dort internierte muslimische Kriegsgefangene
angelegt.
Durch die intensiveren Kontakte kamen schon im 19. Jahrhundert
Muslime aus dem Osmanischen Reich, aber auch aus anderen
islamischen Ländern nach Deutschland, um zu studieren
oder Handel zu betreiben. Zu Beginn der Weimarer Republik
entstanden unter diesen Gruppen erste übergreifende muslimische
Vereinigungen. Bereits 1922 wurde die Islamische Gemeinde
Berlin, der 1800 Muslime unterschiedlicher Herkunft –
darunter 20 Deutsche – angehörten, ins Leben gerufen. Dieser
Gemeinde, die den Beginn des organisierten Lebens der Muslime
in Deutschland markiert, sollten in den 1920er und 1930er
Jahren weitere folgen. Bereits im Herbst 1924 legte die Ahmadiyya-Gemeinde, die erst unter der Bezeichnung Moslemische
Gemeinschaft agierte und sich 1930 in Deutsch-Muslimische Gesellschaft
Berlin e.V. umbenannte, den Grundstein für die erste
Berliner Moschee, der auch heute allen Berlinern bekannten
Moschee am Fehrbelliner Platz, einem Kuppelbau von 26 m Höhe,
der von zwei 32 m hohen Minaretten flankiert wird. Möglich
wurde dieser Bau, da die Gemeinde über eine solide finanzielle
Basis verfügte. Die Gesellschaft bemühte sich um einen interreligiösen
Dialog, der durch die Aufnahme von Christen und in
Form von Veranstaltungen gepflegt wurde, an denen bis 1933
auch bekannte Persönlichkeiten wie Thomas Mann, Hermann
Hesse und Albert Einstein teilnahmen.
Das bis heute aktive Zentralinstitut Islam-Archiv-Deutschland
wurde 1927, ebenfalls in Berlin, gegründet. Nach dem Zweiten
Weltkrieg und der Teilung Deutschlands erfolgte seine Verlegung
nach Soest in Nordrhein-Westfalen. Andere Organisationen, die
in den Jahren der Weimarer Republik entstanden, sind die Deutsche
Sektion des Islamischen Weltkongresses und das Islam-Kolloqium,
eine erste islamische Bildungseinrichtung."
Einige Anregungen:
Anscheinend haben wir es hier mit einem Baustein für die "berühmte" deutsch-türkische Freundschaft zu tun? Wie ist sie entstanden? Wodurch zeichnet(e) sie sich aus? Unterschied sie sich zu anderen "Völkerfreundschaften"?
Was war noch für diese "deutsch-türkische" Freundschaft maßgeblich?
Nur Waffenbruderschaft?
Oder war/ist die "deutsch-türkische" Freundschaft (zumindest heutzutage) eigentlich nur eine Freundschaft der Türken zu den Deutschen, ohne viel Gegenliebe?
(Wer in der Türkei als Deutscher Urlaub gemacht hat, auch abseits der Touristenpfade, weiß, was ich meine.)
(Klar ist natürlich, dass heutzutage trotz zahlloser Urlaubsreisen der Deutschen in die Türkei, die Mehrzahl der Deutschen ein schlechtes "Image" von den Türken oder der Türkei haben, wenn man den Umfragen glauben will. Aber wie sieht das bei den Eliten heute und in der Vergangenheit aus?)
So, dann schauen wir mal.
Ciao und bis denne, lynxxx.
--------------------------
* Rezension:
Neue Zürcher Zeitung, 12.06.2004
Für recht gelungen hält Rezensent Volker S. Stahr dieses Buch von Faruk Şen, das er im Rahmen einer Mehrfachrezension von Publikationen zum Thema Islam in Deutschland bespricht. Anders als er die meisten der besprochenen Bücher, die Stahr wenig hilfreich findet, da sie nicht um wirkliche Aufklärung bemüht seien, Ängste schürten und Meinungen statt Fakten servierten, habe Şen, Leiter des Essener Zentrums für Türkeistudien, vor allem Fakten zusammengetragen und in knapper Form niedergeschrieben. Als Buch mit einführenden Charakter kann Stahr das Werk nur empfehlen, auch wenn zuweilen mehr Kommentar wünschenswert gewesen wäre.
"Vom Beutetürken zum Mitbürger
Historische Rückschau
Díe Präsenz von Muslimen in Deutschland in größerer Zahl ist
ein Phänomen der vergangenen Jahrzehnte. Dennoch reichen die
Anfänge nunmehr drei Jahrhunderte zurück. Im Verlauf der
kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem Osmanischen
Reich und den Mächten auf dem Balkan und in Mitteleuropa
wurden bereits im 17. Jahrhundert Muslime als Kriegsbeute
(»Beutetürcken«) in das Gebiet des heutigen Deutschland gebracht,
die sich nach vollzogener »Türckentaufe« dort dauerhaft
niederließen. Im 18. Jahrhundert kamen erstmalig Muslime ins
damalige Preußen, denen die Glaubensfreiheit zugestanden
wurde. 1739 vermachte der Herzog von Kurland dem preußischen
König Friedrich Wilhelm I. 22 »Türcken«, die als Kriegsgefangene
aus dem osmanisch-russischen Krieg 1735 – 39 mitgebracht
worden waren. Diesen wurde von königlicher Seite die
Glaubensausübung als Muslime zugesichert. Unter Friedrich II.,
dem Großen, wurden die Kontakte Preußens zum Osmanischen
Reich intensiviert. Nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen
zu Sultan Mahmud I. (1730 –1754) kam es wenig später
auch zum Abschluß eines Handelsvertrags zwischen beiden
Mächten. Als aufgeklärter Monarch sicherte Friedrich Muslimen
die Glaubensfreiheit zu und formulierte diese mit den Worten:
»Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, die
sich zu ihnen bekennen, ehrliche Leute sind. Und wenn Türken
und Heiden kämen und wollten hier im Land wohnen, dann
würden wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen.«
Unter Friedrich II. wurden erste Muslime in die preußische
Armee aufgenommen. 1741 warb er einige hundert tatarische
Soldaten aus Polen an, deren Vorfahren dort bereits seit dem 14. Jahrhundert lebten. Sie wurden in das »Ulanenregiment« – die
Bezeichnung »Ulanen« stammt von dem türkischen Wort oğlan
(= Junge/Soldat) – eingereiht. In dieses Regiment, das bis 1760
eine Stärke von bis zu 1000 Personen hatte, wurden in der Folge
weitere Tataren und auch bosnische Muslime eingegliedert.
Durch die osmanisch-preußischen Kontakte entstand schon im
18. Jahrhundert in Berlin und Potsdam eine kleine Kolonie von
etwa 100 Türken.
1798 wurde für einen verstorbenen osmanischen Gesandten in
Berlin eine Grabstätte eingerichtet, und 1866 erfolgte auf Anweisung
Friedrich Wilhelms II. die Errichtung eines Friedhofs für
osmanische Gesandte und Angehörige des Militärs am Columbiadamm.
Eigentümer war zunächst das Osmanische Reich, später
ging er in den Besitz der Republik Türkei über. Bis auf den
heutigen Tag ist dies der einzige islamische Friedhof in Deutschland.
Nach der Reichseinigung 1871 bemühte sich Deutschland um
eine aktive Orient-Politik, die in der »deutsch-türkischen Waffenbrüderschaft« während des Ersten Weltkriegs ihren Höhepunkt
erlebte. Im Sinne dieser Politik bereiste Kaiser Wilhelm II. 1898
das Osmanische Reich und sprach in Damaskus allen »Mohammedanern« seine Freundschaft aus. Nach Beginn des Ersten Weltkriegs
wurde bereits 1914 in Wünsdorf bei Zossen, nahe Berlins,
eine Moschee für dort internierte muslimische Kriegsgefangene
angelegt.
Durch die intensiveren Kontakte kamen schon im 19. Jahrhundert
Muslime aus dem Osmanischen Reich, aber auch aus anderen
islamischen Ländern nach Deutschland, um zu studieren
oder Handel zu betreiben. Zu Beginn der Weimarer Republik
entstanden unter diesen Gruppen erste übergreifende muslimische
Vereinigungen. Bereits 1922 wurde die Islamische Gemeinde
Berlin, der 1800 Muslime unterschiedlicher Herkunft –
darunter 20 Deutsche – angehörten, ins Leben gerufen. Dieser
Gemeinde, die den Beginn des organisierten Lebens der Muslime
in Deutschland markiert, sollten in den 1920er und 1930er
Jahren weitere folgen. Bereits im Herbst 1924 legte die Ahmadiyya-Gemeinde, die erst unter der Bezeichnung Moslemische
Gemeinschaft agierte und sich 1930 in Deutsch-Muslimische Gesellschaft
Berlin e.V. umbenannte, den Grundstein für die erste
Berliner Moschee, der auch heute allen Berlinern bekannten
Moschee am Fehrbelliner Platz, einem Kuppelbau von 26 m Höhe,
der von zwei 32 m hohen Minaretten flankiert wird. Möglich
wurde dieser Bau, da die Gemeinde über eine solide finanzielle
Basis verfügte. Die Gesellschaft bemühte sich um einen interreligiösen
Dialog, der durch die Aufnahme von Christen und in
Form von Veranstaltungen gepflegt wurde, an denen bis 1933
auch bekannte Persönlichkeiten wie Thomas Mann, Hermann
Hesse und Albert Einstein teilnahmen.
Das bis heute aktive Zentralinstitut Islam-Archiv-Deutschland
wurde 1927, ebenfalls in Berlin, gegründet. Nach dem Zweiten
Weltkrieg und der Teilung Deutschlands erfolgte seine Verlegung
nach Soest in Nordrhein-Westfalen. Andere Organisationen, die
in den Jahren der Weimarer Republik entstanden, sind die Deutsche
Sektion des Islamischen Weltkongresses und das Islam-Kolloqium,
eine erste islamische Bildungseinrichtung."
Einige Anregungen:
Anscheinend haben wir es hier mit einem Baustein für die "berühmte" deutsch-türkische Freundschaft zu tun? Wie ist sie entstanden? Wodurch zeichnet(e) sie sich aus? Unterschied sie sich zu anderen "Völkerfreundschaften"?
Was war noch für diese "deutsch-türkische" Freundschaft maßgeblich?
Nur Waffenbruderschaft?
Oder war/ist die "deutsch-türkische" Freundschaft (zumindest heutzutage) eigentlich nur eine Freundschaft der Türken zu den Deutschen, ohne viel Gegenliebe?
(Wer in der Türkei als Deutscher Urlaub gemacht hat, auch abseits der Touristenpfade, weiß, was ich meine.)
(Klar ist natürlich, dass heutzutage trotz zahlloser Urlaubsreisen der Deutschen in die Türkei, die Mehrzahl der Deutschen ein schlechtes "Image" von den Türken oder der Türkei haben, wenn man den Umfragen glauben will. Aber wie sieht das bei den Eliten heute und in der Vergangenheit aus?)
So, dann schauen wir mal.
Ciao und bis denne, lynxxx.
--------------------------
* Rezension:
Neue Zürcher Zeitung, 12.06.2004
Für recht gelungen hält Rezensent Volker S. Stahr dieses Buch von Faruk Şen, das er im Rahmen einer Mehrfachrezension von Publikationen zum Thema Islam in Deutschland bespricht. Anders als er die meisten der besprochenen Bücher, die Stahr wenig hilfreich findet, da sie nicht um wirkliche Aufklärung bemüht seien, Ängste schürten und Meinungen statt Fakten servierten, habe Şen, Leiter des Essener Zentrums für Türkeistudien, vor allem Fakten zusammengetragen und in knapper Form niedergeschrieben. Als Buch mit einführenden Charakter kann Stahr das Werk nur empfehlen, auch wenn zuweilen mehr Kommentar wünschenswert gewesen wäre.
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