Bei der Lektüre der "Commentarii de Bello Gallico" muss man beachten:
Es handelt sich dabei nicht um ein Geschichtswerk im eigentlichen Sinne, sondern um eine Rechtfertigungsschrift. Caesar wollte erklären und begründen, wieso er diesen Krieg führen MUSSTE. Die von ihm angegebenen Gründe, warum die Kriege gegen die Helvetier und Ariovist notwendig waren, sind aber hanebüchen. Außerdem wollte er natürlich schildern, was er in den 7 Jahren in Gallien gemacht und erreicht hatte.
Dabei hielt er sich aber weitgehend an die Fakten und gab auch Misserfolge (z. B. bei Gergovia) zu. Es gab viel zu viele Zeugen, als dass er mit groben Manipulationen des Geschehensablaufs durchgekommen wäre.
Davon ist aber die Frage nach den Stärkeangaben zu unterscheiden. Wenn er behauptete, ein feindliches Heer war 300.000 Mann stark, wie soll man das überprüfen? Selbst die Augenzeugen konnten es nicht abzählen. Das war eine riesige Menschenmenge. Wenn man so einen riesigen Haufen siehst, kann man beim besten Willen nicht sagen, ob das jetzt 100.000 oder 300.000 sind. Oft wurde von Feldherren sogar die zahlenmäßige Stärke des eigenen Heeres überschätzt, z. B. von den Spaniern in der Schlacht bei Las Navas de Tolosa 1212. Ich halte es also für möglich, dass Caesar die Zahlenangaben nicht einmal bewusst verfälschte. Außerdem war es in der antiken Literatur allgemein üblich, die Stärke des Gegners zu übertreiben, um den eigenen Sieg umso strahlender zu machen. Das war schon bei Herodot so, das war bei Livius so, und das war eben auch bei Caesar so. Hätte er realistische Angaben gemacht und geschrieben, dass das feindliche Heer "nur" so groß wie sein eigenes war, hätte er sich doch geradezu lächerlich gemacht, weil der belesene Leser davon ausging, dass feindliche Heere zahlenmäßig immer haushoch überlegen sind.
Man kann diese Angaben aber auf ihre Plausibilität überprüfen, wenn man erstens die Möglichkeiten der damaligen Logistik bedenkt und zweitens die Bevölkerungsgrößen:
Logistik bedeutet: Ein wie großes Heer konnte man mit den damaligen Möglichkeiten wochenlang auf einem Fleck versorgen? Wenn man 300.000 Mann aushebt, dann muss man sie schließlich auch ernähren. Schließlich mussten die Lebensmittel dem Heer entweder nachtransportiert oder vor Ort besorgt werden. Beidem waren damals Grenzen gesetzt. Wenn jeder Mann pro Tag nur ein halbes Kilo Brot und einen Liter Bier erhalten soll, dann muss man für jeden Tag 150.000 kg Brot und 300.000 Liter Bier heranschaffen. Und das in einem Land ohne vernünftige Straßen!
Bevölkerungsgröße bedeutet: Wenn man weiß, wie sich die Menschen damals ernährten, wie intensiv sie Landwirtschaft, Viehzucht, Jagd oder Fischerei betrieben, wenn man aus archäologischen Funden weiß, wie dicht ein Gebiet besiedelt war, dann kann man überschlagen, wie viele Menschen dort gelebt haben können bzw. wie viele man ernähren konnte. Wenn also ein antiker Autor behauptete, ein Stamm habe ein Heer von 20.000 Mann aufgestellt, man aber überschlagen kann, dass sein Siedlungsgebiet maximal 30.000 Personen (also inkl. Frauen, Kinder, Alte) ernähren konnte, dann kann mit den 20.000 Mann etwas nicht stimmen, sondern es können wohl maximal 10.000 gewesen sein.
Aber auch aus dem Schlachtverlauf selbst kann man Rückschlüsse auf die Stärkeverhältnisse ziehen. Nehmen wir die Schlacht um Alesia: Laut Caesar soll das Entsatzheer 250.000 Mann stark gewesen sein. Trotzdem schreibt Caesar, es habe die äußere Linie der Zirkumvallation nur an einigen wenigen Stellen, wo sie von den zahlenmäßig unterlegenen Römern abgewehrt werden konnten, angegriffen statt auf breiter Front. Das ergibt doch absolut keinen Sinn. Wenn ich dem Feind zahlenmäßig haushoch überlegen bin, dann werfe ich doch alles in die Schlacht und greife so an, dass er nicht genug Männer hat, um sich überall zu verteidigen. Also waren die Gallier wohl doch nicht so überlegen.