Die Fürsten oder solche die es werden wollten, in gemischtkonfessionellen Gebieten, waren in der Regel im weiteren Sinne tolerant, was die Religion ihrer Untertanen betraf und zwar relativ gleich welcher Religion sie selbst angehörten und sei dies nur aus pragmatischen Gründen gewesen.
Menschliche Arbeitskraft und Seelen, potentiell für Kriegszwecke rekrutierbare Menschen, sind einfach in einer vorindustriellen Gesellschaft nichts anderes als das eigentliche Betriebskapital der Landesherren. Welches Interesse sollten die daran haben, in einer gemischtkonfessionellen Region, zumal während die eigene Herrschaft noch nicht gesichert ist, da auch noch die Hälfte der eigenen Bevölkerung zu vertreiben oder umzubringen?
Das machte aus ökonomischen Erwägungen heraus absolut keinen Sinn, da war es sinnvoller sich gegen entsprechende Bezahlung tolerant zu geben und die wirtchaftlichen Vorteile abzugreifen, statt die ökonomische Basis des eigenen Landes zu ruinieren.
Das verhinderte weder auf der Christlichen, noch auf der Muslimischen Seite, dass es bei neuen Eroberungen zu dezidierten Massakern kommen konnte, wenn die Truppen außer Kontrolle gerieten oder auch einfach aus Kalkül des Kriegsherren hinaus andere Städte vor weiterem Widerstand abzuschrecken.
Für die Christliche Seite mag da die genannten Ereignisse in Jerusalem und Antiochia im Blick behalten, für die muslimische Seite, wäre, wie erwähnt Edessa 1144 beispielhaft zu nennen.
Dann ist da wie angemerkt die Differenz zwischen (potentiellen) Landesherren und einfacher Bevölkerung. Das ökonomische Interesse an der Integration auch Andersgläubiger in die Gesellschaft des eigenen Territorialverbandes, dass die Herrschenden hatten, war naturgemäß bei der einfachen Bevölkerung in diesem Sinne natürlich nicht gegeben, denn ihnen erwuchsen daraus einmal keine Einnahmen durch Abgaben. Dafür konnten hier dann sehr viel eher Aberglauben, Xenophobie oder auch einfach Neid oder das Bestreben, ein Stück Land in den eigenen Besitz zu bringen oder handwerkliche Konkurrenz auszuschalten, eine ganz andere Rolle spielen und sich in spontanen Übergriffen entladen.
Von dem her trifft es das paraphrasierte "die Muslime waren tolerant" nicht. Toleranz ist in hohem Maße teil muslimischer Herrschaftstechnik und muslimischer Herrschaftsethik geworden, was auch einfach mit durch die Geschwindigkeit der "islamischen Expansion" bedingt gewesen sein mag.
Man muss sich vor augen Führen, dass da binnen kürzester Zeit ein Herrschaftskomplex zusammengebracht wurden, der vom nahen Osten bis fast an die Pyrenäen reichte und dessen Bevölkerung, jedenfalls in den ersten Jahrzehnten zu locker 80-90% eine andere Religion hatte, als die herrschende Elite. Hier war Toleranz angesagt, weil der Versuch 80% oder mehr der Bevölkerung mit dem Schwert zu missionieren, zu notorischer Rebellion und wahrscheinlich zum Zusammenbruch des Territorialkomplexes geführt hätte.
Außerdem, ich erinnere nochmal daran, im Mittelalter sind Menschen Kapital. Und dass will man als Herrscher nur ungerne zerstören oder in die Emigration treiben und damit die Nachbarn und potentiellen Rivalen relativ stärken.
Dafür, dass, auch in muslimischen Gebieten, die Bevölkerung in dieser Hinsicht hin und wieder mal anders tickte, als die Landesherren und das mitunter auch in vergleichbar ruhigen Zeiten, mag vielleicht das Massaker von Granada von 1066 beispielhaft sein:
Massaker von Granada – Wikipedia
Dann zu guter letzt, wird man bei der einfachen Bevölkerung auch berücksichtigen müssen, woher sie kam und was sie dort hin verschlagen hatte.
Naturgemäß, werden Menschen, die schon immer in gemischtkonfessionellen Gebieten ansässig waren, demnach an ein gewisses Nebeneinander gewöht waren und das, je nachdem, welche notwendigen Aufgaben die angehörigen der anderen Religionen für das Funktionieren etwa einer Stadt erfüllten, auch positive Effekte gesehen haben ,mögen, sich da friedlicher Verhalten haben, als solche, die aus Europa oder aus Mesopotamien als Kriegsvolk ihrer Fürsten mit in die Levante gekommen waren, möglicherweise durchsetzt von religiösem Eifer und nach möglicherweise Jahren der Strapazen (und bedenken wir, wie viel Lebenszeit, dass bei einer nur halb so hohen Lebenserwartung wie heute ist), durchsetzt auch mit einem gewissen Profitinteresse, damit sich die Jahre der Mühen und der Trennung von den eigenen Familien auch auszahlten.
Das wäre, meine ich, realistischer.
Sicher gehören keine einseitig dämonisierdenden Narrative in eine vernünftige historische Betrachtung, jedenfalls nicht im Rahmen eines abschließenden Sach- oder Werturteils, sondern allenfalls als Erläuterung der Quellenlage.
Genau so wenig sinnvoll ist es im Übrigen, einseitig verklärende Narrative à la "Muslime waren tolerant", für alles weitere a priori vorauszusetzen. Es stimmt schlicht nicht.
Muslmische Herrscher, die über einen beträchtlichen Anteil nichtmuslimischer Untertanen herrschten, waren in der Regel und das schon aus ökonomischem Eigeninteresse tolerant, insofern, als dass sie den Glauben, wenn auch unter Restriktionen gegen Abgaben weiter praktizieren ließen.
Christliche Herrscher, jedenfalls was das Mittelalter betrifft, waren das im Übrigen, wenn sie über größere Anteile nichtchristlicher Untertanen Herrschten oder sich dazu aufschwangen, ebenfalls im gewissen Maße, jedenfalls was das Mittelalter betrifft.
Das bedeutet noch lange nicht, dass denn auch jeder Muslim oder Christ tolerant gewesen wäre, nur weil das der Linie der jeweiligen Obrigkeiten entsprech, deren ökonomische Interessen sie nicht teilten, noch bedeutet es, dass sie im Zuge militärischer Unternehmungen nicht aus ausgesprochen Grausam agieren oder zeitweise die Kontrolle über die eigenen Truppen verlieren konnten, die dann auf eigene Faust maroderiten und massakrierten.