Wann ist für Historiker ein Geschehnis 'vergangen'?

oberhaenslir

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Die Geschichtswissenschaft erforscht 'Geschehenes', genauer 'Vergangenes', und hält es fest.

Wann aber ist etwas 'vergangen' bzw. abgeschlossen – ein 'Geschehnis', eine Epoche, ein Ereignis – und wird es zum Forschungsobjekt der Historikerinnen und Historiker?

Welche Wissenschaften erforschen Vorgänge, die noch nicht abgeschlossen bzw. 'vergangen' sind? Nur die Politikwissenschaft?
 
"Off-Topic", aber ich kann nicht widerstehen.

Naturwissenschaftler sollten eigentlich "Naturgesetze" erforschen. Zum Teil dokumentieren sie aber auch nur "Geschehnisse"oder "Ereignisse"; hierzu gehören die größten Teile von Astronomie, Kosmologie, Geologie, Meteorologie, Biologie.
Bis vor - sagen wir mal - 150 Jahren gab es in diesen Gebieten nichts weiter als ganz grobe Regeln mit mehr Ausnahmen als Belegen. Dies hat sich in den letzten 50 Jahren stark verbessert; die genannten "Wissenschaften" sind also etwas "wissenschaftlicher" geworden :)

Grund für diese Situation ist, dass die Detailkenntnis von Sachverhalten um 1850 extrem unpräzise war. Die "Tatsachen", auf denen eine "Theoretiker" aufbauen konnte, waren oft nicht besser als aus einem frühneuzeitlichen "Bestiarium".

Ein Astronom konnte natürlich schon immer beobachten, dass Sterne verschiedene Farben haben: Rigel mehr bläulich, der Betageuze mehr rötlich; das fällt auf, aber wurde auch einfach als "optische Täuschung" geleugnet. Ebenfalls Meteoriten: "Steine fallen nicht vom Himmel!"

Einem Historiker stehen natürlich auch nicht alle gewünschten "Quellen" zur Verfügung; zeitgeschichtlich natürlich viel mehr... Interviews mit Zeitzeugen... Manchmal werden Archive geöffnet oder so etwas wie die Bibliothek Asurbanipals ausgegraben...

Soweit die Geschehnisse!

Wenn jetzt ein Historiker sortiert, analysiert, eventuell vorsichtig werten, vielleicht sogar eine "Geschichtstheorie" erfindet, dann kann natürlich ein gewisser Abstand nützlich sein.. Je länger man wartet, um so mehr Konsequenzen werden offensichtlich.
Mit einem Beispiel aus der Biologie: Über die Dinosaurier wusste man erst genug, als sie nach 100 Mio Jahren ausgestorben waren...
 
Die Geschichtswissenschaft erforscht 'Geschehenes', genauer 'Vergangenes', und hält es fest.

Wann aber ist etwas 'vergangen' bzw. abgeschlossen – ein 'Geschehnis', eine Epoche, ein Ereignis – und wird es zum Forschungsobjekt der Historikerinnen und Historiker?

Welche Wissenschaften erforschen Vorgänge, die noch nicht abgeschlossen bzw. 'vergangen' sind? Nur die Politikwissenschaft?

Auch in der Politikwissenschaft befasst man sich mit der Vergangenheit. Kommt ganz auf die Fragestellung und das zu untersuchende Thema an. Auch in der Politikwissenschaft kommt man nicht um die Geschichte herum, die ist sogar sehr zentral und wichtig.

Dann gibt es ein Teilgebiet in der Geschichtswissenschaft die nennt sich Zeitgeschichte. Hier untersuchen die Historiker die Zeit ca. ab 1. Weltkrieg bis heute.

Wenn du Bücher von Historikern die sich mit Zeitgeschichte befassen liest, findest du immer wieder den Bezug auf das heute.
Es gibt eben auch in der Geschichtswissenschaft verschiedene Disziplinen.
 
Zur 'Zeitgeschichte': Ereignisse, die noch durch 'Zeitzeugen' bezeugt werden

Zur 'Zeitgeschichte' gehören Ereignisse, die noch durch 'Zeitzeugen' bezeugt werden können.

Das ist aber leider noch nicht die Antwort auf meine Frage, wann 'Geschehnisse' abgeschlossen sind. Ist das VOR oder NACH dem Tod aller Zeitzeugen?
 
Das ist aber leider noch nicht die Antwort auf meine Frage, wann 'Geschehnisse' abgeschlossen sind. Ist das VOR oder NACH dem Tod aller Zeitzeugen?

Der Tod der Zeitzeugen bestimmt doch nicht, ob ein Ereignis abgeschlossen ist. Die DDR ist abgeschlossene Geschichte, es leben aber noch Millionen von Zeitzeugen. Die APO ist abgeschlossene Geschichte, tausende von Teilnehmern leben noch. Der Vietnamkrieg ist abgeschlossene Geschichte...
 
Zur 'Zeitgeschichte' gehören Ereignisse, die noch durch 'Zeitzeugen' bezeugt werden können.

Zeitgeschichte erstreckt sich über das 19. und das ganze 20. Jahrhundert.


Das ist aber leider noch nicht die Antwort auf meine Frage, wann 'Geschehnisse' abgeschlossen sind. Ist das VOR oder NACH dem Tod aller Zeitzeugen?

Geschichtswissenschaft lebt immer weiter. Es gibt immer wieder neue Quellen die erforscht werden, sei es durch Ausgrabungen in der Antikenforschung, oder wenn neue Dokumente aus dem Mittelalter gefunden werden. Dann gibt es wieder neue Erkenntnisse oder alte werden bestätigt.

Die Geschehnisse des dritten Reiches sind mit dem Tod des letzten Zeitzeugen sicher nicht abgeschlossen. Auch hier gilt, es kommen immer wieder neue Dokumente hervor. Die Archive haben noch vieles nicht freigegeben. Da gibt es noch einiges was erforscht werden muss.



Vielleicht solltest du uns erklären was du mit abgeschlossen genau meinst.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mir gefällt ein Spruch ganz gut: Geschichte lebt.
Es sind jahrhunderte Menschheitsgeschicht vergangen und doch findet man immer neues, sei es im Boden, in Archiven oder in den Gedanken einiger Zeitzeugen. Für mich kann man Geschichte nie abschließen, es gibt immer neues zu erfahren und erforschen, das macht auch die Faszination aus.

Im Reelen haben die Historiker das Wichtigste erforscht, man hat die Hauptpunkte der Geschichte aufgeklärt, aber es gibt doch immer neue Erkenntnisse, ich brauch da nur jeden Montag in meinen abonnierten Spiegel reinschauen, in (fast) jeder Augabe ist etwas in der Rubrik "Zeitgeschichte" enthalten.
 
Bis wann ereignen sich Ereignisse?

Ich habe gefragt, um es ein bisschen anders zu formulieren, bis wann sich Ereignisse noch ereignen bzw. sich nicht mehr ereignen und Geschichte werden. Ich habe nicht gefragt, ob Ereignisse noch erforscht werden.
 
Ich habe gefragt, um es ein bisschen anders zu formulieren, bis wann sich Ereignisse noch ereignen bzw. sich nicht mehr ereignen und Geschichte werden. Ich habe nicht gefragt, ob Ereignisse noch erforscht werden.

Unsere heutige Gesellschaft ist aus der Geschichte entstanden. Die Ereignisse des dritten Reiches ziehen sich bis in die heutige Gesellschaft hinein. Siehe aktuelle Pressemitteilungen über die Auszahlung von Holocaust Geldern. Mach die Zeitungen auf oder wie Balduin schon geschrieben hat, den Spiegel - du findest laufend Geschehnisse der Zeitgeschichte die sich bis ins Jahr 2008 hineinziehe. Stichwort 68er Bewegung, Stichwort RAF, Stichwort Genozid usw.

Die Ereignisse des 11. September spüren wir noch heute. Siehe die Sicherheitsvorkehrungen auf den Flughäfen usw.

Die Ereignisse, des Gallischen Krieges durch Cäsar, die sind sicher Abgeschlossen.

Vielleicht solltest du deine Fragen anhand eines Beispieles erläutern. Du kannst ja mal eine wissenschaftliche Frage stellen.
 
Ich habe gefragt, um es ein bisschen anders zu formulieren, bis wann sich Ereignisse noch ereignen bzw. sich nicht mehr ereignen und Geschichte werden. Ich habe nicht gefragt, ob Ereignisse noch erforscht werden.

Das kommt auf die Umgebung, die Situation, die Menschen an. Die RAF ist auch in die Geschichte eingegangen, und sie hat bis '98 existiert (Hauptschwerpunkt lag natürlich '70-'77.
Wenn etwas prägendes passierte, das die Menschen beeinflusst, das öffentliches Aufsehen erregte, sage ich mal pauschal. Etwas bedeutendes.

Auch hier bemerkt man ja von Zeit zu Zeit, dass man manchmal fast nicht anders kann und Tagespolitisches mit Geschichte vermischt...
 
Das ist eine reine Definitionsfrage. Was ist das "Ende"?
Krieg - Friedensschluss.
Regierungsperiode - Tod oder Abdankung des Herrschers
Weströmischen Reiches - nicht ganz so einfach :)
Napoleon - Verbannung nach Elba? Waterloo? Tod auf St. Helena?

Ich ahne, wo deine Frage hinzielt... Sollte sich ein Historiker "einmischen" in einen laufenden (politischen) Prozess? Oder soll er erst abwarten "was daraus wird"?
 
Ich habe gefragt, bis wann sich Ereignisse noch ereignen bzw. sich nicht mehr ereignen und Geschichte werden. Ich habe nicht gefragt, ob Ereignisse noch erforscht werden.

Gehts denn noch komplizierter?

Ich weiss gar nicht, was du willst. Heutige Ereignisse sind doch Fortsetzungen von geschichtlichen Ereignissen.
Wenn ich dich richtig verstehe, willst du hier ein kleines Wortgefecht lostreten.
Ein Schelm, der böses dabei denkt.
 
Gibt es denn eine 'Gegenwart'?

Die Frage, ob es geschichtswissenschaftlich gesehen überhaupt eine 'Gegenwart' gibt, wagte ich gar nicht zu stellen ...

Es gibt doch nur Vergangenes und Zukünftiges, Minus oder Plus – die Null hat keine zeitliche Ausdehnung.
 
Mein persönlicher Eindruck ist, hier im Forum ist unabgesprochen Zäsur bei der Wiedervereinigung und dem Zusammenbruch des Ostblocks. Was später stattfand (Balkan, Naher und Mittlerer Osten) ist schon problematisch, weil in die Tagespolitik übergehend und permanenter Streitgrund.
 
Mit Beispielen bekommen wir vielleicht Klarheit

Geschehene, vergangene, abgeschlossene Ereignisse > Geschichte:

Brown Boveri 1891 bis 1988
Brandt 1913 bis 1992
Sowjetunion 1922 bis 1991
DDR 1949 bis 1990


Nicht abgeschlossene Ereignisse (liegen in Vergangenheit und Zukunft) > Politik:

Merkel 1954 bis ?
Google 1998 bis ?
Irakkrieg 2003 bis ?
Kosovo 2008 bis ?
 
Geschehene, vergangene, abgeschlossene Ereignisse > Geschichte:

Brown Boveri 1891 bis 1988
Brandt 1913 bis 1992
Sowjetunion 1922 bis 1991
DDR 1949 bis 1990


Nicht abgeschlossene Ereignisse (liegen in Vergangenheit und Zukunft) > Politik:

Merkel 1954 bis ?
Google 1998 bis ?
Irakkrieg 2003 bis ?
Kosovo 2008 bis ?

Und jetzt möchtest du wissen, ob nun ein Historiker dazu was schreibt oder ein Politikwissenschaftler?

Das kommt eben auf die Fragestellung an. Was will man herausfinden? Das ist Zentral. Eine Biographie über Angela Merkel kann sowohl ein Historiker wie ein Politikwissenschaftler schreiben.

Ebenso können beide was zum Irakkrieg verfassen. In die Zukunft können beide nicht schauen, deshalb kann ein Politikwissenschaflter vielleicht beim Kosovo eine Prognose stellen - mehr geht da eben nicht. Ein Historiker wird sich dann wohl eher mit dem Kosovo vor 2008 beschäftigen.

Aber wie gesagt, die Fragestellung an die Arbeit ist wichtig, den ein Historiker stellt ander Fragen an ein Ereigniss, als ein Politikwissenschaftler. Auch die Methoden sind unterschiedlich.

Der Historiker Wolfgang Benz geht in seinem Buch über den Völkermord bis ins Jahr 2006 hinein. Bis 2008 konnte er nicht gehen, da das Buch im November 2006 erschien. Wie du siehst es kommt auf das zu untersuchende Thema an.
 
Zuletzt bearbeitet:
Politikwissenschaftler sind doch ein Stück weit auch Historiker, ohne geschichtliches Hintergrundwissen kann man in solch einem Beruf nicht arbeiten.
Ursi hat schon das Grundlegende gesagt, eine Biographie von Merkel kann auch ein Historiker schreiben. Doch wird keiner Merkel in die "Geschichte" einordnen, auch mit Schröder ist das noch zu früh. Ich denke, dass immer eine gewisse Zeitspanne vergehen muss, bis man wirklich über eine Person, ein Ereignis sagen kann, dass das Geschichte ist.
 
Politikwissenschaftler sind doch ein Stück weit auch Historiker, ohne geschichtliches Hintergrundwissen kann man in solch einem Beruf nicht arbeiten.

Das ist so. Wer Politik studiert kommt um Geschichte nicht herum.


Ursi hat schon das Grundlegende gesagt, eine Biographie von Merkel kann auch ein Historiker schreiben. Doch wird keiner Merkel in die "Geschichte" einordnen, auch mit Schröder ist das noch zu früh. Ich denke, dass immer eine gewisse Zeitspanne vergehen muss, bis man wirklich über eine Person, ein Ereignis sagen kann, dass das Geschichte ist.

Richtig. Die Person muss aber nicht Tod sein um sie in die Geschichte einzuordnen.
 
Richtig. Die Person muss aber nicht Tod sein um sie in die Geschichte einzuordnen.

Nein, muss nicht, aber oftmals ist es so.
Dazu fällt mir eine Geschichte ein: Ein Flughafen wurde nach einer Person benannt, die noch lebte - da nach Tradition Flughäfen aber nur nach bereits verstorbenen Menschen benannt werden, wurde der Flughafen wieder umbenannt.
Ich glaube so verhält es sich auch in der Geschichte, mit dem Tod kommt die Berühmtheit, das war ja auch bei manch Komponisten und Maler so.
Natürlich stimmt das nicht immer, große Ereignisse und Menschen gehen in die Geschichte ein - es kommt immer auf das Ereignis an.
 
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