Waren die germanischen Marser Bundesgenossen der Kimbern ?

jchatt

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Liebes Forum,

die Teutonen werden im Allgemeinen als südliche Nachbarn der Kimbern beschrieben. Mit diesen zogen sie nach Süden und wurden dann von Marius in der Schlacht von Aquae Sextiae geschlagen.

Zur Reaktion des Augustus auf die Varusniederlage steht dann bei Sueton Aug. 23,2 in meiner Reclamübersetzung zu

"vovit et magnos ludos Iovi Optimo Maximo, si res p. in meliorem statum vertisset: quod factum Cimbrico Marsicoque bello erat."

"Er gelobte dem Iupiter Optimus Maximus auch große Spiele, wenn der Staat wieder in einen besseren Zustand gekommen wäre: dies war bereits im Krieg gegen die Kimbern und Marser geschehen"

Von einer Beteiligung der germanischen Marser an dem Kimbernkrieg weiss aber kein anderer antiker Schriftsteller zu berichten. Erwartet hätte man eigentlich die Teutonen oder vielleicht noch die Ambronen. Was soll also diese Erwähnung ?
Eine Gleichsetzung mit den italischen Marsern oder dem Kriegsgott Mars kann man wohl auch nicht konstruieren, oder :confused:

Weil anscheinend niemand Teutonen und Marser gleich setzt, muß es wohl eine andere Erklärung geben. Weiß jemand welche ?


Danke und Gruß
jchatt
 
Die Erklärung die ich anzubieten hätte ist recht einfach und fast schon unbefriedigend banal: Sueton ist bei den vielen Stammesnamen einfach durcheinander gekommen.
 
Keine Ahnung. Es ist ja auch nur eine schnell aufgestellte Hypothese.
Wir müssen uns halt dessen gewahr sein, dass Menschen Fehler machen, auch Historiographen, und das wir nicht jedes Rätsel, welches uns die antiken Historiographen aufgeben, werden lösen können.
 
Für mich wäre auch eine andere Erklärung denkbar: Die Marser waren der führende aufständische Stamm im Bundesgenossenkrieg, der deshalb mitunter auch (z. B. von Cicero) "Marsischer Krieg" (bellum Marsicum) genannt wurde. Vielleicht ist also gemeint, dass dieses Gelübde bereits im Krieg gegen die Kimbern und im Krieg gegen die Marser geschehen sei, was durchaus plausibel wäre, wenn man bedenkt, dass der Kimbernkrieg und der Bundesgenossenkrieg schwere Bedrohungen für die Römer waren. Allerdings sollte es im Text dann freilich "Cimbricis Marsicisque bellis" heißen.
 
Eine alternative Erklärung wäre: Sueton behandelte hier zwei verschiedene Kriege während der römischen Republik.

Begründung: Als Marsischer Krieg wird bei Cornelius Sisenna (Fragment zitiert bei Cicero) der Aufstand bezeichnet, mit dem die italischen Marser den Bundesgenossenkrieg auslösten:
Caecilia Q. filiae somnio modo Marsico bello templum est a senatu Iunoni Sospitae restitutum. [...] idem contra ostenta nihil disputat exponitque initio belli Marsici et deorim simulcra sudavisse et sanguinem fluxisse....
Übersetzung (Hans Beck/Uwe Walter, Die frühen römischen Historiker II):
Wegen eines Traumes der Caecilia, der Tochter des Quintus, ist noch jüngst im Marsischen Krieg vom Senat der Tempel für Juno Sospiat wiederhergestellt worden. [...] Gleichzeitig führt er gegen Vorzeichen nichts ins Feld und berichtet, dass zu Beginn des Marsischen Krieges Götterbilder Schweiß vergossen hätten, dass Blut geflossen sei...

Schönheitsfehler daran: bello, der Plural würde bellis verlangen, es ist also eigentlich nur von einem Krieg die Rede.

Edit: Hab ich zulange für die Stellensuche benötigt.
 
Dass Sueton mit den vielen Stammesnamen einfach durcheinander gekommen ist, kann ich mir nicht so recht vorstellen. Das hätte passieren können, wenn jemand über Caesars Rheinübergänge oder die Germanenkriege unter Augustus schreibt, da könnte man leicht durcheinanderbringen, wann gegen welchen Stamm gekämpft wurde. Aber der Krieg gegen die Kimbern, Teutonen und Ambronen war eines der einschneidensten Ereignisse in der Geschichte der späten Republik mit großer Nachwirkung auch auf die römische Mentalität. Jeder Römer, der sich auch nur einigermaßen mit Geschichte beschäftigt hat, muss doch zumindest die Fundamentaldaten dieses Krieges gekannt haben. Eine Verwechslung der Kriegsgegner wäre doch so, als würde sich ein heutiger deutscher Historiker mit den Kriegsgegnern Deutschlands im 1. WK vertun.
 
könnte es nicht auch sein, daß sich hinter dieser Textstelle ein propagandistischer Trick verbirgt, um die, nach dem pannonischen Aufstand kriegsmüde Bevölkerung zur Mobilisierung gegen die Germanen zu bewegen.
Immerhin waren die Teutonen Juniorpartner der Kimbern, genau wie dies die Marser bei den Cheruskern waren.
Die Gleichsetzung sollte möglicherweise die Gefahr der Kimbernkriege heraufbeschwören und verdeutlichen, das ein alter Feind wieder zurückgekehrt sei.
Ich denke das Wortpaar "Kimbern-Teutonen" war zu geläufig, als das man in einer Kaiserbiographie diesbezüglich fehlt.

Auch könnte man dann vielleicht auch den Fremdkörper des "Teutoburgiensis saltus" erklären ?

Gruss
jchatt
 
Sueton schrieb aber erst hundert Jahre nach Augustus, wieso sollte er dessen Propagandatricks wiedergeben?
 
Sueton schrieb aber erst hundert Jahre nach Augustus, wieso sollte er dessen Propagandatricks wiedergeben?

Weil er nie geschrieben hätte "Und dann hat Augustus getrickst" ?

Genauso wie er nicht geschrieben hat "Augustus war in der Schlacht ein Feigling" sondern er schrieb "dann zwang ihn die Wassersucht in den Sumpf"

Gruss
jchatt
 
Wieso sollte er Augustus des Tricksens bezichtigen, wenn er die richtigen Kriegsgegner angegeben hätte? Der Satz "quod factum Cimbrico Marsicoque bello erat." soll schließlich Tatsachen wiedergeben und nicht Augustus' Behauptung, denn sonst wäre er im Konjunktiv gehalten.
 
Wieso sollte er Augustus des Tricksens bezichtigen, wenn er die richtigen Kriegsgegner angegeben hätte? Der Satz "quod factum Cimbrico Marsicoque bello erat." soll schließlich Tatsachen wiedergeben und nicht Augustus' Behauptung, denn sonst wäre er im Konjunktiv gehalten.

Sueton kritisiert den Gott Augustus ja selten direkt.
Er überlässt es dem Leser zu entscheiden,ob der Vergleich mit der Kimbernkrise gerechtfertigt war. Aber durch die vermeintliche Vertauschung wird der Leser in seiner Entscheidung durch Sueton beeinflusst.

Also für mich steht da zwischen den Zeilen:
"Sind die Marser wirklich so schlimm wie die Teutonen gewesen ?"

Aber derartige Textanalysen sind wirklich nicht meine Stärke :winke:

Gruss
jchatt
 
Sueton kritisiert den Gott Augustus ja selten direkt.
Er überlässt es dem Leser zu entscheiden,ob der Vergleich mit der Kimbernkrise gerechtfertigt war. Aber durch die vermeintliche Vertauschung wird der Leser in seiner Entscheidung durch Sueton beeinflusst.

Also für mich steht da zwischen den Zeilen:
"Sind die Marser wirklich so schlimm wie die Teutonen gewesen ?"

Aber derartige Textanalysen sind wirklich nicht meine Stärke :winke:

Gruss
jchatt

Das scheint mir zu sehr um die Ecke gedacht zu sein.
 
Das scheint mir zu sehr um die Ecke gedacht zu sein.

ich dachte, daß machen Historiker heute, mangels neuer Quellen, nur noch :still:

Und weil es soviel Spaß macht:
Zumindest das heimtückische Massakrieren der unbewaffneten Marser während der wahrscheinlich noch von Augustus initiierten Rachefeldzüge des Germanicus verlangt vielleicht aber auch in der Biographie des Princeps Berücksichtigung.
Ein halbes Jahrhundert früher wollte man Caesar für so eine Tat noch den Feinden ausliefern.

Auf der einen Seite der existenzbedrohende Angriff der Teutonen. Auf der anderen Seite das Verbrechen an den Marsern. Darf man soetwas gleichsetzen wie Sueton suggeriert ?

Nur hatte Sueton wirklich das Feingefühl, daß alles in diese Textstelle zu legen, und konnten seine Leser das auflösen ? :grübel:


Gruss
jchatt
 
Die Kimbern und Teutonen tauchen in der Kaiserzeit immer wieder mal als anachronistische Zeitgenossen an Rhein und Main auf. Damit sind schon kaiserzeitliche Germanen gemeint, es wird entweder nur ein anachronistischer Name benutzt oder es handelt sich um Überbleibsel oder Wahlverwandte der aus republikanischer Zeit bekannten Stämme.
Angeblich soll eine Gesandtschaft die Kimbern 5 nach Christus dem Kaiser Augustus in Rom einen Kessel geschenkt haben - als eine Art Wiedergutmachung für den Kimbern- und Teutonenkrieg, eher als Unterwerfungsgeste. Ein Triumph des Augustus über die letzten Kimbern? Die Quelle ist mir leider nicht bekannt.

Laut Tacitus Germania Kapitel 37 lebten im 1. Jahrhundert noch immer Kimbern an der Nordsee, ein zur Bedeutungslosigket geschrumpfter Stamm:
In dem nämlichen Auslaufe Germaniens wohnen unmittelbar am Ocean die Cimbern, jetzt ein kleiner Staat, aber an Ruhm gar groß.
Im Verlauf setzt Tacitus den Kimbernzug nach Italien mit den Germanen-Kriegen Caesars, Germanicus, Neros, Varus-Schlacht usw. in Verbindung.
Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft beschreibt da der alte Tacitus und eben Kimbern oder Germanen an sich.:grübel:
Die Kimbern werden hier fast zum Sammelname ausgebaut.
 
Zuletzt bearbeitet:
Für diesen Brückenschlag betätigt sich Tacitus sogar als Archäologe:

Übersetzung bei Gottwein:
"Von ihrer alten Größe bestehen noch ausgedehnte Spuren, an beiden Rheinufern gewaltige Lagerplätze, an deren Umfang sich noch jetzt die gewaltige Menschenmasse und Tatkraft dieses Volkes ermessen und jener große Auszug glaubwürdig bestätigen lässt"

"Eundem Germaniae sinum proximi Oceano Cimbri tenent, parva nunc civitas, sed gloria ingens. veterisque famae lata vestigia manent, utraque ripa castra ac spatia, quorum ambitu nunc quoque metiaris molem manusque gentis et tam magni exitus fidem"

(Frage an die Lateiner: Wo steht dort eigentlich RHEINUFER?
Ufer=ripa finde ich ja noch, aber Rhein=Rhenus?)

Ich denke von castra(Lager/Kaserne) zu Burgus ist es nicht unbedingt weit.
Könnte es also sein, daß die Römer glaubten die Varusschlacht hätte in einer Gegend stattgefunden, in der man vermeintliche Überreste des Teutonenzuges zu sehen glaubte?. Vielleicht verlassene keltische Siedlungen oder Fliehburgen etc.
Archäologisch scheint soetwas ja nachgewiesen zu sein. (z.B. Nammer Lager)

@Maglor
Wie Du schon sagst hatte die Gleichsetzung zeitgenössischer Gegner mit den Kimbern und Teutonen durchaus schon eine Tradition.

In "De bello Gallico, II 29" unterstellt Caesar den Atuatuci Nachfahren der Kimbern und Teutonen gewesen zu sein, bevor oder nachdem er auch sie niedermetzelte oder versklavte.

Gruss
jchatt
 
Ist das so abwegig? Man sollte nicht davon ausgehen, dass die Kimbern und Teutonen ihre ursprüngliche Heimat geschlossen verlassen haben und dann geschlossen ohne personelle Veränderungen in Europa hin- und herzogen, bis sie schließlich vernichtet wurden. Dass ein Teil der Kimbern in Dänemark zurückblieb, ist doch ebenso plausibel wie dass sich auf ihrem Zug immer wieder Grüppchen abspalteten und irgendwo niederließen, sich hingegen andere Grüppchen dem Zug anschlossen, ähnlich wie es auch später in der Völkerwanderung der Fall war.
 
Ist das so abwegig? Man sollte nicht davon ausgehen, dass die Kimbern und Teutonen ihre ursprüngliche Heimat geschlossen verlassen haben und dann geschlossen ohne personelle Veränderungen in Europa hin- und herzogen, bis sie schließlich vernichtet wurden. Dass ein Teil der Kimbern in Dänemark zurückblieb, ist doch ebenso plausibel wie dass sich auf ihrem Zug immer wieder Grüppchen abspalteten und irgendwo niederließen, sich hingegen andere Grüppchen dem Zug anschlossen, ähnlich wie es auch später in der Völkerwanderung der Fall war.

Wahrscheinlich war es auch genau so wie Du schreibst.
Ich stelle mir nur die Frage, ob Teutonenvergleiche nicht zum Rechtfertigen von Völkermorden herangezogen wurden. Die Angst vor den Teutonen hat jedenfalls lange bis Sueton und Tacitus nachgewirkt.
Furor Teutonicus ? Wikipedia

Nochmals zu den Teutonenlagern:
Letztendlich wäre die Existenz eines Ortes Teutoburgium in Kroatien auch erträglicher, könnte man sie mit der vermuteten Schlacht von Noreia in Verbindung bringen. Möglicherweise sahen die Römer auch hier irgendwelche Siedlungsreste.

Gruss
jchatt

 
Ich stelle mir nur die Frage, ob Teutonenvergleiche nicht zum Rechtfertigen von Völkermorden herangezogen wurden.
Eine Rechtfertigung für Völkermorde brauchte man in der Antike eigentlich nicht. Wenn sie überhaupt kritisiert wurden, hatte das normalerweise politische Hintergründe, also dass der Völkermörder ein politischer Gegner war. Aber ansonsten war auch das Abschlachten von Zivilisten "normal". Livius schilderte z. B. völlig emotions- und kritiklos, wie bei den Kriegen der Römer in Spanien nach der Eroberung so mancher Stadt die komplette Bevölkerung massakriert wurde.

Letztendlich wäre die Existenz eines Ortes Teutoburgium in Kroatien auch erträglicher, könnte man sie mit der vermuteten Schlacht von Noreia in Verbindung bringen.
Noreia lag aber sicher nicht in Ostkroatien.
 
Noreia lag aber sicher nicht in Ostkroatien.

Ja, aber die Teutonen sind doch vorher sicher von Norden kommend die Donau abwärts gezogen. Wie es wirklich war ist ja für meine These auch uninteressant. Es würde ja genügen, wenn die Römer so gedacht haben und durch dieses Denken der Name geboren wurde.
Natürlich sollte das auch heute noch einigermaßen plausibel sein. Angesichts der Wegstrecke von der Kimbrischen Halbinsel sind die 200-300km ja auch noch vertretbar ;)
Ich meine ja auch nicht die Schlacht selbst, sondern ein möglicher Lagerplatz in der Zeit vorher.

Gruss
jchatt
 
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