Warum begann die Renaissance in Florenz?

Es lag mir fern, zu behaupten, dass Neapel hier ein Vorreiter gewesen wäre. Eher im Ggt. Ich wollte darstellen, dass vieles was oberflächlich renacentistisch wirkt, es eben doch noch nicht ist, eben "nur" protorenacentistisch. (Gibt es eigentlich kein vernünftiges von Renaissance abgeleitetes Adjektiv im Deutschen, dass man immer renacentista eindeutschen muss? Ist doch doof, dass Substantiv aus dem Französischen entlehnt, das Adjektiv aber aus einer anderen Sprache...)
 
Hoi Rovere

Was du schreibst ist bestimmt richtig, erklärt aber nicht zwingend, weshalb aus „grosser sozialer Durchlässigkeit“ eine neue Architektur (oder Kultur) entsteht.

Meiner Ansicht nach, gibt es noch einen anderen Grund. Nach dem Fall von Konstantinopel (und später Athen) flohen zahlreiche Intellektuelle nach Italien. Viele liessen sich in Rom, Bologna oder Florenz nieder. Diese geflüchteten Gelehrten nutzten in ihrer neuen Heimat die gewonnen geistigen (und religiösen) Freiheiten und versuchten eine neue humanistische Welt zu gestalten. Das Mittelalter und die Gotik wurden überwunden. Und in der Architektur wurde die Wiedergeburt der grichischen Antike gefeiert. Und so weiter...


Gruss Pelzer


.
Moin.
Dieses Thema hatten wir ja schon in anderen Threads ausführlich besprochen. Dabei stellten wir fest, wie schon oben andere Poster einwarfen, dass wir den byz. Impetus nicht überbewerten dürfen. Er bot einmal in der Vergangenheit der Geschichtsbetrachtung eine scheinbare Erklärung, wird inzwischen jedoch eher als marginaler Grund gesehen.
Zumal ich deine obige Aussage von "religiösen Freiheiten" der Orthodoxen im kath. Italien doch bezweifeln möchte.
"Tante Wiki" ist hier kein aktueller guter Ratgeber, führt einen vielleicht ohne größere Vorkenntnisse nur auf die falsche Fährte. Es gibt aber mehrere Bereiche der Renaissance, Kunst, Philosophie, Wissenschaft, Architektur, etc. und vielleicht müssen wir da die Entwicklungen, die nicht alle gleichzeitig an jedem Ort stattfanden, ein wenig aufdröseln...

Btw.: Über die Rezeptionswege des antiken Wissens, und die Bedeutung verschiedener Transferrichtungen bietet dieser Artikel einigen Aufschluss:

Ohne die islamische Philosophie hätte es weder Scholastik noch Aufklärung
geben können!



Ich habe mal gelesen, dass nicht wenige der byz. Flüchtlinge in Italien kläglich gescheitert sind, viele in Armut versanken, es einige Aversionen gegen sie gab, wenige sich als Griechischlehrer durchschlagen konnten und zahlreiche nach ihren Erfahrungen wieder in ihre alte Heimat zurückkehrten, entweder ins Osmanische Reich, z.B. Istanbul, in noch nicht eroberte Gebiete (z.B. Inseln), oder in recht autonome osmanische Regionen, wie z.B. das Kloster Athos, Ragusa, etc. Wo ich das las, ist mir entfallen. Vielleicht haben andere Mitglieder ebenfalls solche Berichte, Darstellungen gelesen, könnten aber auch nicht die Frage des Threads beantworten.

Mehr in den anderen Threads zu den Faktoren, die die Renaissance beeinflussten. Aber hier geht ja vorrangig um Florenz, warum gerade Florenz...
:pfeif:
 
Die Entstehung der Renaissance allein an den sozialen und ökonomischen Bedingungen in Florenz festzumachen halte ich für falsch. Ähnliche Bdingungen existierten in vielen selbständigen Städten in Flandern,im Reich oder z.T. auch im Arelat .
Was m.E. entscheidend war, war die politische Emanzipation von fremden Mächten wie z.B. vom Kaisertum des HRR. Mit dieser Emanzipation ging die Suche nach einer eigenen Identität einher und dabei erfolgte eine Rückbesinnung auf die klassischen italienischen ,also antiken Traditionen in Philosophie, Architektur und Kunst.
Die Bewegung der Renaissance war also primär eine bewußte Abgrenzung oder Abkehr von der mittelalterlichen Welt des Imperiums. In Florenz trafen all diese Bedingungen , also ein moderner, merkantil geprägter Stadtstaat, eine sozial durchlässige Gesellschaftsstruktur,Emanzipation von Fremdherrschaft und Suche nach einer eigenen Identität optimal zusammen. In anderen Staaten und Städten gab es allerdings m.W. vergleichbare Entwicklungen,jedoch nicht so allumfassend und in dieser Tragweite.
 
Zuletzt bearbeitet:
In Florenz trafen all diese Bedingungen , also ein moderner, merkantil geprägter Stadtstaat, eine sozial durchlässige Gesellschaftsstruktur,Emanzipation von Fremdherrschaft und Suche nach einer eigenen Identität optimal zusammen.

Die Kultur des Humanismus hat aber auch viele Menschen ausgeschlossen, daher sehe ich die hier angesprochene "soziale Durchlässigkeit" in Florenz etwas problematisch. Die florentin. Gesellschaft des 15.+16.Jahrh. war auch tief gespalten.
In Florenz - wie anderswo bezog man Arbeitskräfte für die Kolossalbauten der Renaissance vom Lande, wo sich Zauberkult und Magie lange behaupten- der Aufstieg z.B eines Savonarola ist für die ländlich geprägte anti-intellektuelle Volksseele ein reaktionäres Indiz und Gefahrenmoment der recht kleinen Schicht, die an der " Renaissance " teilhaben und profitieren, die wir heute so bewundern.
Das reiche Großbürgertum der Oberzünfte (Arti Maggiori) und am unteren Ende der Gesellschaftsskala die "Art Minori" -die eigentlichen Handwerkszünfte und die Armen bilden das gewaltige Gefälle , auf welchem die architektonischen Wunderwerke gegründet sind. Das einfache Volk war auf die Zuschauertribühne verbannt.
Sicher gab es die prominenten Familien , die durch Vermögen , Geschicklichkeit in Geldgeschäften allerlei Ränkespiele durch die Jahrzehnte von "unten " nach oben geschwommen sind, allerdings um so bewußter dieses Gefälle zu nutzen, diese sehe ich aber nicht als eigentliche Träger des kulturellen Phänomens der Renaissance als geistesgeschichtl. Wirkungsmechanismus.
Hierzu aufschlussreich: Ferdinand Braudel: "Modell Italien 1450-1650 /Wagenbachverlag
 
Das soziale Gefälle und das Gefälle zwischen Stadt und Land gab es aber überall in Europa und dieses war bereits im Mittelalter relativ ausgeprägt.
Der Unterschied zur Renaissance liegt aber m.E. gerade in der Durchlässigkeit der sozialen Ordnung begründet.
Aufsteiger wie die Medici konnten ihre Herrschaft nicht über Abstammungslinien,Gottesgnadentum und ererbte Titel legitimieren . Folglich dienten in verstärktem Maße neben dem Militär Kunst und Wissenschaft und als deren Manifestation auch die entsprechende Architektur als Mittel der Herrschaftslegitimation. Das begünstigte wiederum den sozialen Aufstieg weiterer begabter Leute wie Leonardo da Vinci oder Macchiavelli.
Natürlich war die Gesellschaft gespalten aber im Gegensatz zur starren Gesellschaftsordnung des Mittelalters hab es nun wenigstens die Möglichkeit des individuellen Aufstieges .
 
Ausserdem gibts eh viel zu wenig Renaissance- und Italien-Diskussionen hier!
Laut Suchmaschine gibt es 453 Threads, in denen das Wort Renaissance vorkommt. Aber ich gebe Dir Recht::winke: nur die wenigsten haben zu einer intensiveren Diskussion geführt, am ehesten noch, aber abrupt abbrechend Die Renaissance - eine Zeit allein dominiert von den Künsten? - Geschichtsforum.de - Forum für Geschichte [1].

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Ich sortiere mal für mich die bisherigen, sehr interessanten Thesen, die sich wohl allesamt unter die Generalthese subsumieren lassen, dass "die Renaissance" ein multikausales Phänomen darstellt:

  • Ereignisgeschichtliche Faktoren
    • Ex oriente lux: Byzanz (Beitrag #13), Islam (#23)
    • Friedenspolitik der Medici usw. (#14)
    • Emanzipation vom Kaisertum (#24)
    • Herrschaftslegitimation (#26)
  • Sozioökonomische Faktoren
    • soziale Durchlässigkeit (#12)
    • Akkumulation von Kapital (#17)
    • soziales Gefälle (#25)
  • 'Persönliche' Faktoren
    • Mäzenatentum (#14)
    • Wettbewerb innerhalb der Oligarchie (#15, #17)
    • "Sehnsucht" (#17)
Manche Punkte lassen sich erweitern: Zur "Emanzipation" etwa könnte man auch fragen, inwieweit die Abwesenheit des Papsttums mindestens die Anfänge der Renaissance "günstig" beeinflusst hat; das spätere Mäzenatentum von Päpsten wird dadurch nicht in Abrede gestellt.

Einigkeit dürfte auch darüber bestehen, dass es - in heutiger Sprache - "Synergie-Effekte" gegeben hat (http://www.geschichtsforum.de/367152-post20.html).

Aus dem Vorgänger-Thema übernehme ich einen weiteren Faktor, der dort (http://www.geschichtsforum.de/368803-post28.html) mit dem Stichwort "neue Rationalität" charakterisiert ist. Hierzu wäre ich für Stellungnahmen sehr dankbar!

Ein weiterer sozio-ökonomischer Faktor könnte - im Anschluß an obigen Beitrag #25 - auch noch weiter ausgedeutet werden: Manchen Autoren zufolge entwickelt sich in/mit der Renaissance so etwas wie ein "Proletariat" im modernen Sinne. Wenn es so wäre: Was bedeutet das?

Den Fall Konstantinopels hingegen sollte man nicht überbewerten. ... Die Renaissance war da aber längst in Blüte.
Das wirft zum wiederholten Male die Frage nach der Epochengrenze auf. Während man das Ende "der" Renaissance je nach Gusto vor oder nach der Mitte des 16. Jh. festmachen kann, ist der Beginns unübersichtlich - eine Schwierigkeit, die man durch Konstrukte wie "Protorenaissance" oder "Früh-/Hoch-/Spät-Renaissance" belegen kann. Für die Stadt Florenz allein ist die Frage sicher leichter zu beantworten.


[1] Siehe aber auch Arcimboldos Beiträge in
http://www.geschichtsforum.de/f81/geburtshelfer-der-renaissance-4059/ (#1) und http://www.geschichtsforum.de/f81/5-thesen-zur-renaissance-9113/ (#3).
 
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