Warum brennt es hier?

...wenn man sieht, wie vorher in der Altsteinzeit zig-tausend Jahre praktisch kein Fortschritt stattfand, dann aber innerhalb weniger Jahrtausende sehr viel...

Kann man dies denn überhaupt so stehen lassen?

Ohne jetzt die Errungenschaften der Landwirtschaft kleinreden zu wollen: Es ist ja nicht so als ob in den vorherigen zehntausenden Jahren zuvor keine Fortschritte gemacht wurden.

Da fallen auch solche Erfindungen wie Stofffasern, Nähnadel oder der Bogen rein. Die Leute hatten Hütten und saisonale Lagerplätze, es gab auch schon die Verarbeitung wildwachsender Körner. Es gab Musikinstrumente und offenbar auch andere kulturelle Erscheinungen - inwieweit man sie auch deuten mag.

Hunde sind ebenfalls schon zuvor gezähmt worden und man hatte offenbar bereits einfache Boote.

Eigentlich ist die Zeit von 30.000-10.000 v.Chr. nicht minder interessant als die direkt daran anschließenden beginnende Landwirtschaft.
 
Eigentlich ist die Zeit von 30.000-10.000 v.Chr. nicht minder interessant als die direkt daran anschließenden beginnende Landwirtschaft.
Interessant schon - und ich habe auch nicht gesagt, dass es in der Altsteinzeit keinen Fortschritt gegeben hätte -, aber dieser (technische) Fortschritt war da wesentlich langsamer als nach der „Erfindung“ der Landwirtschaft. Zig-tausend Jahre lebte der Mensch nach der Methode „Jäger und Sammler“, und nun gab es eine völlig andere Lebensweise, die zudem weitere technische und gesellschaftliche Veränderung nach sich zog, die uns binnen 10.000 Jahre zu dem heutigen Stand der Technik und der Gesellschaft geführt haben.

Der entscheidende Schritt dazu wurde mit der Schrift gemacht, die vor der „Erfindung“ der Landwirtschaft und der damit verbundenen Sesshaftigkeit einfach nicht notwendig war – und deswegen vorher auch nicht „erfunden“ werden konnte.
 
... Erfindung“ der Landwirtschaft ...

Der entscheidende Schritt dazu wurde mit der Schrift gemacht, die vor der „Erfindung“ der Landwirtschaft und der damit verbundenen Sesshaftigkeit einfach nicht notwendig war – und deswegen vorher auch nicht „erfunden“ werden konnte.

Dieser Gedanke interessiert mich brennend: Wenn die zitierte Annahme richtig ist, müsste die Schrift typischer Weise dann allmählich wieder verschwinden, wenn die Voraussetzungen für ihre Notwendigkeit wegfallen. Kann man diese Annahme durch Beispiele belegen oder widerlegen?
 
Warum das denn? Schrift kann man ja, wenn sie erst einmal erfunden und entsprechend entwickelt ist, auch noch für andere Sachen gebrauchen als bloß´für die Dokumentation der Vorratshaltung und dergleichen. Die Annahme besagt doch nur, dass sie nur zwecks Erstellung von Vorratslisten erfunden wird und nicht etwa um damit Verträge verfassen oder gar Gedichte aufzeichnen zu können. (Ob diese Annahme stimmt, weiß ich nicht. Zu lesen ist sie normalerweise in Zusammenhang mit der Keilschrift.)
 
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Wenn die zitierte Annahme richtig ist, müsste die Schrift typischer Weise dann allmählich wieder verschwinden, wenn die Voraussetzungen für ihre Notwendigkeit wegfallen. Kann man diese Annahme durch Beispiele belegen oder widerlegen?
Wenn Du damit meinst, dass die Benutzung einer Schrift ganz verschwindet, dann gibt es dafür Beispiele: Keilschrift, Hieroglyphe, Runenschrift. Aber diese Schriften wurden meistens durch andere ersetzt.

Es gab auch Zeiten, in denen die Schrift weniger bis gar nicht benutzt wurde – siehe Spätantike und frühes Mittelalter (vor dem Karl d. Großen), wo es fast nur noch in Klöstern, Städten und bei Feudalherren Leute gab, die des Lesens und Schreibens mächtig waren. Und das, obwohl es weiterhin Landwirtschaft gab, die ja einst zur „Erfindung“ der Schrift geführt hat. Allerdings war diese Landwirtschaft selbstgenügsam, d.h. sie produzierte kaum Überschüsse, und wenn doch, wurden diese meist mittels Tauschhandel abgewickelt, sprich ohne geschriebene Verträge. Und selbst wenn man dazu in der Lage war und das auch wollte: Es gab kein Papier, sondern nur Pergament, das allerdings teuer war.

Nomadenclans bräuchten - wie in der Prähistorie - wahrscheinlich die Schrift auch heute nicht, wenn sie in einem weitgehend abgeschlossenen Gebiet lebten und nur wenig Kontakt zu den Fremden an den Grenzen hätten.
 
....Es gab kein Papier, sondern nur Pergament, das allerdings teuer war....
Wie Ravenik schon ausführte ist Lagerhaltung eh die Standarderklärung für die Entwicklung der Keilschrift im Zwischenstromland, allerdings haben die ihre Keile in Tontäfelchen geritzt und nicht auf Papier oder Pergament gemalt und Lehm habens in "Deutschland" auch im Mittelalter gehabt.
Und es war nicht so dass jeder Mesopotamier der eine Kuh gehabt hat deshalb die Schrift erfunden hat sondern das war im Rahmen riesiger königlicher Domänen, also wahrscheinlich einige Zeit nach der Seßhaftwerdung.
 
Jetzt haben wir allerdings einen Riesensprung gemacht, von der Neolithisierung bis ins lateinische Mittelalter. (Im Übrigen gab es durchaus noch einen anderen Schreibstoff, als Pergament: Die päpstliche Kanzlei verwendete durch's ganze MA hindurch Papyros.)
 
Und es war nicht so dass jeder Mesopotamier der eine Kuh gehabt hat deshalb die Schrift erfunden hat sondern das war im Rahmen riesiger königlicher Domänen, also wahrscheinlich einige Zeit nach der Seßhaftwerdung.
Das ist wohl jedem hier klar.


(Im Übrigen gab es durchaus noch einen anderen Schreibstoff, als Pergament: Die päpstliche Kanzlei verwendete durch's ganze MA hindurch Papyros.)
Ja, aber es ging hier um Kaufverträge und ähnliche profane Dinge in der Provinz, wo außer Kleriker und mancher Gebildeter kaum jemand lesen und schreiben konnte. Und selbst denen Papyros nicht zur Verfügung stand.
 
Warum das denn? Schrift kann man ja, wenn sie erst einmal erfunden und entsprechend entwickelt ist, auch noch für andere Sachen gebrauchen als bloß´für die Dokumentation der Vorratshaltung und dergleichen. Die Annahme besagt doch nur, dass sie nur zwecks Erstellung von Vorratslisten erfunden wird und nicht etwa um damit Verträge verfassen oder gar Gedichte aufzeichnen zu können. (Ob diese Annahme stimmt, weiß ich nicht. Zu lesen ist sie normalerweise in Zusammenhang mit der Keilschrift.)

Ich denke es gibt schon ein ziemliches Auf und Ab der Kentnisse, und dass sich das schon an Erfordernissen festmachen lässt. Natürlich dient die Schriftlichkeit auch Nutzlosem (siehe unser Geschreibsel hier - pure Lust ohne Nährwert). Aber ob das dann reicht, um so eine aufwändige Fähigkeit über viele Generationen weiterzugeben? Dazu braucht es eine Menge Antrieb, z.B. religiöse Vorschriften oder dgl. Deshalb würde ich vermuten, dass eine Schriftlichkeit, die ihrer Notwendigkeit beraubt ist, nach weniger Jahrhunderten verraucht sein wird. Menschen sind doch sehr anpassungsfähig. Unnötiges nicht über allzuviele Generationen weiterzugeben, ist im Grunde ja auch intelligent, weil es Ressourcen schont.
 
Was ist eine "Notwendigkeit" für die Schriftlichkeit? Das beschränkt sich ja nicht nur auf die Buchführung und Vorratshaltung. Ein Beispiel hast Du selbst schon angedeutet: Sobald es "heilige Schriften" gibt, legt das nahe, dass zumindest die Priesterschaft die Schrift beibehalten wird, um die heiligen Schriften weiterhin lesen zu können. Aber auch darüber hinaus hat sich die Schrift schon in den alten Hochkulturen auch abseits der Buchhaltung als ungemein praktisch erwiesen, z. B. um Gesetze und Verträge schriftlich zu fixieren und Briefe zu schreiben oder um auf Inschriften die Taten des Herrschers zu verherrlichen. Dazu kommt noch, dass gerade dann, wenn die Schriftlichkeit nicht allgemein verbreitet ist, ihre Beherrschung Prestige verleiht. Ich würde den Begriff "Notwendigkeit" also recht weit spannen: Auch Kaufleute, die Handelsbeziehungen über weite Entfernungen unterhalten, werden, wenn sie erstmal gewohnt sind, mit ihren Handelspartnern schriftlich zu kommunizieren und die Verträge schriftlich zu fixieren, nicht mehr darauf verzichten wollen. Solange sie das aber nicht tun, lohnt es sich immer noch, schreiben zu lernen, um als Schreiber seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Also ja, wenn die Schriftlichkeit tatsächlich jeglicher Notwendigkeit beraubt wird, wird sie vermutlich irgendwann verlorengehen, nur wird dieser Fall kaum eintreten.
 
Mir gings eher darum dass Seßhaftigkeit für sich genommen eigentlich kein Grund für Schriftentwicklung ist, auch Nomaden zählen wahrscheinlich ihre Viecher, besitzen religiöse Traditionen, kennen Gesetze und Verträge und haben vielleicht eitle Herrscher.
 
Für sich genommen wird Sesshaftigkeit tatsächlich kein zwingender Grund für Schriftentwicklung sein, denn sonst hätte jede sesshafte Kultur eine Schrift entwickeln müssen, was historisch gesehen nicht der Fall war. Solange jeder Bauer oder auch eine kleine Dorfgemeinschaft für sich allein Subsistenzwirtschaft betreibt, besteht agrarwirtschaftlich auch kein Bedarf an einer Schrift. Aber die Entwicklung einer arbeitsteiligen Agrargesellschaft mit übergeordneter Planung und Vorratshaltung begünstigt die Entwicklung einer Schrift wohl. Das unterscheidet sie auch von Nomaden, die nicht Vorräte auf längere Zeit von und für Tausende einsammeln und lagern bzw. verteilen.
Religiöse Traditionen, Gesetze und Verträge allein werden wohl zu wenig sein, um eine Schrift originär (also ohne dass man sich ein Beispiel an anderen Schriftkulturen nimmt* oder gar eine fremde Schrift übernimmt, was ja oft der Fall war) zu entwickeln, denn eine Schrift, die hochentwickelt genug ist, um damit abstrakte Gedanken bezeichnende Wörter ausdrücken zu können, ist etwas Komplexes, was man kaum aus dem Nichts heraus erfinden wird. Eine Vorstufe mit Zeichen, um bestimmte Gegenstände oder Zahlen auszudrücken, wird vermutlich unvermeidlich sein.
*Z. B. wurde die Mongolische Schrift ganz bewusst in Anlehnung an Schriftkulturen und unter Verwendung einer anderen Schrift als Vorlage geschaffen.
 
Für sich genommen wird Sesshaftigkeit tatsächlich kein zwingender Grund für Schriftentwicklung sein, denn sonst hätte jede sesshafte Kultur eine Schrift entwickeln müssen, was historisch gesehen nicht der Fall war. Solange jeder Bauer oder auch eine kleine Dorfgemeinschaft für sich allein Subsistenzwirtschaft betreibt, besteht agrarwirtschaftlich auch kein Bedarf an einer Schrift. Aber die Entwicklung einer arbeitsteiligen Agrargesellschaft mit übergeordneter Planung und Vorratshaltung begünstigt die Entwicklung ...

Sehe ich auch so.

Abstraktion ist eine menschliche Reaktion, mit steigenden Komplexitäten umzugehen. "Abstraktionstechniken" sind neben der Schrift auch Anfänge der Mathematik. Steigende Komplexitäten beziehen sich zB auf die gesellschaftliche Organisation, Umwelt und Tätigkeiten.

Delson et. al., Encyclopedia of Human Evoution, behandeln die Thematik deshalb unmittelbar unter dem Stichwort "complex societies". Das unterscheidet nicht zwischen Seßhaftigkeit und Nicht-Seßhaftigkeit, sondern:

His [V.G. Childe] list included features like
- the aggregation of people into cities, (Siedlungsgröße)
- the development of nonagricultural specialization of labor, (Arbeitsteilung)
. the production and concentration of surpluses, (Überschüsse)
- the emergence of strictly defined class distinctions; (gesellschaftliche Differenzierung, "Klassenunterschiede")
- and the creation of nonkin-based rules for membership in society. (soziale Regeln nicht-verwandtschaftlicher Beziehungen)

[Beispielhafte äußere Anzeichen dieser "komplexeren Gesellschaften:]

He also included
- the construction of monumental public works, such as temples or irrigation systems; (gemeinsame "Großprojekte")
- the beginning of longdistance trade; (Beginn des Fernhandelns)
- the creation of an elite art style; (Ausprägung Kunststile)
- and the development of writing and mathematics as abstract means of keeping records. (Schrift und Mathematik zwecks Abstraktion für Aufzeichnungen)

Each of these characteristics might, indeed, be observable in a society that we might identify as complex, but they do not get at root variables that could define the abstract process of development of the complexity itself. Moreover, in some cases, several appear well before complex societies. To understand the process, we must appeal to more basic underlying ideas. The definition of complex society requires a focus on the relations of people to the environment that supports them and to other people within that environment. The ability of individuals to influence the behavior of others rests on political and economic relationships, which Fried described in terms of authority and power.
 
...- the construction of monumental public works, such as temples or irrigation systems; (gemeinsame "Großprojekte")....
Deshalb sind ja die Hochkulturen an großen Flüssen entstanden wo einzelne Dörfer nicht in der Lage waren sinnvollen Hochwasserschutz und Bewässerungsanlagen zu bauen.

PS: Ist zwar vielleicht etwas OT, aber vielleicht hats auch was damit zu tun. kennt jemand zufällig Julian Jaynes : origin of consciousness?
 
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Das unterscheidet nicht zwischen Seßhaftigkeit und Nicht-Seßhaftigkeit
Ja, das ist etwas andere Sichtweise. Doch dass die Sesshaftigkeit der eigentliche Grund für die neolithische (R)Evolution war, steht wohl außer Frage, oder?

Ich meine, hier sind einige Dinge genannt (gesellschaftliche Differenzierung, soziale Regeln nicht-verwandtschaftlicher Beziehungen und nonagricultural specialization of labor), die es schon vor der Sesshaftigkeit gegeben haben könnte, d.h. dass sie für die neolithische (R)Evolution nicht maßgeblich sein konnten. Das wird auch im Zitat angedeutet: “Moreover, in some cases, several appear well before complex societies.” – wobei “complex societies” ein ungenauer Begriff ist, weil komplexe Gesellschaften die Sesshaftigkeit nicht zur Voraussetzung haben müssen (ich meine, auch die Sammlerinnen und Jäger könnten sie entwickelt haben).

Als mit der neolithischen (R)Evolution direkt zusammenhängend könnte man m.E. nur noch Folgendes nennen (ich kopiere Einfachheit halber Entsprechendes aus Ihrem Beitrag):

1. the aggregation of people into cities, (Siedlungsgröße)
2. the production and concentration of surpluses, (Überschüsse)
3. the construction of monumental public works, such as temples or irrigation systems; (gemeinsame "Großprojekte")
4. the beginning of longdistance trade; (Beginn des Fernhandelns)
5. the creation of an elite art style; (Ausprägung Kunststile)
6. and the development of writing and mathematics as abstract means of keeping records. (Schrift und Mathematik zwecks Abstraktion für Aufzeichnungen)
 
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