Zu diesem Punkt haben wir jetzt schon mehrmals das Ja - Nein - Ja - Nein um die Ohren gehauen, es wäre wohl sinnvoll erst einmal Konsens zu finden, was denn "historische Kontinuität" ist.Es gibt keine "ungebrochene" Kontinuität von den Germanenstämmen zu den Deutschen.
Klar ist wohl, daß Kontinuität hier nicht bedeutet, daß es zwischen Anfang und Ende keine Veränderungen gegeben hätte. Im Gegenteil kann die Summe der Veränderungen über die Zeit so groß sein, daß der Zustand am Anfang und der am Ende in fast jedem Punkt stark unterschiedlich sind.
Wir haben z. B. Konsens, daß es eine historische Kontinuität zwischen dem Deutschland unter Otto dem Großen und dem heutigen gibt. Obwohl die Unterschiede immens sind - beim Staatsgebiet, in der Sprache, in der Kultur, in den politischen Strukturen ...
Aber wir sprechen von Kontinuität, weil diese Änderungen schrittweise so erfolgten, daß von Schritt zu Schritt, von Generation zu Generation, ein deutlicher Zusammenhang da war, daß insbesondere die Leute selber immer davon ausgingen, daß sie trotz der Änderungen im selben Kontext lebten wie ihre Vorfahren.
Am deutlichsten ist das bei der Sprache: Ein moderner Deutscher kann sich nicht wirklich mit Otto dem Großen unterhalten, die Sprachveränderungen sind viel zu groß. Aber jede Generation über diese Zeit konnte sich (weitgehend ;-) problemlos mit der Generation davor und danach verständigen, es blieb dieselbe Sprache (und diese sprachliche Kontinuität läßt sich verlängern von Otto bis Arminius).
Und ähnliches gilt m. E. für die anderen Aspekte der historischen Kontinuität: Die politischen Institutionen, die Kultur, die Geographie, ...
Jeweils gilt: Wenn sich nur in einigen Bereichen etwas ändert, so daß insgesamt die Identität der Gemeinschaft (des Stamms, des Volkes ...) nicht in Frage steht - kann man von historischer Kontinuität sprechen.
Beispiel: Die krassen Veränderungen in Politik und Kultur durch die Revolution haben die Identität Frankreichs nicht in Frage gestellt - die historische Kontinuität wurde nicht gebrochen.
Beispiel: Die fast komplette geographische Veränderung durch die Völkerwanderung und die starke kulturelle Umstellung durch die Christianisierung haben die Identität der Franken nicht in Frage gestellt, es gibt eine klare historische Kontinuität von Childerich I bis Karl dem Großen.
Beispiel: Der Zusammenschluß von Baden und Württemberg hat etwas Neues geschaffen, aber die Identität der Badener und Württemberger nicht gebrochen. Ein Ministerpräsident kann in Baden-Baden in historischer Kontinuität zu den Markgrafen auftreten (selbst wenn er Schwabe ist).
Gegenbeispiel: Mit der Eroberung von Byzanz war die historische Kontinuität weg. Die Osmanen haben die Gebäude der Stadt weiterbenutzt - aber es blieb eben nur die Geographie gleich, es waren andere Leute, mit anderer Sprache, Kultur und politischen Institutionen.
Gegenbeispiel: Die historische Kontinuität der Engländer beginnt mit der angelsächsischen Einwanderung/Eroberung. Sie wurde nicht gebrochen durch die Christianisierung oder die Normannenherrschaft - aber was an Briten und Römern vorher im Lande zugange war, gehört nicht zu dieser Kontinuität.
OK, das war jetzt viel Text. Stellt sich die Frage, ob Du diesen Abgrenzungen von Kontinuität vs. Bruch folgen kannst. Und nur wenn wir da Konsens finden lohnt sich zu fragen, in welche Kategorie der Übergang zwischen germanischen Stämmen und deutschem Reich fällt.