Warum wurden frühere Kriege nicht schon als Weltkriege bezeichnet?

Holzmichl

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Der spanische Erbfolgekrieg, der 30-Jährige Krieg, der österreichische Erbfolgekrieg, die napoleonischen Kriege, der 7-Jährige Krieg etc. Europa hat schon vor dem 20. Jahrhundert extrem viele Kriege erlebt, die eigentlich den ganzen Kontinent erfassten und Teile darüber hinaus (zum Beispiel Nordamerika).

Warum wurden all diese Kriege nicht als Weltkriege bezeichnet? Was sind die zentralen Unterschiede?
 
Einige der Kriege, die du genannt hast, wurden nur in Europa ausgetragen, andere wurden zwar auch außerhalb des europäischen Kontinents geführt, aber die Akteure waren ausschließlich europäische Mächte, klammert man mal Indianerstämme aus, die ihre trivialen Streitigkeiten in Diensten von Franzosen/Briten weiterführten.
 
Ich weiß nicht, ob die Bezeichnung "Weltkrieg" für den 1.WK in der Zwischenkriegszeit 1918-39 so gebräuchlich war. Sprach man da nicht eher vom "Großen Krieg"? Eine Nummerierung 1. und 2. Weltkrieg kann logischerweise erst nach 1939 erfolgt sein.
 
"Großer Krieg" bzw. "Great War" "Grande Guerre" wurde/wird der 1. Weltkrieg in erster Linie in Großbritannien und Frankreich genannt. In Deutschland war dieser Name nie wirklich gebräuchlich, man sprach schon während des Krieges von einem "Weltkrieg".

Vor 1914 wurden z.T. auch andere Kriege als "Weltkrieg" bezeichnet, z.B. der Spanische Erbfolgekrieg, der Siebenjährige oder die napoleonischen Kriege. Durchgesetzt hatte sich das aber nicht und nach dem I. Weltkrieg erst recht nicht.

Übrigens, schon um 1920 erschien ein Buch mit der Ordnungszahl im Titel:

"The First World War, 1914–1918: Personal Experience of Lieutenant-Colonel C. à Court Repington CMG"
 
Warum wurden all diese Kriege nicht als Weltkriege bezeichnet? Was sind die zentralen Unterschiede?

Es hat in der Geschichtschreibung durchaus immer wieder Darstellungen geben, die im Besonderen den Zusammenhang "French and Indian war/Siebenjähriger Krieg" in dieser Weise charakterisiert haben.

Es hat sich eben einfach nicht durchgetzt.

Man könnte das sicherlich damit begründen, dass in denn von dir genannnten Kriegen die außereuropäischen Schauplätze in der Regel Nebennschaupltäze waren, auf denen zwar gekämpft wurde, aber mit weit geringeren Aufgeboten, als in Europa und entschieden wurden diese Kriege außerhalb Europas auch nicht.
Bei diversen Gefechten in den Kolonien standen sich mitunter nur einige hundert bis maximal einige tausend Soldaten gegenüber, während die Armeestärken in Eruopa bereits in die 100.000 gingen.

Die Einzige Ausnahme da dürfte Napoléons Ägyptenfeldzug sein, der größer angelegt war, allerdings war Ägypten kein dezidierter Teil einer weltweiten antifranzösichen Koalition.


Das verhielt sich in den beiden Weltkriegen im 20 Jahrhundert anders. Im ersten Weltkeig spielen China, Japan, die USA, Kanada und Neuseeland auf der Seite der Entente mit, so wie das Osmanische Reich, dass man in dieser Zeit sicherlich eher als asiatischen Akteur bezeichnen kann auf der Seite der Zentralmächte und es wurde außerhalb oder an den Grenzen dessen, was gemeinhin als Europa gilt, im Kaukasus, in Kleinasien und der Levante ziemlich heftig gekämpft.
Im Zweiten Weltkrieg hat man mit Japan als asiatischem Hauptakteur und den Kämpfen in Nordafrika auch etwas mehr, als bloße Nebenschauplätze mit etwas Geplänkel.
 
Der Siebenjährige Krieg war mit Sicherheit ein globaler Konflikt, und das war er durchaus auch in der Wahrnehmung der einfachsten Zeitgenossen.
 
l Indianerstämme aus, die ihre trivialen Streitigkeiten in Diensten von Franzosen/Briten weiterführten.

Trivial mögen die Konflikte der indianischen Bundesgenossen vielleicht in der Perspektive ferner europäischer Monarchen angemutet haben, aber in Nordamerika wurde erbittert gekämpft zwischen den indianischen Verbündeten.

Da ging es durchaus auch um handfeste politische Macht, um Allianzen, um Jagd- und Fischgründe. Die Föderation, die den Pelzhandel, das Hinterland und die Handelswege kontrollierte, hatte auch erheblichen Einfluss auf Handelsbedingungen, hatte Einfluss darauf, wer Zugang zu Pulver und Waffen bekam, wie weit ein Jäger fahren musste, um seine Pelze verkaufen zu können, ob er sie in einem bestimmten Areal überhaupt verkaufen kann oder ob er dabei Leben, Freiheit und Besitz samt seinem Skalp riskieren musste.

Wo, an wen oder über wen indianische Stämme ihre Pelze verkauften, ob die Bedingungen einigermaßen fair waren oder eben nicht, der Zugang zu Gewässern, der Zugang zu Ressourcen und die Kontrolle über Handelswege entschied darüber, ob Stämme oder Föderationen blühten oder dezimiert wurden. Ob sie angestammte Gebiete behalten oder verdrängt wurden und abziehen mussten.

In Coopers Roman Der Letzte der Mohikaner beklagt Chingachgook, dass er, ein "Chief and a Sagamore" niemals die Gräber seiner Väter gesehen habe, die mal an der Ostküste auf Manhattan siedelten, von den Irokesen aber weit ins Innere des Bundesstaates New York verdrängt wurden.

Die "Stellvertreter- und Biber-Kriege" zwischen den Stämmen wurden auch mit einer bis dahin in Nordamerika kaum gekannten Brutalität und Radikalität geführt, und der Einsatz: Jagdgebiete, Einfluss und Ressourcen war sicher nicht trivial, da ging es durchaus ums "Eingemachte" und für manche kleinere Nations um die Subsistenz, die Existenzbedingungen oder die pure Existenz.

Die Bedeutung des Pelzhandels in Nordamerika sollte man keinesfalls unterschätzen. Aus Biberfilz wurden und werden die besten und dauerhaftesten Hüte gemacht, alle anderen Pelze wurden im Verhältnis zum Biberpelz bewertet. Die Bedingungen des Handels waren lebenswichtig. In Sibirien wurde ein simpler Kessel danach gehandelt, wie viele Zobelpelze hineinpassten.
In Nordamerika passten die Irokesen schon auf, dass sie nicht über den Tisch gezogen wurden. Ein Mohawk machte sich im 17. Jahrhundert mal über den Hype der Europäer für Castor-Hüte lustig und sagte, der Biber erlaube seinem Volk ein komfortables Leben. Für die Stämme an der Atlantikküste wurde der Biber im 17. und 18. Jahrhundert fast so bedeutend wie der Steppenbison für die Great Plains-Kulturen.
Dabei kam es durchaus auch zu Überjagung und Raubbau an der Natur.

Die Föderation, der Stamm, der die Jagdgebiete kontrollierte, der das Hinterland kontrollierte und die Handelswege, der kontrollierte auch die Bedingungen des Handels, wer diese kontrollierte, der konnte den Nachbarn die Preise diktieren, der konnte sie vom Zugang zu Feuerwaffen und Pulver abschneiden, der konnte seinen Einfluss auf Kosten der Nachbarn ausdehnen.

In Nordamerika lebten nur 100-150.000 Franzosen, während die 13 Kolonien bereits mehr als das Zehnfache an Einwohnern hatten, mehr als 2,5 Millionen. Der Druck von Siedlern war geringer, Kanada und Nouvelle France sehr dünn besiedelt. Auch die Bedingungen des Handels mit den Franzosen waren vielfach attraktiver für Indianer, die Franzosen bemühten sich mehr um indianische Verbündete, als die Briten, und sie hatten dabei auch mehr Erfolg. Nur die Irokesenliga und zeitweise (bis 1758) die Cherokee unterstützten die Briten. Bei den Iroquois zogen auch nur die Oneida, Mohawk, die östlichen Seneca (und die Tuskarora) mit, während die Onandaga, Cayuga und westlichen Seneca lieber neutral zu den Franzosen blieben.

Im Unabhängigkeitskrieg ging dann der Riss quer durch die Irokesen: Die Tuskarora schlugen sich auf Seite der Amerikaner, die Mohawk für die Briten.

Im Siebenjährigen Krieg konnten die Franzosen zumindest bis 1759 die zahlenmäßige Überlegenheit der Briten durch ihre Verbündeten ausgleichen.

Wenn die Waffentechnik in Nordamerika etwas rustikaler war, die Treffen nach europäischen Maßstäben eher Scharmützel als Schlachten waren, und auch das ein oder andere Massaker, gerne auch mal mit Tomahawk und Skalpiermesser etwas gewöhnungsbedürftig für die europäische "Krieg in Spitze-Kriegsethik etwas gewöhnungsbedürftig war,
so waren die Konflikte alles andere als trivial, die Grundzüge der Politik: Der Kampf um Ressourcen, um deren Zugang, Kontrolle von Handelswegen, der Kampf um Allianzen, Hegemonie und Bedingungen des Pelzhandels unterschieden sich kaum von denen der Europäer, und manche kleineren Stämme wurden dabei regelrecht dezimiert, und ihre Territorien wie eine Orange oder wie Polen aufgeteilt, und über Flitzebogen und Skalpiermesser waren die Indianer auch schon hinaus.
 
Trivial mögen die Konflikte der indianischen Bundesgenossen vielleicht in der Perspektive ferner europäischer Monarchen angemutet haben, aber in Nordamerika wurde erbittert gekämpft zwischen den indianischen Verbündeten.

Naja, wenigsten aus britischer und französischer Perspektive war das sicherlich alles andere als trivial, ansonsten hätte sich ja an der Auseinandersetzung über die Vormachtsstellung im Ohio-Tal kaum die Auseinandersetzung entzündet, die sich dann in Europa mit dem 7-Jähren Krieg verband.

Und selbstredend hatten diese Auseinandersetzugen massive Auswirkungen auf die indianischen Gesellschaften.

Das wird man im Übrigen in vergleichbarer Weise auch von Indien behaupten könne, wo diverse indische Fürstenstaaten je nach Interessenlage mit den verschiedenen europäischen Handelskompanien paktierten, womit auch aus indischer Perspektive relativ gravierende Rückwirkungen der europäischen Konflikte auf die indischen Gesellschaften gegeben waren.

Zwar war die französische Position in Indien nach dem French-and-Indian-War deutlich geschwächt worden und Frankreich hatte seine eigene militärische Präsenz in Indien mehr oder weniger eingebüßt, aber dass lokale Indische Herrscher, wie der Tipu Sultan der de facto Herrscher von Mysore weiterhin die Kooperation mit Frankreich gegen die Briten suchte führte bis in die Zeit der Revolutionskriege durchaus immer wieder zu entsprechenden Rückwirkungen, sofern man Ceylon noch zu einem größer gefassten Indischen Raum hinzuzählen möchte zog sich dass auch bis in die Napoléonik.

Aus der Perspektive der Einwohner dieser Regionen betrachtet, waren dass natürlich keine hauptsächlich europäischen Kriege, das ist klar.
Allerdings sind die Diskurse die ausgehadelt haben, was nun als "Weltkrieg" gilt und was nicht, ja mehr oder minder vor einem sehr europäischen Publikum von einer europäischen Historikerzunft geführt worden, so dass es nicht wundert, dass man vor allem Europa im Fokus hatte, was sich aus der eigenen Perspektive auch begründen ließ, während alleine schon wegen des entscheidenden Gewichts der USA man die Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts nicht mehr als europäische Konflikte in erster Linie auffassen konnte.

Im Siebenjährigen Krieg konnten die Franzosen zumindest bis 1759 die zahlenmäßige Überlegenheit der Briten durch ihre Verbündeten ausgleichen.

Ja, da wäre allerdings zu hinterfragen und das würde dann die Frage nach der Bedeutung der Schauplätze erneut aufgreifen, hatten die Franzosen und die mit ihnen verbündeten Stämme jemals eine reelle Chance?
Ich würde dazu neigen, dass zu verneinen, da die Franzosen im Grunde nur so lange in der Lage sein konnten überhaupt Truppen und Nachschub (und das auch nur sehr beegrenzt) nach La Nouvelle France zu schicken, wie sich Louibourg und Québec halten ließen und die Saint-Lorence-Mündung unter französischer Kontrolle blieb.
Von dem her könnte man im Hinblick auf die Bedeutung des Kriegsschauplatzes behaupten, dass hier eigentlich nichts entscheidendes passierte, weil die Franzosen und ihre Verbündeten ohnehin nie eine Chance hatte, da es nur eine Frage der Zeit war, bis ihnen der Nachschub aus Europa ausgehen würde, während sie sich bei den zahlenmäßigen Verhältnissen kaum eine Illusion darüber machen konnten wirklich effektiv gegen die britischen Kolonien vorzugehen.

In Nordamerika passten die Irokesen schon auf, dass sie nicht über den Tisch gezogen wurden. Ein Mohawk machte sich im 17. Jahrhundert mal über den Hype der Europäer für Castor-Hüte lustig und sagte, der Biber erlaube seinem Volk ein komfortables Leben. Für die Stämme an der Atlantikküste wurde der Biber im 17. und 18. Jahrhundert fast so bedeutend wie der Steppenbison für die Great Plains-Kulturen.
Dabei kam es durchaus auch zu Überjagung und Raubbau an der Natur.

Ich hatte tatsächlich kürzlich Sautters Einführunngswerk zur Geschichte Kanadas in der Hand, vorwiegend weil ich mich für die Frage nach dem Zeitpukt der Unabhängigkeit von Großbritannien, über den wir vor einiger Zeit mal diskutiert hatten, nochmal interessiert hatte.
Was mich bei der Lektüre sehr erstaunt hat, war die Festellung, dass sich bereits im 18. Jahrhundert die Pelztier-Bestände in der Region um Quebec wohl bereits erheblich ausgedünnt hatten und sich das Zentrum des Pelzhandels wohl bereits mehr in Richtung Montreal und das Gebiet der großen Seen verschob.

Ich hätte einen solches Prozess eigentlich erst mit dem Beginn der Industrialisierug erwartet und war doch recht erstaunt, dass in gerade einmal 150 Jahren europäischer Siedlung und Kontakt zu den europäischen Märkten, sich der Tierbestand in Québec und den späteren kanadischen Atlantikprovinzen bereits derart massiv verändert zu haben scheint.
 
Zuletzt bearbeitet:
Trivial mögen die Konflikte der indianischen Bundesgenossen vielleicht in der Perspektive ferner europäischer Monarchen angemutet haben, aber in Nordamerika wurde erbittert gekämpft zwischen den indianischen Verbündeten.
Das stelle ich nicht in Abrede und war auch nicht die Stoßrichtung. Aber es waren Kriege First Nations gegen First Nations oder First Nations gegen wahlweise frz./brit. Soldaten/Siedler. Dass Briten und Franzosen in Europa im Krieg miteinander lagen und dieser Krieg eben auf die Kolonien übergriff, weil eben auch hier Soldaten zum Schutz der Kolonien standen, dürfte ihnen aber herzlich egal gewesen sein. Für sie zählte der Konflikt vor der Haustür, nicht das, was jenseits des Ozeans in Europa passierte.
 
Das stelle ich nicht in Abrede und war auch nicht die Stoßrichtung. Aber es waren Kriege First Nations gegen First Nations oder First Nations gegen wahlweise frz./brit. Soldaten/Siedler. Dass Briten und Franzosen in Europa im Krieg miteinander lagen und dieser Krieg eben auf die Kolonien übergriff, weil eben auch hier Soldaten zum Schutz der Kolonien standen, dürfte ihnen aber herzlich egal gewesen sein. Für sie zählte der Konflikt vor der Haustür, nicht das, was jenseits des Ozeans in Europa passierte.

Das ist sicher richtig.

Bei den Franzosen kam es häufiger vor, dass im Guerillakrieg häufiger Franko-Kanadier, Akadier gemeinsam mit Indianern kämpften und Überfälle auf Siedler organisierten. Die Briten reagierten darauf mit der Gründung von Einheiten wie Roberts Rangern.
Genaue Kenntnis von den Grundzügen europäischer Politik und den politischen Verhältnissen waren sicher eher rudimentär, obwohl einige Irokesen wie Joseph Brant in Europa gewesen waren.

Vordergründig dürfte auch für die meisten Europäer vordergründig der Krieg in Europa im Vordergrund gestanden haben. Wobei die globale Dimension des Konflikts durchaus auch von den einfachsten Zeitgenossen erfasst wurde, wie ein Berliner Bäckermeister, der so etwas wie ein Kriegs-Tagebuch führte und darin akribisch die Einnahme von Manila und Havanna vermerkte.
 
Vordergründig standen im Ersten Weltkrieg auch die europäischen Fronten im Fokus. Die Kämpfe in Afrika waren im wahrsten Sinne Nebenkriegsschauplätze.
 
Vordergründig standen im Ersten Weltkrieg auch die europäischen Fronten im Fokus. Die Kämpfe in Afrika waren im wahrsten Sinne Nebenkriegsschauplätze.

Naja, aber die Kämpfe in Kleinasien, an den Meerengen und im Kaukasus nicht unbedingt, insofern das Osmanische Reich eine strategische Schlüsselposition besetzte, von deren Stehen und Fallen maßgeblich abhing, ob die Westmächte im Schwarzmeer-Raum aktiv werden und die unterversorgten russischen Truppen über die Ukraine und Moldau mit Nachschub versorgen konnte, die Transportkapazitäten über Skandinavien und den Fernen Osten waren ja eher begrennzt, so dass das durchaus herausragende strategische Bedeutung mit Rückwirkungspotenntial auf Europa hatte.
 
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