So einfach ist es doch nicht. Ich würde Hindenburg unterstellen, dass ihm mitunter selbst die Entscheidung zwischen dem (aus seiner Sicht) "moralisch Gebotenen" und als "politisch Gebotenen" schwerfiel.
Wie würdest Du den von Hindenburg unterzeichneten und kurz darauf widerrufenen Heeresbefehl vom 24. Oktober 1918 einordnen?
Den würde ich als das einordnen, was er eben ist, eine zügig und von Seiten Hindenburgs widerstandsfrei wiederrufene Order.
Wenn jemand davon schwadroniert lieber auf den eigenen Untergang, zuzusteuern und diesen willentlich in Kauf zu nehmen um dadurch einem "schmählichen" Friedensschluss entgehen zu können, beinhaltet automatisch eine Haltung die davon ausgeht, sich nicht von irgendwelchen Zivilisten ins Handwerk pfuschen zu lassen, denn ein Friedensschluss konnte ja nicht Sache des Militärs, sondern nur der legalen, zivilen Reichsleitung und (zu diesem Zeitpunkt noch) des Kaisers als Souverän sein.
Heißt, wenn er das, was er da von sich gab ernst genommen hätte, wäre ihm gar nichts anderes übrig geblieben, als in Reaktion auf das Kassieren der Order eine Meuterei der Armee gegen die zivile Regierung anzustrengen.
Derlei Versuche unterblieben aber und Hindenburg fügte sich am Ende ohne viel Federlesens und stellte sich darüber hinaus wie gesagt, für die Umsetzung des Waffenstillstands und damit die Schaffung der Grundlagen des Friedens grundsätzlich zur Verfügung.
Das er mitunter zwischen "moralisch geboten" und "politisch geboten" schwankte, dem würde ich durchaus zustimmen. Nur letztendlich entschied er sich für "politisch geboten".
Warum hätte er sich ein halbes Jahr vorher nicht für "politisch geboten" entscheiden sollen? Zumal ein halbes Jahr vorher Kaiser und Dynastie, auf die er immerhin einen Eid geschworen hatte, noch zu retten gewesen wären (wenn auch sicher nicht unbeschädigt), wonach ich hier für Februar '18 kein eindeutiges "politisch geboten" vs. "moralisch geboten" sehe.
Denn wenn man den Halsstarrigen Ehrbegriff des preußischen Offiziers hier anführt, dann gehört der Eid auf den Kaiser auch dazu und den würde er wie gesagt sträflich verletzt haben, wenn er im Februar '18 der Meinung war im Zeitablauf die Niederlage kommen zu sehen und nichts unternahm um das durch einen rechtzeitigen friedensschluss zu verhindern.
Indizien dafür, dass für Hindenburg ein Status-Quo-ante-Frieden oder ein Frieden mit lediglich geringen Veränderungen eine solche, nicht erträgliche Schande gewesen wäre, fehlen mir nach wie vor. Die wären für die inhaltliche Glaubhaftigkeit des Brüning-Zitats, meine ich, aber von ganz entscheidender Bedeutung, denn wenn das nicht gegeben betrachtet werden kann, macht das Unterlassen eines Versuches mit der erreichten Verhandlungsmasse in der Hand zu einem Frieden zu kommen, während gleichzeitig bereits zu diesem zeitpunkt die Niederlage als zukünftig sicher gegeben berachtet wird, überhaupt keinen Sinn.
Letztlich sehe ich zwei Erklärungsmöglichkeiten, warum Hindenburg entsprechende Versuche im Frühjahr 1918 nicht unternahm:
1. Er hielt einen Sieg nach wie vor für möglich und deswegen am Annexionismus fest.
2. Er hielt einen Status-Quo-ante-Frieden oder einen allgemeinen Frieden mit lediglich kleinen territorialen Veränderungen für eine nicht akzeptierbare Schande, trotz der Tatsache, dass er die Niederlage kommen sah.
Ersteres leuchtet mir persönlich da wesentlich eher ein, als letzteres, zumal ich wie gesagt, zum einen keinen Anhaltspunkt dafür sehe, dass Hindenburg ein "zurückauf Anfang" irgendwie als Schande aufgefasst hätte, zweitens, wie mir, wenn es denn so gewesen wäre absolut nicht einleuchten will, warum er das Brüning auf die Nase hätte binden sollen.
Denn wie gesagt, damit hätte er ja nichts geringeres als seinen persönlichen Verrat an Kaiser und Reich zu Gunsten eigener Hybris rund heraus erklärt.
Das wäre vielleicht jemandem, gegenüber der aus der Marineleitung oder der kaiserlichen Generalität kam, und entsprechend ähnlich tickte, noch recht einfach verständlich gewesen, jedenfalls für meine Begriffe.
Brüning aber hat im Krieg Stacheldraht gekaut, wurde mehrfach verwundet, brachte es während des Krieges zwar immerhin zum Subalternoffizier, ließ sich dann aber auch zum Soldatenrat wählen und machte seie politische Karriere in einer der Parteien, die 1917 die Friedensresolution durch den Reichstag gepeitscht hatten, deren Vorsitzender Erzberger im weiteren Verlauf wegen seiner Rolle bei der Aushandlung des Friedens von Rechtsextremisten ermordet wurde und die der Tatsache wegen, dass sie bereit war die Verantwortung dafür mit zu tragen, von rechter Seite her regelmäßig verunglimpft wurde.
Das konnte für Hindenburg kein Gesprächspartner sein, von dem zu erwarten gewesen wäre, dass er eine solche Aussage besonders positiv aufnimmt.
Und angesichts der Tatsache dass diese Inhalte sehr wahrscheinlich geeignet gewesen wären Hindenburgs ansehen in den konservativeren Kreisen zu schaden, immerhin hätte er damit die Revolution und den Verlustfrienden mindestens teilweise auf seine Kappe genommen, erscheint mir das so absolut nicht glaubhaft.