Wie konnte das römische Reich so lange bestehen?

um zurück zum Thema zu kommen:
Es war also im Interesse dieser Elite, dass halbwegs geregelte Verhältnisse herrschten - und daran waren die sicherlich schon aus Eigeninteresse beteiligt. Die dürften sich im Rahmen ihrer politischen Möglichkeiten für geregelte Verhältnisse engagiert haben.
wenn freilich aufgrund von militärischem bzw. sicherheitspolitischem Versagen das Vertrauen in die kaiserliche Macht (Ravenna, Mailand usw) schwand, dann waren diese Eliten durchaus ruckzuck auf der Seite der neuen Machthaber: umso besser, wenn solche "offiziell" auch noch hohe römische Titel hatten. Ob es sich bei solchen neuen Machthabern um abtrünnige römische Militärs (a la Syagrius) oder barbarische Warlords (a la Athaulf, Theoderich, Chlodwig usw) handelte, war den Eliten ziemlich egal, wenn diese Machthaber Stabilität/Sicherheit garantieren konnten. Selbst dort, wo diese Elite den barbarischen Warlords gegenüber eher im Widerstand war, konnte die Situation (Etablierung der Warlords) sie auf die Seite der neuen Machthaber bringen bzw. sie dazu bringen, sich mit diesen zu arrangieren und zusammenzuarbeiten: das zeigt die Biografie von Sidonius Appolinaris.
@Stilicho bzgl der gallischen senatorischen Eliten, die von (West)Rom enttäuscht waren, stimme ich dir für die Zeit ab Mitte des 5. Jhs. zu. Davor, trotz der Barbareneinfälle 406/7, sehe ich noch keine Abkehr der Eliten von (West)Rom. Sie votierten dann und dort (z.B. Britannien) für Usurpatoren/Warlords, wo sie keine Chance mehr für eine Restauration römischer Verhältnisse sahen (Britannien hatte ja die niederschmetternde Auskunft erhalten, man könne sich romseits nicht mehr um sie kümmern...)
--- wo, wann, könnte der Zusammenbruch in dem Sinn, dass die bisherigen Eliten sich abwendeten, gesehen werden? Ich würde ungefähr die Mitte oder das letzte Drittel des 5. Jhs. vorschlagen.
 
Davor, trotz der Barbareneinfälle 406/7, sehe ich noch keine Abkehr der Eliten von (West)Rom.

Der Usurpation durch Konstantin (III.) hatten sich viele galloromanischen Adligen angeschlossen, sie unterstützten anschließend auch Jovinus, der selbst Galloromane war. Im Zuge der Niederschlagung dieser Aufstände kam es zu größeren Säuberungsaktionen im galloromanischen Adel, dem etwa der Prätorianerpräfekt Galliens Decimus Rusticus zum Opfer fiel. Ob dessen Vorgänger Apollinaris, Großvater von Sindonius Apollinaris, ebenfalls Unterstützer von Konstantin, die Angelegenheit überlebte, ist unklar.
Diese Säuberungen führten vor allem Postumus Dardanus und Constantius durch.

Diese Ereignisse datieren etwa 406-413. In der Folge hatte Honorius (und sein general Constantius) vor allem mit den Wisigoten zu schaffen, und trat de Facto das südliche Gallien (Septimanien) 418 an diese ab. Über die Machtposition des Honorius weiter nördlich zu dieser Zeit kann man nur spekulieren

Aetius wurde 426 durch Valentinian III als magister militum per Gallias in Arles eingesetzt. Er führte dort Kampagnen bis nach Westflandern, anscheinend aber schon mit recht begrenzten Mitteln, die weströmische Armee nur noch ein Schatten früherer Größe.

456 gab es noch einmal einen Versuch, mit Avitus einen Galloromanen auf den Thron zu bringen, eingesetzt von den Westgoten.
Er konnte sich aber nicht durchsetzen. Danach löste sich Gallien endgültig von Ravenna.
 
Ich habe immer noch so meine Zweifel, wie freiwillig der Anschluss lokaler Eliten an neue Machthaber tatsächlich war.

Wenn sich ein Warlord (egal ob römischer Usurpator oder Germanenführer) mitsamt Truppen in der Region breit macht, haben die regionalen Eliten im Wesentlichen drei Möglichkeiten:
- Sie können gute Miene machen und sich dem neuen Machthaber anschließen.
- Sie können (unter Aufgabe wesentlicher Teile ihrer Reichtümer) fliehen.
- Sie können dem Machthaber die Anerkennung und Gefolgschaft verweigern, haben dann aber eventuell entsprechende Folgen zu tragen.

Wenn sich die Eliten für die erste Variante entscheiden, sagt das nicht unbedingt etwas über eine (eigenmotivierte) „Abkehr“ der Eliten von Westrom aus.

(In Bürgerkriegen oder auch Grenzkriegen zwischen zwei Staaten finden wir es häufiger, dass manche Städte im umkämpften Bereich mehrmals die Seiten wechseln, je nachdem welche Macht in der Nähe gerade tonangebend ist. Auch daraus würde ich nicht unbedingt auf eine laufend wechselnde „Abkehr“ schließen.)
 
Ich habe immer noch so meine Zweifel, wie freiwillig der Anschluss lokaler Eliten an neue Machthaber tatsächlich war.

Wenn sich ein Warlord (egal ob römischer Usurpator oder Germanenführer) mitsamt Truppen in der Region breit macht, haben die regionalen Eliten im Wesentlichen drei Möglichkeiten:
- Sie können gute Miene machen und sich dem neuen Machthaber anschließen.
- Sie können (unter Aufgabe wesentlicher Teile ihrer Reichtümer) fliehen.
- Sie können dem Machthaber die Anerkennung und Gefolgschaft verweigern, haben dann aber eventuell entsprechende Folgen zu tragen.

Wenn sich die Eliten für die erste Variante entscheiden, sagt das nicht unbedingt etwas über eine (eigenmotivierte) „Abkehr“ der Eliten von Westrom aus.

(In Bürgerkriegen oder auch Grenzkriegen zwischen zwei Staaten finden wir es häufiger, dass manche Städte im umkämpften Bereich mehrmals die Seiten wechseln, je nachdem welche Macht in der Nähe gerade tonangebend ist. Auch daraus würde ich nicht unbedingt auf eine laufend wechselnde „Abkehr“ schließen.)

Was heißt schon freiwillig? Vielleicht eher der Situation geschuldet?
Wenn etwa dieser Warlord Schutz gegen herumvagabundierende Kriegertrupps bietet, Ravenna aber trotz dringender Bitten um Hilfe schweigt, fällt die Entscheidung nicht schwer. Um so eher, wenn dieser Warlord vielleicht noch einen römischen Titel trägt.
Wo sich dann langsam die Frage stellt, wer der "rechtmäßige" Vertreter "Roms" überhaupt ist, und mit welcher Berechtigung.

Aegidius ist doch eigentlich ein schönes Beispiel. Ursprünglich hatte er wohl die Absicht, die römische Herrschaft in Gallien aufrecht zu erhalten. Er war magister militum für Gallien und hielt Gallien im Namen Roms.
Ricimer war allerdings magister miltum praesentalis und patricius, also noch etwas ranghöher, und mit Aegidius verfeindet.

Folgte man nun Rom, wenn man Aegidius folgte, oder folgte man Rom, wenn man Ricimer folgte?
Welche Legitimität hatten denn die Marionetten des Ricimer? Und war Aegidius ein Usurpator?

Und was war der gleichzeitig lebende Franke Childerich? Er hatte vermutlich auch einen römischen Titel als Provinzverwalter in Belgiae.

Kompliziert für lokale Eliten, wem man folgen sollte. Da das Hemd näher ist als die Hose folgte man wohl dem, von dem man am meisten Nutzen erwartete. Und der saß jedenfalls nicht in Ravenna.
 
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