Wie weit in den Alltagleben reichte die Macht der Kirche(n)?

Dion

Aktives Mitglied
Wie die Überschrift des Fadens schon sagt, sollten hier Beispiele aus der Historie für die Macht oder Ohnmacht der Kirchen gesammelt werden, in das Alltagsleben hineinzuregieren. Und weil solche Themen manchen hier auf die Nerven gehen, so sollen sie wissen, dass sie nicht verpflichtet sind, hier mitzuschreiben.

In Hinblick auf kirchliche Ehehindernisse war es ein Risiko, eine Ehe einzugehen, die gegen kirchliches Recht verstieß. Damit konnte man sich nicht nur eine Menge Ärger (bis zur Exkommunikation und einem damit verbundenen Autoritätsverlust) einhandeln, sondern sie wurde damit angreifbar, ebenso der Status von daraus hervorgehenden Nachkommen. Wer in naher Verwandtschaft heiraten wollte, war also gut beraten, sich wenigstens vorab mit den maßgeblichen kirchlichen Autoritäten gutzustellen und sich abzusichern.
Diese Bemerkung in einem anderen Faden hat mich auf die Idee gebracht, mal zu hinterfragen, wie weit der Arm der Kirche(n) früher in den Alltagleben reichte. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass die Kirche sehr viel Einfluss hatte, und wer sich diesem Einfluss widersetzte, schnell mit Exkommunikation rechnen musste.

Wir mächtig die katholische Kirche einst war, zeigt das Beispiel Heinrich VIII. von England: Er musste eine eigene Kirche gründen, um sich dem Machtanspruch Roms zu entziehen.

Jedenfalls denke ich, dass die Kirche bis zur Aufklärung und darüber hinaus* mehr in das Alltagsleben „regierte“ als mancher hier zuzugeben bereit ist. :D

* Klar, es geht in diesem Beispiel nur um die kirchlich geschlossene Ehe(n), die ab dem 12. Jahrhundert wohl verpflichtend waren. Trotzdem ist es interessant, was für Gründe mitunter angeführt wurden und werden, um die Nichtigkeitserklärung der Ehe von der Kirche zu bekommen – Zitat: Italienische Ehen sind zum Beispiel für nichtig erklärt worden, weil der Mann Kommunist war und zugegeben hatte, auch vor dem Altar den Glauben an den historischen Materialismus nie aufgegeben zu haben.
 
Ich stehe auf dem Standpunkt, dass die Kirche sehr viel Einfluss hatte, und wer sich diesem Einfluss widersetzte, schnell mit Exkommunikation rechnen musste.
Das ist ganz allgemein gesagt wohl richtig.

Ein Beispiel aus dem 19. Jh. wäre die geplatzte Heirat der Fürstin Carolyne zu Sayn-Wittgenstein mit Franz Liszt: wir heute hätten an deren Stelle "fein Kuttenmann, es geht auch ohne dich und deinen Verein" gesagt und wären ohne kirchliches Brimborium zum Standesamt. Diese Option hatten die beiden Promis nicht. (Kurioserweise landete obendrein eine zehnbändige Kirchengeschichte der Fürstin auf dem Index)

Allerdings ist die "Macht der Kirche" nicht isoliert zu betrachten: in anderen Kulturen haben andere Religionen mit ihren Institutionen eine vergleichbare "Macht" ins Alltagsleben hinein. In diesem Sinn steht in meinen Augen hinter deiner Fragestellung eigentlich die Frage nach der historische Wirkung von Religionen insgesamt - und diese war überall keine geringe.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mangels Computern funktionierte das hineinregieren nicht wirklich.

Ich nehme an, du meinst Beeinflussen?
 
Grundsätzlich lässt sich die Frage nicht leicht beantworten, je nach sozialen Milieus, Region wird man zu durchaus unterschiedlichen Schlüssen kommen.

Insgesamt aber gab es in vormodernen Zeiten ein relativ hohes Maß sozialer Kontrolle, und die Kirchen verfügten mit Kirchenzuchtordnungen über ein recht wirksames Instrumentarium soziale Kontrolle auszuüben, und die Kirchen spielten zweifellos auch bei dem, was man Sozialdisziplinierung nennt eine bedeutende Rolle.
 
Mir ist wirklich nicht klar, wie man diese Frage beantworten will, beziehungsweise wie aus diesem Faden mehr werden kann als nur eine Sammlung von Anekdoten. Beispiel: Etwa zur selben Zeit, als Ludwig der Bayer von Rom gebannt wurde, musste der Bischof von Besanz in einem Hirtenbrief die Priester seiner Diözese erinnern, die Bauern zu ermahnen, doch wenigstens einmal im Monat am Gottesdienst teilzunehmen. Wird man nun anhand dieser arg konträren Beispiele eine Allmacht der Kirche bejahen oder verneinen?

Ich bin immer noch der Ansicht, dass zumindest Spätantike und Mittelalter in dieser Hinsicht missverstanden werden. Meiner Einschätzung nach spielte der Glaube gerade im Leben einfacher Menschen eine weitaus größere Rolle als die Kirche. Die Macht der Kleriker hing davon ab, welche weltliche Macht ihnen zu Gebote stand.
 
In der Katholischen Kirche waren Kirche, Ortskirche und persönlicher Glaube immer verschiedene Dinge.

Der seelige Bischof Konrad Martin von Paderborn hat während des Kulturkampfs ein Messbuch für Laien herausgebracht, um, wo es keine Geistlichen mehr gab, Gottesdienste symbolisch feiern zu können, Taufen und sogar Eheschließungen zu vollziehen. Als im ersten Weltkrieg polnische Herkunft Misstrauen auslöste, wurde das zum Problem. Es kam, besonders im Ruhrgebiet, zu zahlreichen heimlichen Hochzeiten auf dieser Grundlage. Im Gegensatz dazu tut sich die Kirche heute schwer, solche Lösungen zu finden, obwohl das nicht so falsch gewesen sein kann: Konrad Martin wurde ja immerhin seelig gesprochen.

Als die Cautio Criminalis gegen die Hexenprozesse erschienen, versteckte sich Friedrich Spee zur Sicherheit im Kloster Falkenhagen. Aus Briefen ist seit einiger Zeit bekannt, dass der Jesuitenorden das nicht behinderte, wie früher angenommen, sondern den Autor förderte. Gegenpositionen in der Kirche sind genauso bekannt.

Die Anordnungen selbst von Konzilien wurden oft eher in der Geschwindigkeit von Gletschern umgesetzt. Es sollte nach einem Beschluss des Tridentinums in jeder Gemeinde eine Schule (keine Sonntagsschule, eine richtige Schule) gegründet werden, wenn keine bestand. Das war auch nach 50 Jahren noch nicht überall der Fall.

Und trotz aller Send- und Offizialgerichte, konnte die Kirche kaum etwas wirklich durchsetzen, bevor nicht die Gläubigen überzeugt waren. Es ist doch gut bekannt, wie lange es dauerte, bis alle heidnischen Praktiken verschwanden. Immer wieder zitierte Vorschriften bedeuten auch nicht, dass diese eingehalten wurden.

Erst durch die Glaubensüberzeugung in der Bevölkerung wurde vieles Realität. Ich habe erlebt, wie eine Sterbende bat, dass die Gebete "richtig" gesprochen werden. Damit meinte sie 'auf Latein'.

Mitunter erschien der Papst so machtlos wie heute Papst Franziskus gegen den sog. synodalen Weg, insbesondere, wenn alte Gewohnheiten stillschweigend weiter beobachtet wurden, wie etwa Priesterehen.

Es ist also die Frage, was mit "die Kirche" gemeint ist, um eine Antwort zu finden.
 
Ich weis nicht warum, aber bei so einen Thema fällt mir immer als Erstes das Städtchen Hillsboro im Bundesstaat der USA >Tennessee< ein - „Wer den Wind sät“. Film lief auch in Deutschen Fernsehen.
 
Diese Bemerkung in einem anderen Faden hat mich auf die Idee gebracht, mal zu hinterfragen, wie weit der Arm der Kirche(n) früher in den Alltagleben reichte.
Das hängt von Zeit und Ort ab.
Sofern die Kirche gleichzeitig weltlicher Landesherr war und dessen Möglichkeiten für ihre Ziele in Dienst nehmen konnte, konnte der Arm der Kirche sehr lang sein oder eben auch nicht.

Diese Bemerkung in einem anderen Faden hat mich auf die Idee gebracht, mal zu hinterfragen, wie weit der Arm der Kirche(n) früher in den Alltagleben reichte. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass die Kirche sehr viel Einfluss hatte, und wer sich diesem Einfluss widersetzte, schnell mit Exkommunikation rechnen musste.

Ich hatte es schon einmal angesprochen, etwa die causa Luther zeigt doch, dass das so schnell mit der Exkommunikation nicht ging.
Vom angeblichen Thesen-Anschlag in Wittenberg bis zu Exkommuniktaion und Reichsachte passierte einiges.

Und ob eine Exkommunikation überhaupt irgndwelche Auswirkungen hatte, hängt stark davon ab ob die Autorität der Katholischen Kirche gerade intakt oder durch Querelen, wie irgendwelche Gegenpäpste, amoralisches Verhalten der Amtsträger etc. etc. beschädigt war.

Wir mächtig die katholische Kirche einst war, zeigt das Beispiel Heinrich VIII. von England: Er musste eine eigene Kirche gründen, um sich dem Machtanspruch Roms zu entziehen.
Drücken wir's mal anders aus: Er machte mal eben seine eigene Kirche auf, ohne dass das die Masse der bis dato katholischen Bevölkerung irgendwie gestört hätte.
Die Versuche seiner Nachfolgerin Maria Tudor das wieder zu ändern und England wieder in die katholische Kirche zurück zu führen fanden nicht besonders viel Unterstützung und stießen insgesamt eher auf Widerstand und das gerade einmal eine Geeneration danach.
Offenbar stand die englische Bevölkerung zur Zeit Heinrichs der katholischen Kirche ziemlich gleichgültig gegenüber und dachte überhaupt nicht daran, diese gegen die Angriffe Heinrichs zu verteidigen.
Insofern die katholische Kirche in England keine Veerteidiger fand, wird man sie jedenfalls zu Zeiten Heinrichs mehr oder weniger als de facto machtlos charakterisieren können, denn wer schon niemanden mobilisieren kann um Angriffe auf sich selbst abzuwehren, welche Autorität sollte der noch besitzen?

Jedenfalls denke ich, dass die Kirche bis zur Aufklärung und darüber hinaus* mehr in das Alltagsleben „regierte“ als mancher hier zuzugeben bereit ist.

Das wird von den regionalen Verhältnissen abhängen.

Es gab sichlich relativ kleine Territorien, in denen die Kirche neben ihrer geistlichen Funktion als Landeherr weltliche Macht ausübte und die so übersichtlich waren, dass was dort passierte relativ leicht zu überblicken war und damit Raum zur Einmischung bot.
Es gab genau so auch Territorien, die so dünn besiedelt und so wenig von der Kirche besetzt waren, dass die Bevölkerung vielleicht alle 2-3 Wochen mal einen Geistlichen zu Gesicht bekam, der in den Landgemeinden für die er zuständig war undd die weit auseinander liegen konnten, überhaupt nicht dauerhaft präsent war.

Die meisten Dörfern und kleineren Ansiedlungen verfügten zwar über kleinere Gotteshäuser, die aber lediglich Fillialkirchen einer einzigen Pfarrei waren und sich daher ihren Priester mit der Umgebung teilen mussten.

Es gibt noch auch der Preußischen Zeit, aus dem masurischen Gebiet Beschwerden darüber, dass die Bewohner abgelegerer Ansiedlungen in den Wald- und Heidegebieten mitunter einen Weg von zig Kilometern bis zur nächsten Kirche zurücklegen mussten (geschweigedenn dass die Geistlichen zu ihnen gekommen wären).

Ein weiteres Problem ist, dass Geistliche mitunter auch in Gebieten eingesetzt wurden, deren landestypische Sprache sie überhaupt nicht verstanden oder in gemsichtsprachlichen Gebieten, von denen sie nur einen Teil der Bewohner auch verstanden.

Im Gegensatz zu den Protestantischen Konfessionen, für die das Predigen der Bibel in der jeweiligen Muttersprache essentiell wichtig war, musste ein katholischer Geistlicher zwar die regionale Sprache nicht beherrschen, sondern es genügte, wenn er die Messe in Latein lesen konnte, die Ausübung von sozialer Kontrolle allerdings dürfte da zuweilen durch Sprachbarrieren ziemlich schwierg gewesen sein, weil die Gemeinde dann Weisungen ihres Geistlichen überhaupt nicht verstand und auch Schwierigkeiten gehabt haben dürfte diesem Verfehlungen einzelner Mitglieder übeerhaupt deutlich zu machen.


Lebte man irgendwo im Süden oder Westen des Heiligen Römischen Reiches auf dem überschaubaren Territorium, einer geistlichen Herschaft, sagen wir dem Stiftsterritorium von Corvey, wo die Geistlichkeit die weltliche Kontrolle hatte und es auch genug Geitliche gab, um die Bevölkerung einigermaßen zu durchdringen, wird ein entsprechendes Maß an Kontrolle vorhanden gewesen sein.
Lebte man irgendwo in den abgelegenen Kolonisationsgebieten Masurens oder Kleinlitauens, wo man sich mit 10 räumlich weit auseinanderliegenden Kleinstsiedlungen einen Pfarrer teilte, oder wo die nächstgelegene Kirche 30 km von Wohnort lag und allenfalls alle 2-3 Wochen mal besucht wurde und das in einem Territorium, wo bei der Bevölkrung sprachlich Deutsch, Polnisch und Altprussisch oder Deutsch Altprussisch und Litauisch wild durcheinander gingen, der Geistliche aber nur eine dieser Sprachen beherrschte, dürfte die soziale Kontrolle durch die Kirche gegen Null tendiert haben, obwohl es sich um ein Territorium handelte, in dem die Kirche gleichzeitig die weltliche Obrigkeit stellte.

Die Meisten Menschen werden in Verhältnissen irgendwo dazuwischen gelebt haben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mir ist wirklich nicht klar, wie man diese Frage beantworten will, beziehungsweise wie aus diesem Faden mehr werden kann als nur eine Sammlung von Anekdoten.
Mag sein, dass der eine oder andere den Faden als eine Sammlung der Anekdoten missversteht, aber meine Absicht ist eine andere: Die Macht und Ohnmacht der Kirchen in der Vergangenheit zu untersuchen und das natürlich auch zu belegen –möglichst auf den europäischen Raum beschränkt.

Allerdings ist die "Macht der Kirche" nicht isoliert zu betrachten: in anderen Kulturen haben andere Religionen mit ihren Institutionen eine vergleichbare "Macht" ins Alltagsleben hinein.
Das ist zweifellos richtig, aber das sollte nicht unser Anliegen sein, weil sonst dieser Faden durch die Vielzahl der Beiträge gesprengt würde.

Deswegen sollte man hier ohne Verweise auf andere Religionen auskommen, dies auch, weil deren Einfluss in Europas Vergangenheit kaum eine Rolle spielte.

Grundsätzlich lässt sich die Frage nicht leicht beantworten, je nach sozialen Milieus, Region wird man zu durchaus unterschiedlichen Schlüssen kommen.
Ja, das ist sehr wahrscheinlich, aber das soll uns nicht abschrecken, das Wesentliche herauszuarbeiten.

Die Anordnungen selbst von Konzilien wurden oft eher in der Geschwindigkeit von Gletschern umgesetzt. Es sollte nach einem Beschluss des Tridentinums in jeder Gemeinde eine Schule (keine Sonntagsschule, eine richtige Schule) gegründet werden, wenn keine bestand. Das war auch nach 50 Jahren noch nicht überall der Fall.
Natürlich nicht, denn damals mussten Kinder auf den Feldern mitarbeiten. Trotzdem hat dieser Beschluss des Konzils etwas bewirkt: Die Schulen der Jesuiten, die bis heute hervorragenden Ruf besitzen. Der Sinn hinter dem Beschluss war – Zitat: Die von den Jesuiten gegründeten Schulen und Universitäten sollten gewährleisten, dass kommende Generationen fest verwurzelt im katholischen Glauben heranwuchsen – modern ausgedrückt, sicherten sie sich damit langfristig die kulturelle Hegemonie.

Das war eine der Antworten der katholischen Kirche auf die Reformation.

Immer wieder zitierte Vorschriften bedeuten auch nicht, dass diese eingehalten wurden.
So generell kann man das nicht sagen, denn es gab solche und solche. Und was das Volk daraus machte, ist wieder eine andere Sache.

Beispiel: Beichte. Es gab schon im Frühchristentum eine Art öffentliche Beichte, aber erst der Papst Innozenz III. verpflichtete alle Gläubigen, mindestens einmal im Jahr bei einem Priester zu beichten, sonst drohte die Exkommunikation (und ewige Verdammnis), und man verlor das Recht, im heiligen Boden begraben zu werden. Erst danach entstanden Handbücher, in denen Sündenregister bis ins Detail kategorisiert wurden – mit entsprechendem Bußkatalog wie z.B. Fasten, Schlafentzug, Pilgerreisen. Das wurde immer umfangreicher, bis der oben erwähnte Tridentinische Konzil Beichtzettel vorschrieb, mit dem man nachweisen musste, die Beichte absolviert zu haben.

Aber nicht genug damit, der Papst Pius X. ordnete Anfang des 20. Jahrhunderts an, dass man nicht mehr nur ein oder zwei Mal im Jahr beichten sollte, sondern wöchentlich. Gleichzeitig senkte er das Beichtalter auf 7 Jahre herab, das bis heute gilt, was möglicherweise zu einer Sexualisierung der Kinder führte, denn die Kinder in diesem präpubertären Alter interessieren sich gewöhnlich nicht für sexuelle Dinge, wurden aber in der Beichte durch entsprechende Fragen darauf aufmerksam gemacht.

Als Reaktion darauf wurde bei der Beichte gelogen, denn was kann man schon als Kinde oder auch als Erwachsener in einer Woche an „Sünden“ ansammeln?
 
Deswegen sollte man hier ohne Verweise auf andere Religionen auskommen, dies auch, weil deren Einfluss in Europas Vergangenheit kaum eine Rolle spielte.

Bei allem Respekt, eine Thematik, die den "Einfluss der Kirche(n)" auf das Privatleben in Europa in der Vergangenheit herausarbeiten will, wird ohne weiteres ausufern, da reden wir über Potentiell an die 2.000 Jahre Geschichte eines ganzen Kontinents und Gegebenenfalls noch leicht darüber hinaus, wenn man bedenkt, dass es gar nicht so einfach ist Europa in Süden und Osten überhaupt abzugrenzen.
Das soll jetzt kein Plädoyer dafür sein, hier noch andere Dinge hereinzunehmen, sondern eher ein Hinweis darauf, dass weitere Eingrenzungen des Themas sinnvoll wären, um das methodisch einigermaßen fassen zu können.

Natürlich nicht, denn damals mussten Kinder auf den Feldern mitarbeiten.
Feldarbeit ist saisonale Arbeit, mit Schwerpunkten in der Saat- und Erntezeit, während in anderen Phasen des Jahres auf dem Feld nicht viel Arbeit anfiel (dafür bei diversen Reparaturtätigkeiten, beim Viehhüten etc.).
Unterricht von Kindern dürfte weniger an dem Problem gescheitert sein, die Kinder zeitweise von der Arbeit entlasten zu können, als viel mehr an Mangel an Lehrpeersonal, Räumlichkeiten, zu langen Wegen und Kosten für Lehrmittel, so wie Mittel für den Unterhalt von Lehrern.

Das sind im Übrigen Problematiken, die in Teilen Europas trotz Einführung von Schulpflicht bis ins 19. Jahrhundert bestehen bleiben.

Nun natürlich ging es dabei um die kulturelle Hegemonie und die durchsetzung eigener Lesarten.
Das ändert allerdings nichts an der Kernaussage, die durchaus richtig ist, nichts, nämlich dass es mitunter exrem lange dauern konnte Strukturen zu schaffen und eigene Ansichten durchzusetzen.

So generell kann man das nicht sagen, denn es gab solche und solche. Und was das Volk daraus machte, ist wieder eine andere Sache.

Generell lässt sich sagen, dass das andauernde Ermahnen zum Einhalten bestimmter Regeln ein Indiz dafür ist, dass es die Ermahnten damit in der Regel eher nicht so genau nehmen, sonst wäre ja das gebetsmühlenartige Widerholen ganz unnötig.

Es gab schon im Frühchristentum eine Art öffentliche Beichte, aber erst der Papst Innozenz III. verpflichtete alle Gläubigen, mindestens einmal im Jahr bei einem Priester zu beichten, sonst drohte die Exkommunikation (und ewige Verdammnis), und man verlor das Recht, im heiligen Boden begraben zu werden
Mit dem entscheidenden Unterschied allerdings, das die von Innozenz III. eingeforderte Beichte keine Öffentliche mehr war.
Ich sehe auch nicht den übermäßigen Einfluss auf das Alltagsleben, in der Handlung einmal im Jahr dazu verpflichtet zu werden, 2 Minutenlag irgendwelche Fehler, die man gemacht hat zu resümieren und dann zur Buße 3 Vaterunser zu beten oder etwas in der Art.

Es ist natürlich irgendwo ein Übergriff auf die eigene Lebensgestaltung, allerdings fehlt bei einmal im Jahr irgendwo der Alltagscharakter.

Erst danach entstanden Handbücher, in denen Sündenregister bis ins Detail kategorisiert wurden – mit entsprechendem Bußkatalog wie z.B. Fasten, Schlafentzug, Pilgerreisen. Das wurde immer umfangreicher, bis der oben erwähnte Tridentinische Konzil Beichtzettel vorschrieb, mit dem man nachweisen musste, die Beichte absolviert zu haben.

Ja, aber was waren die tatsächlichen Konsequenzen für den Alltag der Bevölkerung? Dadurch die Bevölkerung zu verpflichten einmal im Jahr zu dieser Veranstaltung zu erscheinen, sich 5 Minuten lang was aus dem Finger zu saugen, anschließend nen halben Tag lang irgendein ausgelutschtes Bußritual zu vollziehen und dann ein Jahr lang Ruhe vor dem Unsinn zu haben, war keine permanente Auswirkung.

Auch brachte das der Kirche ihrem tatsächlichen Ziel nicht näher, die Gläubigen dazu zu bewegen sich mit etwaigen Verstößen an die Geistlichkeit zu wenden und das abzuleisten.
Das ließ sich aber nicht erreichen, wenn die Bevölkerung das nicht ernst nahm, und dann halt pflichtschuldig einmal im Jahr antrat um der Glaubwürdigkeit halbeer einee Hand voll Bagatllen zu erfinden, ihr Bußritual hinteer sich zu bringen und dass alles danach schnell wieder zu vergessen.

Aber nicht genug damit, der Papst Pius X. ordnete Anfang des 20. Jahrhunderts an, dass man nicht mehr nur ein oder zwei Mal im Jahr beichten sollte, sondern wöchentlich.
Ja, er ordnenete das an. Gleichzeitg, war aber die Machtposition der katholischen Kirche selbst in eindeutig katholischen Ländern wie Frankreich, Italien oder Belgien längst gebrochen und eine Exkommunikation stellte für niemanden mehr eine existenzielle Bedrohung dar, weil der Kirche jeder Zugriff auf die weltliche Macht längst entzogen war.
Insofern war das Schlimmste, was einem bei Exkommunikation jetzt noch drohen konnte, von den Nachbarn schief angesehen zu werden oder sofern vorhanden der Verlust eines Arbeitsplatzes, wenn man in irgendeiner Einrichtung arbeitete, die direkt der katholischen Kirche bestand, dass war es dann aber.

Schaut man sich die Entwicklung der Beichte an, wie du sie skizzierst, hielt sich die Zumutung von Verpflichtungen dazu so lange in Grenzen, wie die katholische Kirche reale Macht hatte.
Der Anspruch wirklich in den Alltag hinein zu regieren, kam hier erst in dem Moment auf, in dem die Kirche das gar nicht mehr konnte, weil ihr die Möglichkeit jeder effektiven Sanktionierung abhanden gekommen war.

So lange die Kirche es wirklich noch in der Hand hatte mit brutalen Strafpraktiken zu operieren, hielt sich die Einmischung qua Vorschrift hier in so geringen Grenzen, dass sie nicht beanspruchte den Alltag der Bevölkerung zu gestalten, als sie Begann diesen Anspruch zu erheben, konnte sie nicht mehr effektiv strafen, sondern nur noch darauf setzen, dass sich die Gläubigen auch ohne Strafmaßnahmen daran halten würden.
 
Die Macht und Ohnmacht der Kirchen in der Vergangenheit zu untersuchen und das natürlich auch zu belegen –möglichst auf den europäischen Raum beschränkt.
Und auch das ist ein riesig umfangreiches Thema!

Im zerbröselnden römischen Westreich übernahm die Kirche administrative Aufgaben (teils weil die vormals römischen Behörden ausgefallen waren, teils weil sich niemand zuständig fühlte, teils weil ihre Spitzenämter von gebildeten Nachfahren des römischen Senatorenadels besetzt waren) und übte damit einen ordnenden, erhaltenden Einfluss auf das Gros der ortsansässigen Bevölkerung aus - und profitierte natürlich in dieser administrativen Funktion, man denke an die zahllosen Schenkungen. So wuchs ihre quasi behördliche Machtstellung und sie wurde seitens der kriegerischen Mächtigen in dieser Funktion benötigt. Bildung, Skriptorien, Notariate etc waren seit dem Frühmittelalter klerikal besetzt.
Dabei war es ihr jahrhundertelang nicht möglich, verschiedene Sitten, Anschauungen, Moralvorstellungen, die ihren Regeln nicht entsprachen, sofort einzudämmen: man denke an Blutrache und "Vielweiberei" in merowingischer und karolingischer Zeit (diese "Bräuche" wie auch der rüde Ehrencodex des Kriegeradels dürfte teilweise heidnischen Ursprungs sein, wir finden bis in die hochmittelalterliche Epik einen Nachhall, z.B. in Gestalt des im literarischen Textnegativ konnotierten, im Kriegeradel zwiespältig bewunderten "Recken", dessen Wertorientierungen den verteufelten Nordmännern ähnlicher als den Bischöfen waren) ;)
Man kann sicher nicht von einem kirchlichen Masterplan ausgehen, der ungefähr parallel zur Reichsteilung ausgebrütet worden wäre a la "der Papst erteilt den Ukas Jungs, die ganze Chose geht den Bach runter, also machen wir uns die nächsten Jahrhunderte unentbehrlich" denn schon in der späten römischen Kaiserzeit war "die Kirche" als Staatsreligion zur zweiten Verwaltungsebene geworden: und in den folgenden wirren Zeiten mit wechselnden Herren war sie damit befasst, ihre Position zu halten.
Kurzum: dass die Kirche eine politisch-administrative Machtstellung im Frühmittelalter hatte, daran festhielt und eo ipso einflussreich war, das war gleichsam historisch gewachsen aus der späten "Römerzeit".

Wenn man sich also wundert, warum im 18. und 19. Jh. die Religion in Europa so gegenwärtig, einflussreich war: das war seit über 1000 Jahren so gewachsen.
 
Bildung, Skriptorien, Notariate etc waren seit dem Frühmittelalter klerikal besetzt.
Im Westen war diese Stellen auch schon früher durch Kleriker besetzt, aber im Osten verblieb die Administration des Reiches noch lange in den Händen von Laien, die extra für den Staatsdienst ausgebildet wurden. Ich halte dies für einen der wesentlichen Gründe, warum das oströmische Reich 1000 Jahre länger bestand als das weströmische.

Dabei war es ihr jahrhundertelang nicht möglich, verschiedene Sitten, Anschauungen, Moralvorstellungen, die ihren Regeln nicht entsprachen, sofort einzudämmen:
Nun, wie in diesem Forum schon gesagt wurde, ist Rom im Frühmittelalter fast zu einem Dorf verkommen, die Macht der Päpste beschränkte sich wohl nur noch auf Selbsterhalt. Aber im Hochmittelalter änderte sich das, was man u.a. auch an dem Investiturstreit sehen kann, den die Kirche gewann. Erst mit diesem Machtzuwachs konnte sie sich der Verfolgung und der Vernichtung der Andersdenkenden zuwenden, was sich ab Innozenz III. und IV. und weiteren Päpsten und Konzilen in einer Reihe von Bullen äußerte. Da wurden Bischöfe angehalten durch ihre Diözesen zu reisen und Ausschau nach Häretikern halten, zu denen auch Hexen gehörten. Es wurde Inquisition* eingeführt und deren Verhörmethoden nach und nach verschärft, wobei sich die Inquisitoren gegenseitig die Absolution erteilen konnten, wenn ihnen bei der Folter jemand starb.

dass die Kirche eine politisch-administrative Machtstellung im Frühmittelalter hatte, daran festhielt und eo ipso einflussreich war, das war gleichsam historisch gewachsen aus der späten "Römerzeit".
Alles richtig, was du schreibst: Die Kirche war Staat im Staate, was zumindest in Deutschland teilweise immer noch ist. Das Personal der Kirche war seit der Römerzeit sowohl für die kirchlichen als auch für Angelegenheiten des Reiches zuständig – Ausnahme: Ostrom. Und weil der Mensch kaum Diener zwei Herren sein kann, hatte der eine mehr auf Reichsangelegenheiten geachtet, und der andere mehr auf kirchliche, wobei man sagen kann, dass mit der zunehmenden Dauer auf die letzteren mehr Gewicht gelegt wurde.

Aber auch du hast sicher mitbekommen, dass einige hier diese Macht negieren bzw. kleinreden. Auch deshalb habe ich diesen Faden eingerichtet.

* Inquisition war bis zur Aufklärung sehr mächtig. Die Anfänge reichen in das 13. Jahrhundert zurück, doch erst im 16. Jahrhundert wurde daraus im Rom förmlich eine höhere Behörde eingerichtet: „Sacra Congregatio Romanae et universalis Inquisitionis“. Anfang der 20. Jahrhundert änderte man den (als kontaminiert geltenden) Namen in „Heilige Kongregation des Heiligen Offiziums“, dann 1964 in „Heilige Kongregation für die Glaubenslehre“, um 2022 in „Dikasterium für die Glaubenslehre“ erneut umbenannt zu werden. Das nenne ich Verwischung der Spuren, denn nichts mehr sollte an die einstige blutige, aber dennoch heilig genannte Inquisition erinnern.

Namensänderungen waren und sind in Mode, wenn es gilt, sich des (unangenehmen) historischen Erbes zu entledigen – siehe SED, PDS, Linke. :D
 
Nun, wie in diesem Forum schon gesagt wurde, ist Rom im Frühmittelalter fast zu einem Dorf verkommen, die Macht der Päpste beschränkte sich wohl nur noch auf Selbsterhalt.
das halte ich für etwas übertrieben und verkürzt dargestellt.
Völlig macht- und einflusslos war z.B. Papst Gregor der Große nicht. Und Karl der Große hätte im Fall völlig bedeutungsloser Bischöfe in Rom nicht auf seine Krönung durch Leo III Wert gelegt. Der Zoff darüber, ob der Patriarch von Byzanz oder der Bischof von Rom das Oberhaupt der Kirche sei, hielt bis zum Schisma an, was nicht der Fall gewesen wäre, wenn der Bischofsitz in Rom in Bedeutungslosigkeit gedümpelt hätte --- soweit nur ein paar Stichworte dazu.
 
Ich halte dies für einen der wesentlichen Gründe, warum das oströmische Reich 1000 Jahre länger bestand als das weströmische.

Wäre ja nett, wenn du deine steilen Thesen nicht nur am Fließband heraushauen, sondern sie hin und wieder auch mal unterfüttern oder wenigstens näher erklären würdest, so dass man dem Gedankengang folgen könnte.

Nun, wie in diesem Forum schon gesagt wurde, ist Rom im Frühmittelalter fast zu einem Dorf verkommen, die Macht der Päpste beschränkte sich wohl nur noch auf Selbsterhalt.
Dieses Fast-Dorf war gemessen an den Einwohnerzahlen der meisten europäischen Siedlungen noch immer eine Metropole, wenn auch sicherlich nicht mehr mit dem vergleichbar, was es in den Glanzzeiten des römischen Reiches mal gewene war und das mit dem Selbsterhalt ist denn auch ein wenig tiefgestapelt, mindestens in Mittelitalien war da durchaus noch reale Macht vorhanden.

Aber im Hochmittelalter änderte sich das, was man u.a. auch an dem Investiturstreit sehen kann, den die Kirche gewann.
Wo hat die Kirche den Investiturstreit eindeutig für sich entschieden? Das einzige greifbare Ergebnis des Investiturstreits ist, dass weder Kaiser noch Papst ihre Maximalpositionen durchsetzen konnten und das Ansehen beider Institutionen durch die ganze Sache Schaden nahm.
Mit der getrennten Investitur der Bischöfe in das geistliche Amt und die weltlichen Lehen, war man am Ende im Grunde genommen wieder da, wo man bereits vor dem Investiturstreit stand, nämlich bei der Notwendigkeit eines Kompromisses, was die Ernennung von Bischöfen betrifft.

Erst mit diesem Machtzuwachs konnte sie sich der Verfolgung und der Vernichtung der Andersdenkenden zuwenden, was sich ab Innozenz III. und IV. und weiteren Päpsten und Konzilen in einer Reihe von Bullen äußerte.
Sie äußerten das, real ausrichten konnten sie ohne dass ihnen die weltliche Macht dabei zur Seite stand allerdings nicht.
Die Zeit der beiden Innozenze ist in etwa diejenige, in der die Katharer und Waldenser auftraten, gegen beide war die Kirche allein ziemlich machtlos.
Den Katharern in Okzitanien ging es erst an den Kragen, als die Könige von Aragón und Frankreich dem Toulouser Grafen auf die Pelle rückten und die taten das nicht, weil die Kirche es gerne so wollte, sondern weil es eine Möglichkeit zur Erweiterung des eigenen Machtbereiches war.
In den Lombardischen und anderen Norditalienischen Städten, hielten sich, Inquisition hin oder her mindestens die Waldener noch eine ganze Zeit lang.
In einigen Tälern in den Westalpen gibt es diese Gruppe noch heute:

Waldensertäler – Wikipedia

Will heißen, die Katholische Kirche und alle inquisitorischen Maßnahmen waren nicht einmal hinreichend um den Katholizismus im Hinterhof des Papstes in Norditalien rigoros durchzusetzen.

Da wurden Bischöfe angehalten durch ihre Diözesen zu reisen und Ausschau nach Häretikern halten, zu denen auch Hexen gehörten.
Joa und so ein einzelner Bischof wird sicher auch sehr viel geschafft haben.

Es wurde Inquisition* eingeführt und deren Verhörmethoden nach und nach verschärft, wobei sich die Inquisitoren gegenseitig die Absolution erteilen konnten, wenn ihnen bei der Folter jemand starb.

Da solltest du allerdings vielleicht dazu setzen, dass die Inquisition keine Spezialistentruppe war, die sich mit Dingen befasste, in die sich die weltliche Gerichtbarkeit nicht eingemischt hätte, dafür in ihrer Tendenz allerdings weniger willkürlich war, da sie wenigstens über den Vorläufer einer Prozessordnung verfügte, was bei der weltlichen Gerichtbarkeit mitunter nicht vorhanden war.
Insofern tat zumindest die römische Inquisition eigentlich nichts neues, worauf nicht die weltlichen Herren und Gerichtbarkeiten schon längst ohne sie gekommen wären.
Bei der spanischen Inquisition mag das etwas anders aussehen, die allerdings wirkte durchaus nicht in ganz Europa.

Aber auch du hast sicher mitbekommen, dass einige hier diese Macht negieren bzw. kleinreden. Auch deshalb habe ich diesen Faden eingerichtet.

Als negierender Kleinredner möchte ich sagen, dass mich dein neuestes Postulat, die Katholische kirche habe den Untergang des Weströmischen Reiches herbeigeführt, sehr erheitert.
Aber meinst du, dass ist der richtige Inhalt für ein Geschichtsforum?
 
Zuletzt bearbeitet:
Wie massiv die Kirche in das Alltagsleben der Menschen eindrang, wird auch in einem vielbeachteten Science-Artikel aus dem Jahr 2019 deutlich: J. Schulz, D. Bahrami-Rad, J.P. Beauchamp, J. Henrich (Harvard), The church, intensive kinship, and global psychological variation.

Da wird argumentiert und mit einer ganzen Menge Empirie untermauert, dass das von der Kirche in Früh- und Hochmittelalter extensiv ausgelegte Inzestverbot bis heute Folgen für die sozialen Einstellungen in den damals von der Kirche dominierten Gesellschaften hat. Das Argument geht so: Um die Stabilität der christlichen Reiche gegen Sippen- und Clanverbände zu stützen, wurden Verwandtenheiraten untersagt. Als verwandt galten zum Teil Personen, die in der siebten Generation gemeinsame Vorfahren hatten. Damit, so die Autoren, gelang es der Kirche, sippenorientierte Loyalitäten stark zurückzudrängen. Übrig blieb die Kleinfamilie als soziales Zuhause der Menschen. Dabei schrecke die Kirche auch nicht vor Angriffen auf alte Bräuche wie arrangierte Heiraten zugunsten von durch das Brautpaar selbst gewählte Verbindungen zurück.
Eine langfristige Folge der Begrenzung von Verwandtenheiraten war, dass die Nachfahren auch heute noch bersonders individualistisch denken, weil tradierte Denkmuster, die sich sonst häufig durch den Einfluss der Großfamilien in den Köpfen festsetzen, geringere Bedeutung haben. Andererseits werden Leute, mit denen man nicht verwandt ist, in diesen individualistischen Gesellschaften als weniger fremd und bedrohlich wahrgenommen, weil es (über die Kleinfamilie und persönliche Freunde hinaus) keine größeren Gruppen wie Clans oder Sippen gibt, denen, anders als den Fremden, Vertrauen geschenkt wird. Dabei kommt ein Menschentyp auf, der nur als"weird" zu bezeichnen ist: "Western, educated, industrialized, rich, democratic".
Zur empirischen Untermauerung nur ganz rudimentär: Es wird gezeigt, dass in Gesellschaften, die im Mittelalter lange unter dem Einfluss der Kirche standen, Verwandtenheiraten auch heute noch seltener sind. Dann wird gezeigt, dass in Gesellschaften mit wenigen Verwandtenheiraten der "Weird"-Typus verbreiteter ist. Und auch dirket gilt, dass dieser Typus dort verbreitet ist, wo Menschen leben, deren Vorfahren im Mittelalter unter den deformierenden Eingriffen der Kirche in ihr Alltagsleben zu leiden hatten.
 
Die Auflösung des Sippendenkens hatte wohl eher damit zu tun, dass die Lehen und einige Ämter erblich wurden.

Was den Untergang des Römischen Reichs angeht, wird das Christentum schon von Gibbons und seitdem immer mal wieder als Ursache benannt. So abwegig ist das also nicht.
 
Drücken wir's mal anders aus: Er machte mal eben seine eigene Kirche auf, ohne dass das die Masse der bis dato katholischen Bevölkerung irgendwie gestört hätte.
Die Versuche seiner Nachfolgerin Maria Tudor das wieder zu ändern und England wieder in die katholische Kirche zurück zu führen fanden nicht besonders viel Unterstützung und stießen insgesamt eher auf Widerstand und das gerade einmal eine Geeneration danach.
Offenbar stand die englische Bevölkerung zur Zeit Heinrichs der katholischen Kirche ziemlich gleichgültig gegenüber und dachte überhaupt nicht daran, diese gegen die Angriffe Heinrichs zu verteidigen.
Man muss aber bedenken, dass sich zunächst nicht viel änderte. Heinrich machte sich selbst zum Kirchenoberhaupt, aber größere inhaltliche Reformen folgten erst allmählich.
Außerdem gab es sehr wohl Widerstand: Pilgrimage of Grace – Wikipedia
 
Man muss aber bedenken, dass sich zunächst nicht viel änderte. Heinrich machte sich selbst zum Kirchenoberhaupt, aber größere inhaltliche Reformen folgten erst allmählich.
So weit ich mich erinnere wurden unter anderem unter Heinrich bereits die Klöster aufgelöst und deren Vermögen eingezogen etc.

Es gab in ganz England einige tausend Aufständische ja, unbestritten. Aber davon, dass die Bevölkerung en gros rebelliert hätte und bereit gewesen wäre sich Heinrichs Griff nach den Kirchengütern entgegenzustellen, kann keine Rede sein.
Und diejenigen, die tatsächlich den Aufstand probten ließen sich letztendlich mit einigen Zugeständnissen abspeisen.

Ich würde meinen, fanatische Loyalität zur Kirche und sehr weit reichende Möglichkeiten der Kirche die Bevölkerung vermittels Zwingmitteln zu allen möglichen Verhaltensweisen zu bewegen, wie Dion sich das vorstellt, würden anders aussehen.
 
Zurück
Oben