dekumatland
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Ein Zitat aus dem Roman "Der Zauberberg" von Thomas Mann, 1924 erschienen, 1912-14/15 und 1920-23/24 geschrieben.
Das Zitat ist aus dem 7. Kapitel, Abschnitt "die große Gereiztheit", also gegen Ende des Romans.
Die erzählte Zeit des Romans sind die sieben Jahre 1907-14 vor dem Ersten Weltkrieg, mit dem Beginn des Kriegs endet der Roman.
Der Roman spielt in einem Lungensanatorium in Davos, dessen internationale Kundschaft sich einzig aus sehr wohlhabenden Schichten rekrutiert; die mondäne upper class der späten Jugendstilzeit. Es sind also nicht die dörflichen Verhältnisse in der Provinz, sondern quasi der Jetset. Bzgl. des Themas hier ist zuerst interessant, dass der Begriff "Antisemitismus" in diesem literarischen Text von 1924 (!) auftaucht, und das durchaus in einem Sinn, welcher über den Antijudaismus des 19. Jhs. hinausgeht. Dieser offenbar gesellschaftsfähige Antisemitismus des frühen 20. Jhs. ist eine der widersprüchlichen Komponenten der späten Jugendstilzeit. Diese rassistische Ablehnung manifestierte sich in der Zeit von 1890 bis in die Weimarer Republik: der dt.-österr. Alpenverein machte einen Ariernachweis zur Voraussetzung der Vereinsmitgliedschaft, antisemitische Publikationen jeglicher Couleur waren nicht verboten, sondern fanden Absatz, die Nordseebäder (Bäderantisemitismus) boomten und warben mit "Juden unerwünscht" usw usw - - dieses Klima ist der Hintergrund des Romans. Das Zitat ist die einzige längere Textstelle, welche auf den rassistischen Antisemitismus zu sprechen kommt (und ihn implizit als negativ wertet), aber nicht die einzige: in einem vermeintlich harmlosen Gespräch zwischen dem Protagonisten Hans Castorp und seinem Vetter, dem Offiziersanwärter Joachim Ziemßen, äußert letzterer sein Unbehagen über den Jesuiten (sic) Leo Naphtha mit der Begründung, dieser sei "so miekrig wie alle Semiten".
Thomas Mann fabuliert offensichtlich nicht ins Blaue hinein, sondern flicht sehr präzise allerlei Zeitumstände in seinen großen Zeitroman ein. In diesem Sinne ist die oben zitierte Textstelle eine typisierende, zusammenfassende Quelle für das, worauf man sich - ganz offenbar in der kultivierten mondänen Upperclass in nicht kleinen Anteilen auch - ab 1933 und später aufbauend stützen konnte! Man kann von einem schon rassistisch eingestellten Antisemitismus im Zeitraum 1900-1924 im deutschsprachigen Raum, in Frankreich (Dreyfusaffäre) und Russland sprechen (das Wort Pogrom stammt aus dem russischen; Artur Rubinstein als Teilnehmer am Tschaikowski-Wettbewerb kurz vorm Ersten Weltkrieg durfte als Jude nicht im Stadtgebiet von Moskau untergebracht werden, er musste sehr weite Wege von Unterkunft zum Konservatorium in kauf nehmen)
noch zum Text: es wird sehr raffiniert changierend erzählt, man darf nicht glauben, dass jeder Satz die Meinung oder Haltung des auktorialen Erzählers oder gar des Autors wiedergibt. In feinen Abstufungen wechselt Mann zwischen personalem auktorialen Erzähler ("wir wollen die Geschichte von Hans Castorp erzählen"), perspektivischem Erzählen, erlebter Rede und Bewußtseinsstrom hin und her, oftmals auch in einem einzigen Satz - kurzum ist der Text sehr trickreich erzählend. "jedoch war er kein Jude, und das war das Positive an ihm" ist kein Erzählerkommentar, sondern die Perspektive der Figur Wiedemann.
Das Zitat ist aus dem 7. Kapitel, Abschnitt "die große Gereiztheit", also gegen Ende des Romans.
Die erzählte Zeit des Romans sind die sieben Jahre 1907-14 vor dem Ersten Weltkrieg, mit dem Beginn des Kriegs endet der Roman.
Die Vorschau verkleinert zitierte Texte gern, sodass man diese erst anklicken muss, um sie vollständig zu lesen - ich habe ein paar Sätze durch Unterstreichung markiert, weil sie als aufschlußreich für das in diesem Faden diskutierte Thema sind.Ein Mann trat in die Berghofgemeinschaft ein, ein ehemaliger Kaufmann, dreißigjährig, schon lange febril, seit Jahren von Anstalt zu Anstalt gewandert. Der Mann war Judengegner, Antisemit, war es grundsätzlich und sportsmäßig, mit freudiger Versessenheit, - die aufgelesene Verneinung war Stolz und Inhalt seines Lebens. Er war ein Kaufmann gewesen, er war es nicht mehr, er war nichts in der Welt, aber ein Judenfeind war er geblieben. Er war sehr ernstlich krank, hustete schwer beladen und tat zwischendurch, als ob er mit der Lunge nieste, hoch, kurz, einmalig, unheimlich. Jedoch war er kein Jude, und das war das Positive an ihm. Sein Name war Wiedemann, ein christlicher Name, kein unreiner. Er hielt sich eine Zeitschrift, genannt »Die arische Leuchte«, und führte Reden wie diese:
»Ich komme ins Sanatorium X. in A . . . Wie ich mich in der Liegehalle installieren will, - wer liegt links von mir im Stuhl? Der Herr Hirsch! Wer liegt rechts? Der Herr Wolf! Selbstverständlich bin ich sofort gereist« usw.
»Du hast es nötig!« dachte Hans Castorp mit Abneigung.
Wiedemann hatte einen kurzen, lauernden Blick. Es sah tatsächlich und unbildlich so aus, als hinge dicht vor seiner Nase eine Puschel, auf die er boshaft schielte und hinter der er nichts mehr sah. Die Mißidee, die ihn ritt, war zu einem juckenden Mißtrauen, einer rastlosen Verfolgungsmanie geworden, die ihn trieb, Unreinheit, die sich in seiner Nähe versteckt oder verlarvt halten mochte, hervorzuziehen und der Schande zuzuführen. Er stichelte, verdächtigte und geiferte, wo er ging und stand. Und kurz, das Betreiben der Anprangerung alles Lebens, das nicht den Vorzug besaß, der sein einziger war, füllte seine Tage aus. Die inneren Umstände nun, mit deren Andeutung wir eben
befaßt sind, verschlimmerten das Leiden dieses Mannes außerordentlich; und da es nicht fehlen konnte, daß er auch hier auf Leben stieß, das den Nachteil aufwies, von dem er, Wiedemann, frei war, so kam es unter dem Einfluß jener Umstände zu einer Elendsszene, der Hans Castorp beizuwohnen hatte und die uns als weiteres Beispiel für das zu Schildernde dienen muß.
Denn es war da ein anderer Mann, - zu entlarven gab es nichts, was ihn betraf, der Fall war klar. Dieser Mann hieß Sonnenschein, und da man nicht schmutziger heißen konnte, so bildete Sonnenscheins Person vom ersten Tage an die Puschel, die vor Wiedemanns Nase hing, auf die er kurz und boshaft schielte, und nach der er mit der Hand schlug, fast weniger, um sie zu verjagen, als um sie ins Pendeln zu versetzen, damit sie ihn desto besser reize.
Sonnenschein, Kaufmann, wie der andere, von Hause aus, war ebenfalls recht ernstlich krank und krankhaft empfindlich.
Der Roman spielt in einem Lungensanatorium in Davos, dessen internationale Kundschaft sich einzig aus sehr wohlhabenden Schichten rekrutiert; die mondäne upper class der späten Jugendstilzeit. Es sind also nicht die dörflichen Verhältnisse in der Provinz, sondern quasi der Jetset. Bzgl. des Themas hier ist zuerst interessant, dass der Begriff "Antisemitismus" in diesem literarischen Text von 1924 (!) auftaucht, und das durchaus in einem Sinn, welcher über den Antijudaismus des 19. Jhs. hinausgeht. Dieser offenbar gesellschaftsfähige Antisemitismus des frühen 20. Jhs. ist eine der widersprüchlichen Komponenten der späten Jugendstilzeit. Diese rassistische Ablehnung manifestierte sich in der Zeit von 1890 bis in die Weimarer Republik: der dt.-österr. Alpenverein machte einen Ariernachweis zur Voraussetzung der Vereinsmitgliedschaft, antisemitische Publikationen jeglicher Couleur waren nicht verboten, sondern fanden Absatz, die Nordseebäder (Bäderantisemitismus) boomten und warben mit "Juden unerwünscht" usw usw - - dieses Klima ist der Hintergrund des Romans. Das Zitat ist die einzige längere Textstelle, welche auf den rassistischen Antisemitismus zu sprechen kommt (und ihn implizit als negativ wertet), aber nicht die einzige: in einem vermeintlich harmlosen Gespräch zwischen dem Protagonisten Hans Castorp und seinem Vetter, dem Offiziersanwärter Joachim Ziemßen, äußert letzterer sein Unbehagen über den Jesuiten (sic) Leo Naphtha mit der Begründung, dieser sei "so miekrig wie alle Semiten".
Thomas Mann fabuliert offensichtlich nicht ins Blaue hinein, sondern flicht sehr präzise allerlei Zeitumstände in seinen großen Zeitroman ein. In diesem Sinne ist die oben zitierte Textstelle eine typisierende, zusammenfassende Quelle für das, worauf man sich - ganz offenbar in der kultivierten mondänen Upperclass in nicht kleinen Anteilen auch - ab 1933 und später aufbauend stützen konnte! Man kann von einem schon rassistisch eingestellten Antisemitismus im Zeitraum 1900-1924 im deutschsprachigen Raum, in Frankreich (Dreyfusaffäre) und Russland sprechen (das Wort Pogrom stammt aus dem russischen; Artur Rubinstein als Teilnehmer am Tschaikowski-Wettbewerb kurz vorm Ersten Weltkrieg durfte als Jude nicht im Stadtgebiet von Moskau untergebracht werden, er musste sehr weite Wege von Unterkunft zum Konservatorium in kauf nehmen)
noch zum Text: es wird sehr raffiniert changierend erzählt, man darf nicht glauben, dass jeder Satz die Meinung oder Haltung des auktorialen Erzählers oder gar des Autors wiedergibt. In feinen Abstufungen wechselt Mann zwischen personalem auktorialen Erzähler ("wir wollen die Geschichte von Hans Castorp erzählen"), perspektivischem Erzählen, erlebter Rede und Bewußtseinsstrom hin und her, oftmals auch in einem einzigen Satz - kurzum ist der Text sehr trickreich erzählend. "jedoch war er kein Jude, und das war das Positive an ihm" ist kein Erzählerkommentar, sondern die Perspektive der Figur Wiedemann.