WK-1: "Deutschland trug zweifellos große Schuld am Kriegsausbruch"

Kriegsschuld 1. Weltkrieg

Schönen guten Tag.

Ich schreibe in der nächsten Woche eine Klausur zum Thema "Kriegsschuld".
Nun würde ich diesen Thread gerne dafür nutzen, um Zitate zu dem o.g. Thema zu sammeln. Es geht mir nicht um die persönlichen Meinungen der Forenmitglieder, sondern um Meinungen zitierbarer Autoren. Schön wäre es wenn ihr mir direkt eine Quelle mit angeben könntet.

Dann fang ich mal an.

S. Haffner - Von Bismarck zu Hitler
Seite 113
„Der Begriff der >>Kriegsschuld<< ist für die Zeit von 1914 völlig unangemessen. Krieg war damals ein legitimes Mittel der Politik; jede Großmacht rechnete jederzeit mit Kriegsmöglichkeiten, jeder Generalstab führte theoretisch ständig Krieg gegen irgendwelche gegnerische Kombinationen, und wenn sich eine günstige Kriegsmöglichkeit ergab, galt es nicht als unmoralisch oder gar verbrecherisch, davon Gebrauch zu machen.“
Ihr denkt wahrscheinlich auch, dass dies mein einziges Buch zum 1.Wk ist.
Und ihr habt recht. :autsch: Aber ich gelobe Besserung.;)

Gruss und Dank vom

Snork
 
Dieses Thema beschäftigte gerade die deutschen Historiker und Archivare ein halbes Jahrhundert lang - am Ende der intensiven Diskussion stand die

Fischer-Kontroverse – Wikipedia

mit der ich mich in diesem Zusammenhang auf jeden Fall befassen würde.

Dann natürlich das hier:
Kriegsschuldfrage – Wikipedia


Das Interessante an der Kriegsschuldfrage oder deren Problematik ist vor allem, dass Deutschland die Schuld anerkennen musste, um den Versailler Vertrag schließen zu können. Die Diskrepanz lag nun darin, dass die Regierung dies zwar tat, aber gleichzeitig Projekte gegenteiliger Forschung und Dokumentation unterstützte.

Als Nebenaspekt kann man die Behandlung der Kriegsschuldfrage als Beginn deutscher Zeitgeschichtsforschung sehen. Die Projekte wurden nur so aus dem Boden gestampft, in denen sich Historiker mit den erst ein Jahrzehnt zurückliegenden Dingen beschäftigten.
 
Es wurde bereits über dieses Thema ausführlich in diesem Foum diskutiert.

Trotzdem eine Meinung. Die Frage der Kriegsschuld ist eigentlich sekundär bzw abgeleitet, da sie ursprünglich lediglich eine juristische Konstruktion im Versailler Vertrag war, um die Reparationen völkerrechtlich zu legitimieren.

Eine politische Bewertung oder Stigmatisierung war ursprünglich damit eigentlich nicht verbunden.

Eine Rolle spielte sie erst nach dem WW1 durch die poltische Aufladung und die Instrumentalisierung des Themas hauptsächlich durch nationale oder revisionistische Kreise. Die dann breite Schichten der deutschen Bevölkerung durchaus auch teilten.

Relevanter ist sicherlich die Frage der Kriegsursachen, die eine Frage der Kriegsschuld vorausläuft und die Frage objektiver thematisiert, und da wirst Du mit ein wenig suchen, im Forum schnell fündig.

Eine häufig zu Unrecht diffamierte Position vertritt dabei Fischer, der für Deutschland und lediglich für Deutschland, die Handlungen der beteiligten Personen untersucht hat und den wenigen Beteiligten eine durchaus den Kriegsausbruch dynamisierende Position zuschreibt.

Und das ist zumindest für das Deutsche Reich erschreckend, ist zumindest meine persönliche Meinung, dass eine "handvoll" Personen ohne die Konsultation der politischen Eliten des Landes, eine derartig weitreichende Entscheidung treffen konnten.

Diese nicht vergleichende Untersuchung, die die Handlungen der rivalisierenden Mächte ausblendet, wurde als "Nestbeschmutzung" diffamiert.

Mir persönlich war sie sympathisch, da sie nicht immer nur auf die anderen Mächte zeigt und die als Verursacher identifiziert, sondern selbstkritisch Position bezieht.

Fischer-Kontroverse – Wikipedia

Ein sehr interessantes Buch ist, V. Ullrich: Die nervöse Großmacht, ebenso V. Berghahn: Sarajewo. Ein wenig internationaler ist B. Tuchmann: Der stolze Turm, oder auch Tuchmann: August 1914.

Interessant ist vielleicht auch die Einschätzung von G. Ritter: Staatskunst und Kriegshandwerk, Bd.2, S. 329 ff.

Vielleicht ist es angemessen zu sagen, dass sehr viele bewusst auf den Ausbruch hingearbeitet haben, in allen Ländern, da alle sich am Wettrüsten beteiligt haben und zu wenig versucht haben, den Ausbruch zu verhindern, bzw. es auch nicht konnten, weil sie nicht beteiligt waren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Interessante an der Kriegsschuldfrage oder deren Problematik ist vor allem, dass Deutschland die Schuld anerkennen musste, um den Versailler Vertrag schließen zu können.
...genauer gesagt, damit die Sieger einseitig Reparationsorderungen stellen konnten.

Unbestritten in der Europäischn Tradition war das Recht des Siegers auf materielle Leistungen des Verlierers. Die Grundlage dafür bildete das Recht zum Krieg, das politischen Einheiten zur Wahrung ihrer Ansprüche zustand. ...Im Waffenstillstand jedoch war von 'réparations des dommags' die Rede, und damit begann die Schwierigkeit. Denn mit dem Begriff der Reparationen wählte man die zivilrechtliche Analogie - der Geschädigte verlangt den Ausgleich des ihm zugfügten Schadens. Da sich im Krieg die Kriegsgegner gegenseitig nach Kräften Schaden zufügen, hätte eine zivilrechtliche Aufrechnug des jeweiligen Schadens folgen müssen. Nun wurde ein weiteres Element eingefügt, damit die zivilrechtliche Analogie sich allein zugunsten der Sieger auswirkte, die Schuld. Im Artikel 231 des Versailler Vertrages wurde die alleinige Kriegsschuld Deutschland zugesprochen. Das war ein Novum : Der Krieg wurde in einem Maßstab als unrechtmäßig bewertet, den es zuvor nicht gegeben hatte. Damit konnte man die Gegenseite, die sich nur rechtmäßig verteidigt hatte, für die von ihr verursachten Schäden nicht belangen.
Reinhard Blomert "John Maynard Keynes" (2007), S. 52 f.

Der Autor zitiert auch Keynes (s. 53), der 1921 schrieb:
Man hat in England und Amerika nicht verstanden, wie tief die Wunde war, die man Deutschlands Selbstachtung dadurch zugefügt hatte, dass man es zwang, nicht nur Handlungen auszuführen, sondern auch Glaubensbekenntnisse zu unterschreiben, welche es tatsächlich nicht teilte.
 
In einer Klausur werden Dir Zitate alleine nichts nützen,insbesondere wenn es darum geht die Ursachen des 1.Weltkrieges zu analysieren . Und dazu taugt die Kriegschuldfrage wenig da es sich wie oben bereits erwähnt um ein Konstrukt handelt, das eher einer nationalistischen als rationalenr Ex-ante-Betrachtung entsprungen war .
Der eigentliche Auslöser war die Konstruktion der diversen, widerstreitenden Bündnissysteme,, die zwar Eskalationsmechanismen ,aber keine deskalierenden Sicherungselemente ententhielten und so einen Konfliktautomatismus auslösten, für den es nur noch eines relativ geringen Anlasses wie z.B.Sarajewo einer war , bedürfte, um ihn unaufhaltsam in Gang zu setzen.

PS: Du darfst mich damit gerne in Deiner Klausur zitieren :cool:
 
Ich weiß nicht, ob ich dir damit helfen kann, aber mir hatte mein Geschichtslehrer damals gesagt, dass ein Grund für den 1. Weltkrieg auch die ganzen "Kriegsgeilen" Militärs waren. Die wollten unbedingt Krieg führen um die gleichen glitzernden Orden wie ihre Großväter zu bekommen.:)
 
Vielleicht hab ich mich etwas umständlich ausgedrückt.
Ich benötige Texte, wie sie von Fischer verfasst wurden.
Zum Beispiel Egmont Zechlin:
Als die Reichsleitung am 5./6. Juli 1914 mit der so genannten Blankovollmacht Österreich-Ungarn freie Hand für eine „Aktion" gegen Serbien gab, wollte sie nicht nur das verbündete Habsburger Reich stützen und erhalten, sondern einer sich anbahnenden Machtverschiebung im Staatensystem entgegenwirken. Die Sorgen, die sich in diesen Wochen zuspitzten und tieferliegende Ursachen hatten, betrafen:
1. Umwälzungen in Südosteuropa. Nachdem Russland dort in den achtziger Jahren unter dem ideologischen Banner des Panslawismus eine Kriegsgefahr heraufbeschworen hatte, boten sich ihm mit den Siegen der Balkanstaaten über die europäische Türkei von 1912 Chancen, den Machtkampf mit der Habsburger-Monarchie um die Vorherrschaft in diesem Raum wieder aufzunehmen. [...]
2. Aus Nachrichten, die der deutschen Führung insgeheim aus der russischen Botschaft in London zugingen, ergab sich, dass die Tripleentente im Begriff war, sich zu einem fester gefügten Allianzsystem zu entwickeln. Damit verdichtete sich nach dem Höhepunkt der imperialistischen Offensive der Jahrhundertwende ein Entwicklungsprozess, mit dem die Tripleentente durch Abgrenzung ihrer Interessensphären in der Kolonial- und Weltpolitik Kräfte freibekam, um sich wieder mehr den Konflikten und Krisen in Europa zuzuwenden. Wollte man sich hier der Dynamik des aufsteigenden Deutschen Reiches erwehren, so geriet Deutschland in Gefahr einem konzentrischen Druck ausgesetzt zu werden. [...]
3. musste der deutsche Generalstab und damit die Reichsleitung in Zukunft mit einer militärischen Unterlegenheit rechnen. Der schwerwiegende Wandel in der Lagebeurteilung in den Wochen und Monaten vor dem Attentat von Sarajevo veranlasste die deutsche Führung, den lokalen österreichisch-serbischen Konflikt zur präventiven*) Abwehr der zunehmend gefährlicher erscheinenden außenpolitischen Bedrohung zu benutzen. […]
Und nirgends findet sich ein Beweis für die Behauptung, dass hier mit kriegerischer Gewalt Projekte der politischen, wirtschaftlichen und territorialen Expansion verwirklicht werden sollten und an Stelle eines Gleichgewichtes im Staatensystem die Idee einer Hegemonie in Europa Motiv und Ziel der deutschen Politik gewesen seien.
Mir geht es auch nicht darum die Kriegsschuldfrage zu klären, da ich mir mein Bild schon gemacht habe. Ich möchte nur Argumente und Ansichten verschiedenster Theorien sammeln, um in der Klausur die Schwächen und Stärken der Theorien benutzen zu können.

Gruss,

Snork
 
Kann man überhaupt von einer Kriegsschuld eines Landes sprechen, wenn schon im Vorhinein ganz Europa als Pulverfass bekannt war?

Karrikaturisten, Dichter, Schreiber aller Art aber auch Zeitungen wussten von der Lage und damit auch ein gewisser Teil des Volkes, sicher aber der größere Teil der Politiker.
Wenn aber jeder davon wusste, Versuche dem entgegenzuwirken aber nicht bekannt sind (Bündnispolitik und Aufrüstungen sind nicht direkt das, was ich unter entgegenwirken verstehe), dann trägt doch im Grunde jedes teilnehmende Land eine Teilschuld.
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke Petra 44.

Hitler bezieht hier natürlich einen Standpunkt für mich in dieser Klausur schwer zu verarbeiten sein wird. Aber der 2. Wk steht ja schon für das nächste Semester an. Da werde ich dann mit dem Zusatzwissen prahlen können. ;)

Dank und Gruss,

Snork
 
Als Nebenaspekt kann man die Behandlung der Kriegsschuldfrage als Beginn deutscher Zeitgeschichtsforschung sehen. Die Projekte wurden nur so aus dem Boden gestampft, in denen sich Historiker mit den erst ein Jahrzehnt zurückliegenden Dingen beschäftigten.


Der erste, der sich in Deutschland "amtlich beauftragt" mit der Kriegsschuldfrage beschäftigte, war übrigens Kautsky, ab November 1918!

Seine Dokumentensammlung bildete die Basis der 1919er "Deutsche Dokumente zum Kriegsausbruch", obgleich seine Schlussfolgerungen teilweise arg gescholten wurden.
 
Der erste, der sich in Deutschland "amtlich beauftragt" mit der Kriegsschuldfrage beschäftigte, war übrigens Kautsky, ab November 1918!

Seine Dokumentensammlung bildete die Basis der 1919er "Deutsche Dokumente zum Kriegsausbruch", obgleich seine Schlussfolgerungen teilweise arg gescholten wurden.

Es war halt nicht gerne gesehen, dass sich jemand sich mit dem deutschen Anteil an der Kriegsschuld, so kurz vor den Versailler Verhandlungen, auseinandersetzte.
"Höhere Kriegsschuld" Deutschlands = Schlechtere "Verhandlungsposition"

Gruss,

Snork
 
Schönen guten Tag.

Ich schreibe in der nächsten Woche eine Klausur zum Thema "Kriegsschuld".
Nun würde ich diesen Thread gerne dafür nutzen, um Zitate zu dem o.g. Thema zu sammeln. Es geht mir nicht um die persönlichen Meinungen der Forenmitglieder, sondern um Meinungen zitierbarer Autoren. Schön wäre es wenn ihr mir direkt eine Quelle mit angeben könntet.
Der Strafrechtler Hermann Kantorowicz schrieb für den Reichstag ein Gutachten zur Kriegsschuldfrage. Dabei schrieb er zur Bedeutung der Kriegsschuldfrage und wie diese methodisch beantwortet werden sollte, folgendes:

"Es gibt nun aber einen letzten Weg, den rechtspolitischen. Er geht aus vom geltenden Recht, aber er strebt in den Bereich der Sittlichkeit, denn er misst das geltende Recht am Maßstab der Sittlichkeit und der Gerechtigkeit. Hier müssen wir uns auf den Boden eines bereits werdenden Völkerrechts stellen, das im Bewusstsein der Völker schon mächtig lebt: im Sinne dieses Maßstabes sprechen wir von „Schuld“. Wenn wir einem Staate die „Schuld“ an einem Kriege geben, so meinen wir, dass er einen im Sinne des schon damals werdenden Völkerrechts nicht gerechtfertigten Krieg geführt hat. Ein solches Schuldurteil hat sich mit Recht oder Unrecht als eine ungeheure Tatsache erwiesen. Es hat Millionen von Männern gegen den für schuldig Erklärten auf das Schlachtfeld geführt; es hat den Frieden von Versailles zwar nicht geschaffen, aber in den Augen der Siegervölker gerechtfertigt erscheinen lassen. Es ist völlig aussichtslos, statt nur die bisherige Beantwortung der Schuldfrage zu widerlegen, diese Frage selbst aus der durch sie bewegten Welt schaffen zu wollen. Die Völker wissen wohl, dass mit dem Verdammungsurteil über die Kriegsschuldigen das stärkste sittliche Bollwerk gegen den nächsten Krieg dahinsinken würde. Noch verfehlter ist es, die geschichtlichen Vorgänge überhaupt dem moralischen Urteil entrücken zu wollen. Das setzt logisch voraus, dass der Politiker keinerlei Pflichten, also auch weder Ehre noch Gewissen hat, also überhaupt kein Mensch, sondern eine Bestie in Menschengestalt ist. Denn wo es Pflichten gibt, da gibt es auch je nachdem Verdienst und Schuld“ (Hermann Kantorowicz, Kriegsschuldfrage 1914, hrsg. von Immanuel Geiss, 1967, S. 99, 100 f.).
 
Da hier im Thread die Liman von Sanders-Krise erwähnt worden sit ,noch ein paar Wort dazu.

Die Türkei musste nach dem verlorenen Balkankrieg, wo praktisch der ganze europäische Besitz flöten gegangen ist, ihr Staatswesen umfassend reorganisieren.

Zu diesem Zwecke wurde beispielsweise der britische Admiral Limpus beauftrag die türkische Flotte zu modernisieren. Frankreich wurde mit der Reformierung der Finanzen, Italien mit der der Polizei, Post und der Telegraphie beauftragt. (1) Das Deutsche Reich wurde gebeten, sich um die Armee zu kümmern. Das lag ja auch eigentlich nahe, da man in der Vergangenheit mit Colmar von der Goltz gute Erfahrungen gemacht hatte. Hätte das Deutsche Reich aus naheliegenden Gründen abgelehnt, wäre dies ein Prestigeverlust gewesen und dann wäre sicher Frankreich zum Zuge gekommen.

Des Weiteren hatte Wilhelm im Zuge des letzten Monarchentreffens mit Nikolaus II. und George V. diesen Umstand bekanntgegeben. Dort erfolgte kein Widerspruch. (2)

Als nunmehr die russische Regierung von der Liman von Sanders-Mission Kenntnis erhielt, kochten sofort die Emotionen hoch. Man meinte gleich, das russische Lebensinteressen bedroht seien. (3) . Übersehen wird dabei aber gerne, wie sehr sich die Situation des Zweibundes, insbesondere Österreich-Ungarns, nach den Kriegen von 1912/13, durch aktives Hinzutun Russlands und Frankreichs, auf dem Balkan verschlechtert hat. Petersburg konnte Frankreich Delcassé sofort für starken Druck auf Berlin gewinnen. (4)

Selbst Grey wurde nach einigem Zögern gewonnen, eine gemeinsame sehr energische Demarche in Konstantinopel zu präsentieren.(5) Es wurde dort sogar die Offenlegung des Vertragstextes verlangt. Die türkische Regierung quittierte dies mit dem Hinweis, dass die Vollmachten von Admiral Limpus weitreichender seien. Übersehen wurde allerdings, dass die Briten doch den Befehl über die türkische Flotte innehatten. Das versprach für Vickers und Armstrong gute Geschäfte. Das Auswärtige Amt war aber zu einer Kompromisslösung bereit und diese wurde auch gefunden. Liman von Sanders wurde Generalinspekteur der türkischen Truppen. Er war also für die Ausbildung zuständig und hatte kein eigenes Kommando inne.

Unter dem Strich war das deutsch-russische Verhältnis wohl für einige Zeit gründlich zerrüttet und das Zarenreich war von seinen Bündnispartner enttäuscht. Petersburg hatte deutlich mehr erwartet. Man könnte meinen, dass die für Petersburg erfreulichen Resultate der Balkankrieg zu Kopf gestiegen ist. Die Russen haben diese Krise gleich von Anfang an hochgekocht.

Wilhelm II. meinte in einem Gespräch mit Lerchenfeld wohl nicht ganz unzutreffend, Russland rüste auf den Krieg gegen Deutschland.

(1) Herzfeldt, Die Liman von Sanders-Krise und die Politik der Großmächte in der Jahreswende 1913/14

(2) Kanis, weg in den Abgrund, S.592

(3) Sasonow, Jahre, S.144

(4) PA Berlin, R 13318, Wangenheim an AA v.03.12.1913

(5) GP Band 38, S.239
 
thanepower schrieb:
Und das ist zumindest für das Deutsche Reich erschreckend, ist zumindest meine persönliche Meinung, dass eine "handvoll" Personen ohne die Konsultation der politischen Eliten des Landes, eine derartig weitreichende Entscheidung treffen konnten.

Meines Wissens nach waren die maßgeblichen und zuständigen politischen Eliten des Kaiserreichs involviert. Das Auswärtige Amt mit Staatssekretär von Jagow, Unterstaatssekretär Zimmermann, der Vortragende Rat von Stumm, die Botschafter von Lichnowsky, von Pourtalès, von Tschirschky und von Schoen. Des Weiteren waren der Reichskanzler, der Kriegsminister von Falkenhayn und der Chef des Generalstabs von Moltke und natürlich der Kaiser mit dieser Frage befasst.


Welche politischen Eliten hätten deiner Meinung nach noch einbezogen werden sollen/müssen?


Die Verfassung des Kaiserreichs sah eine Beteiligung des Reichtages oder der Parteispitzen nicht vor.

thanepower schrieb:
Relevanter ist sicherlich die Frage der Kriegsursachen, die eine Frage der Kriegsschuld vorausläuft und die Frage objektiver thematisiert, und da wirst Du mit ein wenig suchen, im Forum schnell fündig.
thanepower schrieb:
thanepower schrieb:
Eine häufig zu Unrecht diffamierte Position vertritt dabei Fischer, der für Deutschland und lediglich für Deutschland, die Handlungen der beteiligten Personen untersucht hat und den wenigen Beteiligten eine durchaus den Kriegsausbruch dynamisierende Position zuschreibt.


Richtig. Ohne genauere Kenntnis der Vorgeschichte der Beziehungen der Mächte zueinander, die unterstellten Absichten der jeweils anderen Macht und natürlich auch die Entwicklung der militärischen Situation, um nur diese Faktoren zu nennen, ist eine Beantwortung der Eingangsfrage eigentlich gar nicht möglich.

Fritz Fischer hat sich ohne Frage zu diesem Thema Verdienste erworben, aber sein Bemühungen leiden doch etwas darunter, das er dem Deutschen Reich eigentlich mehr oder weniger die Alleinschuld am Ersten Weltkrieg zuspricht. Dem ist nicht so. Auch trägt das Deutsche Reich nicht die Schuld an sämtlichen diplomatischen Krisen der Vorkriegszeit. Insbesondere ist die zaristische Außenpolitik gerade in der Vorkriegszeit wieder deutlich aggressiver aufgetreten, genannt seien hier nur Persien oder auch der Erste Balkankrieg und in der Folge die Isolierung Österreich-Ungarns auf dem Balkan. Gleichzeitig war man eifrigst bemüht mit Großbritannien die Entente zu einem Bündnis zu vertiefen; der Gefolgschaft Frankreichs war man sich sicher. Den Briten war vollkommen klar, dass das Zarenreich, wenn es seine Rüstungen abgeschlossen hat, die Wirtschaft lief ja ohnehin auf Hochtouren, Russland die Vormacht auf dem Kontinent sein würde. Wer weiß, wie sich die britische Außenpolitik dann orientert hätte.
 

Fritz Fischer hat sich ohne Frage zu diesem Thema Verdienste erworben, aber sein Bemühungen leiden doch etwas darunter, das er dem Deutschen Reich eigentlich mehr oder weniger die Alleinschuld am Ersten Weltkrieg zuspricht. Dem ist nicht so.

Fischers Thesen haben sich in wesentlichen Punkten durchgesetzt, auch wenn sie inzwischen von einer neuen Historikergeneration ergänzt und modifiziert wurden. Der entscheidende Beitrag Deutschlands am Ausbruch des Ersten Weltkriegs ist heute weitgehend anerkannt. Stärkere Beachtung finden bei diesen Erklärungsansätzen neben ökonomischen auch gesellschaftliche. soziale und mentale Gesichtspunkte innerhalb des wilhelminischen Reichs und es werden die Strukturen der europäischen Nachbarstaaten besser ausgeleuchtet.

Zum Glück sind aber die leidenschaftlichen Debatten der Fischer-Kontroverse vorbei und es hat eine distanziertere und weniger emotionale Betrachtungsweise eingesetzt, was sicher auch dem wachsenden zeitlichen Abstand geschuldet ist.
 
Wir wissen heute, dass Fischers These, dass das Deutsche Reich nicht nur die Schuld am Zweiten Weltkrieg trage, sondern auch die am Ersten Weltkrieg, so nicht zutreffend ist. Fischer hat m.E. nach zu sehr die absichtsvolle Isolierung des Deutschen Reiches und später auch Österreich-Ungarns und den damit verbundenen Verlust an Handlungsspielraum zu wenig berücksichtigt. Auch seine These, das Kaiserreich habe einen Krieg mit Vorsatz herbeigeführt, ist so nicht vertretbar. Die maßgebliche deutsche Mitschuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges ist unstrittig, aber hier muss doch mehr differenziert werden. Vor allem das Zarenreich hat eine nicht zu verachtende Mitschuld zu schultern. Und dann gilt es eben auch die Ursachen zu betrachten und nicht „nur“ die Julikrise. Das Deutsche Reich und auch Österreich-Ungarn sind doch durch die Tripleentente Schritt für Schritt in die Enge getrieben wurden; das wurde dort auch durchaus registriert aber eben nicht als prioritär betrachtet.
 
Fischer These ist im Kontext zu verstehen, nämlich

- der von 1919 bis 1945 massive vertretenen These von der Unschuld des Deutschen Reiches am Kriegsausbruch (ua. durch die "Einkreisung"), propagiert erst von der Verdrängungsliteratur der Weimarer Republik, fortgeführt von der Propagandaliteratur des Dritten Reiches, und in erstaunlicher Konstanz kaum hinterfragt von der Literatur der 1950er.

- den wesentlichen Lücken der militärischen, ökonomischen und sozialwissenschaftlichen Forschung. Für alle Felder lassen sich Beispiele finden, ich denke zB an Witts Studie zur Finanzpolitik des Reichs, oder an Ritters Forschungen zum Schlieffenplan. Die Deutungshoheit in diesen Feldern hatten zuvor Vertreter der Unschuldsthese.

So sind seine Leistungen auch darin zu sehen, diese ergänzenden Faktoren anfänglich zu hinterfragen (deren Aufarbeitung auch einfach Fischer menschliche Kapazitäten weit überschritten hätte, und die danach einsetzte).

Plakativ kann man die Effekte an der oben angerissenen Liman-von-Sanders-Krise erläutern, insbesondere an dem Vergleich Großbritannien-Deutsches Reich. Was vergleichbar aussieht (militärische Unterstützung, einmal zu Lande, einmal zur See), hat eine völlig konträre Basis in den Jahren 1907/14. Das Deutsche Reich betrieb eine Politik der ökonomischen Penetration des Osmanischen Reiches, auch der übrigen Balkan-Staaten (quasi vorgelagert).

Dem lag durchaus hegemoniales Streben zu Grunde, wobei man sich im Nahen und Mittleren Osten direkt zwischen die Stühle der übrigen Großmächte setzte, von denen zweifellos aggressiv/offensiv das Russische Reich die Armenierfrage und die Erweiterung des Machtbereichs in Persien und Afghanistan, hin zu "warmen Meeren", verfolgte. Frankreich und Großbritannien waren dagegen finanziell herausragend im Osmanischen Reich heftig engagiert, und auch militärisch schon wegen der Sperre der Dardanellen nicht am endgültigen Zerfall des Osmanischen Reiches mehr interessiert.

Hier läßt sich die britische Unterstützung erklären, die defensiv in der Flottenrüstung u.a.

- gegen italienische Ambitionen gerichtet waren, die 1911/12 mit der Seeblockade des OR gedroht hatten
- gegen Griechenland, dass vermeindlich bereits dem Deutschen Reich zusortiert wurde.
- für Alexandria/Suez bzw. im Mittelmeer keine relevante Bedrohung für die britisch-französische Flotte darstellte
- als Sperrriegel gegen Rußland im Vordringen gegen die Dardanellen und gegen die Einverleibung des restlichen Armeniens in einem "leichten" Krieg gegen das OR gerichtet war.

Das britische Engagement im Nahen und Mittleren Osten war mindestens ebenso gegen Rußland wie gegen das Deutsche Reich gerichtet, so dass von einer Einkreisung des letzteren in diesen Fragen schon deshalb keine Rede sein kann.

Fischer hat massiv auf dieses deutsche Hegemonialstreben auf dem Balkan und in Richtung auf das Osmanische Reich hin gewiesen, auf den "weichen Imperialismus", wenn Fischer auch die Mittel fehlten, diesen Vorgang unter allen Facetten angemessen zu untersuchen. Im Übrigen war die deutsche Debatte um Fischer ohnehin verspätet, weil bereits umfangreiche Untersuchungen zu diesen Fragestellungen, zB von Albertini: Origins of the War of 1914, vorlagen. Die deutsche Forschung holte mit Fischer diese Rückständigkeit auf.
 
silesia schrieb:
Das Deutsche Reich betrieb eine Politik der ökonomischen Penetration des Osmanischen Reiches, auch der übrigen Balkan-Staaten (quasi vorgelagert).

Ich habe keinen Zahlenangaben zur Verfügung, aber da war das Deutsche Reich doch in guter Gesellschaft. Auch Frankreich war dort engagiert. So hat Frankreich beispielsweise nach Ende des 2.Balkankrieges Bulgarien eine Anleihe angeboten, aber nur unter der Bedinung, das Bulgarien mit Rußland eine Militärkonvention abschließt.

gegen Griechenland, dass vermeindlich bereits dem Deutschen Reich zusortiert wurde.

Wohl weil der greichsiche König der Schwager Wilhelms war. Aber auch die Griechen bewegten sich vorsichtig in Richtung Entente. Den Deutschen wurden zwar signalisiert, wie man mit dem Dreibund sympathisiere, aber in Paris wurde das dringend benötigte Kapital besorgt.

Rumänien näherte sich dem Zareneich. Auch wenn es formal den Dreibund zugehörte, über die Verlängerung wußte ja nicht einmal alle Minister Bescheid. Diese Verlängerung war auch wohl eher taktisch bedingt, da man im 1.Balkankrieg im Zweifelsfalle Rückendeckung vom Deutschen Reich gegenüber Bulgarien wünschte.

Nach dem 2.Balkankrieg konnte Wien weder in Bukarest noch in Sofia eine tragfähige Verbesserung der Beziehungen dieser beiden Staaten erreichen. Wien brauchte im Prinzip Rumänien als "Bollwerk" gegen Rußland und Bulgarien gegen die Serben. Beides war nicht mehr zu bewerkstelligen und aschließend ging Serbien erheblich gestärkt aus den Kriegen hervor. Das war für den Ballhausplatz geradezu albtraumhaft. Die Zündschnurr für den Weltkrieg war schon gelegt und wurde am 28.06.1914 angezündet.
 
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