Vor 3000 Jahren brachten ominöse Seevölker die Hochkulturen des Mittelmeers zu Fall, die Welt versank im Krieg. Jetzt hat man mit den Luwiern die Schuldigen ausgemacht - sie könnten der Schlüssel zu einem der größten archäologischen Rätsel sein.
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Mit den bislang weitgehend unbekannten Luwiern auf dem historischen Schachbrett lassen sich die Rätsel nun lösen, zumindest nach Ansicht Zanggers. Denn diese Gruppe bildete, seinen Thesen zufolge, die mysteriösen Seevölker oder waren zumindest ihre Alliierten. Ihren Siedlungsraum will Zangger in der Westtürkei ausgemacht haben. Das Gebiet ist von der bronzezeitlichen Archäologie bislang völlig unbeachtet geblieben. Die Mykener rückten also nicht etwa zu einer Strafaktion gegen ein paar Einäugige aus, sondern gegen die Zentrale einer ihnen feindlich gegenüberstehenden Weltmacht: das vermutlich luwische
Troja.
Tatsächlich war die legendäre Stadt in der heutigen Türkei offenbar kein Solitär. In dreijähriger Arbeit durchforstete der türkische Archäologe Serdal Mutlu im Auftrag der Luwian Studies die Literatur. Am Ende konnte er 340 große bronzezeitliche Siedlungsplätze in der westlichen Türkei in einer Datenbank verzeichnen - mehr als die mykenischen, minoischen oder hethitischen zusammengenommen. Allerdings sind die wenigsten dieser Ort erforscht und praktisch kein Grabungsbericht ist in einer westlichen Sprache verfasst, wie Zangger bedauert. Aber die Folgerung ist eindeutig: "Die Region war zwischen 2000 und 1000 v. Chr. dicht besiedelt", sagt er. Die Böden dort waren fruchtbar, zahlreiche Minen enthielten Metalle wie Blei, Kupfer, Silber und Gold, die schon in prähistorischer Zeit abgebaut wurden. Flüsse, die weit ins Landesinnere reichten, erleichterten zudem den Warenverkehr. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine Hochkultur wären also gegeben gewesen.
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Die Archäologen mögen die Luwier lange übersehen haben, für Philologen und Sprachwissenschaftler gilt das keineswegs. So kamen bei der Ausgrabung der Hethiter-Hauptstadt Hattuša umfangreiche Archive an Tontafeln und -fragmenten zutage, gut 30 000 an der Zahl. Sie trugen Keilschrifttexte in mehreren, teils in der Kapitale gepflegten Sprachen, etwa Sumerisch, Akkadisch, Hattisch, Huritisch, Hethisch oder Palaisch - und schließlich auch Luwisch. Rund 200 Keilschrift-Fragmente sind dieser Sprache zuzuordnen, die daneben auch in Hieroglyphen verzeichnet wurde. Diese weisen gut 500 Symbole auf und wurden von Emil Forrer (1894 -1986) Anfang des 20. Jahrhunderts mit entschlüsselt. Der Schweizer Assyriologe hatte bereits 1920 die Vermutung angestellt, die Luwier seien ein "weitaus größeres Volk" gewesen als die Hethiter.
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Nach dem Seevölkersturm um 1200 v. Chr. ging die Kenntnis der Keilschrift in der Peripherie Mesopotamiens verloren. Luwische Hieroglyphen dagegen breiteten sich im Osten Kleinasiens und im Norden Syriens aus und bleiben dort bis etwa 600 v. Chr. nachweisbar, etwa in königlichen Inschriften. Die luwische Sprache existierte sogar noch mehr als 1000 Jahre danach weiter.
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