Es gab für die Westmächte auch noch eine dritte Möglichkeit zwischen politischen Selbstmord (Kriegserklärung auch an die SU) und politischer Selbstaufgabe (Aufnahme von Verhandlungen). Dieses lautete: zuerst das eine Problem zu lösen, dann das andere. Hitler konnte man mit Stalin besiegen, sobald das zwischen beiden abgeschlossene Zweckbündnis zerfallen würde. [/COLOR]
Ein ganz wichtiger Punkt, wenn man die Reaktionen nach dem 17.9.1939 betrachtet.
Betrachtet man überschlägig die strategischen Überlegungen der Alliierten am Beispiel Belgien, wurde ein direkter Angriff, eine Offensive über den Rhein nach Deutschland hinein nie erwogen. Man richtete sich vielmehr auf einen Abnutzungskrieg ein - möglicherweise eben auch einen abzuwehrenden deutschen Angriff im Westen -, die Kriegsentscheidung zugunsten der Alliierten würde aber in diesen Überlegungen nur über die Blockade möglich sein.
Dazu war es unabdingbar militärisch erforderlich (wenn auch politisch möglw. zweifelhaft), die SU aus dem Krieg herauszuhalten; es bliebe dann die Zulieferung unter Schwächung der Blockadesituation, die sich aber mit den erwarteten Interessengegensätzen zwischen D/SU von selbst erledigen würde. Weitere Erwägungen, wie die Bombardierung von Baku, sprechen nicht gegen diese Strategie, sondern erklären sich vielmehr aus der Eskalation der Ereignisse, ebenso wie der Ausschluss der SU aus dem Völkerbund als relativ hilflose Aktion im Gefolge des sowjet.-finnischen Winterkrieges.
Nachtrag zum Baltikum:
Mit den Gebietsforderungen der SU in Bezug auf das Baltikum wurden die Westmächte bereits früh und vor dem 1.9.1939 konfrontiert. Sie waren ein wesentlicher Punkt in den Paktsondierungen GB/F/SU im Juni und Juli 1939, und sollten den Preis der Westmächte für die Allianz mit der SU zur Eindämmung der deutschen Expansionsbestrebungen darstellen. Das wurde von den Westalliierten klar erkannt, die entworfenen bzw. von der SU vorgeschlagenen Vertragsklauseln hätten der SU zB den Einmarsch im Fall von Regierungswechseln erlaubt ("indirekte Aggression").
Ebenso eindeutig war allerdings die Reaktion der baltischen Staaten und Finnlands auf diese Entwicklungen, die für die bekannt gewordenen (und einseitigen: GB/F/SU) Garantieverhandlungen scharfe diplomatische Gegenreaktionen abgaben und jede "einseitige" (d.h. britisch-franz.-sowjetische!) Garantie unter Ausschluss des Deutschen Reiches ablehnten. Deren Interessenlage zwischen den Stühlen war nämlich keineswegs vom Deutschen Reich getrennt, wie die abgeschlossenen Nichtangriffspakte und zB der Halder-Besuch mit Militärgesprächen im Baltikum im Juni 1939 zeigte.
Das wiederum verkomplizierte die britische und französische Position beträchtlich; es wurde befürchtet, die baltischen Staaten dem Deutschen Reich ohne Klärung der Situation für Polen (durch das Garantiebündnis mit der SU oder dessen Scheitern) in die Arme zu treiben.
Wie Gandolf schon richtig beschrieben hat: nach dem 1.9.1939 und erst recht Anfang 1940 war die Situation völlig verändert; eine Kriegserklärung an die SU, die nun ihre schon vorher unverblümt gezeigten Gebietsansprüche "realisierte", war keine militärisch realistische Option. Richtig ist allerdings, dass man sich im Juli 1939 darüber klar war und auch wohl bereits damit abgefunden hatte, das Baltikum als Preis zahlen zu müssen, wenn es zu einem Bündnis mit der SU kommen sollte.
Zu den diplomatischen Abläufen im Sommer 1939 betr. Baltikum anhand der britischen (noch nicht der französischen) und deutschen Akten eine frühe Studie: Boris Meissner: Die Sowjetunion, die baltischen Staaten und das Völkerrecht, aus 1956 - die baltische Frage in der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges