Belgische Neutralität

amicus schrieb:
Dieses Argument des „unmoralischen" Angebots, hört sich nach der Fischer-Schule an. Fischer vertritt ja die Position, das Deutschland meinte England aus dem Kriege heraushalten zu können, um dann gegen Frankreich und Russland aggressiv vorgehen zu können. Imanuel Geiss ist ja auch Schüler von Fritz Fische gewesen.
Nein, das hört sich nach Grey an.

Der hat den britischen Botschafter in Berlin Goschen am 30.7.14 angewiesen auf Bethmann Hollwegs Angebot vom 29.7., GB solle neutral bleiben, im Gegenzug würde Frankreich nach seiner Niederwerfung geschont, wie folt zu antworten: "Teilen Sie Reichskanzler mit, dass sein Vorschlag, wie sollten uns unter solchen Bedingungen zur Neutralität verpflichten, keinen Augenblick lang in Betracht gezogen werden kann. (...) Doch abgesehen davon bedeutet dieser Handel mit Deutschland auf Kosten Frankreichs eine Schande für uns, von der sich der gute Name Englands niemals erholen würde" (Grey an Goschen 30.7.14, in: Geiss, aaO, Dok-Nr. 846).

In seinen Memoiren warf Grey folgende Fragen auf: "Sah Bethmann Hollweg nicht, daß er ein Angebot machte, das uns entehren würde, wenn wir ihm zustimmten? Was für ein Mann war es, der das nicht sehen konnte? Oder hatte er eine so schlechte Vorstellung von uns, daß er dachte, wir würden das nicht sehen?" (zitiert nach Massie, aaO, S. 761).
 
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Zitat Gandolf: Du stellst die These auf, Grey habe Deutschland über das britische Verhalten lange Zeit im Unklaren gelassen. Zum Beweis dieser These willst Du Dich auf das Frankreich gegenüber gezeigte Verhalten Greys berufen. Das ist Blendwerk!

Nun wirst du unsachlich! Weiten oben hast du mich schon der Unfairness bezichtigt.

Ich habe geschrieben, das Grißbritannien sowohl das Deutsche Reich, Frankreich und auch Russland über seine Haltung bis zum Ende in unklaren gelassen hat. Daran halte ich auch fest. Siehe unten meine Zitate zu deiner obigen Behauptung.

Zitat Amicus: Frankreich, Russland und Deutschland wussten am 02.August spät abends immer noch nicht, woran sie mit Großbritannien sind. Das ist ganz einfach so.

Zitat Amicus: Frankreich, Russland, Deutschland wußten in der Julikrise sehr lange nicht, eindeutig viel zu lange, für welche Position sich Großbritannien letzten Endes durchringen würde.

Du nennst eine Depesche von britischen Außenminister an seinen Botschafter in Paris Blendwerk. Dieses Schreiben bringt die Position der britischen Regierung gegenüber der französischen, das ist hier einer der Diskussionsgegenstände, am 02.August 1914 abends zum Ausdruck. Zu diesem zeitpunkt befanden sich Frankreich und das Deutsche Reich bereits im Kriegszustand und die französiche Regierung versucht händeringend England zum Kriegseintritt zu bewegen. Das hat mit Blendwerk aber rein gar nichts zu tun. Es ist ein Beleg, der nicht in deine Argumentation passt.

Zitat Gandolf: Es mag Historiker geben, die dies behaupten. Entscheidend ist aber, ob es für diese Behauptung auch gute Argumente gibt.

Es ist beeindruckend, wie du hier diese Historiker, es sind auch nicht irgendwelche Historiker, Keegan sogar Brite, samt ihren Argumenten und Belegen einfach wegwischt. Argumente sind schon genannt worden, du willst sie bloß nicht akzeptieren und wirst dann auch noch leider unsachlich.



Ich zitiere hier Sebastian Haffner aus seinen Buch, "Die sieben Todsünden des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg". Haffner ist sicher gegenüber Großbritannien in seinem Urteil nicht unfair, eher hat er wohl Sympathie für die Engländer, deshalb ist er sicher unverdächtig.

"Demgegüber hatte die Kriegspartei -also die Minderheit des englischen Kabinetts, die sich an Frankreich moralisch gebunden fühlte und mindestens bei einem deutschen Einmarsch in Frankreich kämpfen wollte - einen schweren Stand. Grey ihr Hauptsprecher, konnte im Kabinett noch am 01.August nur eines durchsetzen: dass England der deutschen Flotte nicht erlauben sollte, in den Ärmelkanal zu dampfen und von dort aus die französische Küste anzugreifen. Und selbast daraufhin drohte noch am 02.August ein großer Teil der Minister mit Rücktritt."
[............]

"Und der französische Botschafter in London rief verzweifelt aus :"Im Zukunft wird man das Wort Ehre aus dem englischen Wörterbuch streichen müssen." So weit war es. Die englische-französische Entente war am Zerplatzen. Von der englisch-russischen war schon gar keine Rede mehr; kein Gedanke daran, dass England in einem reinen Ostkrieg eingreifen würde, solange Frankreich nichts geschah. Die deutsche Rechnung war also so gut wie aufgegangen, die englische Neutralität - jedenfalls in der ersten Kriegsphase - so gut wie gesichert, zur Verweiflung, der Franzosen, die sich in der Stunde der Not von England verlassen fühlten. Man kann rückschauend mit voller Sicherheit sagen, dass England draußen geblieben wäre, wenn Deutschland von einer Invasion Frankreichs abgesehen hätte......"


Auch ist mir nicht ganz klar, weshalb du immer wieder die "Krieg in Sicht Krise" aus dem Jahre 1875 ins Feld führst. Diskussionsgegenstand ist die Julikrise von 1914 und das nicht eindeutige Agieren der britschen Regierung. Ansonsten habe ich oben schon so einiges zu der "Krieg in Sicht Krise geschrieben.

(Quelle: Die sieben Todsünden des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg Seite 34-35, Bergisch Gladbach 2001)
 
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Der britsche Historker Niall Ferguson attestiert Sir Edward Grey Deutschfeindlichkeit und das er um jeden Preis verhindern wollte, das man in das deutsche Netz zurückgezogen werde.

Das erklärt sein Agieren in der Julikrise 1914 etwas besser.

Grey war von britsch-französischen Freundschaft durchdrungen und das hat sein Verhalten in den entscheidenen Tagen des Jahres 1914 bestimmt.

(Quelle: Niall Ferguson, Der falsche Krieg, Seite 94, Stuttgart 1999)
 
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Hier noch ein Zitat von Sir Edward Grey:


" Ich fürchte, es ist von interessierten Kreisen mit einigen Erfolg der Eindruck verbreitet worden, dass eine liberale Regierung das Einvernehmen mit Frankreich in Frage stellen und sich Deutschland zuwenden würde. Ich werde alles in meiner Kraft Stehende tun, um dagegen anzukämpfen."
Das hat Grey kurz vor seiner Ernennung zum Außenminiter geäußerst. Er war noch nicht im Amt, aber bereits festgelegt.

(Quelle K.Wilson, Policy of the Entente Seite 35)

Grey hat eine ausgesprochene Schwäche für Frankreich. Grey und seine Leute im Außenministerium hatte kein Interesse an eine Übereinkunft mit Deutschland, denn das würde einen falschen Eindruck bei Frankreich hinterlassen, so das Frankreich sich dann den Mittelmächten zuwenden könnte.

Grey und Churchill, also die Verfechter des britischen Kriegseintritts, kamen im Rahmen einen konferenz des CID im Dezember 1912 zu dem Schluß, das es für Belgien und die Niederlande eigentlich nicht möglich sei, in einem kommenden Kriege neutral zu bleiben. Wenn sie nämlich neutral blieben, dann könnte Großbritannien nicht den geplanten wirtshaftlichen Druck ausüben. Um die angedachte Blockadepolitik aber durchführen zu können, sei es aber dringend notwendig, das Belgien und die Niederlande sich gegenüber Großbritannien freundlichschaftlich kooperativ verhalten oder das sie eben sonst zu Feinden werden würden.

Also, das ist ganz gewiss auch nicht besonders moralisch. Grey kritisiert Deutschland für sein "unmoralisches" Angebot, ist selber aber eben nicht über jedem Zweifel erhaben.
(Verwendete Quelle, Niall Ferguson, Der falsche Krieg, Stuttgart 1999)
 
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Der deutsche Generalstab war ab 1911 der Meinung, dass England "auf jeden Fall" in einen deutsch/französischen Krieg auf Seiten Frankreichs eingreifen würde.

Aus diesem Grund wurden von diesem Moment an alle Alternativen zum Schlieffenplan fallen gelassen. Der Große Ostaufmarsch nicht mehr weiter bearbeitet. Unter großem Ostaufmarsch ist zu verstehen: Masse des Heeres im Osten, im Westen nur Kräfte die zur Verteidigung ausreichen, mehr nicht.

Die Haltung Englands wird von etlichen Historikern während der Julikrise als "zweideutig" beurteilt. Die britische Regierung nahm vor dem September 39 auch darauf Bezug, "dass es dieses Mal keine Zweideutigkeiten gäbe", also war dieses Verhalten der britischen Regierung schon damals ein Kritikpunkt.

Die Richtigkeit der Meinung, dass der Generalstab angesichts der Weite des russischen Raums keine Möglichkeit für einen schnellen Sieg im Osten sah, hat ja dann das Jahr 1915 bewiesen. Die Russen waren geschlagen, aber sie konnten ohne weiteres den Krieg noch 2 Jahre fortsetzen.

Aber wirklich interessant ist an dieser Diskussion: Gab es im Juli 1914 noch die Option, bei Respektierung der belgischen Neutralität, England aus dem Krieg zu halten?
 
Der deutsche Generalstab war ab 1911 der Meinung, dass England "auf jeden Fall" in einen deutsch/französischen Krieg auf Seiten Frankreichs eingreifen würde.
Aus diesem Grund wurden von diesem Moment an alle Alternativen zum Schlieffenplan fallen gelassen. Der Große Ostaufmarsch nicht mehr weiter bearbeitet. Unter großem Ostaufmarsch ist zu verstehen: Masse des Heeres im Osten, im Westen nur Kräfte die zur Verteidigung ausreichen, mehr nicht.

Das möchte ich ergänzen, nachdem ich einmal auf die Schnelle ist das Buch über den Schlieffenplan (Ehlert) geschaut habe. Ich habe nicht alle Aufmärsche durchgeschaut, aber danach ergibt sich für 1904/05 folgendes:

unterschiedliche Szenarien behandeln die verschiedenen Varianten der Kriegszustände. Im Fall des gleichzeitigen Krieges gegen Frankreich und Rußland ist die Masse im Westen, im Osten nur Deckungskräfte (Variante II, im Osten nur die 8. Armee mit drei Korps, Rest im Westen). Daneben gab es die Variante des Krieges nur gegen Frankreich, nur gegen Rußland wird nicht erörtert.

In späteren Jahren (1909/10) werden mehr Varianten erörtert, u.a. der große Aufmarsch Ost. Dieser bezieht sich nur auf den Krieg gegen den Gegner Rußland, Frankreich wird als neutral unterstellt.
 
Der deutsche Generalstab war ab 1911 der Meinung, dass England "auf jeden Fall" in einen deutsch/französischen Krieg auf Seiten Frankreichs eingreifen würde.


Der deutsche Generalstab hat ja nicht das Primat der Politik akzeptiert. Wenn man die Jahre 1912 und 1913 mit den beiden Balkankriegen und das gemeinsame Krisenmanagement von England und Deutschland betrachtet, hätte das doch vielleicht Anlaß für die Herren sein können, auch ein Alternativplan zu entwicklen. .

Aus diesem Grund wurden von diesem Moment an alle Alternativen zum Schlieffenplan fallen gelassen. Der Große Ostaufmarsch nicht mehr weiter bearbeitet.


Ein Problem des Generalstabes war es wohl, strategische Problemstellungen mit militärischen Operationen lösen zu können. Aber Grey und Churchill waren wohl ähnlich skrupelos.


Die Haltung Englands wird von etlichen Historikern während der Julikrise als "zweideutig" beurteilt. Die britische Regierung nahm vor dem September 39 auch darauf Bezug, "dass es dieses Mal keine Zweideutigkeiten gäbe", also war dieses Verhalten der britischen Regierung schon damals ein Kritikpunkt.


Mein Reden. :winke:


Aber wirklich interessant ist an dieser Diskussion: Gab es im Juli 1914 noch die Option, bei Respektierung der belgischen Neutralität, England aus dem Krieg zu halten?


Ich glaube ja, denn erst als das deutsche Ultimatum an Belgien bekannt wurde, am 02.August abends, wo Deutschland freies Durchmarschrecht durch Belgien zwecks Realisierung des Schlieffenplans verlangt, schwankte die Stimmung im britschen Kabinett um.
 
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Richtig ist vielmehr, dass Lichnoswky am 1.8.1914 nach Berlin telegrafierte, GB und Frankreich seien doch bereit, neutral zu bleiben. Nähere Vorschläge würden ihm von Grey noch im Laufe des Tages übermittelt. Diese Meldung löste in Berlin Freude aus. Sie beruhte aber auf einem Missverständnis Lichnowskys und nicht auf einem unklaren, wolkigen Verhalten Greys. Am Abend des 1.8.1914 kam dann die Richtigstellung von Lichnowksy.


Die Meldung Lichnowskys basierte nicht auf sein Mißverständnis, wie lange in der Forschung angenommen, sondern auf der Tatsache, das Frankreich schlicht und ergreifend nicht bereit war sich aus diesem Kriege herauszuhalten. Man wollte mitmachen. Grey hatte sich wohl zu weit aus dem Fenster gelehnt und musste nun wieder zurückrudern.

(Nachzulesen bei Wolgang Mommsen, Bürgerstolz und Weltmachtstreben, Frankfurt 1995)
 
@amicus:

Meine Kritik gilt der von Dir vorgetragenen These, Grey habe sich gegenüber Deutschland zurückhaltend verhalten und es nicht hinreichend deutlich und viel zu spät vor einem britischen Kriegseintritt gewarnt. Dass er sich gegenüber Frankreich und Russland zurückhaltend verhielt, habe ich nicht bestritten sondern bestätigt.

Was nun Deine Argumentation oder die der von Dir genannten Historiker angeht, muss sich diese wie jede andere auch (und übrigens auch meine), daran messen lassen, ob diese nachvollziehbar und überzeugend ist. Die Berufung auf Autoritäten ersetzt keine Argumente. Es ist vielmehr so, dass sich erst durch eine plausible Argumentationsweise zeigt, ob eine Person wirklich eine "Autorität" ist.

Ich fasse Deine Argumente mal wie folgt zusammen: Grey habe Deutschland nicht frühzeitig und deutlich gewarnt, weil
  • Bethmann es bis zum Ende für möglich hielt, das England neutral bleiben könnte (# 71);
  • Grey sich Frankreich gegenüber zurückhaltend verhielt (# 77/82);
  • sich das britische Kabinett über die Frage des Kriegseintritts erst am 2.8.1914 unter gewissen Bedingungen einig werden konnte (# 77);
  • Grey am 1.8.14 Lichnowsky die britische Neutralität in Aussicht gestellt habe (# 74/88).
Ich bestreite, dass die ersten drei Argumente überzeugend sind. Die von Dir genannten Aspekte stehen in keinem Zusammenhang zur Ausgangsfrage, ob Berlin frühzeitig und deutlich gewarnt wurde. Die Beantwortung dieser Frage hängt weder von den Hoffnungen Bethmann Hollwegs noch von Greys Frankreich gegenüber gezeigten Verhalten noch von der Zerstrittenheit des britischen Kabinetts ab sondern allein davon, ob, wann und wie deutlich Grey Berlin vor einem britischen Kriegseintritt warnte und wie diese Warnungen von seinen deutschen Kommunikationspartnern vernünftigerweise zu verstehen waren.

In meinen Beiträgen # 72, 76 und 80 habe ich aus zahlreichen Quellen zitiert, aus denen sich ergibt, dass
  • bereits die "Großwetter"-Lage im deutsch-britschen Verhältnis grundsätzlich so geprägt war, dass Deutschland im Falle einer weiteren militärischen Schwächung Frankreichs mit GBs Intervention rechnen musste und
  • es auch in der Julikrise 1914 viele Warnungen aus London nach Berlin vor einer Intervention GBs zu Gunsten Frankreichs im Kriegsfall gab.
Lichnowsky hat im Juli 1914 eine ganze Flut solcher Warnungen nach Berlin gekabelt, vgl. # 80.

Ich kann Dich natürlich nicht zwingen, aus diesen Quellen Schlüsse zu ziehen. Aber vielleicht kannst Du mal in einer ruhigeren Minute darüber nachdenken, ob man bei einer solchen Quellenlage noch von Unklarheit in Berlin sprechen kann oder ob die Bezeichnung "Wunschdenken" nicht besser wäre.

Nun zu Deinem vierten Argument:
amicus schrieb:
Die Meldung Lichnowskys basierte nicht auf sein Mißverständnis, wie lange in der Forschung angenommen, sondern auf der Tatsache, das Frankreich schlicht und ergreifend nicht bereit war sich aus diesem Kriege herauszuhalten. Man wollte mitmachen. Grey hatte sich wohl zu weit aus dem Fenster gelehnt und musste nun wieder zurückrudern.

(Nachzulesen bei Wolgang Mommsen, Bürgerstolz und Weltmachtstreben, Frankfurt 1995)
Ich kenne die bei Mommsen übrigens auf S. 560 nachzulesende Stelle. Leider gibt Mommsen keine Quelle für seine Erkenntnis an, die seinen eigenen Angaben zufolge der bisherigen Forschung widerspricht. Das wiederum ist ausgesprochen schade, aber auch nicht weiter verwunderlich:

Lichnowsky - immerhin der Empfänger von Greys "Angebot" - schrieb 1916 in seinem Buch "Meine Londoner Mission 1912-1914 ...", dass er Grey am Telefon falsch verstanden habe (S. 30), Greys Anfrage ohnehin kein Vorschlag gewesen sei und unter dem Vorbehalt der für den Nachmittag geplanten Unterredung gestanden habe (S. 31), was er übrigens auch nach Berlin kabelte. Doch dort wartete man Lichnowskys Gespräch mit Grey nicht ab!

Grey selbst stellte die Sache übrigens anders dar: laut seiner Unterhaussrede vom 28.8.14 und seinen Memoiren handelte es sich bei der Anfrage um einen von Lichnowsky stammenden Versuchsballon. Dieser habe seine Idee durch Greys Kabinettschef Tyrrell an Grey herantragen lassen, der sich dann vor dem geplanten Nachmittagsgespräch telephonisch bei Lichnowsky nach dessen Idee erkundigt habe, was Lichnowsky wiederum genutzt habe, die Anfrage als ein von Grey stammenden Vorschlag auszugegeben.

Doch egal welcher Version man folgt, einen "Vorschlag" "von Grey" hat es weder nach Greys noch nach Lichnowskys Aussagen gegeben. Dafür gibt es aber Historiker, die erkennen wollen, dass es einen solchen gab - ohne Angaben von Quellen freilich.:rolleyes:
amicus schrieb:
" Ich fürchte, es ist von interessierten Kreisen mit einigen Erfolg der Eindruck verbreitet worden, dass eine liberale Regierung das Einvernehmen mit Frankreich in Frage stellen und sich Deutschland zuwenden würde. Ich werde alles in meiner Kraft Stehende tun, um dagegen anzukämpfen."
Das hat Grey kurz vor seiner Ernennung zum Außenminiter geäußerst. Er war noch nicht im Amt, aber bereits festgelegt.
Das sollte Dir zu denken geben im Hinblick auf die von Berlin erkennbare grundsätzliche Ausrichtung von Greys und Englands politischer Elite in den Beziehungen zu Deutschland.;)

Seit der Krieg-in-Sicht-Krise (1875) intervenierten verschiedene britische Regierungen mehfach in Berlin, um den ihnen in ihrer Großmachtstellung bedroht vorkommenden Franzosen zu helfen und so das Gleichgewicht der Kräfte sicher zu stellen. Die Konservativen verbreiteten den Eindruck, die (angeblich weicheren) Liberalen würden, diese Politik aufgeben. Diesem Eindruck trat Grey mit obiger Passage entgegen. In anderen Teilen seiner Reden hat er immer wieder betont, dass er die Spannungen im deutsch-britischen Verhältnis abbauen will (was bis Juni 1914 auch geschah!) und dass er die "Blöcke" (Dreibund/Etente) einander annähern möchte. Das eine (Hilfe für Frankreich bei Bedrohung) schloss das andere (Politik der Annäherung) für ihn nicht aus. Die Konservativen hingegen drängten da schon auf Härte gegenüber D. Grey war ein "Entspannungspolitiker", der freilich nicht bereit war, Frankreich für ein besseres deutsch-britisches Verhältnis zu opfern.
repo schrieb:
Aber wirklich interessant ist an dieser Diskussion: Gab es im Juli 1914 noch die Option, bei Respektierung der belgischen Neutralität, England aus dem Krieg zu halten?
Ich denke, wir sind uns einig, dasss es sich insoweit um eine spekulative Diskussion handelt ("wie wäre die Geschichte verlaufen, wenn ...").

Ich frage mal zurück: Gab es 1914 eine "realistische Option", dass D Krieg gegen F führen und dennoch die belgische Neutralität wahren würde?

Du selbst hast ja vor einiger Zeit auf den französischen Festungsbau (1871-1914) hingewiesen, der von Schliefen dahingehend eingeschätzt wurde, dass Frankreich nur noch über Belgien erfolgreich angegriffen werden konnte. Mein Schluß: zur Respektierung der belgischen Neutralität hätte Berlin ein militärisches Defensivkonzept benötigt, so wie dies Moltke der Ältere an seinem Lebensabend einmal andachte. Wäre der Generalstab 1914 aber defensiv ausgerichtet gewesen, hätten die Militärs keinen Grund gehabt im Interesse einer schnellen Offensive auf den Abbruch der diplomatischen Vermittlungsversuche zu drängen. Die Julikrise wäre wohl ganz anders verlaufen.
 
Ich fange mal rückwärts an.

Eine Defensiveinstellung des deutschen Generalstabs vor 1914 wäre ein Unikum, triumphierte doch in ganz Kontinetaleuropa ein "Kult der Offensive, eine Angriffsmystik". Moltke d.Ä. ist hier eine andere Zeit.

GB wurde, obwohl es selber (so auch Grey) freie Hand zu haben glaubte, über seine Interessen Mitglied in einem der Europa spaltenden Lager, zugleich ein unberechenbarere Faktor. Grey glaubte, die Vorzüge der Allianz genießen zu können (und aus dieser Stärke Fühlung zum Deutschen Reich aufnehmen zu können), ohne die Nachteile der Bündnispflicht zu haben, und dieses mittels der These, militärische Vereinbarungen und politische Entscheidungen trennen zu können. Er äußerte sich über die militärischen Absprachen mit Fr. seit 1906 derart, diese nie erfahren zu haben (1911). Insoweit ergab sich für GB eine Logik der Mächtedisposition (das eine Lager), zum anderen gab es die deutsche Herausforderung zur See. Der Ausgleich mit DR wurde seit 1911, als der Rüstungswettlauf zur See prinzipiell gewonnen war, im Großen und Ganzen nicht mehr gesucht. Die dennoch (eigentlich inkonsequent) vermiedene poltische Bindung GBs in einem echten und festen Dreibund (GB-F-R) verhinderte die Berechenbarkeit der Politik für alle Akteure. Grey wenige Tage vor Kriegsausbruch: Wir können es uns unmöglich leisten, dass Frankreichs Position geschwächt wird. Dazu 1909 Hardinge: Wir können es uns unmöglich leisten, die Entente mit Rußland in irgendeiner Form zu opfern. Soweit ein Ergebnis auch der Logik der Militärs.

Die russische Aufmarschplanung entwickelte schließlich während der Krise dieselbe Dynamik wie die deutsche, da entsprechende Forderungen zum Einhalten vom militärischen Standpuknt mit einer Beschleunigung der Mobilisierung beantwortet werden mußten (um bei einer täuschung nicht ins Hintertreffen zu geraten und die Bündnisabsprachen zu gefährden.)

u.a. nach Hildebrand, Staatskunst und Kriegshandwerk, und Kusper, Die russischen Streitkräfte und der deutsche Aufmarsch, (in: Ehlert, Schlieffenplan)
 
Manchmal denke ich Gandolf hat Recht!
Die Briten hatten längst unmißverständlich klar gemacht, dass sie "auf jeden Fall mit Frankreich gehen würden."
Ein Defensiv-Konzept hatte der deutsche Generalstab nicht. Die Festungen auf die es sich hätte stützen können auch nicht. Dass Feldbefestigungen bestückt mit vielen Maschinengewehren auch kaum zu durchbrechen waren, wusste man noch nicht. Und die Maschinengewehre in der erforderlichen Stückzahl hatte man auch nicht.
Die Franzosen begannen vor den Deutschen mobil zu machen, (nur ne Stunde, aber immerhin) stärker war das französische Heer auch wie das deutsche.
Die Entente im Sommer 1914 steht irgendwo für ca. 1/3 der Fläche der Erde, der Bewohner und vermutlich auch aller Ressourcen. Ein "langer" Krieg musste verloren werden. Die Respektierung der belgischen Neutralität brachte dem DR, wie Gandolf überzeugend aufgezeigt hat, keinerlei Vorteil. Weder militärisch noch politisch. Dagegen vermutlich kriegsentscheidende Nachteile.

Wenn man Gandolfs Argumentation folgt, ist die Sache klar. Deutschland musste so schnell wie irgend möglich losschlagen, es handelte in absoluter Notwehr. Insofern sind alle moralischen Argumente Augenwischerei. Diesen Krieg durfte man nicht verlieren! Was Compiègne und Versailles dann ja auch bewiesen haben.

Andererseits war Britanniens Haltung vielleicht doch nicht so eindeutig? Hätte man es vielleicht nicht doch versuchen sollen?

Normalerweise sind nach der Beendigung eines Krieges nur die Akten der Verlierer zugänglich. Die sowjetische Regierung hat jedoch die zaristischen Geheimakten zum Kriegsbeginn schon 1919 veröffentlicht.
Was einiges erhellt, nicht nur die Deutschen stärkten ihrem Verbündeten den Rücken, auch die Franzosen übergaben in St. Petersburg einen Blankoscheck. Berlin und Paris wollten es dieses Mal wissen. Kein Zweifel.

Nur die Briten bemühten sich den Frieden zu erhalten, und hätten sich auch gerne "herausgehalten". Aber die Deutschen konnten oder wollten nicht darauf eingehen.

Das ist für mich die Synthese der von Amicus und Gandolf bisher vorgebrachten Argumente.
Aber, mal sehen, vielleicht kommt ja noch was.
Ich bin sehr gespannt.
 
David Lloyd George weist in Rückblick auf die Julikrise 1914 in seinen Memoiren auf die europäische Führungskrise in Europa hin und betont dann insbesondere, dass Sir Edward Grey in dieser Krise versagt hat.

..“who had failed in every enterprise of magnitude he ever undertook.“

….“a mistake vie wog history […] to assume that its episodes were entirely due to fundamental cause which could not be averted, and that they were not precipitated or postponed by the intervention of personality.“

(Quelle George W. Egerton, The Lloyd George War Memoirs; A Study in the Politicts of Memory; in journal of Modern History, vol 60, 1988, Seite 55-94 hier zitiert nach Erster Weltkrieg Wirkung, Wahrnehmung, Analyse)



Llyod George weist ausdrücklich daraufhin, wenn das englische Kabinett seinen Vorschlag nur gefolgt wäre, Deutschland schon gleich zu Beginn der Krise klarzumachen, das die Neutralitätsverletzung Belgien für England der casus belli ist, hätte seiner Meinung nach der Krieg vermieden werden können. Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Quelle, Erster Weltkrieg Wirkung Wahrnehmung Analyse, München 1994)


In der 1993 erschienen Biographie über den Unterstaatssekretär im Foreign Office Sir Eyre Crowe heisst es, das gemäß Crowe es gut gewesenwäre, wenn Grey seine Warnungen beachtet hätte. Crowe Vorschläge beinhalten, wenn England nicht neutral bleiben wollte, das war ja bekanntermaßen Greys Ziel, dann hätte Grey Frankreich und Russland von Anfang an seine Unterstützung signalisieren müssen.

(Quelle, Sybil Crowe, Edward Corp,Our Ablest Public Servant Sir Eyre Crowe 1864 -1925, Braunton Devon 1993)




Offenkundig war man sich im Foreign Office nicht gerade einig. Das Ergebnis ist bekannt.
 
Zwei Auffassungen ringen miteinander:
1. GB wäre besser der Entente beigetreten, um D im Juli 1914 vor einem Weg in den Krieg abzuschrecken.
2. Ein friedliches D konnte auch durch britische Vermittlung vom Krieg abgehalten werden; im übrigen halt nicht.

Die zweite Auffassung scheiterte bekanntlich daran, dass D die Weichen frühzeitig auf Krieg stellte, alle britischen Verhandlungsversuche ablehnte und viel zu spät und nicht entschlossen genug den Weg in den Abgrund zu korrigieren versuchte. Doch war dies für Grey im Juli 1914 vorhersehbar? Er hatte die Erfahrung gemacht, dass sich die Krisen auf dem Balkan durch ein deutsch-britisches Krisenmanagement eindämmen liessen.

Die erste Auffassung berücksichtigt meines Erachtens zu wenig, die in den deutschen Regierungs- und Generalstabskreisen verbreitete Einschätzung, dass ein Krieg besser früher als später käme und dass versucht werden sollte, die Trippelentente auseinander zu manövrieren bzw. die militärische Entscheidung herbeizuführen. Meine Erwartung: gerade wenn die Briten 1914 der Entente beigetreten wären, hätte man in Berlin versucht, die Briten mit Hilfe der Julikrise wieder aus der Trippelentente herauszulocken, so wie das DR in der Vergangenheit versuchte, das französisch-russische Bündnis bzw. die frz.-brit. entente cordiale zu lockern (z.B. in den Marokkokrisen).

Die Auffassung, dass man D gegenüber einen harten Abschreckungskurs fahren müsste, wurde übrigens von den brit. Konservativen vertreten. Insofern relativieren sich dann auch alle Spekulationen über GBs mögliche Rolle im August 1914. Hätte sich Grey im liberalen Kabinett nicht durchgesetzt, wäre Asquish zurückgetreten. Im Parlament hätte es dann eine breite Mehrheit (Konservative plus [Groß-]Teil der Liberalen) für ein Kabinett gegeben, dass bereit gewesen wäre, in den WK zu Gunsten F einzutreten.

Der Ausgleich [GB, Gandolf] mit DR wurde seit 1911, als der Rüstungswettlauf zur See prinzipiell gewonnen war, im Großen und Ganzen nicht mehr gesucht.
Widerspruch!!!

Die Flottenfrage war in den Hintergrund gerückt.

1913 wurde zwischen GB und D ein Kolonialvertrag paraphiert, der deutliche Verbesserungen zu Gunsten D vorsah bei der Aufteilung der port. Kolonien in dt.-brit. Interessensphären gegenüber dem Vertrag von 1898: Angola bis zum 20. Längengrad, San Thome und Principe sowie der nördliche Teil von Mocambique fielen nun in die dt. Sphäre. GB wollte sogar den Kongostaat einbeziehen. D sollte an diesem das Vorkaufsrecht erhalten und ihn wirtschaftlich durchdringen dürfen. Dies wurde aber von Berlin abgelehnt. Nach der Paraphierung gab es dann einen (unwürdigen) Streit über die Frage, ob die Briten diesen Vertrag veröffentlichen durften, obwohl wegen dem innigen brit.-port. Verhältnis davon auszugehen war, dass die Portugiesen diesen Vertrag ohnehin kennen.

Am 15.06.14 wurde noch der Vertrag über die Bagdad-Bahn paraphiert. GB gab seinen Widerstand gegen den Eisenbahnbau auf!

Die einflussreichen Londoner Handelskreise waren an guten Beziehungen zu D interessiert.

Alles in allem verbesserte sich das deutsch-britische Verhältnis bis Juli 1914 spürbar. Am 23. Juli, bevor das österreichische Ultimatum bekannt wurde, erklärte LLoyd George vor dem Unterhaus, dass die Beziehungen zu D besser als seit Jahren seien und daß er "substantielle Einsparungen in den Marineausgaben" voraussagen könne (vgl. Robert K. Massie, Die Schalen des Zorns, 1993, S. 755).

In Berlin freilich hoffte man auf eine unbedingte britische Neutralitätserklärung (detente), die wiederum in Widerspruch zur grundsätzlichen Ausrichtung der britischen Außenpolitik gestanden wäre. Die Neutralitätserklärung wiederum stand in Zusammenhang mit den militärischen Planungen und Sicherheitseinschätzungen. Die oben beschriebenen klimatischen Verbesserungen wusste man in Berlin nicht zu würdigen.
repo schrieb:
Wenn man Gandolfs Argumentation folgt, ist die Sache klar. Deutschland musste so schnell wie irgend möglich losschlagen, es handelte in absoluter Notwehr.
Ich hoffe doch nicht.

Deutschland wäre am besten auf die Lichnowsky-Linie eingeschwenkt:
- den Frieden erhalten mit GB;
- den größten wirtschaftlichen Aufschwung in der Geschichte fortsetzen;
- ÖU seinem Schicksal (Auseinanderfallen) überlassen, da als Bündnispartner wie Italien ohnehin wertlos.

Übrigens handelte D 1914 nicht in Notwehr; D und ÖU waren vielmehr Haupttäter. In Bezug auf Belgien hat ja selbst Bethmann Hollweg eingeräumt, das Völkerrecht gebrochen zu haben.
silesia schrieb:
Eine Defensiveinstellung des deutschen Generalstabs vor 1914 wäre ein Unikum, triumphierte doch in ganz Kontinetaleuropa ein "Kult der Offensive, eine Angriffsmystik". Moltke d.Ä. ist hier eine andere Zeit.
Die Offensive wurde nach 1866 und 1870 kultig. Diesen Kult hatte Moltke d. Ä ausgelöst. Insofern würde ich Moltkes Sinneswandel noch zum Zeitalter des Offensivkults rechnen, freilich als eine dem Offensivkult entgegen stehende Auffassung.

Zudem gab es ja auch noch andere Impulse für eine Umorientierung in der Kriegsplanung als den "alten" Moltke, der ironischerweise moderner war als seine Nachfolger:
- die veränderte Natur des Krieges (Stichwort: Volkskrieg);
- die notwendige Zusammenarbeit zwischen Militär und zivilen Behörden;
- die Strategiedebatte zwischen Delbrück und dem Großen Generalstab (Delbrück brachte Friedrich den Großen mit defensiven Strategien in Verbindung)
etc.
silesia schrieb:
u.a. nach Hildebrand, Staatskunst und Kriegshandwerk
Du meinst sicherlich Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk.
 
Du meinst sicherlich Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk.
Nein, Hildebrand, wie oben geschrieben.

Ansonsten sehe ich das ähnlich.

Bei der Flottenfrage sind unsere Standpunkte mE kein Widerspruch, ich habe in die gleiche Richtung argumentiert, dass nämlich diese Frage nach 1911 keine wesentliche Rolle spielte und von GB entsprechend gelassen betrachtet werden konnte (der Hinweis ist ein Grund dafür: der Wettlauf war entschieden).
 
Zuletzt bearbeitet:
Am 25.07 informierte Lichnowsky Jagow darüber, das Grey „scharf“ zwischen den Beziehungen Österreich-Ungarns und Serbien auf der einen Seite und Österreich-Ungarns und Russland unterscheide. Des Weiteren hat Grey Lichnowsky darüber informiert, das England gegenüber Frankreich oder Russland durch keinerlei bindende Abmachungen verpflichtet wäre. Am 25.07.1914 hatte Österreich-Ungarn seine Beziehungen zu Serbien abgebrochen und mit der Teilmobilmachung begonnen. Das war für Grey offenbar kein Problem.

Am 27.07.teilt Lichnowsky Jagow mit, das Grey seine Meinung nun geändert hätte und aus den beiden Problemkomplexen nun einer geworden sei. Der 27.07. war übrigens auch der Tag, an dem die russische Teilmobilmachung begann; der französische Botschafter in St.Petersburg war fast am Ziel seiner Wünsche.

Am 28.07.14 hat Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärt.

Am 29.07 warnt Grey das erste Mal klar und deutlich das Deutsche Reich.

(Quelle,Juli 1914, Dokumente, München 1980)

Am 01.August 1914 erfolgte die deutsche Kriegserklärung an Russland. Nun kamen von Lichnowsky die erfreulichen Telgramme aus London. Wer hier welche „Enten“ verbreitet hatte, Grey oder Lichnowsky oder oder, lass ich einfach mal dahin gestellt. Fakt ist, das in Berlin die Freude groß war und man bereit war die Neutralität Frankreichs und Belgiens zu respektieren.

Ebenfalls 01.August: Grey vom englischen Kabinett offiziell Deutschland zu warnen. Grey teilt Lichnosky mit, das eine Verletzung der belgischen Neutralität für Großbritannien der casus belli sein könnte.

Am 02.August den ganzen Tag über Sitzung des englischen Kabinetts.

Am 03.August morgens britisches Ultimatum an das Deutsche Reich.

Abschließend:
Lichnowsky hat in seiner„Flut von warnenden Hinweisen“ seine persönlichen Schlussfolgerungen und Einschätzungen nach Berlin weitergegeben. Grey hat sich erstmals am 29.07. unmissverständlich geäußert. Es bleibt offen, ob er dazu vom Kabinett autorisiert worden ist.

Lichnowskys Lebenserinnerungen sind naturgemäß autobiographischer Natur und von daher mit einer gewissen Skepsis zu begegnen. Autobiographen neigen dazu, ihr eigenes Handeln in ein günstigeres Licht darzustellen, als es tatsächlich war.

Imanuel Geiss war Schüler von Fritz Fischer, der bemüht war, Deutschland die absolute Hauptschuld anzulasten. Das hat er versucht mit seinen wissenschaftlichen Werken nachzuweisen.
 
Imanuel Geiss war Schüler von Fritz Fischer, der bemüht war, Deutschland die absolute Hauptschuld anzulasten. Das hat er versucht mit seinen wissenschaftlichen Werken nachzuweisen.
Auf was willst Du hinaus? Möchtest Du etwa behaupten, dass Geiss - immerhin ein veritabler Hochschullehrer - die von mir zitierten Dokus in der von ihm herausgegebenen Quellensammlung verfälscht wiedergegeben hat, um so Deutschland die "absolute Hauptschuld" (was soll das eigentlich sein?) anlasten zu können? Das wäre eine ganz und gar absurde Theorie.

Ferner übersiehst Du folgendes:

1. Lichnowsky hatte als Botschafter die Aufgabe eines Seismographen. Wenn er z.B. am 27.7. nach Berlin meldete, dass er in einem mit Grey geführten Gespräch deutlich den Eindruck entnommen habe, dass sich England - wenn Österreich die Krise nutzt, um Serbien niederzuwerfen - "unbedingt auf Seite Frankreichs" stellen wird (vgl. # 80), dann war Berlin schon am 27.7. gewarnt. - Entsprechendes gilt für die anderen Telegramme.

2. Das Argument mit den beschönigenden Memoiren zieht bei Lichnowsky insofern nicht als dieser ja zugibt, Grey missverstanden zu haben. Dass sein Telegramm an Berlin unter dem Vorbehalt des mit Grey für Nachmittag geplanten Gesprächs stand, ergibt sich aus dem Telegramm selbst. Dass Berlin schon feierte, bevor das Gespräch mit Grey geführt wurde, zeigt allenfalls wie groß dort die Erleichterung war, den sich bis dahin abzeichnenden Kriegseintritt der Briten doch noch abgewendet zu haben.

3. Grey brauchte als Außenminister für seine Warnungen und Gespräche nicht die Zustimmung des Kabinetts.
 
Auf was willst Du hinaus? Möchtest Du etwa behaupten, dass Geiss - immerhin ein veritabler Hochschullehrer - die von mir zitierten Dokus in der von ihm herausgegebenen Quellensammlung verfälscht wiedergegeben hat, um so Deutschland die "absolute Hauptschuld" (was soll das eigentlich sein?) anlasten zu können? Das wäre eine ganz und gar absurde Theorie.

@Gandolf
Atme tief durch und entspanne dich wieder!:winke:
Mein Einwurf sollte verdeutlichen, welches Geistes Kind Geiss ist. Geiss hat eine Dokuementensammlung zusammengestellt, aber ich weiß beispielsweise nicht, wie vollständig die ist? Eine Quellenkritik oder kritische Anmerkungen sind hier im Forum m.W. nach durchaus zulässig.

Übrigens hast du doch selber auch weiter oben einige renomierte Historiker in Frage gestellt.
 
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1. Lichnowsky hatte als Botschafter die Aufgabe eines Seismographen. Wenn er z.B. am 27.7. nach Berlin meldete, dass er in einem mit Grey geführten Gespräch deutlich den Eindruck entnommen habe, dass sich England - wenn Österreich die Krise nutzt, um Serbien niederzuwerfen - "unbedingt auf Seite Frankreichs" stellen wird (vgl. # 80), dann war Berlin schon am 27.7. gewarnt. - Entsprechendes gilt für die anderen Telegramme.

Ist ja alles schön und gut, aber Eindrücke können täuschen und Lichnowsky hat sich beispielsweise am 01.August doch wohl getäuscht oder nicht?

2. Das Argument mit den beschönigenden Memoiren zieht bei Lichnowsky insofern nicht als dieser ja zugibt, Grey missverstanden zu haben. Dass sein Telegramm an Berlin unter dem Vorbehalt des mit Grey für Nachmittag geplanten Gesprächs stand, ergibt sich aus dem Telegramm selbst. Dass Berlin schon feierte, bevor das Gespräch mit Grey geführt wurde, zeigt allenfalls wie groß dort die Erleichterung war, den sich bis dahin abzeichnenden Kriegseintritt der Briten doch noch abgewendet zu haben.


Es sind aber doch rein subjektive Ausführungen. Es gibt genügend Beispiele in der Geschichte, das Autobiograhien nicht das letzte Wort sind. Da fließen zu viele persönliche Empfindungen, Betrachtungen und Meinungen ein. Ich bin mir sicher, das wirst du nicht bestreiten. Warum sollte es gerade bei Lichnowsky anders sein?

3. Grey brauchte als Außenminister für seine Warnungen und Gespräche nicht die Zustimmung des Kabinetts.

Warum wurde er dann beispielsweise direkt vom Kabinett dazu autorisiert? Grey sollte doch wohl keine private Außenpolitik betreiben? In so einer großen und gewaltigen Krise, sind unabgestimmte Sologänge glaube ich nicht im Sinne des Kabinetts. Lloyd George, der damalige Kabinettskollege, hat später Greys Agieren in der Julikrise auch harsch kritisiert.
 
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@Gandolf
Atme tief durch und entspanne dich wieder!:winke:
Mein Einwurf sollte verdeutlichen, welches Geistes Kind Geiss ist. Geiss hat eine Dokuementensammlung zusammengestellt, aber ich weiß beispielsweise nicht, wie vollständig die ist? Eine Quellenkritik oder kritische Anmerkungen sind hier im Forum m.W. nach durchaus zulässig.

Übrigens hast du doch selber auch weiter oben einige renomierte Historiker in Frage gestellt.
Das habe ich - allerdings auf der Basis von Quellen nicht auf der Basis von Vorwürfen wie "Fischer-Schüler".

Übrigens war auch Fritz Fischer ein ehrbarer Hochschullehrer, der die Geschichtswissenschaft in den 6oer nach vorne gebracht hat, unabhängig davon ob man alle seine Thesen teilen mag. Es ist also gar keine Schande für Geiss ein "Fischer-Schüler" zu sein.
 
Ist ja alles schön und gut, aber Eindrücke können täuschen und Lichnowsky hat sich beispielsweise am 01.August doch wohl getäuscht oder nicht?
Nur wenn Greys Version stimmt. Dann wird man aber kaum Grey die Verantwortung für die Folgen von Lichnowskys Täuschung in die Schuhe schieben können. Genausowenig, wie man ihm für Lichnowskys Missverständis verantwortlich machen kann.
amicus schrieb:
Es sind aber doch rein subjektive Ausführungen. Es gibt genügend Beispiele in der Geschichte, das Autobiograhien nicht das letzte Wort sind. Da fließen zu viele persönliche Empfindungen, Betrachtungen und Meinungen ein. Ich bin mir sicher, das wirst du nicht bestreiten. Warum sollte es gerade bei Lichnowsky anders sein?
Weil letztlich beide Gesprächspartner insofern übereinstimmend berichten, dass Grey am 1.8.14 nicht das vorschlug, was Lichnowsky nach Berlin (unter Vorbehalt) kabelte:
- Grey zufolge lag überhaupt kein Vorschlag vor;
- Lichnowsky hingegen will Grey falsch verstanden haben.

Auch stand Lichnowskys erstes Telegramm vom 1.8.14 unter dem Vorbehalt des Nachmittagsgesprächs. Berlin hätte also warten müssen; tat es aber nicht!
amicus schrieb:
Warum wurde er dann beispielsweise direkt vom Kabinett dazu autorisiert? Grey sollte doch wohl keine private Außenpolitik betreiben? In so einer großen und gewaltigen Krise, sind unabgestimmte Sologänge glaube ich nicht im Sinne des Kabinetts. Lloyd George hat später Greys Agieren in der Julikrise auch harsch kritisiert.
Außenminister sind - unabhängig von irgendwelchen Kabinettsbeschlüssen - autorisiert Warnungen auszusprechen und Gespräche zu führen.
 
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