Ave Cato,
Cato schrieb:
...die Deutung der Graffiti ist schon für Experten schwierig, für Laien sowieso. Wenn Prof. Wiegels mehr als zehn Jahre Zeit zur Begutachtung hatte, nehme ich nicht an, dass ihm eine Interpretationsmöglichkeit entging. Letzendlich schließt er sich seiner spanischen Kollegin an, dass LPA mit Legio Prima Augusta zu übersetzen ist.....
Yep, dass ist so. Aber schauen wir uns die Geschichte doch mal näher an. Man findet schon 1992 (veröffentlicht Franzius 1999) ein Mundblech mit zwei Zeilen gekritzeltes,
man liest in der interessanten zweiten Zeile:
L P A X (?) X
Das Fragezeichen steht da, weil die beiden X-en unschwer zu identifizieren sind, aber das Gekritzele dazwischen dass kann viel heisen: I, II, L , T, es ist kaum zu sagen, wobei eigentlich aber die I oder II am naheliegensten wären, da die beiden Striche gut erkennbar sind.
Wenn Wiegels jetzt so ein Atlantishistoriker wäre, würde er sofort jubeln und dann veröffentlichen: Sicherer Beleg für die Anwesenheit der Legionen XIX oder XIIX in Kalkriese gefunden!
Tut er aber nicht, schliesslich ist er Profi. Denn viel markanter als die deutelbaren Kratzungen ist die umgearbeitete Münze, die offensichtlich auch zum Beiwerk der Schwertscheide gehörte: Diese Silberscheibe(Gemme) zeigt ein Münzbild, dass in 19 v.Chr in Cordoba/Hispanien anzusiedeln ist. Da waren die XIX oder XIIX aber vermutlich nie.
Er könnte zwar jetzt behaupten, dass sie ja später und auch woanders eingarbeitet werden konnte und nix zu bedeuten hätte, aber er ist ja Profi. Er wendet sich also nach Spanien an Fr.Paz, die Expertin für Inschriften der dortigen Legionen ist. So schreibt er am Beginn seines Artikels S.90:".....jedoch sei schon an dieser Stelle angemerkt, dass die hispanische Prägung des Denars zwar nicht 'zwingend' auch die Herstellung der Kalkrieser Beschläge oder den Erwerb der Gemme in Hispania indiziert, aber doch ein nicht zu unterschätzender Hinweis auf einen Zusammenhang mit Hispanien liefert, worauf noch zurückzukommen sein wird."
Die Münze ist der entscheidende Hinweis, nicht die Inschrift als solche!
Nun versuchen die beiden also die Inschrift entsprechend zu deuten. Einen eindeutigen Referenzbeleg für LPA können sie zwar nicht finden, aber Paz kann zeigen dass statt der üblichen I öfters PR(ima) verwendet wurde und auch schonmal SEC(unda) für die II. Somit kommt man also zu Legio Prima Augusta für LPA. Was ist jetzt aber mit X?X zu machen? Paz schlägt vor, dass X für denarius steht und hinter dem X müsste dann L für Fünzig stehen (denn die leichter erkennbaren I oder II würden das Teil nämlich zu billig machen) und dann wäre es dass Preisschild zu LX (60) Denaren gewesen.
Dazu Wiegels S.95:"...Das folgende X lässt sich vielleicht als Wertzeichen für Denare verstehen, gefolgt von einer Ziffer, die man eventuell als LX (?) lesen kann, zusammen genommen also (denarios) LX (?)....Eine sichere Deutung dieser Details erscheint vorerst nicht möglich."
Cato schrieb:
...Auf jeden Fall ist es bedauerlich zu sehen, wie schnell aus LPA ein LKA wurde. Eine anonyme Anzeige ist wirklich lächerlich, denn ein Gericht wird nicht zur Klärung einer wissenschaftlichen Frage beitragen können. Der Vorwurf des Subventionsbetruges hat m.E. wenig Aussicht auf Erfolg......
An dieser Stelle möchte ich zweierlei Dinge feststellen:
Erstens: Diese äusserst sorgfältige Vorgehensweise Wiegels zeugt von der excellenten Qualität seiner Arbeit. Statt gleich über XIX oder XIIX zu jubeln, begibt er sich an die zehn Jahre lang auf Wahrheitsfindung. Die von den Schoppes unterstellte Unwissenschaftlichkeit und Komplotttheorie ist daher von kaum zu überbietender Frechheit.
Zweitens: Wegen der Gemme/Münze schliesse ich mich hier der Lesung von Wiegels/Paz an! Zumindest was das LPA angeht und solange nichts besseres vorliegt.
So, und nun komme ich noch mal zum X?X zurück: Gehen wir also davon aus, das dieLPA-Lesung von Wiegels/Paz stimmt, dann lässt sich also in 19 v.Chr. ein junger Soldat, Anfang 20, in Spanien eine Schwertscheide herstellen. Das Ding ist nicht billig, und er ritzt wie üblich auf wertvolle Ausrüstungsstücke einen Besitzanzeig, also sein Name plus die Untereinheit. Es ist noch etwas Platz, und da kratzt er ganz stolz noch ein LPA für die legio prima augusta.
Nun, fast 30 Jahre später, zur Zeit des Varus ist dieser Legionär aber schon Anfang 50, also ein alter Knochen. Ob er jetzt überhaupt noch in der LPA ist, die ja schon seit genauso langer Zeit LPG heisst, wissen wir nicht, vielleicht wurde er in eine der Varuslegionen versetzt, oder er gab die Schwertscheide z.B. seinem Sohn weiter, der jetzt in einer Varuslegion dient. Nun, wer auch immer, er ritz jetzt auf dem gerade noch verfügbaren Platz auf dem Mundblech, direkt hinter LPA, noch XIX oder XIIX ein, um die Sache klar zu machen. Ausradieren ging ja nicht.
Das es vermutlich so war, ist auch nachvollziehbar: Der Sinn solcher Einritzungen bestand lediglich darin, einen Ausrüstungsgegenstand nach vorübergehendem Verlust wieder zuordnen zu können, und nicht um historische Nachrichten zu übermitteln. Dafür ist der konkrete Inhalt der Ritzung ziemlich unwichtig, man muss lediglich sozusagen die "Seriennummer" des Geräts kennen, um seinen Besitzanspruch zu untermauern.
Und somit haben wir 2000 Jahre später den Salat: Zwei inkonsistente Legionenkennungen und eine wackelige Interpretation eines hochinteressanten Fundstückes.
Beste Grüsse, Trajan.