Partisanenkrieg im Ersten Weltkrieg?

@Shinigami Das entscheidende ist die relativ geringe Zahl von Todesfällen von 40. Verletzungen können alles mögliche sein. Da kann auch einer beim Häuser abfackeln besoffen hingefallen sein und sich ein Bein verstaucht haben

Ich kann mir schwerlich vorstellen, dass man "verstauchtes Bein" unter den Umständen des Krieges als ernsthafte Verletzung führte.
Unter "verletzt" dürfte schon "längere Zeit nicht KV" zu verstehen sein, keine in 3 Tagen überstandenen Blessuren.

Die Frage ob dass nun wirklich alles Opfer sind bei denen Kampfeinwirkungen aktenkundig sind, oder ob es da möglicherweise auch später beim Brand zu verletzungen gekommen sein kann, die da noch drunter fiel hatte ich ja bereits an Scorpio gestellt, halte ich grundsätzlich für möglich.

Ich halte allerdings 40 Tote durchaus nicht für eine besonders geringe Zahl, zumal man bei friendly fire davon ausgehen darf, dass diejenigen, die Schossen denjenigen, den sie für den Gegner hielten überhaupt nicht richtig sehen konnten, sonst hätten sie sie ja als die eigenen Leute erkannt.
Heißt Tote durch friendly fire sind Tote durch Zufallstreffer, bei denen nicht wirklich gezielt, sondern eher auf Verdacht in eine Grobe Richtung geschossen wurde.
 
@Shinigami Ich hatte mal eine Prellung unter dem Fuß, weil ich beim klettern blöd aufgekommen war. Die Folge war, dass ich 4 Wochen Krücken brauchte, also "KV" war.
Die 40 Toten würde ich auch nicht nur auf "friendly fire" zurückführen. In dem amerikanischen Bericht wird auch von zivilen belgischen Kämpfern berichtet, die aufgrund des tagelangen Terrors sich selbst bald füssilliert glaubten und dann im Mut der Verzweiflung begannen gegen die deutsche Truppen zu kämpfen.
 
In dem amerikanischen Bericht wird auch von zivilen belgischen Kämpfern berichtet, die aufgrund des tagelangen Terrors sich selbst bald füssilliert glaubten und dann im Mut der Verzweiflung begannen gegen die deutsche Truppen zu kämpfen.

Wie gesagt, ich will und kann mir da überhaupt kein kompetentes Urteil darüber bilden, wer die ganze Sache angefangen hat und ob das dann letztendlich illegitim/illegal war oder nicht.

Ich stelle einfach nur fest, dass:

- Ich 230 Tote (40) und Verletzte (190) für eine zu hohe Zahl halte, als das mir plausibel erscheint, dass alles als friendly fire, also im Endeffekt Zufallstreffer zurück zu führen.
- Es sehr wahrscheinlich bewaffneten Widerstand belgischer Zivilisten in Leuven gab, wobei ich nicht feststellen kann, ob die korrekt erkennbar waren oder nicht und ob die Feuergefechte mit den deutschen Truppen eröffneten oder nur reagierten.
- Das in Anbetracht des Umstands dass da höchstwahrscheinlich Zivilisten am Werk waren, es jedenfalls mal Zivilisten gab, die trotz offizieller Aufrufe ihre Waffen nicht abgaben und dass anscheinend die belgischen Behörden außerstande waren eine komplette Entwaffnung der Zivilbevölkerung tatsächlich gründlich durchzuführen.


Gerade im Hinblick auf den dritten Punkt, selbst wenn man vorraussetzt, dass auch die Deutschen angefangenn haben könnten:

Offenbar gab es in Leuven belgische Zivilisten, die sich weigerten ihre Waffen abzugeben und an der Stelle wird man hinterfragen dürften, mit welcher Intention sie sich entsprechenden Aufrufen verweigerten, im Besonderen insofern sie wussten, welches Risiko sie für sich und ihre Familien eingingen, wenn die Deutschen bei Razzien Waffen bei ihnen finden sollte.
Man könnte hier vorsichtig unterstellen, dass wer in einer dermaßen heiklen Situation sich von seinen Waffen nicht trennt, durchaus intendierte, diese Waffen einzusetzen, denn dafür sie als bloßen nostalgischen Gründen, Sammelleidenschaft etc. zu behalten, war das Risiko zu groß.
 
wiki meint dazu: "Nach deutschen Angaben wurden ca. 40 deutsche Soldaten aus Hinterhalten erschossen und 190 verletzt."

Und hast Du gesehen, welche Quelle Wiki dafür angibt?

Zerstörung Löwens im Ersten Weltkrieg – Wikipedia

Tatsächlich schreibt Keller: "Über die Höhe der vom Löwener Franktireurfeuer verursachten deutschen Verluste geben die verfügbaren Dokumente keine klare Rechenschaft. Belgischerseits hat man das als Indiz für Vertuschungsabsichten gewertet: offenbar seien die deutschen Verluste so geringfügig gewesen, dass man sie nicht nennen konnte, ohne die These des massiven Zivilwiderstandes zu unterminieren. Wie bei jeder Argumentation 'ex silentio' ist hier jedoch Vorsicht geboten, denn einerseits war der historisch nachweisbare deutsche Blutzoll gar nicht so minimal, andererseits wurden die hier zugrunde liegenden Truppentagebücher innerhalb von Stunden oder Tagen im Zug der laufenden Kriegshandlungen verfasst und konnten daher oft nur provisorische und unklare Statistiken aufmachen."

Im Anschluss referiert Keller die Berechnungen des Veteranen Johann Kühl, der auf 26 Tote und 127 Verwundete plus einer Dunkelziffer von 50% kam. Daraus resultiert die Zahl von 40 Toten + 190 Verletzten.

Im November 1959 hielt Johann Kühl, Vorsitzender der “Kameradschaft Schwere Artillerie”, vor dem Kyffhäuserbund in Kiel einen Vortrag über die Frage, “was in Löwen wirklich geschah”, worin er Schöllers
Schrift als “Verleumdung der Truppen des ehemaligen IX. Reservekorps” geißelte. Kühl sammelte damals bereits Zeugenaussagen noch lebender Kriegsteilnehmer über die Vorgänge in Löwen, die er gemeinsam mit einem Mitherausgeber einige Jahre später als “kriegsgeschichtliche Antwort deutscher Soldaten auf die Beschuldigungen von Dr. Peter Schöller” veröffentlichte.
https://www.journalbelgianhistory.be/nl/system/files/article_pdf/006_Dolderer_2016_3_4.pdf
 
Offenbar gab es in Leuven belgische Zivilisten, die sich weigerten ihre Waffen abzugeben und an der Stelle wird man hinterfragen dürften, mit welcher Intention sie sich entsprechenden Aufrufen verweigerten, im Besonderen insofern sie wussten, welches Risiko sie für sich und ihre Familien eingingen, wenn die Deutschen bei Razzien Waffen bei ihnen finden sollte.
Es gab sie wohl. Man muss aber die Umstände betrachten. Die Tatsache, dass die Deutschen tagelang soundso auch vollkommen Unschuldige hinrichteten, plünderten und Häuser zerstörten dürfte einige Belgier erst dazu gebracht haben, zu den Waffen gegriffen haben. Ob es tatsächlich in Löwen belgischen bewaffneten Widerstand von Zivilisten gab, der die deutschen Gräuel dort auch auslöste, wird sich schwer herausfinden lassen. Eine Franctireurspanik wie in Lincé als Auslöser ist ebenfalls vorstellbar.
 
Es gab sie wohl. Man muss aber die Umstände betrachten. Die Tatsache, dass die Deutschen tagelang soundso auch vollkommen Unschuldige hinrichteten, plünderten und Häuser zerstörten dürfte einige Belgier erst dazu gebracht haben, zu den Waffen gegriffen haben. Ob es tatsächlich in Löwen belgischen bewaffneten Widerstand von Zivilisten gab, der die deutschen Gräuel dort auslöste, wird sich schwer herausfinden lassen. Eine Franctireurspanik wie in Lincé als Auslöser ist ebenfalls vorstellbar.

Wie gesagt, ich will da gar kein Urteil darüber fällen, wer die ganze Sache am Ende intendiert, oder möglicherweise auch nicht intendiert ausgelöst hat.


Der Aufhänger für mich ist eher der andere Punkt, nämlich der Umstand, dass Teile der zivilbevölkerung in Leuven offenbar über Waffen verfügten, obwohl sie aufgefordert waren sie abzuliefern und das anordnungswidriger Weise offensichtlich nicht getan haben.
Und da darf man eben sicherlich durchaus die Frage stellen, warum sie ihre Waffen nicht hergaben, angesichts der Repressionen, die Drohten, falls die bei ihnen gefunden würden, wenn nicht der Gedanke bewaffneten Widerstands jedenfalls grundsätzlich erwogen worden wäre.
 
Weil gerade die Rede von neutralen Beobachtern in Löwen war:

Der Schweizer Geschäftsmann Albert Füglister, seit 1909 in Löwen ansässig und auch während der Ereignisse dort vor Ort, dokumentierte fotografisch das zerstörte Löwen und sammelte belgische Zeugenaussagen, aber auch deutsche Befehle. 1915 hielt er in der französischsprachigen Schweiz zahlreiche Vorträge unter dem Titel "Die Wahrheit über Löwen" und beteuerte vehement, dass in Löwen keine Zivilisten geschossen hätten. Im April 1915 wurden ihm Vorträge im Kanton Bern vom dortigen Polizeidirektor untersagt, mit der Begründung, er würde den inneren Frieden und die Neutralität der Schweiz gefährden und benutze polemische Worte.

siehe Antwort von Regierungsrat Tschumi auf Interpellation Ryser in Tagblatt des Grossen Rates von Bern, 20.5.1915, Seite 84ff
Ordentliche Frühjahrs-Session

Füglister war gebürtiger Deutschschweizer, wuchs aber in Neuchâtel auf, bevor er nach Löwen zog. Das Redeverbot war der New York Times eine Meldung wert und es kam in der französischen Schweiz zu Protesten mit bis zu 700 Personen gegen das Redeverbot.
Sein erstes Buch Louvain. Ville martyre. Paris, London, 1916 muss man vor diesem Hintergrund lesen und man kann es, wenn man will, in die Reihe der Entente- bzw. neutralen Propaganda stellen, doch frage ich mich natürlich: Was trieb diesen Mann an? Er setzte mit seiner Meinung nicht nur seine Geschäftsbeziehungen mit deutschen Handelspartnern aufs Spiel, sondern auch seine Reputation in der (Deutsch-)Schweiz.
Albert Fuglister: the photographer as anti-propagandist by Jan Baetens
Er soll später erfolglos in Den Haag Klage gegen Deutschland wegen Verfälschung der Fakten eingereicht haben und veröffentlichte noch sein zweites Buch A neutral description of the sack of Louvain. Concord, New Hampshire, 1929.

Weiß jemand mehr zu dieser Klage?
 
Das folgende Beispiel aus Lothringen (nicht Belgien!) ist sicher auch auf heimtückisches Freischärlertum zurückzuführen:

Mein Beispiel dient vor allem dazu, zu zeigen, dass es für deutsche Gräueltaten weder eingebildeter Partisanen, noch einer Panik oder übergroßer psychischer Belastung bedurfte. Das sind doch alles Rechtfertigungsversuche für Taten, die nicht zu rechtfertigen sind. Zudem wird versucht, die Taten auf die übergroße Belastung der einfachen Soldaten zu schieben, wobei sie in Wirklichkeit von hohen und höchsten Offizieren befohlen wurden.

In diesem konkreten Fall war man dadurch, dass reguläre französische Einheiten es wagten, Widerstand zu leisten, so sehr indigniert, dass man aus Rache einen Trupp Krankenschwestern und den Dorfpfarrer füsilierte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mein Beispiel dient vor allem dazu, zu zeigen, dass es für deutsche Gräueltaten weder eingebildeter Partisanen, noch einer Panik oder übergroßer psychischer Belastung bedurfte. Das sind doch alles Rechtfertigungsversuche für Taten, die nicht zu rechtfertigen sind

Ich verweise noch einmal auf den Unterschied von Erklärungsansätzen für entsprechende Episoden und Rechtfertigungen.

Es hat in diesem Faden niemand behauptet, dass, was sich dort abgespielt hat, in irgendeiner Weise zu rechtfertigen wäre.
Und eines Beweises dafür, dass es im 1. Weltkrieg zu willkürlichn Übergriffen gegen die Zivlbevölkerung kam, bedarf es auch nicht, ist doch alles längst erbracht worden.
Man denke etwa an die neueren Erkenntnisse dazu, was sich in 1914-1916 an der galizischen Front abspielte, wo von beiden Seiten her Morde an Zivilisten begangen wurden, die in Teilen der bloßen Kollaboration mit der Gegenseite verdächtigt wurden, ohne dass es in diesem Gebiet besondere Ausprägungen von Partisanen-Panik o.ä. gegeben hätte, jedenfalls gab es das in Galizien nicht so ausgeprägt wie im Westen, trotzdem kam es zu entsprechenden Übergriffen.

Insofern dass so etwas mitunter auch ohne jede Provokation vorkommen konnte, weil man es in der Tat mitunter mit Einheiten/Kommandeuren zu tun hatte, die sich an Recht und Gesetz nicht hielten und sei es aus Frust, purer Zerstörungswut, blankem Sadismus heraus motiviert, ist das jetzt keine bahnbrechende Erkenntnis.
Nur wird man das nicht einfach in dem Sinne generalisieren können, von ereignissen, bei denen es sich tatsächlich so verhielt, auf den gesamten Komplex zu schließen.

Zudem wird versucht, die Taten auf die übergroße Belastung der einfachen Soldaten zu schieben, wobei sie in Wirklichkeit von hohen und höchsten Offizieren befohlen wurden.

Stopp, stopp stopp.

Es ist einmal nicht wegzudiskutieren, dass Verletzungen (z.B. durch Schrot) aktenkundig sind, die ziemlich eindeutig auf bewaffnete Auseinanderstzungen mit der Zivilbevölkerung schließen lassen (auch wenn die an und für sich nichts darüber aussagen, ob deren Beteiligung legal war oder nicht), ebnso aktenkundig sind Verluste, bei denen am Ende nicht mehr unbeedingt nachvollziehbar zu sein scheint, ob die Auf kämpfe mit der Zivilbevölkerung oder auf friendly fire zurückzuführen sind.

Insofern also nicht zu bestreiten ist, dass Soldaten in Teilen beschossen wurden (wenn auch mitunter nicht zu klären sein wird durch wen), ist den entsprechenden Soldaten sicherlich mindestens ein entsprechend hohes Stress-Level zuzubilligen.
Das kann man nicht einfach mit dem Verweis darauf vom Tisch wischen, dass es mitunter auch ohne dem zu Übergriffen kam, es hat einmal auch solche Zwischenfälle gegeben und wenn die darin mündeten, dass die tatsächlich Beschossenen anfingen selbst in die Richtung zu schießen, aus der sie meinten beschossen zu werden, ist das abseits aller juristischen Fragen erstmal eine nachvollziehbare Reaktion und mitunter eine plausible Erklärung warum möglicherweise auch unbeteiligte Zivilisten zu schaden kamen, die eher unbeeabsichtigt in die Schussbahn geraten konnten.

Selbstrendend rechtfertigt das in keiner Weise das systematische Zerstören ganzer Ortschaften oder Massenerschießungen von Zivilisten, denen man keine Beteiligung an irgenwas nachweisen konnte.

Umgekehrt nun aber darauf schließen zu wollen, Ermordug von Zivilisten und Zerstörung von Ortschaften wäre von den höheren Offizieren standartmäßig angeordnet und die Truppen en gros geradezu ermutigt wurden, zu Morden und niederzubrennen, erscheint vollkommen überzogen.
Wäre dem tatsächlich so gewesen, hätte man es, was die Causa Belgien angeht mit deutlich höheren Opferzahlen und wirklich flächendeckenden Zerstörungen auch im Osten Belgiens zu tun gehabt.

Was man den Offizieren sicherlich in größerem Maßsstab zum Vorwurf machen kann, ist ein realtiv laxer Umgang mit dem Thema Plünderungen und der damit verbundenen punktuellen, spontanen Eskalationsgfahr.
 
Mein Beispiel dient vor allem dazu, zu zeigen, dass es für deutsche Gräueltaten weder eingebildeter Partisanen, noch einer Panik oder übergroßer psychischer Belastung bedurfte. Das sind doch alles Rechtfertigungsversuche für Taten, die nicht zu rechtfertigen sind. Zudem wird versucht, die Taten auf die übergroße Belastung der einfachen Soldaten zu schieben, wobei sie in Wirklichkeit von hohen und höchsten Offizieren befohlen wurden.
@Stilicho das sind unzweifelhaft plausible Überlegungen! Weil sie aber dem Standardwerk von Horne/Kramer widersprechen, und zwar explizit nicht im Sinn von Keller, komme zumindest ich damit nicht klar.

Ich zitiere einen Ausschnitt aus dem neuen Vorwort von Horne/Kramer, weil da der Irrglaube "Franktireurpanik" als wirkmächtig und oftmals ursächlich erklärt wird. Aber ich kann in diesem Textausschnitt absolut keine Rechtfertigung in deinem Sinn erkennen:
(...)
Wie wir (vor allem im 3. Kapitel) feststellen, griffen in den ersten zwei Kriegswochen (bis 18.August) vereinzelte Zivilisten in Belgien und Frankreich zu den Waffen. Belege für zivilen Widerstand nach diesem Datum, an dem der allgemeine Vormarsch der deutschen Armeen begann, sind dürftig oder wenig glaubhaft. Es ist gut möglich, dass die lokalhistorische Forschung weitere solcher kleinen Vorfälle wie am 9.August in St.Truiden aufdecken wird. Doch können das Ausmaß und die räumliche Ausdehnung der deutschen militärischen Gewalt– mit 129 Vorfällen, in denen 10 oder mehr Zivilisten getötet wurden und etwa 6500 Toten insgesamt– nicht mit einem »Franktireuraufstand« erklärt werden, es sei denn, dieser sei massiv und weit verbreitet gewesen und durch nationale und kommunale Behörden und Honoratioren wie Priester organisiert worden, wie die deutsche Armee und die Regierung behaupteten. Genau das wollte Keller für den Fall von Belgien belegen. Für einen solchen orchestrierten Widerstand existieren aber keine belgischen Archivquellen. Hätte es zivilen Widerstand in diesem Ausmaß und Organisationsgrad gegeben, gäbe es eine schriftliche oder mündliche Überlieferung, zumindest von den beteiligten »Helden«. Nicht einmal amtliche oder kirchliche Schriftstücke existieren. Daher musste Keller auf seine Behauptung zurückgreifen, dass der (in Auflösung befindliche) belgische Staat alle Spuren seiner Beteiligung insgeheim beseitigte– eine unbelegbare Hypothese. Der unter den deutschen Soldaten verbreitete feste Glaube an den »Franktireurkrieg« war zwar ein Irrglaube, stellte sich jedoch als ausgesprochen wirkmächtig für das kriegerische Handeln dar. Die kulturgeschichtliche Analyse dieses Phänomens vervollständigend haben wir darauf geachtet, die analogen Mythen unter den Belgiern zu schildern, etwa die häufig vorkommende Erzählung, dass deutsche Soldaten Kinderhände abhackten oder andere Scheußlichkeiten begingen.
(...)
die Forensoftware verkleinert längere Zitate gern, ich bitte darum, es vollständig zu lesen - oder besser gleich das komplette neue Vorwort von Horne/Kramer:
https://www.hamburger-edition.de/uploads/tx_aimeos/files/3/a/3a64588461965859c815901c1f38a59b.pdf

Die Diskussion hier war zwischenzeitlich unnötig aufgeheizt - das neue Vorwort von Horne/Kramer ist wirklich sehr lesenswert!

Ich meine, wir sollten zwischen erklären und rechtfertigen unterscheiden.
 
Vor allem sollte man zwischen Franctireurpanik und tatsächlichen Franctireuraktivitäten unterscheiden. Ersteres ist eine Fiktion deutscher Truppen, für letzteres brauchen wir eine klare Definition, was ein Franctireur eigentlich ist. Sind bspw. Bürger der Stadt Löwen, die nach tagelangen Terror im Mut der Verzweiflung deutschen Truppen bewaffneten Widerstand leisten, Franctireure?
 
Wenn sich ein Belgier in Löwen als Heckenschütze/Sniper betätigt haben sollte, dann war er ein Franc-tireur, wie er von den deutschen Soldaten erwartet und definiert war. Hätte der Widerstand dort, falls vorhanden, offen hinter Barrikaden verschanzt geschossen, wären sie vermutlich von deutscher Seite immer noch als Francs-tireurs bezeichnet worden.
Der Franc-tireur im Sinne eines Freischärlers von 1870/71 gab es mMn zwar im nicht-okkupierten Belgien mit den Freiwilligen-Verbänden, für Löwen und anderem okkupiertem Gebiet kann ich diese jedoch nicht feststellen.
Auf belgischer Seite wurde der Begriff, soweit ich weiß, 1914 nirgends verwendet.
 
Sind bspw. Bürger der Stadt Löwen, die nach tagelangen Terror im Mut der Verzweiflung deutschen Truppen bewaffneten Widerstand leisten, Franctireure?
Nein, natürlich nicht.
Wenn man es so beschreibt, dann sind sie Helden, die ein heroisches Zeichen für die Nachwelt setzen, indem sie des eigenen Untergangs gewiß kühn der barbarischen Übermacht mit ihrem Selbstopfer entgegentreten.

Aber ich meine, wir werden dem Thema nicht gerecht, wenn wir derart tendenziös in die eine oder andere Richtung mit Formulierungen spielen.
 
Offenbar gab es in Leuven belgische Zivilisten, die sich weigerten ihre Waffen abzugeben und an der Stelle wird man hinterfragen dürften, mit welcher Intention sie sich entsprechenden Aufrufen verweigerten, im Besonderen insofern sie wussten, welches Risiko sie für sich und ihre Familien eingingen, wenn die Deutschen bei Razzien Waffen bei ihnen finden sollte.
Man könnte hier vorsichtig unterstellen, dass wer in einer dermaßen heiklen Situation sich von seinen Waffen nicht trennt, durchaus intendierte, diese Waffen einzusetzen, denn dafür sie als bloßen nostalgischen Gründen, Sammelleidenschaft etc. zu behalten, war das Risiko zu groß.

Angenommen, ein Feind besetzt völkerrechtswidrig dein Land und fordert dich auf, Dinge aus deinem Besitz abzugeben, darunter womöglich Erb- und Erinnerungsstücke oder etwas, womit du einen Teil deines Lebensunterhalts bestreitest (Jagd als Zubrot) - jeder Bauer hat i.d.R. ein Jagdgewehr im Haus - würdest du auf Geheiß dieses illegalen Besatzers abliefern? Rein psychologisch betrachtet?
 
Sind bspw. Bürger der Stadt Löwen, die nach tagelangen Terror im Mut der Verzweiflung deutschen Truppen bewaffneten Widerstand leisten, Franctireure?

Gibt es denn Grund anzunehmen, dass sie erst nach tagelangem Terror zu den Waffen gegriffen haben?

Ich stelle an diesem Punkt einfach noch mal die gleiche Frage, die ich oben schon gestellt hatte, deren Beantwortung du aber ausgewichen bist:

Wenn wir akzeptieren, dass es zivilen Widerstand in Leuven gab (ohne leetztgültig beurteilen zu können, ob der nun lagal war oder nicht, weil wir nicht mehr rekonstruieren können, ob "korrekt uniformieert" oder nicht), dann akzeptieren wird, dass Teile der Zivilbevölkerung sich offenbar weigerten ihre Waffen abzugeben.
Mit welcher Intention?

Wenn du annimmst, dass von belgischer Seite her erst nach tagelangem Terror geschossen worden wäre, würde das bedeuten, dass diejenigen die schossen seit Tagen illegalerweise Waffen und Munition horteten und wenn sie das taten, würde ich meinen, lieegt doch der Verdacht angedachter Partisanenaktivität nahe, ebenso wie der Umstand, dass in diesem Fall die Entscheidung dazu geetroffen worden wäre, bevor die deutschen Besatzungstruppen überhaupt Gelegenheit hatten sich daneben zu benehmen und ihre Bekämpfung zu rechtfertigen.
Das wird doch einsichtig sein.

Ob es tatsächlich zu einem Bruch der kriegsrechtlichen Gepflogennheiten von belgischer Seite in Leuven gekommen ist, dergestalt dass nicht korrekt uniformierte irreguläre Truppen zuerst die deutschen Besatzer beschossenn hätte, dass lässt sich nicht feststellen.
Wenn aber zu Beginn des Besatzungsrregimes, also Tage vor den Gewaltausbrüchen, Teile der Zivilbevölkerung sich weigerten ihre Waffen abzugeben unnd Waffen und Munition horteten, wird man wohl durchaus nicht unplausibler Weise die Vermutung äußern dürfen, dass eine solche Aktion von belgischer Seite zumindest vorbereitet wurde.

Da hilft es auch nicht, jede halbwegs objektive Beurteilung der deutschen Kriegsverbrechen als tendenziös abzutun.
Und du bist der Meinung, ständig Nebelkerzen zu werfen und zu versuchen die Diskussion auf die Beurteilung der deutschen Verbrechen zu lenken, die niemand in Frage gestellt hat, wäre einer Diskussion über das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein belgischen Partisanenwiderstands zuträglich?
 
würdest du auf Geheiß dieses illegalen Besatzers abliefern? Rein psychologisch betrachtet?
rein psychologisch betrachtet: wenn der Feind gerade die völlige Kontrolle hat, egal ob legal oder nicht, und mir mitteilt, dass da keine kleine Geldstrafe, sondern Erschießung droht, würde ich ihm keinen Vortrag über Völkerrecht, über zivile bürgerliche Sitten, Eigentum etc halten, sondern mich so verhalten, dass der böse Feind keinen Anlass hat, mich abzuknallen.
 
Angenommen, ein Feind besetzt völkerrechtswidrig dein Land und fordert dich auf, Dinge aus deinem Besitz abzugeben, darunter womöglich Erb- und Erinnerungsstücke oder etwas, womit du einen Teil deines Lebensunterhalts bestreitest (Jagd als Zubrot) - jeder Bauer hat i.d.R. ein Jagdgewehr im Haus - würdest du auf Geheiß dieses illegalen Besatzers abliefern? Rein psychologisch betrachtet?

Rein psychologisch weiß ich, dass die Besatzungsmacht jederzeit meine Türe eintreten und meinen Besitz durchsuchen kann.
Und dass die, wenn die Waffen bei mir findet mir sofort Partisanenaktivitäten unterstellen und im schlimmsten Fall mich und meine Familie direkt an die Wand stellen wird, ohne Möglichkeit mich zu erklären, ohne fairen Prozess ohne irgendwas.

Und die Wahrscheinlichkeit dass da tatsächlich irgendwer vorbei kommt, sei es weil Zwangseinquartierung angeordnet wurde, weil mich irgendein nachbar als Waffenbesitzer verpfiffen hat, weil ordentliche Requisitionen angeordnet wurden oder weil illegaler Weise Truppenteile meinen Plündern zu können und alles nach Wertsachen durchkämmen, ist da möglicherweise nicht einmal gering.

Wenn das meine Aussichten sind, gehe ich dieses Risiko nicht ein, sondern übergebe alles was ich an Waffen habe vorsorglich, den eigenen Zivibehörden, die zur Ablieferung von Waffen aufrufen, lasse mir eine Empfangsbescheinigung ausstellen und schaue ob ich das nach dem Krieg in irgendeiner Form zurückerhalten oder Schadenersatz geltnd machen kann.
Im schlimmsten Fall ist ein Wertgegenstand oder ein liebgewonnenes erinnerungs-/Erbstück weg, aber immernoch besser als als erschossen zu werden, im Fall das man Waffen bei mir findet und womöglich noch die ganze Familie mit reinzuziehen.

Selbiges auch wenn die Waffe beruflich verwendet wird. Wenn ich die Waffe beruflich brauche, werde ich ja Urkunden haben und Loymundszeugen benennen können, die das vor der Verwaltung der Besatzungsbehörden bzeugen und dann kan ich versuchen dadurch zu einer Ausnahmegenehmigung zu kommen.
Ansonsten, was nutzte es mir denn noch eine Waffe zu haben, auch als Bauer oder sonstwer, der das beruflich verwendet?
In dem Moment wo mich ein Beesatzungssoldat damit herumlaufen sieht oder hört, wie ich damit auf dem Feld oder sonstwo tatsächlich schieße, werde ich ohnehin direkt unter Partisanenverdacht hopps genommen.

Ob ich also de facto keine Waffe gebrauchen kann, weil ich sie abgeliefert habe oder weil ich es nicht wagen darf mich damit irgedwo antreffen zu lassen, bleibt sich doch gleich?
Mit dem Unterschied, wenn ich sie nicht mehr habe, kann sie niemand bei mir finden und es kommt zu keinen Missverständnissen, die damit enden könnten, dass ich vorzeitig das Zeitliche segne.
 
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