Dann wuerde mich doch gleich mal interessieren, was denn, wenn nicht Terrorismus, die wertneutrale Umschreibung fuer die ansonsten so benannten Techniken ist.
Muss bzw. kann es für alle "Techniken" eine wertneutrale Umschreibung geben? Mord wird immer Tötung aus niedrigen Beweggründen sein, ist also per juristischer Definition negativ (im Gegensatz dazu die Tötung ohne niedere Beweggründe: Unfall, Notwehr, auf Verlangen etc.). Terrorismus wird immer das Ziel haben, Angst und Schrecken zu verbreiten, ist also per se negativ.
Was für "Techniken" meinst du denn überhaupt? Ich spekuliere mal, du denkst an Anschläge.
Nehmen wir einen Bombenanschlag:
Der Bombenanschlag kann sich gegen ein Gebäude - etwa eine Zugstrecke - richten. Er kann sich aber auch gegen einen Personenzug richten oder einen Truppentransport.
Ob es sich um Terrorismus, Guerillakampf oder schwere Sachbeschädigung handelt, ist eine Frage, wie das ausgeführt wird und welches das Motiv und das Ziel ist. Beim Motiv kommt noch die Rechtfertigung hinzu.
Beispiel 1: Die ETA will eine Bahnlinie zwischen Madrid und Bilbao in die Luft jagen. Sie ruft vorher bei diversen Zeitungen und Sendern an, dass sie irgendwo an der Bahnlinie ein größeres Paket Sprengstoff deponiert hat, dass um 12:00 des kommenden Tages per Fernzünder oder Zeitzünder aktiviert wird.
Die Zeitungen und Sender haben Zeit genug, die Polizei zu informieren, die Polizei wiederum ist in der Lage die Bahngesellschaften zu informieren und die Züge an der Bahnlinie auszusetzen. Die Bombe geht hoch, Personenschäden gibt es nicht. Dafür ist die Strecke über Wochen oder Monate nicht nutzbar.
Von der Ausführung her hat ETA symbolisch eine Verbindung zwischen Madrid und Bilbao gekappt, ohne Menschen zu schaden, ETA hat sogar aktiv daran mitgewirkt, dass keine Menschen zu Schaden kämen. (Obwohl der Fall fiktiv ist, im Übrigen nicht untypisch für ETA. Ohne den Verein zu verharmlosen, er hat bzw. einige seiner Flügel haben knapp 900 Morde seit späten Franco-Zeit begangen, der letzte 2009: Während Politiker und Polizisten etc. teilweise gezielt, teilweise per Sprengstoffanschlag ermordet wurden, waren Anschläge auf Zivilbevölkerung und Urlauber immer so ausgeführt, dass die Behörden rechtzeitig gewarnt wurden und evakuieren konnten, es ging also darum, Zivilisten und Urlauber nicht zu töten, sondern ihnen das Leben unangenehm zu machen und v.a. die Wirtschaft des spanischen Staates zu schwächen. Aber auch das zählt zu Recht unter Terrorismus).
Praktisch hat ETA - wieder zurück in unserem Beispiel - die spanische Wirtschaft geschwächt und sich der schweren Sachbeschädigung schuldig gemacht. Sie haben gezeigt: Wir sind da und wir können den Staat in Unruhe bringen. Ihr Motiv kann nun sein, Aufmerksamkeit zu erlangen. Aber nehmen wir zu Gunsten von ETA tatsächlich an, dass das Motiv tatsächlich die Loslösung der baskischen Provinzen vom spanischen Zentralstaat ist, so ist die Frage der Berechtigung gegeben. Nach der Doktrin vom Selbstbestimmungsrecht der Völker her, müsste es den Basken eigentlich gestattet sein, ihr eigenes Staatswesen zu errichten (Problem: Würden das überhaupt alle Basken wollen!?), der Nutzen davon liegt in der Unterdrückung der Basken durch den spanischen Zentralstaat. Nur ist diese Unterdrückung tatsächlich eine Chimäre! Die baskischen Autonomien sind die Autonomien mit den am weitesten gehenden Rechten gegenüber dem spanischen Zentralstaat. Insofern kann Unterdückung durch den spanischen Nationalstaat, wie im 19. Jhdt. als die mittelalterlichen
fueros und Zollgrenzen durch die liberale Verfassung aufgehoben wurden, was den wirtschaftlichen Interessen der Bevölkerung er baskischen Provinzen widersprach und sie in die Arme der Absolutisten (Carlistas) trieb, die ihnen die Wiedereinsetzung der fueros versprachen, oder unter den protofaschistischen und faschistischen bzw. postfaschistischen Diktaturen von Primo de Rivera und Franco im 20. Jahrhundert seit der Verfassung von 1978 nicht mehr gegeben. Sprich: Es gibt keinen objektiven Grund für einen bewaffneten Widerstands- oder Freiheitskampf mehr, seitdem die Verfassung von 1978 durchgesetzt ist. Insofern sind die Aktionen der ETA vom Motiv her als Terrorismus zu bezeichnen, der in unterschiedlichem Ausmaß auf Zivilpersonen, Personen des öffentlichen Lebens (in erster Linie Politiker und Manager) und Polizei und Streitkräfte wirkt.
Nehme wir nun die Anschläge von Atocha 2004 als weiteres Beispiel: Hier fuhren mehrere Züge
mit Nagelbomben in den morgendlichen
Berufsverkehr in einen der
Hauptverkehrsknotenpunkte des ÖPNV von Madrid und wurden zur Explosion gebracht. Ziel war es, möglichst viele Menschen zu töten, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Herkunft, die sprichwörtliche Mutter Theresa, genauso wie die Finanzheuschrecke, das unschuldige Kind genauso, wie den Altfaschisten (sofern der sich als Pensionär den allmorgendlichen Berufsverkehr denn unbedingt antun muss)*.
Was war das Motiv? Der 'Iraqkrieg zum einen, 72 Jungfrauen zum anderen, vermutlich auch Ablehnungserfahrungen als Araber in der europäischen/westlichen Gesellschaft. Nur muss man dazu wissen, dass die PP-Regierung (Wahlen standen kurz bevor), die an der Macht war, als sie den USA bei ihrem Einmarsch in den 'Iraq ihre Unterstützung zusicherte, das gegen den ausgesprochenen Willen der Mehrheit der Spanier machte. Als die PSOE dann die Wahlen gewann, waren sich viele Kommentatoren sicher, dass der Anschlag (bzw. auch die Behauptung der PP, dass es ETA gewesen sei, obwohl alles nach al-Qa'ida roch) der PSOE zum Wahlsieg verholfen hatte.
Die Anschläge, die mit dem Einmarsch auch spanischer Truppen in den 'Iraq gerechtfertigt wurden, richteten sich also gegen Menschen, die in ihrer Mehrheit gegen diesen Einmarsch waren. (Nicht dass ich im Fortfolgenden missverstanden werde: ich will hier um Gottes Willen keine Anschläge auf Militärs rechtfertigen). Die Menschen wurden also als Geiseln missbraucht, um die spanische Regierung dazu zu drängen, ihre Truppen aus dem 'Iraq abzuziehen - was Zapatero dann auch tat, aber er hatte den Abzug im Falle seiner Machtübernahme schon im Wahlkampf angekündigt. Die Anschläge richteten sich also gegen Leute, die im Sinne der Anklage der Terroristen unschuldig waren und dann nicht einmal gegen bewaffnete Kräfte, denen man vorher den Krieg erklärt hatte. Von Widerstand und Freiheitskampf kann hier also keine Rede sein.
Drittes Beispiel: Das Volk, eine bestimmt Schicht des Volkes oder eine zum Staatsvolk gehörende Einzelethnie werden vom Staat unterdrückt. Es kommt zu Aufständen, die blutig niedergeschlagen werden, es bilden sich daraufhin Wehren und es entbrennt ein regionaler Bürgerkrieg. Nun sprengt die Widerstandsbewegung ein Gleisbett oder eine Eisenbahnbrücke so in die Luft, dass ein Militärtransportzug mit Truppen (also mit Menschenleben) entgleist oder gar in eine Schlucht fällt, sprich, der Anschlag erfordert einen hohen bis totalen Blutzoll. Ist das nun Terror? Anders als in den beiden vorherigen Beispielen muss die Antwort hier "Nein!" lauten. Es ist zwar nicht die feine Art, ist aber im Prinzip eine Strategie in einem Kriegszustand: Menschen und Material begegnet man nicht mehr auf dem Schlachtfeld. Gerade wenn das Motiv in der Notwehr begründet ist. Und, ohne zynisch wirken zu wollen: Menschen, die in einem Land, welches seine eigenen Bürger mit Waffengewalt unterdrückt Soldaten werden, müssen sich ihres Berufsrisikos bewusst sein.
*Die Beispiele nur, um Emotionalisierung durch Personenbeschreibung zu konterkarieren, da Emotionalisierung auch immer ein Mittel der Propaganda ist.