1. Wir sind nicht in der Völkerwanderungszeit, sondern etwa nach herrschender Chronologie 1000 Jahre früher.
Warum Völker während der
Bronzezeit wanderten - auf die hast du ja weiter oben abgezielt - , kann heutzutage niemand mehr sagen. Man weiß bei vielen vorgeschichtlichen Kulturen nicht einmal, um welche Völker es sich überhaupt gehandelt hat. Hier gibt es nur Hypothesen und Spekulationen, aber keine gesicherten Erkenntnisse.
2. Das Argument der Überbevölkerung zieht meines Erachtens nicht, da dabei wohl nicht der Hauptteil der Bevölkerung abwandert, sondern nur der überschüssige Anteil - deshalb sollte von Restbevölkerung eigentlich keine Rede sein. Dabei gehen wir immer nur von Landwirschaft und Ernährung aus.
Die Gründe für Wanderungen sind meist sehr komplex und können kaum monokausal erklärt werden. Bis heute diskutiert die Forschung darüber kontrovers, wobei meist ein ganzes Bündel von Erklärungsversuchen angeboten wird, wie z.B.:
Verdrängung durch andere Stämme bzw. Völker, Klimaschwankungen, Übervölkerung, Abwanderung so genannter "Jungmannschaften" mit dem Ziel von Landgewinnung und Beute, Überschwemmungen (z.B. an der Nordseeküste), Erschöpfung des Ackerbodens usw. usw.
Bei der noch viel früheren Bandkeramik-Wanderung geht man etwa von 2 km /a aus (Schulwissenschaft), in der Anahme, daß überschüssige Söhne oder Töchter ohne Erbe neues Land entfernt vom eigenen Herd erobern, um neue Familien zu gründen - Dünnstbesiedlung vorausgesetzt.
Ich kenne keinen seriösen Forscher, der so etwas je publiziert hätte!
Die frühen Bauern der Jungsteinzeit breiteten sich von Kleinasien/Anatolien her aus und schufen mit der Sesklo-Kultur in Thessalien im 7. Jahrtausend v. Chr. die erste neolithische Kultur auf europäischem Boden (interessante Funde bei Nea Nikomedia!). Die kolonisierenden Bauern breiteten sich weiter über den Balkan nach Norden aus, schufen die Vinca- und Starcevo-Kultur, schließlich die bandkeramische Kultur, die um 5500 v. Chr. Mitteleuropa erreichte.
Vielfach wird davon ausgegangen, dass es sich bei diesen frühen Ackerbauern um "Wanderbauern" handelte, die den Boden durch Brandrodung urbar machten, ihre provisorischen Siedlungen anlegten, die sie nach Erschöpfung des Bodens in etwa 15-20 Jahren wieder verließen. So entstand schließlich eine mehrere Jahrtausende umfassende "Wanderbewegung", was die damaligen Bauern aufgrund des gewaltigen Zeitraums so nicht unbedingt empfunden haben.
Kontrovers diskutiert wird bis heute, in welchem Ausmaß kolonisierende Bauern aus Anatolien an der Wanderbewegung beteiligt waren und in welchem Ausmaß lediglich eine Kulturtrift bestand, d.h. die Weitergabe von Kenntnissen der Bodenbestellung. Meist wird ein Wechselspiel beider Faktoren vermutet, mit schwindendem anatolischen Einfluss Richtung Norden.
3. Aufgrund des Mitteleuropa längst erreichten Fernhandels, der damit notwendigen Arbeitsteilung in Handwerker, Händler, Transportmannschaft und Geleitschutz entsteht eine Bevölkerungsgruppe, welche mobil wird und zwischen den "Stammesgebieten" und nicht mehr auf der eigenen "Scholle" ihren Job findet. Es gibt da eine Theorie von Günter Lüling, der diesem Bevölkerungsteil eine spezielle Rolle zuspricht. Nach seiner Auffassung handelt es sich um die sogenannten "Kundigen" - die kein Land in ihrem Wirkungsbereich erwerben konnten, damit einen anderen Rechtsstatus besaßen als die ansässige (autochthone) Bevölkerung. Sie standen dafür unter dem speziellen Schutz der "Fürsten". Lüling bezeichnet sie als "Hebräer", das semitische Wort für "Kundiger".
Ein echter Fernhandel entstand erst in der Bronzezeit, ausgelöst durch den Zwang, die Metalle Zinn und Kupfer, die in oft weit auseinanderliegenden Regionen gefördert wurden, zur Produktuion von Bronze zusammenzubringen. Damit einher ging eine Arbeitsteilung, denn es enstanden mit den Bergleuten, Bronzegießern, Schmieden und Händlern erste Berufsgruppen. Sie wurden ernährt vom nun erforderlichen Überschuss, den die Bauern erwirtschafteten.
Ob damit freilich größere Wanderbewegungen verbunden waren, ist zweifelhaft. Einleuchtender ist vielmehr das Beispiel der Kelten, deren Wirken während der La-Tène-Zeit archäologisch gut erschlossen ist. Sie expandierten aus ganz naheliegenden Gründen: Eroberung, Beute machen, Unterwerfung der angestammten Bevölkerung, die den Lebensunterhalt der neuen keltischen Elite zu sichern hatte.