Diskussion um das Vorurteil "dunkles Mittelalter"

Das Mittelalter ist aber seit der Romantik en vogue, und die Filmindustrie und nicht zuletzt auch einige "Darsteller", bei denen manche seriösen Reenacter Zustände kriegen, tragen dazu bei, Faktoide zu zementieren. Das gibt es aber auch im Bereich Neuzeit und Antike.

Das Mittelalter oder besser gesagt ein fiktives Mittelalter ist eine sehr beliebte Hintergrundkulisse, auf der dann Herz/ Schmerz Geschichten, mit einer ordentlichen Dosis Sex and Crime angereichert, für Verkaufserfolge sorgen. Zur Klischee- und Faktoidenbildung trägt aber die unkritische Verherrlichung nicht weniger bei, als die Klischees die dieses Zeitalter als ein finsteres bezeichnen.
 
Ja, irgendwie schwankt es ja immer zwischen Verteufelung und Ritterromantik. Wobei ich zurzeit wieder letztere etwas auf dem Vormarsch sehe, man denke nur an die ganzen Mittelaltermärkte. Das "dunkle Mittelalter" wurde m.E. dafür letztes Jahr in einer der berüchtigten Spiegel-Geschichtstitelstories strapaziert.
Mit diesem Schlagwort werden wohl vor allem das 13.-15. Jahrhundert verbunden; gerne vermengt man Pest, Reichszerfall und Ketzer- wie Hexenverfolgungen (die man ideell schnell noch aus der Neuzeit dorthin schiebt) zu einem düsteren Cocktail. Dabei werden aber die fortschrittlichen Elemente des Mittelalters unterschlagen. Denn gerade in der Spätphase ergeben sich erstmals eine Vielzahl neuer, vor allem gesellschaftlicher und technischer Entwicklungen, die über das hinaus führen, was in der Antike erreicht wurde.
 
Es sei mir an der Stelle gestattet, mich auch noch dazu zu äußern...

Als leidgeplagter Geschichtsstudent mit baldigem Schwerpunkt Mittelalter habe ich natürlich wie alle Gleichgesinnten das Problem mit falschen Vorurteilen über das Mittelalter, die bei Laien immer wieder anzutreffen sind, konfrontiert zu werden.

Am häufigsten wird man leider mit dem sogenannten "dunklen Mittelalter" geplagt. Diese Wortzusammensetzung lässt sich irgendwie nicht ausrotten. Ständig hört man selbst von gebildeten Menschen Sätze wie "Hier gehts ja zu wie im Mittelalter", und immer wieder mit abwertendem Unterton.

Zu diesem Kontext hatte ich mich in einem anderen Thread schon einmal geäußert, weswegen ich es nicht doppelt schreiben, sondern auf den entsprechenden Beitrag verweisen möchte: http://www.geschichtsforum.de/245184-post4.html

Hinzufügen bzw. unterstreichen möchte ich, daß wir inzwischen nicht mehr alles so negativ assoziieren wie seinerzeit die Renaissancehumanisten: wenn wir heute bspw. vom Baustil der Gotik sprechen bzw. Bauwerke als gotisch bezeichnen, so tun wir dies gewöhnlich entweder sachlich-wertfrei (Baustil im Hoch- und Spätmittelalter) oder aber emotional (beeindruckende Bauwerke, atemberaubender Stil u.ä.).
Eigentlich aber wurde der Begriff damals an der Wende vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit bzw. in der Frühen Neuzeit ursprünglich abwertend gebraucht: es galt aufgrund der neuen Erhöhung bzw. Apotheose der griechisch-römischen Antike als erstrebenswert, diesen Baustil neu zu entdecken und/oder zu plagiieren; und das, was davor war, war schlichtweg "barbarisch" (deswegen auch "gotisch", weil ja die Goten bekanntlich mit daran Schuld waren, daß... etc. pp. ... - was bei näherer Betrachtung eben auch differenzierter gesehen werden muß).

Dabei ist das Mittelalter nebenbei eine sehr wichtige Zeit, wo großartige Errungenschaften und Prozesse in Gang gesetzt wurden, ohne die wir heute nicht da wären, wo wir heute sind.

D'accord - denken wir nur einmal an die Grundlagen unserer Rechtsordnung (insbesondere den Ablauf eines Gerichtsprozesses mit Anklage, Zeugenvernehmung und Verteidigungsplädoyer) oder auch im speziellen an Regelungen des Erbrechts...
 
In die Verteufelung des Mittelalters spielt vielleicht auch der Reiz des exotischen mit hinein. Wenn populärwissenschaftliche Dokumentationen oder Zeitungsartikel zu China, der arabischen Welt oder selbst den Wikingern kommen, reicht es nicht aus deren höheren Zivilisations- oder Hygienegrad anzupreisen. Man muss ihn durch einen Vergleich zusätzlich unterstreichen und da eignet sich das mitteleuropäische Mittelalter doch ganz gut (ist auch politisch korrekt, weil man keine fremde Kultur diskriminiert, sondern nur vor der eigenen Haustür kehrt).
 
In die Verteufelung des Mittelalters spielt vielleicht auch der Reiz des exotischen mit hinein...

... sowie eine Menge Unkenntnis :nono:

Wenn populärwissenschaftliche Dokumentationen oder Zeitungsartikel zu China, der arabischen Welt oder selbst den Wikingern kommen, reicht es nicht aus deren höheren Zivilisations- oder Hygienegrad anzupreisen. Man muss ihn durch einen Vergleich zusätzlich unterstreichen und da eignet sich das mitteleuropäische Mittelalter doch ganz gut...

... indem flugs z.B. die Pfuscherei an der Pfeilwunde von Richard Löwenherz als allgemein übliche abendländische Chirurgie zu jener Zeit dargestellt wird.
Oder indem die Funktionalität der Trippen (Holz- oder Korksohlen, welche unter das eigentliche Schuhwerk gebunden wurden - das Wort Trippe wird in derartigen Sendungen zudem oftmals auch noch weggelassen; Anm. von mir) allein damit erklärt wird, daß man damit durch Fäkalien waten konnte. Zur Erklärung und Verdeutlichung: vordergründig ging es bei solchen Untersohlen nicht weniger darum, daß die - relativ dünnen - Ledersohlen des Schuhwerks gegen Abnutzung auf (zugegebenermaßen recht seltenen) steinernen Flächen sowie vor allem gegen Schlamm und Nässe auf den Wegen u.ä. - insbesondere in sumpfigen Gebieten - geschützt waren. Daß man auch durch vergleichsweise gegenwärtigen Unrat und Fäkalien auf Straßen und Wegen kam, kann eher als nützlicher Nebeneffekt angesehen werden...

Man kann übrigens - wenn man genug vereinfacht/generalisiert und/oder absichtlich ausgewählte Symptome besonders wichtet - auf diese Art und Weise nahezu jedes Zeitalter verzerren. Daß dies beim Mittelalter so gut funktioniert bzw. sich so gut an den Mann bzw. an die Frau bringen läßt, liegt wohl daran, daß wir eigentlich doch oftmals recht wenig Genaues darüber wissen und daß dieses Zeitalter infolge unserer eigenen Kulturgeschichte durch Humanismus, Aufklärung etc. (v.a. unter dem Gesichtspunkt antiaristokratischer und antiklerikaler Sichtweisen) eine eher negative Belastung erfahren hat.
 
Interessantews Thema, tatsaechlich.
Ich denke aber, dass wir vieles in der Vergangenheit zu sehr mit unseren Augen sehen, die einem Zeitgeist angepasst sind, der zu anderen Zeiten eben anders war.
Wenn die Voelker sich mit Vehemenz gegen die Tuerken gewehrt haben, dann moeglicherweise weniger, weil sie deren Lebensart so verdammenswert fanden, sondern weil diese einer Religion angehoerten, die nach dem eigenen Glauben auf direktem Wege ins Verderben fuehrte.
Der Glaube hatte in Europa damals einen voellig anderen Stellenwert. Das Leben an sich stellte nur eine Vorstufe dar, die es mit Gottes Hilfe zu meistern galt, um anschliessend entsprechende Belohnung oder Bestrafung zu erfahren. Jede noch so kleine Abweichung bedeutete den sicheren Untergang. Ob man das Leben der Osmanen nut gut oder schlecht fand, ihr Glaube war inakzeptabel.
Kommt einem heute wieder bekannt vor, oder irre ich mich da?
 
Ich glaube das liegt auch daran dass die Menschen zu dieser Zeit auch viel durchgemacht haben wie z.B. die Pest man nennt sie ja auch der SCHWARZE TOD
 
Ich glaube das liegt auch daran dass die Menschen zu dieser Zeit auch viel durchgemacht haben wie z.B. die Pest man nennt sie ja auch der SCHWARZE TOD


Das war nicht unbedingt typisch mittelalterlich.

Die Pest gab es schon im Altertum. Auch im Dreissigjährigen Krieg hat sie in Europa noch mal voll zugeschlagen.
 
Kopie einer Seitendiskussion aus einem anderen Thread - insgesamt drei Beiträge...

Selbst unsere aktuelle Hochkultur ist doch erst ungefähr 200 - höchtens 500 Jahre alt, je nachdem wie man Hochkultur definiert.
 
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Selbst unsere aktuelle Hochkultur ist doch erst ungefähr 200 - höchtens 500 Jahre alt, je nachdem wie man Hochkultur definiert.

Die Definition einer Hochkultur ist eindeutig: gegliederte Gesellschaftsordnung mit Arbeitsteilung und Schriftlichkeit, organisiert in einem Staat mit institutionalisiertem Rechts- und Verwaltungssystem, der auch hohe kulturelle Leistungen hervorbringt.

Danach leben wir Mitteleuropäer nicht erst seit "200 Jahren" in einer Hochkultur, sondern mindestens seit über 1000 Jahren!
 
Die Definition einer Hochkultur ist eindeutig: gegliederte Gesellschaftsordnung mit Arbeitsteilung und Schriftlichkeit, organisiert in einem Staat mit institutionalisiertem Rechts- und Verwaltungssystem, der auch hohe kulturelle Leistungen hervorbringt.

Danach leben wir Mitteleuropäer nicht erst seit "200 Jahren" in einer Hochkultur, sondern mindestens seit über 1000 Jahren!

Ok, obwohl ich das finstere Mittelalter in Europa, wo nur ein ganz kleiner Teil schreiben konnte, als Nachhall der Römerzeit mehr oder weniger, nicht als Hochkulturzeit sehe.
Das gleiche gilt für das Rechts- und Verwaltungssystem, nicht unbedingt hohe kulturelle Leistungen, außer in Kirhen und Klöstern, vielleicht.
 
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Trotz meines Eingriffes, den Inhalt der entsprechenden Beiträge hierher zu kopieren, erlaube ich mir einige thematische Anmerkungen...

... das finstere Mittelalter in Europa...

... verdient die Bezeichnung "finster" genaugenommen nur aus einem Grund wirklich: im Vergleich zu heute läßt sich für diese Zeit eine deutlich geringere Ausprägung der Beleuchtung konstatieren.
Anm.: Das ist kein Scherz, sondern bspw. hier nachzulesen -> Turba Delirantium - Das finstere Mittelalter - oder - Beleuchtungsökonomie im Mittelalter

... wo nur ein ganz kleiner Teil schreiben konnte, als Nachhall der Römerzeit mehr oder weniger...

Dies gilt so allgemein - wenn überhaupt - nur für einen Ausschnitt des Frühmittelalters; und es war bei weitem nicht einfach "Nachhall der Römerzeit".

Das gleiche gilt für das Rechts- und Verwaltungssystem, nicht unbedingt hohe kulturelle Leistungen, außer in Kirhen und Klöstern, vielleicht.

Unser heutiges Rechtssystem basiert bspw. auf dem (hoch-)mittelalterlichen Inquisitionsprozeß, in dem zum ersten Mal ein Gericht aus Anklageschrift, Zeugenverhörung, Verteidigungsplädoyer und abschließendem Rechtsspruch bestand. Ebenso wurden bspw. alle noch heute grundlegenden Regelungen des Erbrechts bereits im Mittelalter gelegt. Außerdem wäre hier noch hinzuzufügen, daß das sogenannte Common Law aus dem angelsächsischen England noch heute in Ländern wie GB und sogar in den USA noch zur Anwendung kommt (Stichwort: Präzedenzfälle).
Aber auch was das Verwaltungssystem angeht, so wurden nicht wenige Grundlagen bereits im Mittelalter gelegt, die wir heute noch alltäglich kennen. Um nur einmal auf dem Gebiet des heutigen Deutschland zu bleiben: unsere kommunale Selbstverwaltung bspw. basiert auf der städtischen Selbstverwaltung, die im Mittelalter die römische Rechtstradition mit der Freiheit germanischer Dorfgemeinschaft verband.
 
Die Definition einer Hochkultur ist eindeutig: gegliederte Gesellschaftsordnung mit Arbeitsteilung und Schriftlichkeit, organisiert in einem Staat mit institutionalisiertem Rechts- und Verwaltungssystem, der auch hohe kulturelle Leistungen hervorbringt.

Danach leben wir Mitteleuropäer nicht erst seit "200 Jahren" in einer Hochkultur, sondern mindestens seit über 1000 Jahren!


Das sollte man unterstreichen, denn das Mittelalter entwickelte das, was wir als europäische Kultur verstehen. Timotheus hat bereits auf den hohen Level der Jurisprudenz und Scholastik verwiesen, ich denke dabei auch an literarische Werke von hohem Rang, an Snooris Edda, das Nibelungenlied, die Carmina Burana, die Werke der Minnesinger, Dante Alighieris "Divina Comedia".

Dazu wurden im Mittelalter sehr kompetente Fachbücher geschrieben, die sich durch alle Elemente empirischer wissenschaftlicher Forschung auszeichneten. Ich muß dabei immer an das Falkenbuch Friedrichs II. "De Arte venandi cum avibus" denken, das als ein Standardwerk naturwissenschaftlicher Forschung angesehen werden kann, denn der Kaiser begnügte sich nicht damit, nur das bisherige Wissen aufzuzeichnen, sondern ergänzte es durch eigene Beobachtungen. So galt seit Aristoteles, dass beim Formationsflug von Gänsen oder Kranichen immer der klügste Vogel voran fliegt, während Friedrich erkannte, dass sich die Vögel gegenseitig ablösen. Oder man glaubte, dass Geier die Nahrung durch den Geruchssinn finden, worauf man Geiern die Geruchsnerven durchtrennte, die dennoch Beute finden konnten.
 
Ach, wie heisst es doch:
"standing on the shoulders of giants"

Wenn auch die Neuzeit vergessen haben sollte, was sie dem Mittelalter verdankte, so mag doch vielleicht ein einigen Jahrhunderten ein Betrachter ganz anders über unsere jetzige, so glückbringende Zeit der modernen, souveränen Staaten urteilen. Blut, Grausamkeiten und Unglück gibt es schießlich um ihrer selbst willen mehr als genug.

Vielleicht kommt man ja mal darauf, dass man mit den neuen Ideologietheorien (Wenn sich A als richtig erweisen sollte, so muss B zwangsläufig falsch sein und wenn Du B anhängst, so bist Du entweder im bedauernswerten Irrtum, oder ein Blender) und den neuen Staatstheorien (insb. zur Souveränität) Geister geweckt hat, die man nun nicht mehr loswird.

Aber was solls, derzeit ist der MIttelalterruf eh nicht zu retten. Ich denke aber, dass die Zeit ihn heilen wird, hier geschieht ja um ein weiteres mehr "grausames" und "finsteres", setzt man einmal als Konstante voraus, der Mensch sei seit der Antike zu keiner Änderung fähig gewesen und allein die technischen Mittel, Anschauungen hätten sich gewandelt

greetz
 
Gleichzeitig zu der Verdammung des Mittelalters ist aber auch seine Glorifizierung festzustellen, die sich bereits im 18. Jahrhundert entwickelte und die ihren ersten Höhepunkt während der Romantik erreichte.

Was wir heute erleben, der große Erfolg von Ritterspielen und "Mittelaltermärkten", die bei vielen Reenactment- Puristen eher für Entsetzen sorgen, ist im Grunde ein Rückgriff auf die Romantik. Das gilt auch für Fantasy- Literatur, die in einem fiktiven Mittelalter spielt. Sozusagen eine Idylle, die im Grunde mehr über unsere eigene Zeit verrät, als dass sie Aufschluß über das Mittelalter gibt.

Dem wird man natürlich weder gerecht, indem man es zu einem "dunklen Zeitalter" erklärt, noch indem man es einseitig glorifiziert.
 
Spielt in die Herabsetzung des Mittelalters nicht auch hinein, dass viele in unseren Augen große Erfindungen der Antike (die fast alle geistiger Natur waren) aufgegeben wurden. Keine Philosophen auf dem Marktplatz, kein Marmor für Regierende, keine schickuniformierten Legionen. [...]
Alles machen die kaputt. bekommen soviel Schönes und dann das.
typisch Mittelalter.

Nun ja, die haben schon viel Schönes kaputtgemacht. Guggen wir mal nach Köln, nach dem Ende des Röm. Reiches.

Die Franken sind dann unter König Sigibert nach Köln einmarschiert und haben dort das Prätorium eingenommen. Die Stadt blieb allerdings unzerstört, die Herrschaftsbauten blieben erhalten, wurden aber nicht gepflegt. Es gab sogar noch um 520 einen Heidentempel, wie Gregor von Tours berichtet. Der Bischof Gallus von Clermont ließ ihn dann abbrennen.
Köln wurde nun mehr und mehr landwirtschaftlich genutzt, auch innerhalb der Stadtmauern. Handel und Gewerbe nahmen ab. Dörfer rund um Köln, rein bäuerlich, entstanden, von den Franken angelegt. (Also ENTSTAND etwas - nämlich Dörfer!) Doch gab es noch Glasbläserei, Töpfereien, Goldschmieden. Der Fernhandel war allerdings praktisch zum Erliegen gekommen, der lokale Handel wurde wichtiger (6. Jh.).
Das Schrifttum schwand allerdings mehr und mehr. Nur noch die Namen der Bischöfe sind jetzt bekannt, sonst nicht mehr viel zur Chronik der Stadt. Hier wird zum ersten Mal der Begriff "dunkel" für mich deutlich. Dunkel eben auch wie die Dunklen Jahrhunderte nach Untergang des Mykenischen Reiches in Griechenland.
Doch die Leidensgeschichte geht noch weiter. Im 9. Jahrhundert, also mitten in der sog. "Karolingischen Renaissance", litt man in Köln unter Hungersnöten und Seuchen. Um 880 brandschatzten die Normannen die Stadt, nur noch wenige Gebäude blieben stehen, im wesentlichen Kirchen. Gewerbe, Handel usw. waren erstmal zusammengebrochen.

Wieder weg von Köln ins "Westreich". Aus dem Gebiet der Philosophie weiß ich, dass das erste philosophische Werk des Westens das von Eriugena ist, Periphyseon, um 850. Das letzte philosophische Werk des Westens, allerdings eher ein Abklatsch von Philosophie als etwas, was diesem Namen würdig wäre, ist die Etymologiae des Isidor von Sevilla, um 600. Letztes wirklich bedeutendes Werk war Boethius' Consolatio Philosophiae (um 525), für mich in der Tat eine Consolatio, weil der Autor, obwohl Christ, sein letztes und bedeutendstes Werk ganz ohne christliches Gedankengut versehen hat.

D.h. ca. 250 Jahre gab es im Westen (abgesehen von Homilien und ähnlichem Kram) kein Schriftgut mehr in (West-)Europa.

Also, ich meine, der Begriff "Dunkles Mittelalter" hat doch einiges für sich. Ich rechne ihn nicht zu den "Vorurteilen", sondern zu den Tatsachen.

Hier http://www.geschichtsforum.de/attac...as-ende-des-roemischen-reiches-roemreich1.jpg habe ich auch ein paar Statistiken von Bryan Ward-Perkins gepostet, die die Verbreitung von Töpferware betreffen: Handel und Wandel gingen tatsächlich zum Ende des Weströmischen Reiches unter und wurden, so Ward-Perkins erst wieder um 1200 (!) erreicht. Gleiches gilt für Häuserbau, Dachkonstruktionen usw usf. Ganz erhellend ist z.B., dass Karl der Große die Säulen für seinen Dom in Aachen von Italien herschleppen ließ, weil es keine fränkischen Steinmetze gab, die solche Techniken noch beherrschten.
 
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Solche Diskussionen gewinnen manchmal durch "Erweiterung des Diskusssionsgegenstands", was hier auch schon angerissen wurde (z.B. das griechische "Dunkle Zeitalter").

Welche Jahrhunderte/Zeitalter nennen wir noch "dunkel"?
Welche Attribute tragen andere Jahrhunderte/Teitalter?

- "Finster"! Ich glaube man spricht häufiger vom "finsteren Mittelalter" als vom "dunklen Mittelalter": "Finster" klingt gefährlicher als "dunkel".
- "golden"
- "klassisch"
- "unbekannt"
- "schrecklich"
- "zivilisiert"
- "barbarisch"
 
Natürlich kann man den Diskussionsgegenstand erweitern; allerdings kann man auch die Sicht auf den eigentlichen Kontext erweitern.
Insbesondere - und das ist jetzt nicht persönlich gemeint - ist es wichtig, mit Begriffen wie "Abklatsch", "kaputtmachen" o.ä. Wertungen vorsichtig umzugehen, wollen wir einer halbwegs historisch korrekten Betrachtung gerecht werden.
Aber ehe ich dazu allzu viel schreibe, möchte ich lieber einige Texte zum Lesen geben - leider mußte in zwei Fällen Wikipedia genügen (aber immerhin ist der eine Artikel als "lesenswert"klassifiziert):
Theologische Realenzyklopädie - Google Buchsuche
Schriftlichkeit im frühen Mittelalter - Google Buchsuche
Alt- und mittelhochdeutsch ... - Google Buchsuche
ISIDOR, Erzbischof von Sevilla
Philosophie des Mittelalters – Wikipedia
Geschichte der Stadt Köln – Wikipedia
 
@Eumolp

Eine "dunkle" Quellenlage muss nicht notwendigerweise auf ein "dunkles", also "schlechtes", i.S. von den zu der damaligen Zeit lebenden Menschen wenig persönliches Glück bescherendes "Zeitalter" bedeuten. Im Gegenteil macht es die geringe Quellenlage ja umso reizvoller, das Wenige bis zum Erbrechen auszuschlachten.

Im übrigen ist der "Westen" doch immer problematisch. Klar, Augustinus willst Du wohl wegen des untergehenden RömR ausnehmen. Aber was ist mit dem "restlichen" Europa, also "England", "Spanien", "Portugal" usw? Ohne jetzt persönlich weitere Lust und Zeit zu haben, mich näher damit befassen zu können, wäre ich da persönlich arg vorsichtig.

Intelligenz und Begabung ist stets zu allen Zeiten gewesen.
 
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