Versuch einer ordentlichen Hauß=Arbeit/ gehorsamliche/ von Demoisellen.
Ich muß zunächst zwei Fehler von mir corrigieren:
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(1) Es muß LINGVA GERMANICA heißen - ich war mir ohne Wörterbuch unsicher gewesen, aber es ist doch so wie bei TEVTONICVS.
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(2) Ich habe gestern einen chaotischen Gedankensprung verbrochen, wo mein überdimensioniertes Musikhirn sich in höchst unfüglicher und unschicklicher Manier entäußert hat, was mir äußerst wunderlich vorkommt und zumal unbegreiflich:
Der MUSICANT ist zwar principiell ein 'Music-Cantor', was aber mit der Endung "-ant" natürlich nicht gemeint ist.
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Was die Verwendung im frühen 18.Jahrhundert anbetrifft, so fürchte ich doch, daß mit dem Musicanten ein Dilentantist gemeint ist. Im Frisch (andere Auflage 1719) finde ich den Ausdruck gar nicht. Bei Walter (Musicalisches Lexicon, 1732) erstaunlicherweise auch nicht:
Johann Gottlieb Walther schrieb:
Musico (ital.) Musicien (gall.) Musicus (lat.) bedeutet so wol einen Compositeur, als Executorem; doch leget es der Usus mehr dem Executori, als den Componisten bey. s. Brossard. Diction p.77. Die heutigen Jtaliäner verstehen durch einen Musicum sonst nichts, als einen blossen Sänger. s. Matthesonii Crit. Mus. ... 8. p 91.
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Sonst findet man bei Walter nur noch den "Musicien de la Ville", sowie die "Musicienne" und das wars : kein Musicant. Ich glaube freilich, daß es letzteres Wort um 1700 dennoch gibt. Man scheint es indeß in gebildeten Kreisen zu verachten - zumal die Endung "-ant" leicht an den Diletanten erinnern mag. Überhaupt scheint die "-ant" Endung weitgehend negativ gemeint zu sein, wenn man sich z.B. den Querolanten vor Augen hält.
Daß Walter den "Musico"
[ital.] zu Anfang erwähnt, ist mir um 1700 auch geläufig. Auch wenn man mehr zu lateinischen Ausdrücken neigt, so herrscht bei diesem Berufsstand im Deutschen der italienische Ausdruck vor, das lateinische "Musicus" steht an zweiter Stelle. Ich wunderte mich jahrelang, weil ich "Musico" zunächst für eine lateinische Declination hielt, die fälschlicherweise im Nominativ verwendet zu werden schien. Da ich in Sachen Musik einen recht Französisch-Lullistischen Geschmack (als Tänzerin ganz natürlich) vertrete, tractiere ich das "Musico" freilich etwas stiefmütterlich.
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Verworffene Hausarbeit von Demoiselle schrieb:
Mein Bedürfnis war stets, daß die lateinische Herkunft eines germanisierten Wortes erkennbar und nachvollziehbar bleiben sollte. Auch wenn die Übernahme des lateinischen doppel-r von lateinpädagogischem Interesse ist, so muß ich hier auch Zugeständnisse an den deutschen Sprachgebrauch machen. Es gibt aber Beispiele, wo das doppelte r stehen bleiben muß, weil die Schlußsilbe lateinisch geblieben ist und die lateinische Conjugation dies vorgibt:
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Current(-Schrift).
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Hänge ich aber die Silbe "-iren" an, fällt an der Bruchstelle zwischen lateinischem Wortstamm und deutscher Endung ein r weg, weil man im Deutschen doppel-r von je her zu trennen pflegt.
Nach dem ersten r greift also die deutsche Silbentrennung und läßt die Übernahme des weiteren r nicht zu. - Daß das zweite r grundsätzlich flexibel ist, sieht man an verwandten Substantiven (discursus, cursor). Die germanisierte Verbform sollte nach meinem Empfinden an die gesamte Wortfamilie erinnern und hier alle Beziehungsmöglichkeiten offen lassen.
Siehe auch : der Curier
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Wo ich das rr in einen deutschen Text übernehmen wollte, würde ich lieber gleich die ganze lateinische Conjugation übernehmen, etwa: "Nein, ich agitiere hier nicht : discurro!" - Warum nicht?
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Man kann diesen ganzen Discurs übrigens elegant umschiffen, indem man "discursieren" sagt. Dann bezieht man sich auf lateinische Substantive und beläßt das rr ungemolestiert.
Soweit all jenes, womit ich mir gestern die halbe Nacht um die Ohren schlug. - Aber : warum sollte man der LINGVÆ LATINÆ den Tribut rr nicht gönnen? Meine unausgesprochenen, eigentlichen Bedenken gingen zunächst dahin, daß mir "discurrieren" zu lang vorkam. Damit wäre es weniger eingängig und hätte weniger Chancen auf eventuelle Verbreitung. Außerdem gibt es im Deutschen das Wort "Curier", ein ja Französischer Begriff und das "-ier" daran ist rein Französisch. Daß "-ieren" eines ganz anderen Characters ist, erkennt man klarer, wenn man sich vor Augen führt, daß es in der Frühneuzeit meißt noch "-iren" lautete (was man eigentlich hätte belassen können ...). In den "Curier" kann man auf keinen Fall ein zweites r einfügen. In Wörterbüchern würde man aber ja anmerken, daß der "Curier" Französisch ist, während "discurrieren" Latein mit deutscher Endung ist. In vertiefenden Fachbüchern könnte man dann auch erfahren, wie "-iren" dereinst ebenfalls aus Frankreich kam.
Dann gibt es noch das Französische "curer", bei uns bekannt als curieren und das kommt vom lateinischen curare. Dementsprechend müßte "discuriren" mit "vernachlässigen", bzw. (medicinisch) nicht/schlecht versorgen, übersetzt werden.
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Also doch
discurrieren. Die galante Welt hatte mir in diesem Fall vielleicht was Unrechtes beigebracht ...

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Eine gewisse Unzufriedenheit aber bleibt: Ein deutsches Wort, zusammengesetzt aus einem lateinischen Ausgangswort, einer altfranzösischen Infinitivendung und einem deutschen "-en" - welch bunter vogel!
Mit diesem Unbehagen griff ich nach Stieler und Frisch: Caspar Stieler hält in seinem Zeitungssprachewörterbuchanhang von 1695 (in "Zeitungs Lust und Nutz") "discouriren" bereit, das mir eigentlich bekannt vorkommt (wie übrigens auch "Discourse"). Im Frisch (1719) findet sich dann "discourir".
Was das Neudeutsche Wort "diskutieren" angeht, so ist dies ein besonders schriller Gesell, wie mir soeben auffällt: gegenwartsfranzösisches Ausgangswort, combiniert mit altfranzösischer Endung, garniert mit deutschem "-en". Und weil das noch nicht bunt genug ist, wird das Ausgangswort mittels k verfremdet, die altfranzösische Endung hatte man schon zuvor zum "-ieren" erweitert.
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Am Ende versammelt sich hier ein ganzes vogelhaus, voll lauter bunter Exoten.
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Bitte sucht euch einen recht hübschen aus ...
